Quelle
Ein Negersoldat erlebt Deutschland
Von unserem New Yorker Korrespondenten
Über die „Negerfrage“ in Amerika ist seit „Onkel Toms Hütte“ in den USA nicht wenig geschrieben worden. Jetzt ist ein ganz neuartiges Buch über den amerikanischen Neger veröffentlicht worden, in dem es nach vielen Konflikten merkwürdigerweise eine Hoffnung gibt – Deutschland! „Last of the conquerors“ ist die Geschichte eines amerikanischen Negersoldaten, der in Deutschland bei der Besatzung dient und in dem Lande der Nazis zum erstenmal – wie Tausende seiner Schicksalsgenossen – erlebt, daß man ihn als gleicher unter gleichen behandelt. William Gardner Smith schrieb dieses Buch, als er noch nicht 20 Jahre alt war, auf einem Truppenschiff, das von Deutschland nach Amerika heimkehrte. Ein erregendes Buch, aber kein im engeren Sinne politisches Buch. Sein Wert liegt dennoch keineswegs im Literarischen. Unerträglich sentimentale Liebesszenen und „philosophische“ Allgemeinplätze unterbrechen immer wieder knapp und eindrucksvoll aus der Realität nachgezeichnete Schilderungen.
Was das Buch als Ganzes zu einem bedeutsamen psycho-politischen Dokument macht, ist die Unbestechlichkeit, die Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit, mit der hier – wenn auch stets nur im Rahmen der eigenen bedrängenden Anliegen – propagandistische Generalisierungen am realen Leben gemessen und auf ihre Doppelsichtigkeit zurückgeführt werden. So scharf dabei gelegentlich Kritik geübt wird – an der Sonderbehandlung der Neger in der US-Armee, an der sozialen Sonderstellung der Farbigen im Alltag daheim – Bitterkeit ist stets konterkariert von Gegenbeispielen. Die Schwarzen werden keineswegs „weiß gewaschen“, die Weißen keinesfalls „schwarz in schwarz“ geschildert.
Was den schwarzen Soldaten/Sergeanten seelisch dort in Berlin und in jener kleinen Stadt nahe dem großen Neger-Campus umwirft, ist, daß deutsche Familien ihn gar nicht als „Problem“ sehen. Sie akzeptieren ihn. Sie stellen keine Fragen, sie nennen ihn „Herr“ (nie war ihm vorher begegnet, daß ein Weißer ihn mit „Mister“ anredete), sie behandeln ihn als Freund. So ist denn kennzeichnender Weise die aus dieser Erfahrung abgeleitete Erkenntnis keine „Anti-Weiße“. Der Verfasser, der im übrigen nie einen einzigen Nazi oder Antinazi zu Gesicht bekommt, sondern nur dem durchschnittlichen gesichtslosen unpolitischen Typ in Deutschland begegnet, wägt nur ab, daß das Leben unter „freundlichen“ Menschen angenehmer ist als unter ablehnend eingestellten. Die Deutschen, die er trifft, sind freundlich. Daraus ergeben sich, von keiner Rationalität getrübte, Gefühlsantworten.
Als Motto gewissermaßen steht am Anfang des Buches ein kurzer Absatz aus dem „Pittsburgh Courier“ (an dem der Verfasser heute beruflich arbeitet):
„Das Truppenschiff MARINE ROBIN bewegte sich langsam in den Hafen und die Neger-Soldaten, auf dem Vorderdeck zusammengedrängt, konnten deutlich die Lichter von New York City sehen. Es war Nacht. Links warf die Freiheitsstatue ihr „Willkommen daheim“ den Männern entgegen, die an jenem Tag, vor so langer Zeit, ihr abschiednehmend zugewinkt hatten, als sie zum erstenmal über den „großen Teich“ gefahren waren. Aber die Männer, zusammengedrängt auf dem Schiff, winkten nicht zurück.
„Naja“, sagte ein braunhäutiger Soldat mit einem leisen Seufzer, „wir sind zu Hause“. Er sagte es zu niemand im besonderen. Es war nur die Feststellung eines Tatbestandes.
Keiner sagte etwas. Irgendwie, als ich dort zwischen den Männern stand, hatte ich plötzlich das Gefühl von Düsterkeit.
„Eines Tages“, sagte ein Soldat leise, an diesem Tage seiner Heimkehr, „eines Tages werde ich nach Deutschland zurückgehen“ —
Nun bedeutet selbstverständlich diese Formulierung keineswegs, daß etwa eine Auswanderungswelle amerikanischer Neger nach Deutschland einsetzen wird. Die Heimkehrer werden – schlecht oder recht – sich wieder in der einen oder anderen Form in das Leben ihres Heimatlandes einordnen.
Bleiben wird ein Gefühl des Erstauntseins – was auch den Leser nicht verläßt – darüber, daß um ihre Minderheitenrechte kämpfende Stiefkinder des Siegers nach einem Kriege, der mit im wesentlichen gegen die nazistische Rassenirrlehre geführt wurde, einen Traum der Gleichberechtigung verbinden mit dem Land, dem Demokratie zu bringen, sie ausgesandt wurden. Der kleine unbekannte Deutsche wurde als Mensch erlebt. Das ist trostreich. Besonders für diejenigen, die mehr als einmal darauf hinwiesen, daß es nicht nur Nazis in Deutschland gab.
Quelle: „Ein Negersoldat erlebt Deutschland: Von unserem New Yorker Korrespondenten“, Nürnberger Nachrichten, 28. Mai 1949