Kurzbeschreibung

Philipp Eduard Anton von Lenard (1862–1947) war ein erfolgreicher und brillanter Physiker. Er erhielt 1905 den Nobelpreis für Physik, nachdem er neue Entdeckungen über Kathodenstrahlen gemacht hatte, welche die bestehenden Theorien über deren Eigenschaften korrigierten. Lenard war allerdings auch ein Antisemit und glühender Nationalist, der glaubte, dass Wissenschaft nur von Angehörigen einer nationalen Gruppe betrieben werden könnte nur diese wahre Entdeckungen machen können. Er war einer der führenden Physiker, die in den 1930er Jahren die „Deutsche Physik“-Bewegung gründeten, eine Gruppe von Wissenschaftlern, die den Nationalsozialismus unterstützten und versuchten, das Studium der Wissenschaft in Deutschland ausschließlich „Ariern“ zu ermöglichen. Insbesondere argumentierte er, dass „der Deutsche“ genau den richtigen Forschergeist besitze, um die Welt um ihn herum zu beobachten, ohne von vorgefassten persönlichen Vorstellungen übermäßig beeinflusst zu werden. Umgekehrt glaubte er, dass Juden diese Fähigkeit fehlte, weil sie nicht Teil eines nationalen Volkskörpers waren und ihnen daher ein kreativer und nationaler Geist fehle.

Lenard war ein Verfechter des Gleichgewichts zwischen den Naturwissenschaften und dem, was er die „Geisterwelt“ nannte, die er in der Einleitung zu seiner Deutschen Physik darlegte. Er vertrat die Auffassung, dass das Leben nicht nur in einem materiellen Sinne existiert. Vielmehr sollte sich die Wissenschaft ebenso mit der geistigen Welt beschäftigen wie mit der Materie, denn alle Organismen stünden in Verbindung mit beiden Sphären, so seine These. Die Naturgesetze – und die Geisteswissenschaft, die ihre Wahrheiten enthüllen könne – seien universell und existierten auf ewig, unabhängig von der Menschheit oder ihrem Weltverständnis. Die wahre Natur der Welt war für Lenard allumfassend und bedurfte sowohl der Beobachtung als auch der geistigen Untersuchung, um verstanden zu werden.

Philipp Lenard, Deutsche Physik, 1936

Quelle

Einleitung.

1. Naturwissenschaft und Geisteswissenschaften. – Physik bedeutete ursprünglich und bedeutet im wesentlichen auch heute noch, ganz besonders in unserer Auffassung, Naturwissenschaft überhaupt und ganz allgemein.

Es ist das der eine Teil des menschlichen Wissens; den anderen Teil bilden die Geisteswissenschaften.

Die Naturwissenschaft, die Physik, behandelt die gesamte Natur oder Welt soweit sie unseren Sinnen zugänglich ist: Alles was ist und was beobachtbar ist, ist ihr Gegenstand. Es ist das viel – reicht bis zu den entferntesten Gestirnen – ,aber offenbar ist es doch nicht alles, nicht die ganze Welt. Es gibt, wie unser Inneres uns lehrt, auch einen unseren Sinnen nicht zugänglichen Teil der Welt.

Wir nennen den den Sinnen zugänglichen Teil der Welt die materielle Welt oder Stoffwelt; den anderen Teil, von dem unser Inneres uns Kunde gibt, dessen Bestehen aber auch der Gebrauch der Sinne uns anzeigt, wenn wir die Lebewesen betrachten, nennen wir die Geisterwelt.

Unser Gegenstand ist somit die materielle Welt und alles, was in ihr geschieht; die Geisteswissenschaft dagegen bewegen sich in der Geisterwelt. Zu den Geisteswissenschaften zählen z.B. die historischen Wissenschaften, die Theologie, die sog. Philosophie, die Jurisprudenz.

Sehr verschieden ist die Tätigkeit des Naturforschers, der Naturwissenschaft aufbaut, von der eines Vertreters der Geisteswissenschaften. Der Naturforscher baut gänzlich auf den Gebrauch seiner Sinne; er benutzte diese dazu, täglich immer weitere, neue Kunde aus der materiellen Welt zu erhalten. Er wendet dabei seine Sinne meist dem unbelebten Teil der materiellen Welt zu, da dieser Teil ihm am leichtesten die einfachen Gesetzmäßigkeiten des Verhaltens der gesamten materiellen Welt gezeigt hat und noch zeigt. Der belebte Teil ist sehr auffallend verschieden vom unbelebten; er ist von viel verwickelterem Verhalten, und dieser, der Sinneswahrnehmung zugängliche Unterschied ist es, der auch von der Seite der Sinne her das Bestehen einer außermateriellen Welt anzeigt, offenbar derselben „Geisterwelt“, an deren Wirken unser eigenes Inneres uns mahnt. Der belebte Teil der materiellen Welt wird von der Geisterwelt beeinflußt, was beim unbelebten Teil nicht merklich der Fall ist. Die belebten Wesen bieten Erscheinungen, in welchen Geisterwelt und materielle Welt zusammenwirken. Eben in diesem Zusammenwirken besteht das Leben; Materie, die Geist (Seele) hat, nennen wir lebend.

Bei den Geisteswissenschaften kommt das Wesentliche nicht von außen her, durch die Eingangstore der Sinne, zum Forscher, sondern von innen heraus, aus seinem eigenen Geist. Von der Außenwelt beschäftigt den Vertreter der Geisteswissenschaften am meisten die belebte, beseelte Natur, und er benutzt seine Sinne im wesentlichen nur zum Verkehr mit anderen an Materie gebundenen Geistern, zu allermeist mit anderen Menschen.

Ergebnis der Tätigkeit in den Geisteswissenschaften sollte jeweils neue Kunde aus der Geisterwelt sein. Doch kommt solche Kunde uns in Wirklichkeit nur selten zu, und sie kommt nicht von den fachmäßigen Vertretern der Geisteswissenschaften. Die großen Religionsstifter, deren kaum einer alle 1000 Jahre auf Erden erscheint, sind Bringer solcher Kunde; auch wahre Künstler, Bildner und Dichter in Wort und in Tönen, wahre Staatslenker, deren vielleicht je einer alle 100 Jahre uns gegeben wird, wirken dahin. Die Vertreter der Geisteswissenschaften an den Universitäten sollten diese Kunde wenigstens verwalten, aber nicht so, daß das Vorhandene oder aus der Vergangenheit wieder Auszugrabende bloß mit Gelehrtheit hin und her geworfen wird, wobei das Beste meist unbemerkt bleibt, sondern so, daß damit der Geist des Volkes gespeist, genährt, das Volk also erzogen wird. Dies ist offenbar schon in langen, geschichtlichen Zeiträumen vollkommen verfehlt worden, wie es im Erfolg der so oft wiedergekehrte Tiefstand deutschen Geistes zeigte. Man hat es nicht verstanden, dem deutschen Geist für ihn taugliche Nahrung zu bieten, weil man noch nicht einmal der grundlegendsten Unterscheidungen in der Geisterwelt genügend sich bewußt geworden ist, wie: daß jedes Lebewesen seinen eigenen, besonderen Geist hat – den Teil der Gesamt-Geisterwelt, den sein Körper festzuhalten vermag –, daß die größten Verschiedenheiten unter den Geistern gruppenweise sich finden je nach Körperbeschaffenheit, wie sie durch die körperliche Abstammung gegeben ist. Man hat nicht genügend klar erfaßt, daß, so wie Flöhe eine andere Geistesbeschaffenheit haben als Elephanten, auch die Geister der verschiedenen Menschenrassen und Völkergruppen voneinander verschieden sind. Man hat den Geist des deutschen Volkes durch Jahrhunderte mit „Menschengeist“ überhaupt zu speisen versucht, als ließen sich Geister beliebig zusammenstoppeln, wie wenn Flöhe von Elephanten – oder umgekehrt – tauglich unterrichtet werden könnten. So konnten die Geisteswissenschaften den Geist des deutschen Volkes nicht mehren, ja nicht einmal bei der Vollwertigkeit halten, die ohne diese Wissenschaften im Schoße der Natur schon erreicht war. –

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16. Wahrheitswert der Naturforschung. – Die der Beobachtung der Naturvorgänge entnommenen, ihnen angepaßten und an ihnen fortdauernd nachgeprüften Begriffe und Gesetze – die Hauptergebnisse der Naturforschung – sind Erkenntnisse von Wirklichkeiten, von Dingen und Beschaffenheiten, die unabhängig von uns und unserem Denken bestehen und die außer uns längst vorgegeben waren. Diese Ergebnisse haben Wahrheitswert. Wahr ist, was in unserem Geist übereinstimmt mit jener, von den Willkürlichkeiten unseres Geistes unabhängigen Wirklichkeit. Wahr ist nicht was hier oder da sich „bewährt“, sondern was immer sich bewähren muß, weil es der allzusammenhängenden Wirklichkeit entnommen ist.

Die Erkenntnis des Allzusammenhangs in der Natur ist eine der hervorragendsten Errungenschaften der Naturforschung. Es hat sich bei allem Fortschreiten der Naturwissenschaft immer nur deutlicher und umfassender gezeigt, daß alle Vorgänge in der beobachtbaren Welt mit allen anderen Vorgängen in derselben verknüpft sind; jedes der gefundenen Naturgesetze hängt ersichtlich immer mit mehreren anderen zusammen derart, daß sie alle einander stützen und keines ohne die anderen richtig sein könnte. Wir werden diesen vielseitigen Zusammenhang in vielen Fällen besonders bemerken.

Man kann danach wohl sagen, daß das Verständlichmachen noch unverstandener Dinge auch darin besteht, ihren ohne Zweifel vorhandenen Zusammenhang mit schon Bekanntem und dadurch mit allem in der Natur aufzudecken und im einzelnen ersichtlich zu machen. Eben die Sehnsucht des nordischen Menschen nach Erforschung geahnter Allzusammenhänge war der Ursprung der Naturforschung. Die Ahnung war richtig; aber ihre Erfüllung auf oft unerwartet mühsamen Wegen zeigte meist die Wirklichkeit ganz anders beschaffen als es zuerst gedacht war. Die Wunder der Wirklichkeit waren nicht in unserem eigenen Geist zu finden; sie mußten erst in der Außenwelt entdeckt werden. Damit waren sie dann dem zunächst überraschten Geist einverleibt; er ist damit reicher geworden an bewußter Übereinstimmung mit dem Naturganzen.

Daß die Ahnung großer Naturzusammenhänge – der Antrieb der großen Forscher – auch mit Einbeziehung unseres eigenen Geistes in diese Zusammenhänge richtig war, dies zeigte im Erfolg die Einfachheit der Ergebnisse; denn einfach erscheint uns, was unserem Geist angemessen, was für sein Begreifen wie von vornherein eingerichtet ist.

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18. Grenzen des Begreifens. – Manche der Gesetze, die das Begreifen der Natur vermitteln, haben Gültigkeitsgrenzen gezeigt, was bedeutet, daß für ihre Anwendbarkeit gewisse Bedingungen erfüllt sein müssen. Fortschreitende Erkenntnis hat dann oft auch gezeigt, was außerhalb dieser Grenzen gilt und hat dadurch allgemeinere Gesetze kennen gelehrt, die die beschränkteren in sich fassen, und in dieser Weise sind auch noch weitere Fortschritte zu erwarten.

Das vollständige Begreifen irgendeines Naturvorganges muß aber für unmöglich erachtet werden; es fiele solches Begreifen wegen des Allzusammenhangs in der Natur mit dem Begreifen der gesamten unendlichen Welt zusammen, und davon müssen wir im wahren Sinne des Wortes stets unendlich weit entfernt bleiben allein schon wegen der Endlichkeit unseres Körpers, an welchen unser begreifender Geist gebunden ist. Es ist uns erfahrungsmäßig nicht möglich, allzuvieles auf einmal zu erfassen, und selbst abwechselndes Erfassen unendlich vieler Dinge von endlichem Ausmaß würde unendlich lange Zeit erfordern. So kommt es, daß wir hinter jedem enthüllten Geheimnis der Natur immer noch ein größeres Geheimnis gefunden haben.

Es hat sich beim Fortschreiten der Naturforschung aber außerdem gezeigt, daß es auch in der materiellen Welt – beim Absehen also von der Geisterwelt – Dinge verschieden schwerer Begreifbarkeit gibt. Betrachtet man nur die Materie, so hat man es mit Mechanismen zu tun, von denen der Geist sich Bilder machen kann gleich Modellen, die nach den Gesetzen der Mechanik sich verhalten und mit denen verhältnismäßig leicht zu arbeiten ist. Schon die Erscheinungen der Wärme bieten schwierigere Fälle von Bewegungen der Materie. Noch anders ist es aber, wenn der Äther zu betrachten ist, wozu Licht und Elektrizität allen Anlaß geben. Die Begriffe sind zwar gefunden, welche den Vorstellungen vom Äther festen Anhalt geben; aber Mechanismen im Äther hat man vergeblich gesucht; alles in dieser Richtung probeweise Erdachte stimmt schlecht mit der Wirklichkeit. Der Äther ist offenbar schwerer zu begreifen als die Materie; er scheint schon die Grenzen des Begreiflichen zu zeigen. Daß diese Grenzen beim Versuch, die Welt der Geister zu begreifen, vollständig überschritten sind, ist offensichtlich; kein Mensch kann auch nur seinen Geist begreifen. Wir werden einige Male Gelegenheit haben, Erscheinungen an den Lebewesen hervorzuheben, die ganz aus dem Rahmen von Naturforschung herausfallen, weil sie unbegreiflich sind.

19. Stoffwahn, Materialismus. – diese sonderbare Geistesrichtung, die Geist nicht haben will, nur Materie, ist zu erwähnen, weil sie als Auswuchs von Naturwissenschaft sich dargeboten hat. Die großen Errungenschaften der Naturforschung im Begreifen vorher unzugänglich erschienener Teile des Weltganzen haben zu übermütigem Hinweggehen über Unbegriffenes geführt. Die größten Forscher haben daran niemals teilgenommen; ihnen waren die Grenzen des Begreifens stets gegenwärtig; hatten sie die vorgefundenen Grenzen überschritten, so sahen sie doch sogleich neue Grenzen vor sich, an denen sie Halt machen mußten. Wohl aber haben die kleinen Geister, denen die großen in ihrem Erfolge leichte Arbeit gaben, den Übermut vom Alleswissen gezüchtet. So war es nach Newton und dann wieder nach Darwin.

In neuester Zeit haben die Erfolge der Technik eine besondere Art von übermütigem Stoffwahn gebracht. Mit der Ausnutzung der praktischen Möglichkeiten, die das Verstehen der Natur gab, kam der Gedanke des „Beherrschens“ der Natur auf: „Der Mensch war langsam Herr der Natur geworden.“ Solche Äußerungen im Sinne geistesarmer Großtechniker haben durch den Prunk, welchen deren Mittel ermöglichen, viel Einfluß gewonnen, und die Wirkung des allzersetzenden, in Physik und Mathematik eingedrungene Fremdgeistes hat ihn verstärkt. Die Geisteswissenschaften haben demgegenüber – der Naturerkenntnis zunehmend fernstehend und auch nicht in deutscher Art gepflegt – sehr versagt.

Quelle: Philipp Lenard, Deutsche Physik, Bd. 1: Einleitung und Mechanik. München: J. F. Lehmann Verlag, 1936, S. 1–2; 11–13.

Philipp Lenard, Deutsche Physik, 1936, veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/deutschland-nationalsozialismus-1933-1945/ghdi:document-5161> [25.04.2024].