Kurzbeschreibung

Die Beziehungen Deutschlands zum Fernen Osten waren in den 1930er Jahren angespannt, da hochrangige Beamte des Auswärtigen Amtes, der Reichskanzlei und des Propagandaministeriums sich über die Prioritäten Deutschlands in der Region uneinig waren. Für viele im Auswärtigen Amt, darunter auch Außenminister Konstantin von Neurath, stellten die Beziehungen zu China das wichtigste Interesse Deutschlands dar, da Deutschland langjährige (und umfangreiche) Handelsbeziehungen mit China unterhielt. Japan hingegen wurde anfangs von vielen als weitaus weniger lukrativer Partner angesehen, sowohl in Bezug auf den Handel als auch politisch. Doch Herbert von Dirksen (1882-1955), der während seiner diplomatischen Laufbahn unter anderem Botschafter in Japan war, setzte sich unermüdlich dafür ein, dass Deutschland seine Interessen von China auf Japan verlegte. Dirksen sah in den japanischen Expansionsbestrebungen eine „zivilisatorische Mission“ und bewunderte die seiner Meinung nach staatsorientierte, starre Struktur der japanischen Gesellschaft und Regierung. Er bestand darauf, dass die chinesischen Kommunisten den Bürgerkrieg gewinnen würden und dass Japan die beste Hoffnung für Deutschland im Kampf gegen die kommunistische Expansion in der Region darstellte, da China sich zweifellos mit der UdSSR verbünden würde. In diesem Auszug aus seinen Memoiren von 1949 reflektiert Dirksen über seine Zeit in Japan und die Entstehung des deutsch-japanischen Bündnisses.

Botschafter Herbert von Dirksen über Deutschlands Beziehungen zu Japan (Rückblick, 1949)

Quelle

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Auf diese Art entwickelten sich Ausdehnungsbestrebungen, die den Frieden der Welt bedrohten; und diese Gefahr wurde durch das Vorhandensein von ähnlichen Charakterzügen bei beiden Nationen erhöht. In der grundlegenden Frage, welche die Haltung des Einzelmenschen gegenüber dem Staat bestimmt, waren beide Völker, die Deutschen und die Japaner, aus verschiedenen Gründen zu denselben Ergebnissen gelangt. Nach ihrer Staatsphilosophie war der Staat die überragende und wichtigste Institution, der die persönlichen Wünsche und Bedürfnisse des Einzelmenschen unterzuordnen waren. Indem er seine Dienste der zusammengefaßten Gemeinschaft der Bürger, wie sie durch den Staat verkörpert wurde, widmete, konnte der Einzelmensch die höchste, ihm obliegende Pflicht erfüllen: dem Gedeihen seiner Mitbürger zu dienen. Diese spartanische Auffassung herrschte ebenso in Preußen wie in Japan vor und führte zu der Entwicklung eines autoritären Staates mit einer höchst wirksamen Exekutive, die von einer Hierarchie von Soldaten und Beamten gehandhabt wurde. Diese genügsame und strenge Gesinnungsart in Verbindung mit dem harten Leben in einem armen und unfruchtbaren Lande hatte einen Typ von Männern geschaffen, die ihre anonyme Selbstverleugnung und ihre schwere Arbeit durch gebieterische und autokratische Herrschaftsmethoden ausglichen. Die Preußen, ebenso wie die Japaner, gewöhnten sich daran, unpopulär zu sein. Die Tatsache, daß die angewandten, wenig volkstümlichen Methoden der Regierung Ergebnisse erzielten, die beiden Staaten zum Ruhm gereichten — wie in Korea, Formosa und den Ostprovinzen Preußens — wurde von der übrigen Welt übersehen; der Beifall für diese Leistungen wurde versagt, und man wurde ihrer erst gewahr, nachdem sie der Zerstörung anheimgefallen waren. Weder Deutschland noch Japan gelang es, eine Lösung für das Problem zu finden, wie sie sich in die Gemeinschaft der Staaten einfügen könnten, die sich nach anderen Grundsätzen, d. h. also nach den Grundsätzen der westlichen Demokratie entwickelt hatten. Als sich bei ihnen die Überzeugung durchsetzte, daß die Grundlagen ihrer staatlichen Existenz durch die Schranken bedroht wurden, die ihrer wirtschaftlichen Ausdehnung und der Ausdehnung ihrer Überschußbevölkerung entgegenwirkten, bildete sich die gefährliche „Lebensraum“-Philosophie heraus, deren Anwendung zur Katastrophe führte. Im Notfall zu den Waffen zu greifen war ein gemeinschaftlicher Charakterzug beider Völker. Beide waren sie diszipliniert; intelligenter Gehorsam und Unterordnung unter eine starke und tüchtige Führung ist einer ihrer hervorstechenden Charakterzüge. Aber die Überleitung vom Obrigkeitsstaat zur parlamentarischen Demokratie, also zur Einwirkung des Volkswillens auf die Staatsführung, zu finden, blieb beiden Völkern versagt. Ebensowenig war es ihnen gegeben, sich in die weitere Völkergemeinschaft einzufügen. Deutschland sowohl wie Japan haben sich lange und ernsthaft um internationale Zusammenarbeit bemüht — Deutschland in der Zeit der Weimarer Republik, Japan während der Schidehara-Epoche. Aber wenn sie ihre Bemühungen für aussichtslos hielten, machten sie plötzlich halt und griffen zu gewaltsamen Mitteln, anstatt ihre Bemühungen gemäß den wendigeren Spielregeln angelsächsischer staatsmännischer Kunst fortzusetzen. Die zu einem Bündnis führende Annäherung, die sich zwischen beiden Völkern entwickelte, nachdem sie sich für den totalitären Weg entschieden hatten, war also auf beiden Seiten tief verwurzelt. Während aber die Freundschaft für Deutschland in Japan weit verbreitet war, wurde dieses Gefühl dem Inselreich gegenüber in Deutschland in verhältnismäßig beschränktem Maße erwidert. In Japan hegten insbesondere Wissenschaftler, vor allem die Mediziner und die Armee, Gefühle der Freundschaft und Bewunderung für Deutschland. Diese Kreise hatten ihre Ausbildung durch deutsche Lehrer erhalten, und lebenslange Dankbarkeit gegenüber dem Lehrer ist einer der edelsten Charakterzüge des Japaners. Daß für Deutschland in weiteren japanischen Kreisen Sympathien empfunden wurden als umgekehrt, lag somit in der Natur der Sache. Ein deutscher Professor oder militärischer Instruktor versammelte hunderte oder sogar tausende von Schülern um sich, während die Zahl der Japanfreunde in Deutschland auf diejenigen Deutschen beschränkt war, die einmal in Nippon gelebt batten und die sich durch ihre Studien oder aus anderen Gründen Kenntnisse des Landes angeeignet hatten.

Bei den deutschen Sympathien für den Fernen Osten war der wichtigste Zug die Vorliebe für China gegenüber Japan. Für China wurde eine Freundschaft, Sympathie und Bewunderung in einem Ausmaß empfunden, das weit über die Zahl derjenigen hinausging, welche in persönlichen oder geschäftlichen Beziehungen zu diesem Lande standen. China war der deutschen Geistigkeit nahe durch die buddhistische und konfuzianische Lehre, die den Deutschen vertraut war und sogar zahlreiche Anhänger geworben hatte. Die Philosophie des Lao-Tse wurde durch billige Ausgaben in Deutschland verbreitet. Die Romane von Pearl Buck und von anderen amerikanischen Autoren steigerten die Volkstümlichkeit Chinas. Die Kunst des Reiches der Mitte wurde in Deutschland von einer steigenden Zahl von Sammlern gewürdigt. Da gab es solche, die sich zu den wirklich erlesenen Kennern rechneten — die Liebhaber der frühen chinesischen Keramik, der Sung- und Tang-Dynastie; da gab es die Sammler des Ming-Porzellans und diejenigen, die nur für die späte Kunst des 18. Jahrhunderts Verständnis aufbrachten. Einzelne Eklektiker beschränkten sich auf das Sammeln der Rollbilder. Im Vergleich zu dieser umfangreichen Zahl von Bewunderern chinesischer Kunst gab es nur wenige Anhänger der japanischen Holzschnitte und Lackarbeiten, während der Markt mit der geschmacklosen Massenware überschwemmt wurde, den die japanische Fremdenindustrie herstellte. Die wirklich erlesene und, wie man es ausdrücken möchte, schweigsame klassische Kunst Japans mußte mit Hingabe und Intensität im Lande selbst studiert werden.

In Deutschland, wie in anderen Ländern der Welt, erfreute sich der Chinese einer größeren Volkstümlichkeit als sein Vetter von den Inseln. Die angenehmen Verkehrsformen der Chinesen, ihr Sinn für Humor und ihre Sprachgewandtheit sicherten ihnen eine bevorzugte Stellung im Vergleich zu der bewußten Förmlichkeit der Japaner, deren übertriebene Höflichkeit an Anmaßung grenzt, selbst wenn sie nur Schüchternheit und fehlendes Sprachtalent verdecken soll. Sogar Deutsche, die lange Jahre in Japan verbracht hatten, fanden nicht den Weg zum Herzen ihrer japanischen Gastgeber, obwohl es keinen zuverlässigeren und loyaleren Freund gibt als den Japaner, wenn man einmal die äußere Schale des Mißtrauens und der Förmlichkeit durchstoßen und sein Vertrauen gewonnen hat. Der Japaner gehört zu den am schwierigsten zu behandelnden und kompliziertesten menschlichen Wesen; selbst der Russe muß ihm den Vorrang lassen.

Sogar die traditionelle Freundschaft der Wehrmacht beider Länder war, was Deutschland angeht, auf China übertragen worden. Während die deutschen Militärs Japan Lippendienst erwiesen, fühlten sie sich in ihrem Herzen mehr zu China hingezogen, insbesondere seitdem Marschall Tschiang Kai-Shek sich die Dienste einer größeren Delegation deutscher Offiziere zur Ausbildung chinesischer Divisionen gesichert hatte. Unter der fähigen Leitung des Generals von Falkenhausen leisteten sie der chinesischen Regierung wertvolle Dienste. Diese Offiziere erfreuten sich großer Volkstümlichkeit und unterlagen der anheimelnden Atmosphäre Chinas, die zuweilen mit erstaunlicher Schnelligkeit leidenschaftliche Anhänger für sich zu werben versteht. Beispiele dieser Art gibt es insbesondere in Peking, wie etwa den deutschen Rechtsanwalt, der als Fünfziger aus geschäftlichen Gründen eine Reise nach Peking zu unternehmen hatte; er sollte nur einige Wochen dort bleiben, aber er ist nie in die Heimat zurückgekehrt. Er unterlag dem Zauber der schönen und rätselhaften Hauptstadt des Reiches der Mitte, erlernte die chinesische Sprache bis zu ihren letzten Feinheiten, dichtete meisterhafte Übersetzungen chinesischer Gedichte ins Deutsche und führte ein glückliches, abgeschlossenes Leben in der Umgegend von Peking.

Eine solche Vertiefung in fernöstliches Leben wird man bei Fremden, die sich in Japan aufhalten, niemals finden. Die Angleichung an dieses Land beschränkt sich auf Heiraten von Ausländern mit Japanerinnen. Aber obwohl diese Verbindungen sich gewöhnlich harmonisch entwickeln, ist ihre Zahl durch den von beiden Rassen ausgeübten Druck nur beschränkt. Die Temperatur der deutschen Freundschaft für Japan stieg natürlich, als das zentralisierte Dritte Reich einen Kurs steuerte, der zu engeren Beziehungen mit dem Inselreich führte; nunmehr wurde von der Parteimaschinerie eine Welle von Sympathie in Gang gesetzt und entsprechend vertieft. Auch im Auswärtigen Amt überwog die Zahl der Freunde Chinas die der Japan-Anhänger; und die Zahl der ersteren wuchs, je mehr Hitler und die Partei auf engere Beziehungen zu Japan drängten. Ich persönlich schloß mich dieser im Auswärtigen Amt herrschenden Strömung nicht an, da ich für eine freundschaftliche Politik gegenüber Japan eintrat. Ich war selbst zu sehr Preuße, um nicht Sympathien für andere Völker zu empfinden, die, wie wir selbst, sich „großgehungert“ hatten. Außerdem leuchtete mir die Notwendigkeit ein, an der Hinterfront der russischen Dampfwalze eine Bremse einzubauen. Nachdem die deutsch-russischen Beziehungen recht fragwürdig geworden waren, hielt ich dies für um so notwendiger, als mir das russische Potential nur zu gut bekannt war. An die Möglichkeit eines russisch-japanischen Krieges auf Grund einer japanischen Initiative habe ich nie geglaubt. Ich bin überdies immer ein Anhänger des großen Gedankens von Joseph Chamberlain gewesen, ein Zusammengehen von Deutschland, Großbritannien und Japan herbeizuführen — ein Plan, der bekanntlich von dem psychopathischen Leiter der deutschen Außenpolitik, Holstein, zum Scheitern gebracht worden ist. Aber ich dachte, daß diese Kombination sich vielleicht in Zukunft einmal verwirklichen lassen würde; dieser Glaube wurde durch den Abschluß des deutsch-englischen Flottenabkommens im Jahre 1935 gestärkt, das dem Wettrüsten beider Länder ein Ende setzte. In dieser Annahme habe ich mich geirrt, aber es war wohl ein verzeihlicher Irrtum.

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Quelle: Herbert von Dirksen, Moskau, Tokio, London. Erinnerungen und Betrachtungen zu 20 Jahren deutscher Außenpolitik 1919-1939. Stuttgart: Kohlhammer, 1949. S. 153-156.