Quelle
Über das Verhältnis der Mainzer gegen die Franken
Bisher war es eine schlaue Politik der Fürsten, die Völker sorgfältig von einander abzusondern, sie an Sitten, Charakter, Gesetzen, Denkungsart und Empfindung gänzlich von einander verschieden zu erhalten, Haß, Neid, Spott, Geringschätzung einer Nation gegen die andere zu nähren und dadurch ihre eigene Oberherrschaft desto sicherer zu stellen. Umsonst behauptete die reinste Sittenlehre, daß alle Menschen Brüder sind; dieselbe Innung, die einen besondern Beruf zu haben vorgab, das zu lehren, hetzte diese Brüder gegen einander auf; denn ihr verderbtes und versteinertes Herz erkannte keinen Bruder. Die Befriedigung ihrer oft niedrigen, oft bitteren Leidenschaften, ihr stolzes Ich ging ihnen über Alles und ließ kein Mitgefühl in ihnen emporkommen. Herrschen war ihre erste und letzte Glückseligkeit und um ihre Herrschaft zu erweitern, gab es kein zuverlässigeres Mittel, als diejenigen, die sich schon unter ihrem Joch befanden, zu blenden, zu täuschen und sodann – zu plündern.
Unter den tausenderlei Erfindungen, womit sie ihre Untergebenen zu hintergehen wußten, gehört auch diese, daß sie sichs sorgfältig angelegen sein ließen, den Glauben an erbliche Unterschiede unter den Menschen allgemein zu verbreiten, durch Gesetze zu erzwingen, und durch gedungene Apostel predigen zu lassen. Einige Menschen, hieß es, sind zum Befehlen und Regieren, andere zum Besitz von Pfründen und Ämtern geboren; der große Haufe ist zum Gehorchen gemacht; der Neger ist seiner schwarzen Haut und seiner platten Nase wegen schon zum Sklaven des Weißen von der Natur bestimmt; und was dergleichen Lästerungen der heiligen gesunden Vernunft noch mehr waren.
Aber sie sind verschwunden von unserm gereinigten, der Freiheit und Gleichheit geweihten Boden, sie sind auf ewig in das Meer der Vergessenheit geworfen, diese Denkmäler der Bosheit der Wenigen und der Schwachheit und Verfinsterung der Menge. Frei sein und gleich sein, der Sinnspruch vernünftiger und moralischer Menschen, ist nunmehr auch der unsrige geworden. Für den Gebrauch seiner Kräfte, des Körpers und des Geistes, fordert jeder gleiches Recht, gleiche Freiheit; und nur die Verschiedenheit dieser Kräfte selbst bestimmt die verschiedene Art ihrer Anwendung und Nützlichkeit. Du Glücklicher! dem die Natur große Vorzüge des Geistes, oder auch gewaltige Leibesstärke geschenkt hat, bist du nicht zufrieden, zu so großem Genusse deiner eigenen Kräfte ausgestattet zu sein? Wie darfst du Dem, der schwächer ist als du, das Recht versagen, mit seinem geringern Maß von Kräften anzufangen, was er kann und was er ohne Nachteil eines Andern will?
Dies, Mitbürger, ist die Sprache der Vernunft, die so lange verkannt und erstickt worden ist. Daß wir sie hier laut reden dürfen, hier, wo sie nie ertönte, so lange nicht den Auswurf des Menschengeschlechts, nämlich ausgeartete, schwachsinnige Privilegierte, hier ihre besseren, nicht privilegierten Brüder verdrängten, – daß wir diese Sprache reden, wem Andern verdanken wir es als den freien, den gleichen, den tapferen Franken?
Es ist wahr, man hat dem Deutschen von Jugend auf eine Abneigung gegen seinen französischen Nachbar eingeflößt; es ist wahr, ihre Sitten, ihre Sprache, ihre Temperamente sind verschieden; es ist wahr, als die grausamsten Ungeheuer noch in Frankreich herrschten, da rauchte unser Deutschland auf ihr Geheiß, da ließ ein Marquis de Louvois, dessen Namen die Geschichte aufbewahrt, damit die Völker ihm fluchen mögen, die Pfalz in Brand stecken, und Ludwig XIV., ein elender Despot, lieh seinen Namen zu diesem verhaßten Befehl. Laßt Euch aber nicht irre führen, Mitbürger, durch die Begebenheiten der Vorzeit; erst vier Jahre alt ist die Freiheit der Franken, und seht, schon sind sie ein neues, umgeschaffenes Volk; sie, die Überwinder unsrer Tyrannen, fallen als Brüder in unsre Arme, sie schützen uns, sie geben uns den rührendsten Beweis von Brüdertreue, indem sie ihre so teuer erkaufte Freiheit mit uns teilen wollen – und dies ist das erste Jahr der Republik! So kann die Freiheit im Herzen der Menschen wirken, so heiligt sie sich selbst den Tempel, den sie bewohnt!
Was waren wir noch vor drei Wochen? Wie hat die wunderbare Verwandlung nur so schnell geschehen können, aus bedrückten, gemißhandelten, stillschweigenden Knechten eines Priesters, in aufgerichtete, lautredende, freie Bürger, in kühne Freunde der Freiheit und Gleichheit, bereit frei zu leben oder zu sterben! Mitbürger! Brüder! die Kraft, die uns so verwandeln konnte, kann auch Franken und Mainzer verschmelzen zu Einem Volk!
Unsere Sprachen sind verschieden; – müssen es darum auch unsere Begriffe sein?
Sind Liberté und Egalité nicht mehr dieselben Kleinode der Menschheit, wenn wir sie Freiheit und Gleichheit nennen? Seit wann hat es die Verschiedenheit der Sprachen unmöglich gemacht, demselben Gesetz zu gehorchen? – Herrscht nicht Rußlands Despotin über hundert Völker von verschiedenen Zungen? Spricht denn nicht der Ungar, der Böhme, der Östreicher, der Brabanter, der Mailänder seine eigene Sprache, und sind sie nicht alle eines Kaisers Knechte? Und hießen nicht einst die Einwohner der halben Welt Bürger von Rom? – Es wird doch freien Völkern nicht schwerer werden, sich gemeinschaftlich zu den ewigen Wahrheiten, die in der Natur des Menschen ihren Grund haben, zu bekennen, als es den Sklaven war, einem Herrn zu gehorchen?
Damals, als Frankreich noch unter der Peitsche seiner Despoten und ihrer abgefeimten Werkzeuge stand, war es ja das Muster, nach welchem sich alle Kabinette bildeten! damals fanden Fürsten und Edle nichts so ehrenvoll, als ihre Muttersprache zu verleugnen, um schlechtes Französisch noch schlechter auszusprechen. Doch seht! die Franken zerbrechen ihre Ketten, sie sind frei, – und plötzlich ändert sich der ekle Geschmack des lispelnden und lallenden Aristokraten; die Sprache freier Männer verwundet seine Zunge; gern möchte er uns jetzt überreden, daß er durch und durch ein Deutscher sei, daß er sich sogar der französischen Sprache schäme, um hinterdrein mit dem Wunsch hervorzutreten, daß wir doch nicht den Franken nachahmen sollten.
Hinweg mit diesen hinterlistigen, diesen schwachen Eingebungen! Was wahr ist, bleibt wahr, in Mainz wie in Paris, und es mag gesagt werden wo und in welcher Sprache man will. Irgendwo muß das Gute doch zuerst an den Tag kommen, und sich dann über die ganze Erde verbreiten; ein Mainzer erfand die Buchdruckerkunst; und warum nicht ein Franke die Freiheit des achtzehnten Jahrhunderts? Mitbürger, beweiset es laut, daß der Siegesruf dieser Freiheit auch in deutscher Mundart den Knechten fürchterlich klingt; verkündigts ihnen, daß sie Russisch lernen müssen, wenn sie die Rede freier Männer nicht hören und nicht sprechen wollen – was sage ich? Nein! donnert es in ihre Ohren, daß man bald alle tausend Sprachen der Erde nur aus dem Munde freier Menschen hören und den Sklaven nichts übrig lassen wird, als, nachdem sie der Vernunft entsagt haben, auch zum Bellen ihre Zuflucht zu nehmen.
Wie? Die Torheiten und Laster der Nachbarn, da sie noch von ihren Tyrannen gemißleitet wurden, drang man mit lächerlicher und strafbarer Nachahmungssucht dem Deutschen auf, man schämte sich nicht, dem Volke darin mit verderblichem Beispiel voranzugehen – und jetzt, da wir Weisheit, Tugend, Glückseligkeit, – kurz Freiheit und Gleichheit aus ihrer Hand erhalten können, will man uns warnen vor dem fränkischen Beispiel? Wer durchschaut nicht diese armseligen, ohnmächtigen Künste der sterbenden Aristokratie?
Immer entzweite die Aristokratie die Menschen miteinander, immer säete sie Zwiespalt und Haß, um ihre Herrschaft sicher zu gründen; jetzt, in ihrem gefallenen Zustande, streut sie noch erdichtete Nachrichten, verleumderische Anklagen, heimtückischen Verdacht, leere Drohungen, und tausendfache Schrecken unter das Volk, um Zeit zu gewinnen, um uns in Untätigkeit zu versenken, um Lauigkeit und Betäubung hervorzubringen und sich den Weg zur Tyrannei von neuem zu bahnen. – Allein der Geist unsrer Gesellschaft, der überall ein siegreicher Gegner jener ränkevollen Herrschgier gewesen ist, wird auch innerhalb unsern Mauern seinen unwiderstehlichen Einfluß äußern, und ihre Pläne zertrümmern. Ihren Bemühungen uns zu entzweien; setzen wir den engen, treuen Bruderbund entgegen; wollen sie den Freiheitseifer dämpfen und alle Bewegung unter uns hemmen; wohlan! so ist Tätigkeit, Betriebsamkeit, Wirken unser Grundgesetz; wir fachen die heilige Flamme an, wir spornen zur Erreichung des großen Ziels, wir ruhen nicht, bis Freiheit und Gleichheit als die unumstößlichen Grundsätze menschlicher Glückseligkeit anerkannt worden sind, wir bieten die so lang gefesselten Kräfte auf, um uns den Besitz der unschätzbaren Wohltat zu sichern, die uns durch die Ankunft unserer Brüder der Franken, ohne einen Schwertstreich zuteil geworden ist.
Quelle: Georg Forster, Sämtliche Werke, herusgegeben von G. G. Leipzig: Brockhaus, 1843, Band VI, S. 414–17; Abgedruckt in Jost Hermand, Hrsg., Von deutscher Republik 1775–1795. Texte radikaler Demokraten. Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1968, S. 148–52.