Quelle
Ja, wir lebten im Zeitalter des „Sichauslebens“. Da kam der Krieg! Und mit furchtbarem Ernste zog er uns alle hinein in die Schule des Verwerdens und Untergehens. Mit unbarmherziger Kraft zwang er uns alle: Wenn wir nicht geistig und innerlich zugrunde gehen wollen, dann müssen wir bereit sein, unser Leben zu lassen für ein über dem einzelnen stehendes Höheres, für das Vaterland, für deutsche Eigenart und Sitte. Auf einmal waren sie Lügen gestraft, die das Sichausleben des einzelnen als höchstes Ziel gepriesen haben; das Weizenkorn muß sterben, um Frucht zu bringen — diese Lehre wurde wieder anerkannt von allen. Und wenn sie nicht anerkannt worden wäre, so wäre Deutschland heute vernichtet.
Die Lehre gilt aber nicht nur im Kriege der Völker, sondern sie gilt auch im Leben eines jeden einzelnen zu jeder Zeit. Unser Leben muß immer ein Kriegsdienst sein (Job 7, 1). Denn der Zunder der Sünde, der von der Erbsünde stammt, und die Einflüsterungen Satans, der uns den Himmel mißgönnt, sie müssen ständig niedergekämpft werden, wenn wir das Himmelreich erlangen wollen. Nur wenn das Weizenkorn stirbt, kann es Frucht bringen. Nur wenn unsere Eigenliebe untergeht in der Liebe zum Guten, im Gehorsam gegen Gott, können unsere seelischen und leiblichen Kräfte Ersprießliches wirken.
[…]
Andächtige, es ist Kriegszeit, blutige, ernste, schwere Zeit. Die Völker ringen in schrecklichem Kampfe um einen großen entscheidenden Sieg. Aber ach, nur allzusehr nimmt dieser Krieg in vieler Herzen eine rohe, unchristliche Gestalt an. Haß und unchristlicher Rachedurst erfüllt gar viele gegenüber den Völkern, mit denen wir im Kriege liegen. Da kommt die Mahnung des Herz-Jesu-Monats zur rechten Zeit: die Mahnung zur Opfergesinnung des Herzens Jesu, aus der die Liebe auch zu den Feinden geboren wurde. „Ich aber sage euch, liebet eure Feinde!“ (Mi 5, 44). Das Wort bleibt stehen, Geliebte, auch im Kriege. Hätte Jesus nicht seine Feinde geliebt, so wären wir verloren. Denn durch die Sünde waren wir feine Feinde. Er aber liebte uns, als ob wir seine Freunde wären, und er opferte sein Leben für uns. — Lasset uns einfältig werden in unserem Denken, Geliebte, auch in dieser blutigen Zeit, und lasset uns in der Einfalt unseres Herzens das Opfer bringen, auch unsere Feinde zu lieben, weil Gott es will. Wohl weist unser Heer mit eiserner Faust sie zurück von den Grenzen unseres Reiches, das sie frevelnd überfielen. Und das Heer tut recht daran. Aber den Haß, den viele zurzeit in uns schüren wollen, dürfen wir nicht aufkommen lassen, auch wenn es uns Opfer kostet. In der Tiefe unseres Herzens müssen wir auch unsere Feinde lieben und „beten für die, welche uns verfolgen“ (Mt 5, 44).
Die opferwillige Gottesliebe bewährt sich in der Nächstenliebe. Sie bewährt sich aber noch in etwas anderem, was gerade dieser Krieg uns reichlich auferlegt: sie bewährt sich im Dulden und Leiden. Wir sagen so oft: Das Vaterland fordert viele Opfer von uns in diesem Kriege. — In Wahrheit, Geliebte, ist es Gott, der sie fordert. Er hat uns unsere Brüder gegeben, die er im Krieg wieder von uns fordert; er hat uns die Väter, die Söhne, die Freunde und Geliebten geschenkt, die er nun zurückverlangt; er hat uns das eigene Leben gegeben, das er von so vielen jetzt dargebracht sehen will; er hat uns Hab und Gut gegeben, das er von so manchen nun plötzlich nimmt. Alle müssen wir leidend und duldend Opfer bringen in diesem Kriege. Lasset sie uns bringen mit der Einfalt des Herzens, die mit David sagt: „Dein ist alles. Darum habe ich freudig alles dir hingeopfert.“
[…]
Ja, Geliebte, lasset uns ernst machen mit diesem Gebete, das Christus uns zu beten gelehrt hat: „Herr, dein Wille geschehe!“ Und sprechen wir es aus der Einfalt eines aufrichtigen Herzens gerne dem Meister nach, der es in der Ölbergsstunde unter blutigem Schweiß gesprochen hat: „Vater, nicht mein Wille, sondern der deinige geschehe!“ (Lk 22, 42).
Wenn das viele blutige Leid des Krieges in recht vielen von ihm betroffenen Herzen dieses Wort wieder so recht aufwecken und zum Grundsatz des ganzen Lebens machen wollte, dann wäre trotz aller Verwüstungen die Erde nach diesem Kriege schöner als vorher, denn sie wäre Christus, ihrem Heiland, ähnlicher geworden.
Quelle: Engelbert Krebs, „Vom Opfersinn,“ in Joseph Schofer, Hrsg., Die Kreuzesfahne im Völkerkrieg: Erwägung, Ansprachen und Predigten. 8 Bände, Freiburg, 1914–1915, Band 8, S. 71–72, 77–78, 79.