Kurzbeschreibung

Friedrich Cotta, ein Befürworter der profranzösischen, revolutionären deutschen Republik in Mainz, beschreibt die Errungenschaften der Französischen Revolution aus der Perspektive von 1793, das heißt, nach Ausrufung der Republik. Zu beachten ist, dass Cotta vorwiegend die revolutionären Leistungen betont, welche die liberale und demokratische Programmatik erfüllten, und nicht näher auf die Instabilität oder Gewalttätigkeit der Revolution eingeht.

Friedrich Cotta, „Von der Staatsverfassung in Frankreich“ (um 1793)

  • Friedrich Cotta

Quelle

Von der Staatsverfassung in Frankreich

Liebe Leute!

Ihr habt zeither so viel von der Staatsverfassung oder von der Konstitution in Frankreich gehört; ein Teil hat sie verachtet, der größere aber hat sie gelobt. Ihr müßt doch einmal wissen, worin sie bestehet; Ihr mögt dann selbst urteilen, ob sie gut, ob sie nicht besser sei als Eure zeitherige.

In Frankreich sind alle Menschen frei. Also gibt es da keine Leibeigene. Auch ist kein Mensch Herr des andern, und sogar der Dienstherr hat vom Bedienten oder Knecht nur in Dienstsachen zu verlangen, was im Dienstkontrakte ausgemacht worden ist.

In Frankreich sind alle Menschen gleich an Rechten. Der Sohn eines Landbauern kann also, wenn er geschickt dazu ist, ebensogut Minister oder Erzbischof werden als wie der Sohn eines Königs, da man hingegen in manchen andern Ländern eine solche Stelle nicht bekommen kann, wenn man nicht aus alt-hochadeligem, gräflichem oder fürstlichem Geblüte, wie sie es nennen, ist. Auch hat in Frankreich ein sogenannter Edelmann oder Graf gar keinen Vorzug wegen seiner Geburt vor dem Handwerker; der arme Bürger findet vor dem Richter ebensoviel Recht wie der reichste, und dieser wird, wenn er Strafe verdient, ebenso gestraft als der arme. Eben darum, weil alle Menschen gleich sind, ist in Frankreich der Adel mit allen seinen Vorzügen auf ewig abgeschafft worden.

Die Freiheit ist das Recht, alles das zu tun, was nicht verboten ist. In Frankreich ist aber nur das verboten, was jeder vernünftige Mensch sich selbst verbietet, nämlich das, was dem andern schadet. Solche Dinge, welche andern Menschen schaden, sind durch Gesetz verboten; in Frankreich macht aber nicht ein König oder Kurfürst oder ein Magistrat die Gesetze, sondern das Volk selbst macht sie; es erwählet nämlich Männer aus allen Provinzen oder Departementen zu einer Nationalkonvention oder Zusammenkunft, welche untersuchen müssen, was für Gesetze nötig seien, um das allgemeine Wohl zu befördern. Diese Gesetze werden dann aufgeschrieben und sind der Ausdruck vom allgemeinen Willen des Volkes.

Die Gleichheit ist das Recht, von andern zu verlangen, daß sie das tun, was man selbst tun muß, und das nicht tun, was man selbst nicht tun darf. Daher darf in Frankreich jeder reden, schreiben, drucken lassen, was er will, wenn er nur niemand dadurch beleidiget. Auch muß wegen der Gleichheit jeder Mensch in Frankreich nach seiner Einnahme Abgaben geben, jeder dem Gesetze sich unterwerfen, er heiße sonst geistlich oder weltlich, er sei reich oder arm.

Außer den Abgaben an das Volk selbst zahlt man keine anderen an einen Edelmann oder ein Domkapitel, keinen Zehenten und dergleichen. In Frankreich erziehet man verlassene Kinder auf Kosten der Republik.

Gebrechliche Arme werden da unterstützt, und arbeitslosen Armen hilft man da zu Erwerbung eines hinlänglichen Verdienstes. In Frankreich errichtet man jetzt auch Schulen, wohin jeder Bürger seine Kinder unentgeltlich schicken kann und worin sie alles das lernen können, was jedem Menschen zu wissen nötig ist.

Mit einem Worte: In Frankreich ist alles abgeschafft, was wider die Freiheit und wider Gleichheit der Rechte noch in andern Ländern und Städten gilt; dagegen sind in Frankreich alle Anstalten dazu gemacht, daß die Leute alle immer zufrieden und glücklich leben können.

Dahin zielen auch noch folgende besondere Einrichtungen, wodurch sich die Konstitution von Frankreich auszeichnet.

Ganz Frankreich ist in gewisse Bezirke, Departemente genannt, und diese sind wieder in Distrikte so abgeteilt, daß jeder Bürger in den Hauptort seines Distrikts (Amts) in einem Tage und in den Hauptort des Departements (Landes) in längstens zween Tagen zu Fuß kommen kann. Im Hauptorte des Departements wohnen die, welche das Beste des ganzen Departements besorgen und auf die Beamten der darin gelegenen Distrikte achtgeben müssen, damit diese ihre Schuldigkeit tun; sie heißen Departementsverwalter. Im Hauptorte des Distrikts sind ebenso die Distriktsverwalter, welche den Munizipalitäten vorgesetzt sind. In jeder Gemeinde nämlich sind einige Beamte, welche das Beste der Gemeinde besorgen; diese nennt man die Munizipalität, den ersten unter ihnen aber den Maire der Gemeinde; jedoch in Sachen, woran der ganzen Gemeinde besonders gelegen ist, darf auch die Munizipalität nicht für sich handeln, sondern sie muß einen Ausschuß der Bürger, Notables genannt, darum fragen. Alle diese Departementsverwalter, Distriktsverwalter, Maires, Munizipalitätsglieder, Notables, auch die Richter, Postverwalter und überhaupt alle Beamten werden von den Bürgern, für welche sie da sind, selbst gewählt; tun sie ihre Schuldigkeit nicht, so werden sie von ihren Vorstehern abgesetzt, und die Bürger wählen sich hernach andere.

Alle Beamten müssen ihr Amt öffentlich versehen, so, daß jeder, wer Lust hat, zuhören kann, wenn sie amtieren, ihre Rechnungen ablegen und so weiter.

Die Gerechtigkeit wird in Frankreich unentgeltlich verwaltet, und weil Prozesse immer große Unlust erregen, so sind eigene Friedensgerichte und so weiter angestellt, wo man erst versucht, die Händel in der Güte abzumachen, ehe man es zu einem Prozesse kommen läßt. Kein Mensch kann in Frankreich anders als nach Urteil und Recht gerichtet werden. Die Minister müssen Sorge tragen, daß die Gesetze im ganzen Reiche vollzogen werden, daß überall Friede, Ruhe und Ordnung herrschet, daß Handel und Wandel nicht gestöret wird, besonders, daß die Lebensmittel überall frei können hingeführt werden, auch daß die Beamten alle ihre Schuldigkeit tun und so weiter. Auch die Minister werden in Frankreich von den Bürgern aus sich selbst gewählt, und auch die Minister werden in Frankreich gestraft, wenn sie ihr Amt nicht recht versehen. Sonst war aber den Ministern in Frankreich noch ein König, aber auch der wurde abgesetzt, weil er seinen Dienst nur zum Schaden des Volkes versah, und das Volk schaffte ein so überflüssiges, teures und für die Freiheit gefährliches Amt, als das Amt eines Königs oder Fürsten ist, ganz ab. Daher heißt Frankreich itzt eine Republik, weil zu allen Ämtern nur Bürger auf eine Zeitlang gewählt werden, um das Beste ihrer Mitbürger zu besorgen, und im Falle, daß sie das nicht tun, ohne Unterschied abgesetzt und gestraft werden können.

Das Militär ist in Frankreich nur zur Verteidigung gegen die Feinde und zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe da; es darf sich in keine Zivilsachen mischen. Die Anwerbungen zum Soldatenstande geschehen freiwillig, und der Soldat muß, wenn seine Kapitulationszeit aus ist, unentgeltlich entlassen werden. Soldaten müssen von ihren Offizieren brüderlich behandelt werden, bekommen keine Stockschläge, aber guten Sold, gesundes Brot und Fleisch, Kleidung und so weiter und, wenn sie brav dienen oder im Dienste alt werden, eine Pension. Aus den Soldaten wählt man die Unteroffiziere, aus diesen die Lieutenants, und so geht’s hinauf bis zum General.

So ist in Frankreich alles dahin eingerichtet, daß jeder Inwohner sicher, von andern unabhängig und in seinem Gewerbe ungestört zufrieden und glücklich leben kann.

Es lebe das fränkische Volk! Es lebe die Freiheit und Gleichheit!

Quelle: Friedrich Cotta, Von der Staatsverfassung in Frankreich (um 1793); abgedruckt in C. Träger, Hrsg., Mainz zwischen Rot und Schwartz. Berlin: Rütten & Leoning, 1963, S. 243–48; auch abgedruckt in Jost Hermand, Hrsg., Von deutscher Republik 1775–1795. Texte radikaler Demokraten. Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1968, S. 96–99.