Kurzbeschreibung

Kleiderordnungen existierten seit dem Mittelalter und wurden von den Obrigkeiten erlassen, um sicherzustellen, dass Standesunterschiede äußerlich sichtbar waren und blieben. So wurde den niedrigeren Ständen das Tragen bestimmter kostbarer Stoffe wie z. B. Seide und das Verzieren der Kleidung mit Spitze oder Bändern verboten, ebenso wie das Tragen von auffälligem Schmuck. Die hier wiedergegebene Kleiderordnung von 1703 stammt aus Schwäbisch Hall und ist ein typisches Beispiel für diese Versuche, die Missachtung und das Durchbrechen gesellschaftlicher Hierarchien zu verhindern. Verstöße gegen die Kleiderordnung konnten mit der Konfiszierung von Kleidungs- und Schmuckstücken, Geldstrafen oder sogar mit einer Gefängnisstrafe geahndet werden.

Kleiderordnung (1703)

Quelle

Kleider-Ordnung.

Nachdeme auch leider! mehr als zu viel am Tag, daß unter andern bösen Gewohnheiten auch die Hoffart, Ubermaß und Pracht in Kleidern allhier, binnen etlich Jahren her, sehr eingerissen, und fast täglich höher zu steigen beginnet, indeme, so bald eine neue und fremde Tracht auffkommt, solche gleichbalden auch von Mann- und Weibs-Personen, hohen und niederen Standes nachgeäffet und nachgemacht wird, daß fast kein Unterschied mehr zwischen Hohen und Niedern, Herrn und Burgern, Frauen und gemeinen Weibern, vornehmen Söhnen und Töchtern, Handwercks-Burschen, Knechten und Mägden zu sehen, so, daß mit seiner Maaß allerdings keines dem andern, so wohl der Materi halber an Gold und Silber, Perlen und Corallen, Sammet, Atlas, Taffet, kostbaren Banden, Spitzen, Tüchern und Zeuchen ec. als an der Mode, Tracht und Art der Kleider selbsten, mit Rock und Camisolen, langen Trauer-Mänteln, allerhand Auffsätzen und Haupt-Schmuck, kostbaren Marter-Kappen und Schlupffern, Leibstückern und Miedern, Röcken und Schürtzen ec. und was dergleichen ein- und andern Personen ohnanständige Sachen mehr seyn, nachgeben, sondern vielmehr immer eines dem andern es bevor thun will, welches guten theils auch von neu-angehenden Ehleuthen, welche sich auf solche Zeit wieder ihren Stand auskleiden, und hernach dabey verbleiben, herrühret, wordurch aber solche Leuthe nicht allein ihnen selbsten in ihrer Nahrung großen Schaden thun, sondern auch das gemeine Weesen dardurch vernachtheiliget wird; Als haben, in reyffer Erwegung und Betrachtung dessen, solch sündlich- und Gott mißfälliges Unwesen hiemit verbieten, und allen unsern Burgern und Angehörigen, sie seyen Hohe oder Niedere, Geistliche oder Weltliche, Mann- oder Weibs-Personen, ernstlich und wohlmeinend anbefehlen wollen, bey zumalen gegenwärtigen und gefährlichen Zeiten, nebst Abstellung all andern üppigen Weltwesens, sich auch in denen Kleidungen und Trachten der Erbarkeit zu befleißigen, und alle bißhero gebrauchte Ubermaaß und Kostbarkeit, so wohl der Art und Form, als Materi nach, abzuthun, auch nicht gleich allerhand fremde, unbeständig und veränderliche Arten und seltzame Moden zu unnützer Verschwendung deß ohne deme so schwer zu bekommenden Gelds, nachzumachen, viel weniger sich mit allzukostbarem Geschmuck, an Pattern, Hals-Ketten, Ringen und dergleichen zu behängen, sondern in ihrer Kleidung sich, nebst den Ihrigen, also auffzuführen, wie es einem jeden, seinem Herkommen, Ambt und Stand nach, gebühret, und die jederman wohl anstehned Bescheidenheit und Burgerliches Weesen erfordert und haben will, auch die ohnlängsten durch den Druck publicirte Special-Kleider-Ordnung mit sich führet. Mit dem Anhang, daß dafern sich jemand solche Obrigkeitlich wohlmeinender Verordnung wiedersetzen, und Frevelmüthig entgegen zu handlen unterfangen, mithin einige Umbermaaß in seiner Kleidung gebrauchen würde, gegen demselben, entweder mit Abnehmung der ungeziemenden Kleider und anderer Stücke, oder, befindenden Dingen nach, anderer empfindlicher Abstraffung mit Geld, Thurn, oder sonsten verfahren werden solle.

Quelle: Erneuerte Policey-Ordnung, Des Heil. Reichs-Stadt Schwäbischen Hall,

Mayer Verlag: Schwäbisch Hall, 1703, S. 42-45. Online verfügbar unter: http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN666386021

Kleiderordnung (1703), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/das-heilige-roemische-reich-1648-1815/ghdi:document-5383> [05.11.2024].