Quelle
I. Ein Forum der Fakten und Meinungen
von Dr. W.E.B.
Dubois, 19. Dezember 1939
Rassenvorurteile in Deutschland
Wenn ein amerikanischer Neger[1] sagt: „Ich bin keiner Diskriminierung aufgrund meiner Rasse begegnet“, dann sollten wir, die wir Bescheid wissen, dies mit Vorsicht genießen. Denn unser Volk hat sich zur Selbstverteidigung einen wohlbekannten Schutzmechanismus zu eigen gemacht: Unter bestimmten Umständen stellen wir sorgfältig fest, wo wir erwünscht sind oder geduldet werden und wo wir beleidigt oder ausgeschlossen werden. Dann gehen wir nur dorthin, wo wir können, und lassen uns natürlich nicht diskriminieren. Wenn ich also sage, dass ich in Deutschland nicht unter Rassenvorurteilen gelitten habe, ist das erklärungsbedürftig.
Es gibt in Deutschland Rassenvorurteile und eine regelmäßige, geplante Propaganda, um sie zu verstärken und sie für das Dritte Reich charakteristisch zu machen. Aber es ist kein instinktives Vorurteil, außer im Falle der Juden, und dort nicht ganz. Ich meine, dass das deutsche Vorurteil nicht das Ergebnis einer langjährigen Überzeugung ist, die durch Kindererziehung und äußere Merkmale wie Farbe oder Haare gestützt wird. Es ist ein begründetes Vorurteil oder eine wirtschaftliche Angst. Folglich zeigt es sich im Falle der Neger nicht ohne weiteres. Eine Freundin pflegte zu sagen, dass sie Paris mochte, weil sie dort ausgehen konnte, ohne sich zu fragen, wo sie zu Mittag essen würde. So ist es auch in Berlin oder anderswo in Deutschland: Ich kann in jedes Hotel gehen, das ich mir leisten kann; ich kann essen gehen, wo ich will, und der Oberkellner wird mich willkommen heißen. Ich kann in jedes Theater gehen und die fremde Dame neben mir verbeugt sich höflich oder wechselt ein paar übliche Worte, wenn es nötig ist; ich kann mich einer Sightseeing-Tour anschließen, ohne einen Kommentar zu provozieren, usw. Kurzum, ich genieße die volle bürgerliche Freiheit und die öffentliche Höflichkeit. Natürlich werde ich, wenn ich auffalle, ein Objekt der Neugier und sogar der erregten Aufmerksamkeit sein: ein schwarzer Mann in einer kleinen deutschen Stadt wäre eine Angelegenheit von Menschenmassen und Blicken, die sehr lästig sein können; aber er würde weder beleidigt noch belästigt werden; noch, am allerwenigsten, würde ihm eine erbetene Unterkunft oder Höflichkeit verweigert werden.
Andererseits gibt es bei den sozialen Kontakten auch Grenzen: Ich bin in deutschen Häusern zum Essen eingeladen worden und habe mit deutschen Frauen und Männern in Restaurants gegessen. Andererseits würde keine deutsche Frau von gutem Ruf auf die Idee kommen, unter normalen Umständen einen Neger zu heiraten, und sie könnte dies auch nicht legal tun. Es ist fraglich, ob sie legal einen Japaner heiraten könnte. In öffentlichen Tanzlokalen und in der Halbwelt müssen Neger mit Vorsicht und heimlich empfangen werden; Polizeispitzel würden jeden offenen Handel schnell unterdrücken.
Antisemitismus
Bei den Juden trifft man auf etwas anderes, was ein amerikanischer Neger nicht ohne weiteres versteht. Das Vorurteil gegen Juden ist in Deutschland eher instinktiv als ein Vorurteil über die Hautfarbe. Seit vielen Jahrhunderten haben die Deutschen eine Abneigung gegen Juden. Aber die Gründe dafür waren unterschiedlich und sind keineswegs vergleichbar mit der Abneigung der Weißen gegen Schwarze in Amerika. Wirtschaftliche Gründe, die auf einer Grundlage von Religion und Clansolidarität beruhen, sind die eigentliche Erklärung. Im Mittelalter waren Fremde, die nicht an Christus glaubten, weitgehend vom Landbesitz und der Arbeit als Handwerker oder Kaufmann ausgeschlossen und fanden einen Weg, ihren Lebensunterhalt im neuen Handel und Geldverleih zu verdienen. Ich habe die alte Judengasse in Frankfurt gesehen, wo die Rothschilds, Schiffs und andere Großkapitalisten nachts in beengten Quartieren eingesperrt waren, um die Christen nicht zu verunreinigen, und wo sie trotz Beleidigung und Unterdrückung die Grundlagen für Reichtum und Macht legten. Im Laufe der Zeit wurden die Juden zu freien und angesehenen Bürgern Deutschlands, trugen zur Wissenschaft und Kunst, zum Finanz- und Bankwesen bei, blieben aber, obwohl sie hin und wieder außerhalb ihrer Gemeinschaft heirateten, von den gesellschaftlich Auserwählten ausgeschlossen – dem Adel, den hohen Positionen in der Armee, den wichtigsten Staatsämtern. Aber merkwürdigerweise war der Hauptvorwurf gegen die Juden zu dieser Zeit nicht das, was sie taten, sondern dass sie sich nicht mit Deutschen vermischen und ihre Identität im deutschen Staat verlieren würden. So wurden sie zum Objekt des Neids, der Angst und des Hasses unter den Arbeitern und den weniger gebildeten Menschen der Mittelschicht. Wellen des Antisemitismus, begleitet von bösartigen Verleumdungen, kamen im 18. und 19. Jahrhundert immer wieder auf.
Im Weltkrieg leisteten die Juden ihren gesetzlich vorgeschriebenen Dienst, doch waren sie nicht begeistert davon, in einer Armee zu dienen, in der sie nicht als Offiziere fungieren durften. Nach dem Krieg hatten Bankiers, Finanziers und Kaufleute viele Gelegenheiten, sich auf Kosten der Arbeiter und des Mittelstandes zu bereichern. Juden spielten bei diesen Vorgängen eine wichtige Rolle, da sie in diesen Berufssparten so stark vertreten waren. Ihr Erfolg in diesen Berufen und im konkurrierenden öffentlichen Dienst brachte den ganzen Neid und die Eifersucht der Elenden auf sie, und Adolf Hitler, dem die Abneigung gegen Juden angeboren war, wurde das passende Instrument für das Verderben der Juden in Deutschland.
Die gegenwärtige Notlage der deutschen Juden
In der gesamten Moderne gibt es keine Tragödie, die in ihren schrecklichen Auswirkungen dem Kampf gegen die Juden in Deutschland gleichkommt. Er ist ein Angriff auf die Zivilisation, der nur mit solchen Schrecken wie der spanischen Inquisition und dem afrikanischen Sklavenhandel vergleichbar ist. Er hat die Zivilisation um hundert Jahre zurückgeworfen und vor allem die Lösung und das Verständnis von Rassenproblemen erschwert und in Frage gestellt. Viele glauben, dass das jüdische Problem in Deutschland nur eine Episode war und bereits wieder vorüber sei. Die Besucher der Olympischen Spiele dürften diesen Eindruck gewonnen haben. Sie sahen keine jüdische Unterdrückung. Genauso wie Besucher aus dem Norden in Mississippi keine Unterdrückung der Neger sehen.
Diese Schlussfolgerung beruht weitgehend auf der Kenntnis des Wesens des deutschen Volkes. Es ist ein freundliches Volk, gutherzig, hasst die Unterdrückung, hat großes Mitgefühl mit dem Leid und ist von sehnsüchtigen Idealen für die ganze Menschheit erfüllt. Das ist wahr. Ich kenne kein Volk in Europa, auf das diese Charakterisierung zutreffender wäre. Aber man darf nicht vergessen, dass das aktive deutsche Volk heute die nationalsozialistische Partei unter Adolf Hitler, seinen Mitstreitern und Unterstützern ist. Und dass sie die unhinterfragte und heute unhinterfragbare Politik Deutschlands bestimmen. Ein integraler Bestandteil dieser Politik, der heute genauso wichtig ist wie früher und vielleicht sogar noch wichtiger wird, ist der weltweite Krieg gegen die Juden. Die Beweise dafür sind unumstößlich und dürften all jene überall auf der Welt trösten, die sich auf den Rassenhass zur Rettung der Menschheit verlassen.
Adolf Hitler hält heute kaum eine Rede – und seine Reden erreichen jeden Winkel Deutschlands, durch Radio, Zeitungsplakate, Filme und öffentliche Bekanntmachungen – ohne die Juden zu verunglimpfen, zu tadeln oder zu verfluchen. Von meinem Fenster aus sehe ich, während ich schreibe, ein großes rotes Plakat, sieben Fuß hoch, welches das deutsche Volk auffordert, zur Winterhilfe für die Armen beizutragen, damit Deutschland nicht auf das Niveau der „jüdisch-bolschewistischen Länder der übrigen Welt“ sinkt. Sein Propagandaminister war noch beleidigender und sagte, die ganze Unterdrückung Deutschlands durch die Welt sei durch jüdische Emigranten verursacht. Jedes Unglück der Welt wird ganz oder teilweise den Juden angelastet – die spanische Rebellion, die Behinderung des Welthandels, usw. Man findet Fälle in den Zeitungen: Juden, die wegen sexueller Beziehungen zu deutschen Frauen ins Gefängnis geworfen wurden; eine Heirat, die nicht anerkannt wurde, weil ein jüdischer Friedensrichter sie bezeugte; Freimaurer, die von Ämtern in der nationalsozialistischen Partei ausgeschlossen wurden, weil Juden Freimaurer sind; Anzeigen, die Juden ausschließen; die totale Entrechtung aller Juden; Entzug der Bürgerrechte und Unfähigkeit, deutsche Staatsbürger zu bleiben oder zu werden; eingeschränkte Rechte auf Bildung und ein eng begrenztes Recht auf Arbeit im Handel, in akademischen Berufen und im öffentlichen Dienst; die Androhung von Boykott, Arbeitsplatzverlust und sogar Gewalt durch den Mob für jeden Deutschen, der mit einem Juden Geschäfte macht; und vor allem die fortgesetzte Verbreitung von Julius Streichers Stürmer, dem schamlosesten, verlogensten Verfechter des Rassenhasses der Welt, Florida nicht ausgenommen. Ohne Hitlers Zustimmung könnte er kein einziges Exemplar verkaufen.
Quelle des englischen Originaltextes: W.E.B. Du Bois, “A Forum of Fact and Opinion”, Pittsburgh Courier, 19. Dezember 1936, S.A1.
II. Ein Forum der Fakten und Meinungen, 10. Oktober
1936
von Dr. W.E.B. Dubois
Ruhm
Eines der schwierigsten Dinge auf dieser Welt ist es, den Lohn für Gedanken und Taten, die der Menschheit zugute gekommen sind, ehrlich zu verteilen. Im Deutschen Museum für Naturwissenschaft und Technik gibt es einen Raum, in dem versucht wird, solche Ehrungen zu verteilen. Im Eingangsbereich steht ein großes Goethe-Denkmal mit einem Porträt von Alexander von Humboldt und Friedrich dem Großen. In einem anderen runden Raum mit schönem Parkettboden stehen Bilder und Statuen von Männern, die Mathematik, Keime, Elektrizität und Optik studiert haben, die über das Universum spekulierten, die Sternbilder benannten und das Licht sezierten, die durch die Luft flogen und Menschen heilten. Es ist eine prächtige Sammlung, aber natürlich ist sie überwiegend deutsch. Ein paar Ausländer wie Kopernikus und Bunsen haben dort einen Platz gefunden, aber zum größten Teil erzählt diese Ruhmeshalle davon, was Deutsche geleistet haben. Es wäre eine schönere und größere Sache, wenn diese Halle, ungeachtet der Nation und der Sprache, die großen Vertreter von Wissenschaft und Technik aus der ganzen Welt versammeln könnte, aber vielleicht war das zu viel erwartet. Aber im Großen und Ganzen wurden bei allen Exponaten hier Kommerzialität und Nationalität eingeschränkt. Die Beschränkung ist manchmal nur schlecht. So wird zum Beispiel Faradays Apparat ausgestellt, doch einer deutschen Erfindung, die Jahre später entstand, wird der Ehrenplatz eingeräumt. Die deutschen Erfinder der Telegrafie werden hervorgehoben, während der Telegraf von Morse einfach nur dort steht.
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Anmerkungen
Quelle des englischen Originaltextes: W.E.B. Dubois, “A Forum of Fact and Opinion”, Pittsburgh Courier, 10. Oktober 1936, S. A1.