Kurzbeschreibung

Die Schaffung eines neuen „Rassenstaates“ erforderte mehr als nur die Neugestaltung der Formen und Konzepte, welche die darstellende oder die bildende Kunst ausmachten. Die Pläne der Nazis zum Wiederaufbau einer „rassisch reinen“ deutschen Gesellschaft erforderten auch den buchstäblichen Wiederaufbau der physischen Umgebung, in der diese Gesellschaft lebte. Die Architektur spielte bei dieser Neukonzeption eine wichtige Rolle. In diesem Auszug schreibt Gottfried Feder (1883–1941), ein Ingenieur, der bei Erscheinen dieses Textes eine Professur für Siedlungswesen, Raumordnung und Städtebau an der TH Berlin innehatte, über die Grundsätze der Stadtplanung und betont dabei die Verbindung zwischen Stadtplanung und Ideologie. Feder zufolge mussten die Stadtplaner den „Gesamtorganismus“ einer Stadt im Auge behalten. Jedes Element einer Stadt müsse das Wachstum dieses Organismus unterstützen: von der Anzahl und Form der verschiedenen Gebäude bis hin zu ihrer Positionierung und Nähe zueinander usw. Es reiche nicht aus, nur Gebäude und Stadtgrundrisse zu planen; die Städte müssten nach den Grundsätzen des Nationalsozialismus gestaltet werden, um das Gefühl eines lebendigen, atmenden nationalen Körpers durch die Struktur der Städte selbst zu fördern.

Gottfried Feder, Die neue Stadt (1939)

Quelle

Das Ziel dieses Werkes ist die neue Stadt

Die Städte der Zukunft werden ein anderes Gepräge tragen. Sie werden wie die einzelnen Bauten aus dem Geist der neuen Zeit gestaltet werden müssen. Diese neuen Städte einer neuen Weltanschauung werden der sichtbarste und dauerndste Ausdruck eines neuen Gemeinschaftswillens sein. Sie werden und müssen organisch aus der sozialen Struktur der Bevölkerung herauswachsen. Ihr Plan, ihre Gebäude, ihre Straßen und Plätze werden dem neuen Lebenswillen, dem Rhythmus der Arbeit und der neuen Gemeinschaft zu dienen haben. Die Stadt der Zukunft wird dem Leben und der Arbeit der Bevölkerung in ganz anderer Weise dienen als es die chaotisch gewachsenen Häuseransammlungen unserer modernen Großstädte tun können.

Ein neues Gestaltungsprinzip für die Stadt- und Siedlungsplanung mußte erst erkannt und wissenschaftlich erforscht werden, um zu den Grundlagen einer neuen Städtebau- und Stadtplanungskunst vorzudringen. Die vorliegende Forschungsarbeit versucht, eine erstaunliche Lücke in unserer Literatur zu schließen. Wohl gibt es Tausende von Büchern, Veröffentlichungen, Zeitschriften, Artikeln über Einzelobjekte, Monographien und Sammelwerke über Kategorien von Bauten, über Kirchen, Schlösser, Klöster, Burgen, Geschäftshäuser, Wohnhäuser, Landhäuser, Arbeiterhäuser, auch über einzelne Siedlungen und Baugruppen. Nirgends aber finden wir Arbeiten, die aus totaler Schau den Gesamtorganismus einer Stadt oder einer Siedlung darstellen würden. Nirgends ist der Versuch gemacht, die Räume, Häuser und Gebäude, ihre Lage und Zuordnung zueinander, ihre Zahl und Größe aus dem lebendigen Bedürfnis der Gesamtheit heraus zu entwickeln.

An jeden Städtebauer, an jeden Landes- und Siedlungsplaner, ja irgendwie an jeden Architekten, der mit größeren Aufgaben betraut wird oder sich damit befaßt, treten die vier Fragen heran, die – soweit ich übersehen kann – in unserem Schrifttum noch nirgends genügend grundlegend und umfassend beantwortet sind, von deren Beantwortung aber ausschließlich das Gelingen eines richtigen Stadtplans abhängt.

Es sind dies die Fragen:

I. Was gehört alles in eine Stadt oder eine Großsiedlung hinein an öffentlichen Gebäuden, an wirtschaftlichen und kaufmännischen Betrieben, an Versorgungsbetrieben, an Wohnhäusern, Einfamilienhäusern, Garagen, Tankstellen usw.?

II. Wieviel Einrichtungen und Bauten der unter I. genannten Art sind notwendig, um den Bedarf der Bevölkerung an öffentlichen Dienstleistungen, an Geschäften und Arbeitsstätten zu decken?

III. Wohin gehören diese Einrichtungen, damit die Berufswege von der Wohnstätte zur Arbeitsstätte und die Einkaufswege der Hausfrau nicht zu lang werden?

IV. Wie groß müssen die einzelnen unter 1. beschriebenen Einrichtungen sein, welche Grundstücksgröße wird benötigt, wie groß ist die Fläche der Geschosse, wie groß ist die Fläche aller Diensträume, Arbeits- und Werkstätten einschließlich Treppen und Korridore, wie groß sind die öffentlichen Flächen, d.h. Straßen, Plätze, Parkanlagen und Grünstreifen im Verhältnis zu den Gebäudeflächen und den Höfen und Gartengrundstücken?

Nur aus der klaren Beantwortung dieser vier Fragen vermag der kommende Städtebauer und Stadtplanungskünstler ein wohl abgewogenes, allen Bedürfnissen des menschlichen Lebens entsprechendes Stadtbild zu formen. Die vorliegende Forschungsarbeit will damit keineswegs ein Rezept oder ein starres Schema aufstellen, sie will durchaus nicht eine sog. Idealstadt konstruieren und dem Stadtbaukünstler und Planungsarchitekten der zukünftigen Stadt Gewalt antun und seine Gestaltungskraft einengen. Die Forschungsergebnisse sind alle so gehalten, daß jeder mit der Planung einer neuen Großsiedlung oder Stadt Beauftragte zwar alle Elemente, das ganze Handwerkszeug für die „künftige“ „zünftige“ Siedlung finden soll, daß er aber trotzdem freischöpferisch aus den gegebenen Elementen, je nach der gegebenen Örtlichkeit und dem gegebenen Zweck der einzelnen Stadt den Stadtplan zu einer künstlerischen Einheit zu gestalten vermag.

Die Städte der Zukunft

müssen in Plan und Aufbau, in ihrer harmonischen Eingliederung in Landschaft und Umgebung, in ihrem Verhältnis zu Kreis, Gau und Reich ein lebendiger Ausdruck des neuen Zeitgeistes und des Lebens- und Arbeitswillens des neuen von Adolf Hitler geschaffenen Großdeutschland sein. Aus der lebendigen Struktur des Lebens und der Arbeit der Bevölkerung werden die einzelnen Gebäude, deren Zahl und Lage im Stadtplan, herausentwickelt. []

Liberalismus und Verfall sind fast gleichbedeutend. Was unseren Eltern und Vorkämpfern deutscher Freiheit in den 48er Jahren als größte Segnung erschienen ist, hat sich politisch, wirtschaftlich und auch persönlich als Unsegen ausgewirkt. Die Älteren von uns standen anfänglich der scharfen Verurteilung des Liberalismus durch den Nationalsozialismus etwas fassungslos gegenüber, weil sich mit der liberalen Epoche Erinnerungen an erkämpfte Freiheiten und auch an den riesenhaften Aufstieg des technischen Zeitalters verbanden. Auch der ungeheure wirtschaftliche Aufschwung des alten Deutschen Reiches, der phantastische Aufstieg Amerikas und der übrigen Industriestaaten schien auf dem Boden der liberalistisch-kapitalistischen Wirtschaft entstanden zu sein.

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Quelle: Gottfried Feder, Die neue Stadt. Versuch der Begründung einer neuen Stadtplanungskunst aus der sozialen Struktur der Bevölkerung. Berlin: Springer, 1939, S. 1 f., 11f; abgedruckt in Bernd Sösemann (in Zusammenarbeit mit Marius Lange), Propaganda: Medien und Öffentlichkeit in der NS-Diktatur: eine Dokumentation und Edition von Gesetzen, Führerbefehlen und sonstigen Anordnungen sowie propagandistischen Bild- und Textüberlieferungen im kommunikationshistorischen Kontext und in der Wahrnehmung des Publikums, Band 2. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2011, S. 849–50.