Quelle
Nachruf auf Elvis
Damals, 1957, ich war elf, schoß aus dem Radio Elvis Presley mit „Tutti Frutti“, und die ersten Takte verbannten meine bisherigen Lieblingslieder „Ave Maria“, „Was hat der Hans mit der Grete getan“, „Der lachende Vagabund“ und sogar „Marina“ schlagartig aus meinem Frischlingsherzen. Worum es ging, verstand ich nicht, aber dieser Schluckaufgesang und die elektrisierende Musik rockten mich durch, und ich rannte in die Küche, schnappte Töpfe und Kochlöffel, trommelte die letzte Minute von „Tutti Frutti“ mit, und damit war die für mich damals gerade aktuelle Berufsentscheidung zwischen Seefahrer und Trommler gefallen. Elvis Presley hatte mich angezündet, und ich dachte: Jetzt ist Erdbeben.
Bis dahin konnte ich nur zu den deutschen Triefsongs etwas verbogen ins Träumen geraten, aber jetzt wußte ich, wo’s langging. Nachdem ich dann auch noch diesen Film gesehen habe, in dem Elvis als ziemlich schmales Kerlchen in einem Klub auf die Bühne springt und den bulligen Klubbesitzer ansingt: „If youre looking for trouble, look straight into my face“ („Wenn du Ärger willst, schau mir direkt ins Gesicht“), verband ich mit dem deutschen Lied- und Schlagergut mehr und mehr Alpträume. Das hat sich bis heute nicht geändert.
Was mit Elvis’ Hüften los war, verstand ich damals auch noch nicht so gut, aber die Mädchen, die mit verdrehten Augen von ihm sprachen, stiegen sehr in meiner Achtung, weil sie einen genauso guten Musikgeschmack hatten wie ich. Erst eine Weile später kriegte ich mit, was an Rock ‘n’ Rollern außer Musik noch wichtig ist. Elvis hatte es drauf: Mit eingebauten Kugellagern in den Gelenken und dem verträumt-trotzig-verletzbaren Erosblick hat er sogar den aufrechten Westfälinnen in meiner kleinen Heimatstadt Gronau in die Unterkleider geguckt.
Er hat uns gegen unsere Eltern, denen ja sonst alles gehörte, etwas Eigenes gegeben. Bis jetzt hatten wir immer nur zu hören bekommen: „Dafür bist du noch zu jung.“ Mit Elvis in den Ohren konnten wir zurückbrüllen: „Dafür seid ihr schon zu alt.“
Wo kam dieses Dynamit her? Wo gab’s noch mehr davon? So kriegte ich durch Elvis auch Bill Haley mit, den es schon vorher gab, und bald hatte ich eine Sammlung von Platten mit „Amigeheul“ und „Negermusik“, und meine Oma fiel in Ohnmacht. Ich weiß auch noch, wie schwierig es war, den Schlacker-Schlotter-Gummibein-Tanz mit Schleuderdame zu lernen. Ich gestehe, daß ich bis heute Elvis’ Bravour nicht ganz erreiche.
Gospel-Country-Blues-Elvis. An ihm habe ich mich hochgezogen. Seine schnellen Nummern waren wie schwarzer Pfeffer, und ich konnte nicht genug davon kriegen. Die langsamen Nummern ergriffen mich oft genauso, jedoch nicht alle, manche fand ich zu schnulzig. Was bei den Schwarzen der Gospel-Song war, eindringlich, herzattackierend, aber irgendwie bescheiden, geriet bei Elvis manchmal etwas zu bombastiko und so unecht wie ein Neger im Dirndl, übertrieben wie ein violettbrokates Bischofsgewand.
Ein paar Sachen an ihm sind mir fremd geblieben, vielleicht weil Amerika so weit weg war. Nachdem Elvis dann auch als „guter Amerikaner“ sehr brav und sauber in die Herzen der Erwachsenen in seinem Land eingekehrt war, nachdem er in Deutschland vorbildlich seinen Militärdienst abgeleistet hatte und seine Filme bonbonfarben und schlechter wurden als die von James Dean, hörte er auf, die absolute Sensation für mich zu sein. Nicht ganz: Er kriegte seinen guten Platz in der Reihe der Musiker, die ich toll fand, und Rock-Musik an sich wurde für mich zur Sensation. Elvis hat die Startbahn mitplaniert, auf der viele Musiker, und später ich auch, mit ihrem eigenen Jet abhoben.
Quelle: Udo Lindenberg, „Nachruf auf Elvis“; abgedruckt in Götz Eisenberg und Hans-Jürgen Linke, Hrsg., Fuffziger Jahre. Giessen, 1980, S. 235f. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.