Kurzbeschreibung

Das Königreich Westfalen, ein von Napoleons Bruder Jérôme [Hieronymus] regierter französischer Satellitenstaat, setzte sich aus zuvor nicht zusammenhängenden Territorien im mittleren Westdeutschland östlich des Rheins zusammen. Vorgesehen als napoleonischer Modellstaat zur Nachahmung anderer deutscher Fürsten, erhielt es die erste moderne schriftliche Verfassung in Deutschland nach Auflösung des Heiligen Römischen Reiches. In der Praxis diente das Königreich Westfalen vorwiegend der Sicherung französischer Interessen und der Ausbeutung deutscher Ressourcen. Sein Abgeordnetenhaus, das sich aus Vertretern der besitzenden und gebildeten Klassen zusammensetzte, trat lediglich zweimal zusammen und regierte faktisch nicht mit, ungeachtet der ihm verliehenen gesetzgebenden Befugnisse. Die Verfassung verkündete Gleichheit vor dem Gesetz, religiöse Freiheit, hob die Leibeigenschaft auf, wo sie noch bestand, und beschränkte den Umfang der Grundsteuer. Zweifellos half diese Verfassung einigen deutschen Staaten, besonders im Südwesten Deutschlands, eigene Verfassungen in Kraft zu setzen.

„Konstitution des Königreichs Westfalen“, proklamiert von Napoleon Bonaparte zu Fontainebleau (15. November 1807)

  • Napoléon Bonaparte

Quelle

Wir Napoleon, von Gottes Gnaden und durch die Constitutionen, Kaiser der Franzosen, König von Italien und Beschützer des Rheinischen Bundes,

haben in der Absicht, den 19ten Artikel des Tilsiter Friedensschlusses schleunig in Vollzug zu setzen, und dem Königreiche Westphalen eine Grundverfassung zu geben, welche das Glück seiner Völker sichere, und zugleich deren Beherrscher die Mittel gewähre, als Mitglied des Rheinischen Bundes, zur gemeinschaftlichen Sicherheit und Wohlfahrt mitzuwirken, verordnet und verordnen, wie folgt:

Erster Titel.

Art. 1. Das Königreich Westphalen ist aus folgenden Staaten zusammengesetzt, nämlich:

aus den Braunschweig-Wolfenbüttelschen Landen; aus dem auf dem linken Ufer der Elbe gelegenen Theile der Altmark; [] der Provinz Magdeburg [].

Art. 2. Wir behalten Uns die Hälfte der Allodial-Domainen der Fürsten vor, um solche zu den Belohnungen zu verwenden, die Wir denjenigen Officiers in Unseren Armeen versprochen haben, welche Uns im gegenwärtigen Kriege die meisten Dienste leisteten. []

Art. 3. Die in den genannten Ländern ausgeschriebenen außerordentlichen Kriegssteuern sollen vor dem ersten December bezahlt, oder es soll für ihre Abtragung Sicherheit geleistet werden.

Art. 4. Am ersten December soll der König durch Commissarien, welche Wir zu dem Ende ernennen werden, in den Besitz der vollen Benutzung und der Souverainität seines Gebietes gesetzt werden.

Zweiter Titel.

Art. 5. Das Königreich Westphalen bildet einen Theil des Rheinischen Bundes.

Sein Contingent soll aus fünf und zwanzig tausend Mann wirklich dienstthuender Soldaten von jeder Waffen-Art bestehen, nämlich: aus 20,000 Mann Infanterie, 3,500 Mann Cavallerie, 1,500 Mann Artillerie.

In den ersten Jahren sollen nur zehn Tausend Mann Infanterie, zwei Tausend Mann Cavallerie, und fünf Hundert Mann Artillerie besoldet werden. Die übrigen zwölf Tausend fünf Hundert Mann sollen von Frankreich gestellt werden, und die Besatzung von Magdeburg bilden. Diese zwölf Tausend fünf Hundert Mann sollen vom Könige von Westphalen besoldet, genährt und gekleidet werden.

Dritter Titel.

Art. 6. Das Königreich Westphalen soll in des Prinzen Hieronymus Napoleon directer, leiblicher und rechtmäßiger Nachkommenschaft männlichen Geschlechtes, nach der Ordnung der Erstgeburt und mit beständiger Ausschließung der Weiber und ihrer Nachkommenschaft, erblich seyn. []

Art. 7. Der König von Westphalen und seine Familie sind in dem, was sie persönlich betrifft, den Verfügungen der kaiserlichen Familien-Statute unterworfen. []

Vierter Titel.

Art. 10. Das Königreich Westphalen soll nach solchen Grundgesetzen regiert werden, welche die Gleichheit aller Unterthanen vor dem Gesetze, und die freie Ausübung des Gottesdienstes der verschiedenen Religions-Gesellschaften festsetzen.

Art. 11. Die allgemeinen sowohl, als Provinzial-Landstände der Staaten, aus welchen das Königreich zusammen gesetzt ist, alle politische Corporationen dieser Art und alle Privilegien dieser Corporationen, der Städte und Provinzen, sind aufgehoben.

Art. 12. Gleichergestalt sind alle Privilegien einzelner Personen und Familien, in so fern sie mit den Verfügungen des obenstehenden Artikels unverträglich sind, aufgehoben.

Art. 13. Alle Leibeigenschaft, von welcher Natur sie seyn und wie sie heißen möge, ist aufgehoben, indem alle Einwohner des Königreichs gleiche Rechte genießen sollen. []

Art. 16. Das Steuersystem soll für alle Theile des Königreichs ein und dasselbe seyn. Die Grundsteuer soll den fünften Theil des Ertrags der Grundstücke nicht übersteigen dürfen.

Art. 17. Das Münzsystem und das System der Maaße und Gewichte, welche gegenwärtig in Frankreich bestehen, sollen im ganzen Königreiche eingeführt werden. []

Siebenter Titel.

Art. 29. Die Stände des Königreichs sollen aus hundert Mitgliedern bestehen, welche von den Departements-Collegien ernannt werden, nämlich: siebenzig werden gewählt aus der Classe der Grundeigenthümer, funfzehn unter den Kaufleuten und Fabrikanten, und funfzehn unter den Gelehrten und andern Bürgern, welche sich um den Staat verdient gemacht haben.

Die Mitglieder der Stände bekommen keinen Gehalt.

Art. 30. Sie sollen, alle drei Jahre, zu einem Drittel erneuert werden; die austretenden Mitglieder können unmittelbar wieder gewählt werden.

Art. 31. Der Präsident der Stände wird vom Könige ernannt.

Art. 32. Die Stände versammeln sich auf die vom Könige anbefohlene Zusammenberufung.

Sie können nur vom Könige zusammenberufen, und ihre Versammlung kann auch nur von Ihm verlängert, aufgeschoben und aufgelöst werden.

Art. 33. Die Stände fassen einen Beschluß über die vom Staatsrathe verfaßten Gesetzes-Entwürfe, welche ihnen auf Befehl des Königs vorgelegt werden, sowohl in betreff der Auflagen oder des jährlichen Finanz-Gesetzes, als der im bürgerlichen und peinlichen Gesetzbuche, und im Münzsysteme vorzunehmenden Veränderungen.

Die gedruckten Rechnungen der Minister sollen ihnen jedes Jahr vorgelegt werden.

Die Beschlüsse der Stände über die Gesetzes-Entwürfe kommen durch absolute Mehrheit der Stimmen, welche im geheimen gesammelt werden, zu Stande. []

Quelle: Bulletin des lois et décrets du royaume de Westphalie /Bülletin der Gesetze und Dekrete des Königreichs Westphalen. Bd. 1. Kassel: Königl. Buchdruckerei, 2. Aufl. 1810, S. 6–15, 19; abgedruckt in Walter Demel und Uwe Puschner, Hrsg. Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß 1789–1815, Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Hrsg. Rainer A. Müller, Band 6. Stuttgart: P. Reclam, 1995, S. 114–19.