Kurzbeschreibung

Dieses grundlegende Gesetz regelte die Umwandlung der Landbesitzungen der (nun freien) früher untertänigen Dorfbewohner zu Bauerngütern mit Eigentumsrechten und die Entschädigung, die sie an ihre ehemaligen feudalen Oberherren für den Erwerb solcher Eigentumsrechte zahlen mussten. Jene mit erblichen Besitztiteln schuldeten ihren früheren Grundherren ein Drittel ihrer Grundstücke oder das Äquivalent in Bargeld oder andere Zahlungen. Jene mit schwächeren, aber de facto erblichen Besitztiteln schuldeten die Hälfte ihrer Grundstücke oder das Äquivalent davon. Dieser Text legt die Verfahren dar, welche die Auflösung des vormals komplexen Wirtschaftszusammenhangs Grundherr-Dorfbauer regelten.

Das preußische „Regulierungsedikt“ von 1811 (14. September 1811)

Quelle

Edikt die Regulirung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse betreffend

14. September 1811

§ 1. Es sollen die bisher nicht eigenthümlich verliehenen bäuerlichen Besitzungen unter den, in der gegenwärtigen Verordnung enthaltenen Vorschriften und Bedingungen in Eigenthum verwandelt und die auf solchen ruhenden Dienstbarkeiten und Berechtigungen gegen wechselseitige billige Entschädigungen abgelöset werden. Zur Vermeidung aller Misdeutung und Unordnung setzen Wir jedoch ausdrücklich fest, daß kein Besitzer dieser bäuerlichen Nahrungen dies Eigenthum eigenmächtig ergreifen, noch die bisherigen Verbindlichkeiten zu Leistung und Abführung seiner Dienste und Abgaben verweigern darf, bis die Abfindung in Gemäßheit der hier folgenden Vorschriften entweder durch Vergleich oder durch die hiezu verordneten Behörden bestimmt ist, bei Vermeidung der, in den Gesetzen auf unerlaubte Selbsthülfe geordneten Strafen. []

Erster Abschnitt. Die bisher ohne Eigenthum erblichen bäuerlichen Besitzungen betreffend.

[] § 4. Allen jetzigen Inhabern jener erblichen Bauerhöfe und Besitzungen, sie mögen Ganz-, Halb-Bauern, Einhüfner oder Kossäthen heißen, oder einen andern Provinzial-Namen führen, zu geistlichen Domainen, Kämmerei- oder Privat-Gütern gehören, wird das Eigenthum ihrer Höfe übertragen, unter der Verpflichtung, die Gutsherrn dafür, wie nachstehend verordnet ist, zu entschädigen.

Unter derselben Bedingung sollen auch die Naturaldienste, mit alleiniger Ausnahme einiger im § 16. näher bestimmten Hülfsdienste gegen Entschädigung aufgehoben werden.

Dagegen soll der Anspruch der Verpflichteten an die Gutsherrschaft auf die Instandhaltung der Gebäude, und Ertheilung der Hofwehr, auf Unterstützungen anderer Art und auf Vertretung bei öffentlichen Abgaben und Lasten ebenfalls aufhören, und ihnen durch Berücksichtigung des Werths davon bei jenen Ausgleichungen vergütet werden.

Die übrigen Abgaben und Leistungen müssen, wenn es sich thun läßt, bei der Auseinandersetzung mit ausgeglichen werden. Sie können aber auch bleiben und es ist nur dahin zu sehen, daß sie, so wie die neue Entschädigungs-Abgabe, selbst vertheilbar auf die einzelnen Bestandtheile der Güter gemacht werden, damit sie der Vereinzelung derselben nicht im Wege sind.

§ 5. Wir wünschen, daß hiernach die Auseinandersetzung zwischen den Gutsherrn und ihren bisherigen Unterthanen durch gütliche Vereinigung erfolge, und lassen ihnen dazu vom Tage dieses Edikts an Zwei Jahre Frist. Kommt sie aber bis dahin nicht zu Stande; so soll sie auf die in den nächsten §§ zu bestimmende Weise geschehen und in Ermangelung einer Provokation von Seiten des Staats erfolgen.

§ 6. Die gewöhnlichen Gegenstände, welche hiebei zum Grunde liegen, und mithin zur Ausgleichung kommen, sind:

a) an Rechten von Seiten des Gutsherrn:

1) das Eigenthumsrecht;

2) der Anspruch auf Dienste;

3) die Geld-Naturalabgaben;

4) die Hofwehr;

5) die Berechtigungen oder Servituten auf den Grundstücken;

b) an Rechten von Seiten der Verpflichteten:

1) der Anspruch auf Unterstützung bei Unglücksfällen;

2) der Anspruch auf Raff- und Leseholz, oder sonstige Waldberechtigungen;

3) die Verpflichtung des Gutsherrn zum Aufbau und zur Reparatur der Gebäude;

4) die weitere Verpflichtung, bei entstehendem Unvermögen, die Steuern und andern öffentlichen Abgaben und Leistungen, zu vertreten;

5) die Hütungs- und Wald-Gerechtsame.

§ 7. Von diesen Gegenständen sind nur wenige und namentlich blos die Geld- und Natural-Abgaben, die Hofwehr und die Servituten einer bestimmten oder doch ziemlich genauen Schätzung fähig. Die übrigen können nur nach Gutdünken gewürdigt werden, da es dazu an einem sichern Anhalt fehlt. Dahin gehört vorzüglich

a) das Eigenthums-Recht, welches nach Verschiedenheit der Umstände bald mehr bald weniger werth seyn kann;

b) der Werth der Dienste, die, wenn sie auch bestimmt sind, doch durch die Art der Leistung eine ungleiche Nutzung gewähren;

c) Die meisten Leistungen des Gutsherrn, die ihrer Natur nach einmal oft und viel nöthig werden, ein andermal gar nicht vorkommen, und deren Werth um so schwerer zu bestimmen ist, da die Vergangenheit wegen des ungleichen Bedürfnisses und der eben so ungleichen Leistung keinen Maaßstab dazu darbietet:

d) Der Betrag der Steuer-Vertretung, die ebenfalls in einer Zeit lange ruhen, zu einer andern aber oft vorkommen kann.

Um nun eine feste Grundlage zur Ausgleichung zu erhalten, und den wohlthätigen Zweck nicht durch unauflösliche Schwierigkeiten zu vereiteln, finden Wir nöthig, für jene Gegenstände jetzt noch specielle Normen zu ertheilen, und solche aus der Verfassung und den dadurch bisher begründeten allgemeinen Grundsätzen zu entnehmen.

§ 8. Die letzteren bestimmten,

a) daß bei den erblichen Bauergütern die Gutsherrlichen Abgaben und Lasten nicht erhöht werden dürfen;

b) daß sie im Gegentheil gemindert werden sollten, wenn der Besitzer dabei nicht bestehen kann;

c) daß die Höfe in contributionsfähigem Stande erhalten werden müßten.

Hiernach und nach allgemeinen staatswirthschaftlichen, und staatsrechtlichen Grundsätzen ist das Recht des Staats auf ordentliche und ausserordentliche Steuern und Leistungen vorherrschend, und die Leistungen an den Gutsherrn unterliegen der Einschränkung, daß die Gutsherren den Unterthanen Mittel lassen müssen, selbst bestehen und den Staat befriedigen zu können.

§ 9. Wir ergänzen hiemit den bis jetzt fehlenden Begriff dieses Bestehens und der Fähigkeit zur vollen Steuer-Leistung und setzen ihn dahin fest:

daß beides ausser Zweifel seyn soll, wenn die Gutsherrlichen Abgaben und Leistungen ⅓ der sämmtlichen Guts-Nutzungen eines solchen erblichen Besitzers nicht übersteigen.

§ 10. Es soll daher, mit Ausnahme der hiernächst zu bemerkenden Fälle, Regel seyn:

daß bei erblichen Besitzern die Gutsherrn für das Eigenthum der Höfe, für die Dienst- und gewöhnlichen Abgaben davon, abgefunden seyn sollen, wenn ihnen die Unterthanen den dritten Theil ihrer sämmtlichen Gutsländereien abtreten, und dabei auf alle außerordentliche Unterstützungen, Hofwehr, Bauhülfen und auf die Steuer-Vertretung Verzicht leisten. []

§ 12. Es ist zwar allgemeine Regel, daß die Entschädigung durch ⅓ der sämmtlichen Ländereien an Aeckern, Wörthen, Wiesen, Hütung und Holzung gewährt werden muß; indeß soll den Interessenten frei stehen, sich auch auf eine Vergütigung in Kapital, oder durch Rente in Naturalien oder Gelde, zu einigen. []

§ 16. Der Hof und dazu gehörige Garten kömmt nicht zur Theilung, sondern verbleibt den Bauern ausschließlich. Die Vergütigung deshalb, so wie für die Schaafhütung auf ⅓ des Ackers, nach § 14. und für das Brennholz-Material nach § 15., geschieht von Seiten der Bauern:

a) durch alleinige Uebernahme oder vielmehr Beibehaltung der bisherigen oder künftigen Communal-Lasten;

b) durch einige Hülfsdienste, welche für dringende Bedürfnisse, zum Beispiel für die Erndte oder Saatzeit etc. vorbehalten werden dürfen, und bei Gespann-Bauern den Betrag von »zehn dreispännigen Spanntagen, und zehn Mannes-Handtagen« nicht übersteigen sollen.

Bei bloß Hand-Dienstpflichtigen werden zehn Mannes- und zehn Frauens-Tage zugelassen.

[]

§ 23. Wie bald diese Auseinandersetzungen auch erfolgen mögen; so bewilligen Wir doch zur Vollziehung eine Frist von vier Jahren, die mit dem ersten Umzugs-Termin der Dienstleute des Jahres 1812 ihren Anfang nehmen sollen. Diese Zeit ist nöthig, damit beide Theile Zeit gewinnen, die erforderlichen neuen wirthschaftlichen Einrichtungen zu treffen. []

§ 29. Damit auch die Vereinzelung nicht durch hypothekarische Schulden erschwert werde, so setzen Wir hiermit fest:

a) daß die Bauergüter über ¼ ihres Werths mit dergleichen Schulden niemals belastet werden sollen [].

Zweiter Abschnitt. Die bisher nicht erblichen bäuerlichen Besitzungen betreffend.

§ 35. In diese Klasse gehören diejenigen Höfe, welche von den Gutsherrn an Bauern auf unbestimmte Zeit, oder auf gewisse Jahre, oder auch auf Lebenszeit gegen Abgaben, Pächte und Dienste, in Benutzung überlassen worden sind.

[]

§ 36. Dies in Preußen, Litthauen, Pommern, Ober-Schlesien, der Ucker- und Neumark größtentheils bestehende Verhältniß, wo der eigentliche Eigenthümer keine directe Einwirkung auf die Bewirthschaftung und Kultur des Gutes hat, und der jedesmalige bäurische Inhaber ohne dauerndes Interesse dafür ist, hat noch größere Nachtheile als das der schon erblichen Güter. Wir können daher die Fortdauer dieses gemeinschädlichen Verhältnisses nicht gestatten; sondern wollen, daß ein Anderes konstituirt werde, worüber Wir Folgendes verordnen:

§ 37. Die Dispositionen des 1sten Abschnitts hinsichtlich der erblichen Bauergüter gelten auch von den nicht erblichen, mit dem Unterschiede, daß die Gutsherren, wenn keine gütliche Einigung auf andere Weise erfolgt, berechtigt seyn sollen, die Hälfte der Besitzungen an Aeckern, Wörthen, Wiesen, Holzung und Hütung zu ihren Gütern einzuziehen, oder sonst willkührlich darüber zu disponiren.

§ 38. Die andere Hälfte muß als freies unbeschränktes Eigenthum [] an den bisherigen Nutznießer oder Pächter überlassen werden, wenn gegen dessen Befähigung und Aufführung nicht diejenigen Einwendungen zu machen sind, die nach der bisherigen Verfassung zur Exmission aus dem Besitz gesetzlich berechtigten.

In diesem Falle sowohl, als bei dessen freiwilligen Verzichtleistung auf die Erwerbung des eigenthümlichen Besitzes, ist der Gutsherr an kein Subject gebunden, sondern wählt dieses nach eigenem Gutfinden, ohne daß er jedoch berechtigt ist, sich ein Kaufgeld zu bedingen.

[]

§ 40. Die Ausgleichung wegen der Hälfte der bäuerlichen Grundstücke soll auf dreierlei Art zulässig seyn;

A) durch Landtheilung, so, daß jeder Theil wirklich die Hälfte Land erhält;

B) ohne Landtheilung, durch Vergütung des Nutzungswerths dieser Hälfte mit einer Körner-Abgabe, die auf das ganze, dem Bauer zu überlassende Land gelegt und repartirt wird;

C) durch Verbindung beider Arten der Ausgleichung, indem 1) von den berechtigten 3/6 des Landes, 2/6 in natura eingezogen werden, 1/6 aber dadurch vergütet wird, daß die Bauern auf dieses 1/6 und die ihnen zukommenden 3/6 also auf die ihnen insgesammt verbleibenden 4/6 des Ganzen, eine Körner-Abgabe übernehmen, die vom Morgen Weizen-Acker 4 Metzen, halb Roggen, halb Hafer, vom Morgen Gersten-Acker erster Klasse 3 Metzen, zweiter Klasse 2 Metzen, vom Morgen Haferland 1 Metze betragen darf.

§ 41. Nach welcher von diesen drei Arten die Ausgleichung geschehen soll, bleibt der gütlichen Einigung überlassen. Kömmt aber solche binnen zwei Jahren, und in Preußen und Litthauen binnen drei Jahren, vom Tage dieses Edikts an, nicht zu Stande, so soll der Gutsherr berechtigt seyn, zu bestimmen, welcher Weg von jenen dreien gewählt werden soll. []

§ 52. Die Regulirung der Verhältnisse dieses Abschnittes muß ebenfalls binnen vier Jahren erfolgen, und finden die Vorschriften des § 23. auch hier Anwendung.

§ 53. Für die Provinzen Ost- und West-Preußen und Litthauen soll zur Vollendung dieser Einrichtung eine Frist von sechs Jahren verstattet seyn.

Quelle: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1811. Berlin: Georg Decker, [1811], S. 281–95; abgedruckt in Walter Demel und Uwe Puschner, Hrsg., Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß 1789–1815, Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Hrsg. Rainer A. Müller, Band 6. Stuttgart: P. Reclam, 1995, S. 337–45.