Kurzbeschreibung

Konrad Engelbert Oelsner, einen gut ausgebildeten Kaufmannssohn aus dem preußischen Schlesien, zog es 1790 nach Paris, wo er ein bedeutender Berichterstatter für die liberale deutsche Presse über die Französische Revolution wurde, um derentwillen er vor 1806 in Preußen Verfolgungen ausgesetzt war. Hier bringt er seine Erwartung zum Ausdruck, dass ein Regime der politischen Freiheit die harte Gesellschaftsdisziplin, die Selbstverleugnung in der körperlichen Arbeit und die emotionale Unterdrückung beenden würde. Der Text verdeutlicht die utopische Wirkungsmacht der Spätaufklärung und des französischen revolutionären Radikalismus, von dem sich Karl Marx später Anregungen holte.

Konrad Engelbert Oelsner, „Erwartungen, welche Freiheit hoffen läßt“ (1794)

  • Konrad Egelbert Oelsner

Quelle

Erwartungen, welche Freiheit hoffen läßt

Ich liebe die Freiheit, weil ich das Vergnügen liebe. Niemand wird dem andern mehr von Geburts wegen, auf den Nacken treten, alle werden aufrecht gehn, keiner mehr gezwungen kriechen. Man wird sich ohne Rückhalt über alles was unser Bestes betrifft unterhalten, kühner reden, schreiben und handeln können; unser Kopf wird sich auf eine mannigfaltigere Weise bereichern, unsre Denkungsart vergrößern und veredlen. Der Ackerbau, die Industrie, die Künste werden von ihren Fesseln losgelassen, jede Arbeit ihrem natürlichen Eigentümer zugehören. Wohlstand wird sich über die ganze Masse meiner Mitbürger verbreiten. Ich werde wenig und selten, Hungrige und Nackende sehn. Das Volk wird sich besser kleiden, und besser essen. Es werden keine Mißheiraten mehr möglich sein. Der Reiche wird ohne Erröten die wohlerzogene Tochter des Armen wählen. Der kräftige junge Pächter wird das gnädige Fräulein glücklicher machen, als ein liederlicher Marquis. Die aus solcher Ehe entspringenden Kinder werden tätige Landleute, Wirtschafter, oder auch einsichtsvolle Repräsentanten sein. Der arme Ludwigsritter wird ohne falsche Scham den Degen mit dem er so wenig Glück gemacht, gegen die Elle vertauschen. Der Reichtum des Weiland – Herzogs wird in gleichen Strömen über die Erben fließen. Sie werden Fabriken anlegen, die Kultur verbessern, und durch Erwerb gemeinnütziger Verdienste, die Achtung ihrer Mitbürger zu erwerben suchen. Kein Vorurteil setzt sich mehr der oder jener ehrbaren Beschäftigung entgegen; jeder nicht unehrbare Schritt wird erlaubt sein. Die Heiraten, die Geburten werden von dem Eigensinne der Eltern, und dem Rauchfasse der Priester unabhängig sein. Kein grausames Gesetz schmiedet mehr unter das Joch der Ehre freie Herzen auf lebenslang. Bei gleicherer Verteilung der Glücksgüter wird es weniger freche Begierden, und weniger verworfene Sklaven geben.

Die Priester hören auf Gewissenstyrannen zu sein. Jeder darf sich ihrer nach Belieben bedienen, je nachdem er an Gaukeleien und Taschenspielerkünsten Gefallen findet, je nachdem er zum Hokuspokus der Kaffeetasse Zutrauen hat, je nachdem er sich krank fühlt. Der gesunde Mann bedarf des Arztes nicht, und der Vernünftige geht zu keinem Quacksalber. Die Erziehung wird unabhängig von ihnen, und folglich besser sein, keine theologische Mißgeburten, keine falschen Begriffe mehr einpfropfen, Kenntnisse die wir vergessen müssen wenn wir uns als gescheute Leute durch die Welt bringen wollen. Weil in Zukunft alle arbeiten, muß jeder einzelne weniger zu tun haben, wir werden also mehr Zeit auf Wissenschaft und Künste verwenden, mehrere und schönere Konzerte und Schauspiele hören und sehn.

Das ist was sich mit Recht von der Freiheit erwarten läßt, was sie zu leisten verspricht, und leisten wird. In der Tat, wenn sie ein andres Ziel suchte, möchte ich ihrer nicht. Es gibt Leute, welche uns alle Kultur versagend, uns gerade nur auf die unentbehrlichsten Bedürfnisse reduzieren möchten, das sind Narren die eine Schimäre verfolgen, welche viele unglücklich machen kann, und für welche die bürgerliche Gesellschaft nicht bestimmt ist.

Quelle: Konrad Engelbert Oelsner, „Erwartungen, welche Freiheit hoffen läßt“, in Bruchstücke aus den Papieren eines Augenzeugen und unparteiischen Beobachters der französischen Revolution, 1794; abegdruckt in Jost Hermand, Hrsg., Von deutscher Republik 1775–1795. Texte radikaler Demokraten. Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1968, S. 225–27.

Konrad Engelbert Oelsner, „Erwartungen, welche Freiheit hoffen läßt“ (1794), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/das-heilige-roemische-reich-1648-1815/ghdi:document-3576> [05.11.2024].