Kurzbeschreibung

Ein Journalist mokiert sich über eine Kampagne des Presseamts der Bundesregierung, die den Touristen nahe legt, sich im Ausland umsichtig zu verhalten, um nicht anti-deutschen Vorurteilen in den europäischen Nachbarländern, die von deutschen Urlaubern überrannt werden, Vorschub zu leisten.

Ratschläge der Regierung zum Verhalten der Deutschen im Ausland (3. August 1978)

  • Helmut Herles

Quelle

Deutschmark, Deutschmark über alles . . .
Oder: Wie hässlich sind wir Deutschen denn eigentlich? Bonn will Urlauber zu Botschaftern guten Willens machen

Bonn, 2. August. Das Bundespresseamt möchte aus fünfzehn Millionen deutschen Auslandsurlaubern Botschafter der Bundesrepublik machen. In einer fünfteiligen Anzeigenserie, die von dem Karikaturisten Pit Flick mitgestaltet worden ist, geht es um Vorurteile gegen Deutsche und damit auch um Vorurteile von Deutschen (schließlich kommt ja im nächsten Jahr auch die erste Direktwahl für das Europäische Parlament). Den Hintergrund bilden demoskopische Erkenntnisse über das Bild, das man sich im Ausland über die Deutschen macht. Ergebnisse: So häßlich sind wir gar nicht.

Das erste Produkt der Überlegungen war soeben in Illustrierten zu sehen: apparatbewehrte, schnorchelatmende in Wohnwagenkolonnen anreisende und von oben einschwebende Teutonen treffen auf ihre Gastgeber, der Willkommensgruß für die Urlauber wird in jenem Ferienkolonial-Deutsch geschrieben, wie es in mancher „südlichen deutschen Zone“ tatsächlich zu lesen ist. Unter anderem: „Eckt Kafe deutch!“ oder: „Heisbein mit Sauerkraut“. Dazu die Anregung der Regierung an ihre Freizeitbürger, sie sollten das Gespräch mit den Einheimischen suchen und nicht nur in Strandburgen und Urlaubsreservaten aufeinanderhocken. Die Londoner „Times“ hat darauf schon freundlich geantwortet. Nach der einstimmenden Anzeige sind die nächsten vier Karikaturen samt Texten, vier bei den Nachbarn weitverbreiteten Vorurteilen gewidmet, jeweils unter dem Vorsatz: „Europaurlaub 1978: Deutschland ist ein Gespräch wert.“

Als Vorurteil Nummer eins wird karikiert und in Frage gestellt: „Den Deutschen macht nur eines richtig Spaß: die Arbeit.“

Man sieht emsige Bauleute an einem großen D Arbeiten, also am Modell Deutschland, ironische Erinnerungen an die Wahlwerbung der Kanzlerpartei. Zunächst wird jeweils anerkannt, was an dem Vorurteil stimmen könnte: In Deutschland sei in den vergangenen Jahrzehnten sehr hart und sehr viel gearbeitet worden, weil der Deutsche aus einem Trümmerfeld erst wieder ein Land habe machen müssen, in dem sich leben lasse. Gegen die „Arbeitswut“ werden Fakten aufgereiht: Die Vierzigstundenwoche für 92 Prozent der Arbeitnehmer: die Fünftagewoche; vier Wochen Urlaub für 88 Prozent der Arbeitnehmer; 750.000 Bürger wegen der flexiblen Altersgrenze freiwillig vorzeitig im Ruhestand. Beim Stichwort „Ellbogen-Gesellschaft“ sollen die Botschafter in der Badehose wissen, daß der Bund jede dritte Mark seines 200-Milliarden-Haushaltes für Soziales ausgibt, daß es wirksame Gesetze gegen Ellenbogenwillkür gebe: zum Beispiel das Kartellrecht, die Mitbestimmung, das Betriebsverfassungsgesetz, das Mietrecht (Gesetze, die nicht alle der CDU/CSU-Opposition schmecken).

Vorurteil Nummer zwei: „Deutschmark, Deutschmark über alles ...“

Die Räder der Autos und Wohnwagen sind DM-Münzen. Während der auf die Kolonne wartende Südländer auf einem Esel sitzt. Auch hier wird mit dem Stolz auf die Härte der Mark und auf die Tatsache, daß man „eine der stärksten Wirtschaftsnationen“ ist, die Nutzanwendung für die erwünschte Konversation gezogen: Die Nachbarn profitierten gleichfalls von der Mark, zum Beispiel durch die Urlauber, aber auch von dem überwiesenen Geld der Gastarbeiter. „Und was die starke Stellung unserer Wirtschaft betrifft: Sie beruht nicht auf einem Wunder, sondern ist das Ergebnis der Arbeit aller und des sozialen Klimas, das wir gemeinsam erreicht haben.“

Vorurteil Nummer drei: „Die Deutschen wissen immer alles besser.“

Da steht ein Musterknabe mit der Michel-Mütze vor einer international zusammengewürfelten Schulklasse, sieht aus wie ein Enkel Helmut Schmidts. So soll der Protzerei im Ausland entgegengetreten werden. Es gibt ja diese Deutschen tatsächlich, die alles besser wissen: „Wie man richtig Fußball spielt, wie richtige Autos gebaut werden, wie richtiger Kaffee schmecken muß und überhaupt ...“ Als Anregung zum Gespräch: Offene Worte unter Nachbarn seien nötig, umgekehrt sollten die Deutschen auch von den anderen lernen, und ein bißchen Zurückhaltung könne selbst unter guten Freunden nicht schaden.

Vorurteil Nummer vier: „Die Deutschen ordnen alles. Mit Sicherheit.“

Da steht ein deutscher Spießtyp von einst in der Badehose inmitten seiner Sandburg und kommandiert Frau, Kinder und Hund unter dem Stichwort „Trautes Heim, Glück allein“, und die Sandfestung ist mit Steinchen geschmückt: Burg, Burgfrieden.“ Ein paar Fremde schauen staunend zu. Zu dem Vorurteil wird eingeräumt: „Zugegeben: wir Deutschen sind ganz schön ordnungsliebend und haben es nicht immer leicht, dafür Verständnis bei den Nachbarn zu finden.“ Hier werden die Urlauber auf mögliche politische Kontroversen, vor allem mit Franzosen oder Italienern, wegen der „Berufsverbote“ vorbereitet. Die Freizeitdiplomaten sollen wissen: „Es gibt bei uns kein Berufsverbot. Auch dann nicht, wenn jemand extreme Meinungen vertritt. Aber unsere Beamtengesetze sehen vor, daß Gegner des demokratischen Staates nicht im Staatsdienst beschäftigt werden dürfen.“ Auf die Kritik draußen und drinnen an der Überprüfungspraxis für Beamtenbewerber wird eingegangen (auch dieser Satz wird der Opposition nicht schmecken): „Inzwischen sollten wir uns allerdings fragen, ob einige in unserem Land die Überprüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst nicht übertreiben. Überzogene Reaktionen der Verwaltungen verdienen mit Recht Kritik.“ []

Die Ferienaufklärung des Presse- und Informationsamtes der Regierung kostet etwa zwei Millionen Mark. Sie wird fünf Wochen lang in Illustrierten mit einer Auflagenhöhe von sechs Millionen Exemplaren erscheinen. Doch es bleibt die Frage, wie die meisten der Urlauber sich in der Sprache der bevorzugten Ferienländer verständlich machen sollen: denn Spanisch, Italienisch, Serbokroatisch sind anders als Englisch und Französisch hierzulande noch Fremdsprachen in des Wortes wahrer Bedeutung. So wird vielleicht mancher die Urlaubsbotschaft Bonns lesen, allein, ihm fehlt dann die Sprache, um Botschafter werden zu können.

Quelle: Helmut Herles, „Deutschmark, Deutschmark über alles…“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. August 1978. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.

Ratschläge der Regierung zum Verhalten der Deutschen im Ausland (3. August 1978), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/zwei-deutsche-staaten-1961-1989/ghdi:document-839> [04.11.2024].