Kurzbeschreibung

Die Beobachtungen Außenstehender über das gesellschaftliche und politische Klima in Deutschland Mitte der 1930er Jahre geben nicht nur Aufschluss über die Wahrnehmung der deutschen Rassenpolitik, sondern auch über die allgemeinen gesellschaftlichen Einstellungen der Deutschen im Alltag. William Edward Burghardt „W.E.B.“ Du Bois (1868-1963) war ein amerikanischer Soziologe und Historiker an der Universität Atlanta und ein überaus produktiver politischer Schriftsteller. Er war der erste Afroamerikaner, der an der Harvard University promovierte, und war Gründungsmitglied der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP). Du Bois hatte Verbindungen zu Deutschland, da er an der Fisk University Deutsch studiert hatte und von 1892 bis 1894 an der Universität in Berlin studierte. Mit Unterstützung des Oberlander Trust verbrachte Du Bois zwischen 1935 und 1936 fast sechs Monate in Deutschland und schrieb nach seiner Rückkehr nach Amerika über seine Erfahrungen dort. Du Bois‘ Gedanken sind ein Beispiel für das Bemühen eines Intellektuellen, die besonderen Rassenvorurteile in Deutschland im Kontext der Rassenvorurteile in anderen Ländern zu verstehen. Obwohl es in Deutschland Rassenvorurteile gab, betonte er, dass er selbst nicht unter deren direkten Auswirkungen gelitten habe, und er unterschied zwischen Vorurteilen aufgrund der Hautfarbe und Antisemitismus.
In krassem Gegensatz zur „Abneigung der Weißen gegen Schwarze“ in Amerika stellte Du Bois in diesem ersten Beitrag einen besonderen Unterschied in der Einstellung der Deutschen gegenüber Juden und deren Behandlung fest. Der deutsche Antisemitismus scheine eher instinktiv zu sein und nicht auf der Hautfarbe zu beruhen, sondern auf wirtschaftlichen Ängsten sowie auf religiöser und soziokultureller Solidarität. Im zweiten Auszug erinnert sich Du Bois an seinen Besuch im Deutschen Museum für Wissenschaft und Technik in München. Zwar lobte er die Exponate für ihre großartige Präsentation, beklagte aber, dass sich die gesamte Ausstellung nur auf die Leistungen deutscher Wissenschaftler und Erfinder konzentrierte. Du Bois‘ Überlegungen zeigen, wie schwer es ihm als Wissenschaftler fiel, die ehrliche Würdigung echter Leistungen mit der offenkundig nationalistischen Agenda des deutschen Museums zu vereinbaren.

W.E.B. Du Bois über seine Zeit in Nazi-Deutschland (1936)

Quelle

I. Ein Forum der Fakten und Meinungen
von Dr. W.E.B. Dubois, 19. Dezember 1939

Rassenvorurteile in Deutschland

Wenn ein amerikanischer Neger[1] sagt: „Ich bin keiner Diskriminierung aufgrund meiner Rasse begegnet“, dann sollten wir, die wir Bescheid wissen, dies mit Vorsicht genießen. Denn unser Volk hat sich zur Selbstverteidigung einen wohlbekannten Schutzmechanismus zu eigen gemacht: Unter bestimmten Umständen stellen wir sorgfältig fest, wo wir erwünscht sind oder geduldet werden und wo wir beleidigt oder ausgeschlossen werden. Dann gehen wir nur dorthin, wo wir können, und lassen uns natürlich nicht diskriminieren. Wenn ich also sage, dass ich in Deutschland nicht unter Rassenvorurteilen gelitten habe, ist das erklärungsbedürftig.

Es gibt in Deutschland Rassenvorurteile und eine regelmäßige, geplante Propaganda, um sie zu verstärken und sie für das Dritte Reich charakteristisch zu machen. Aber es ist kein instinktives Vorurteil, außer im Falle der Juden, und dort nicht ganz. Ich meine, dass das deutsche Vorurteil nicht das Ergebnis einer langjährigen Überzeugung ist, die durch Kindererziehung und äußere Merkmale wie Farbe oder Haare gestützt wird. Es ist ein begründetes Vorurteil oder eine wirtschaftliche Angst. Folglich zeigt es sich im Falle der Neger nicht ohne weiteres. Eine Freundin pflegte zu sagen, dass sie Paris mochte, weil sie dort ausgehen konnte, ohne sich zu fragen, wo sie zu Mittag essen würde. So ist es auch in Berlin oder anderswo in Deutschland: Ich kann in jedes Hotel gehen, das ich mir leisten kann; ich kann essen gehen, wo ich will, und der Oberkellner wird mich willkommen heißen. Ich kann in jedes Theater gehen und die fremde Dame neben mir verbeugt sich höflich oder wechselt ein paar übliche Worte, wenn es nötig ist; ich kann mich einer Sightseeing-Tour anschließen, ohne einen Kommentar zu provozieren, usw. Kurzum, ich genieße die volle bürgerliche Freiheit und die öffentliche Höflichkeit. Natürlich werde ich, wenn ich auffalle, ein Objekt der Neugier und sogar der erregten Aufmerksamkeit sein: ein schwarzer Mann in einer kleinen deutschen Stadt wäre eine Angelegenheit von Menschenmassen und Blicken, die sehr lästig sein können; aber er würde weder beleidigt noch belästigt werden; noch, am allerwenigsten, würde ihm eine erbetene Unterkunft oder Höflichkeit verweigert werden.

Andererseits gibt es bei den sozialen Kontakten auch Grenzen: Ich bin in deutschen Häusern zum Essen eingeladen worden und habe mit deutschen Frauen und Männern in Restaurants gegessen. Andererseits würde keine deutsche Frau von gutem Ruf auf die Idee kommen, unter normalen Umständen einen Neger zu heiraten, und sie könnte dies auch nicht legal tun. Es ist fraglich, ob sie legal einen Japaner heiraten könnte. In öffentlichen Tanzlokalen und in der Halbwelt müssen Neger mit Vorsicht und heimlich empfangen werden; Polizeispitzel würden jeden offenen Handel schnell unterdrücken.

Antisemitismus

Bei den Juden trifft man auf etwas anderes, was ein amerikanischer Neger nicht ohne weiteres versteht. Das Vorurteil gegen Juden ist in Deutschland eher instinktiv als ein Vorurteil über die Hautfarbe. Seit vielen Jahrhunderten haben die Deutschen eine Abneigung gegen Juden. Aber die Gründe dafür waren unterschiedlich und sind keineswegs vergleichbar mit der Abneigung der Weißen gegen Schwarze in Amerika. Wirtschaftliche Gründe, die auf einer Grundlage von Religion und Clansolidarität beruhen, sind die eigentliche Erklärung. Im Mittelalter waren Fremde, die nicht an Christus glaubten, weitgehend vom Landbesitz und der Arbeit als Handwerker oder Kaufmann ausgeschlossen und fanden einen Weg, ihren Lebensunterhalt im neuen Handel und Geldverleih zu verdienen. Ich habe die alte Judengasse in Frankfurt gesehen, wo die Rothschilds, Schiffs und andere Großkapitalisten nachts in beengten Quartieren eingesperrt waren, um die Christen nicht zu verunreinigen, und wo sie trotz Beleidigung und Unterdrückung die Grundlagen für Reichtum und Macht legten. Im Laufe der Zeit wurden die Juden zu freien und angesehenen Bürgern Deutschlands, trugen zur Wissenschaft und Kunst, zum Finanz- und Bankwesen bei, blieben aber, obwohl sie hin und wieder außerhalb ihrer Gemeinschaft heirateten, von den gesellschaftlich Auserwählten ausgeschlossen – dem Adel, den hohen Positionen in der Armee, den wichtigsten Staatsämtern. Aber merkwürdigerweise war der Hauptvorwurf gegen die Juden zu dieser Zeit nicht das, was sie taten, sondern dass sie sich nicht mit Deutschen vermischen und ihre Identität im deutschen Staat verlieren würden. So wurden sie zum Objekt des Neids, der Angst und des Hasses unter den Arbeitern und den weniger gebildeten Menschen der Mittelschicht. Wellen des Antisemitismus, begleitet von bösartigen Verleumdungen, kamen im 18. und 19. Jahrhundert immer wieder auf.

Im Weltkrieg leisteten die Juden ihren gesetzlich vorgeschriebenen Dienst, doch waren sie nicht begeistert davon, in einer Armee zu dienen, in der sie nicht als Offiziere fungieren durften. Nach dem Krieg hatten Bankiers, Finanziers und Kaufleute viele Gelegenheiten, sich auf Kosten der Arbeiter und des Mittelstandes zu bereichern. Juden spielten bei diesen Vorgängen eine wichtige Rolle, da sie in diesen Berufssparten so stark vertreten waren. Ihr Erfolg in diesen Berufen und im konkurrierenden öffentlichen Dienst brachte den ganzen Neid und die Eifersucht der Elenden auf sie, und Adolf Hitler, dem die Abneigung gegen Juden angeboren war, wurde das passende Instrument für das Verderben der Juden in Deutschland.

Die gegenwärtige Notlage der deutschen Juden

In der gesamten Moderne gibt es keine Tragödie, die in ihren schrecklichen Auswirkungen dem Kampf gegen die Juden in Deutschland gleichkommt. Er ist ein Angriff auf die Zivilisation, der nur mit solchen Schrecken wie der spanischen Inquisition und dem afrikanischen Sklavenhandel vergleichbar ist. Er hat die Zivilisation um hundert Jahre zurückgeworfen und vor allem die Lösung und das Verständnis von Rassenproblemen erschwert und in Frage gestellt. Viele glauben, dass das jüdische Problem in Deutschland nur eine Episode war und bereits wieder vorüber sei. Die Besucher der Olympischen Spiele dürften diesen Eindruck gewonnen haben. Sie sahen keine jüdische Unterdrückung. Genauso wie Besucher aus dem Norden in Mississippi keine Unterdrückung der Neger sehen.

Diese Schlussfolgerung beruht weitgehend auf der Kenntnis des Wesens des deutschen Volkes. Es ist ein freundliches Volk, gutherzig, hasst die Unterdrückung, hat großes Mitgefühl mit dem Leid und ist von sehnsüchtigen Idealen für die ganze Menschheit erfüllt. Das ist wahr. Ich kenne kein Volk in Europa, auf das diese Charakterisierung zutreffender wäre. Aber man darf nicht vergessen, dass das aktive deutsche Volk heute die nationalsozialistische Partei unter Adolf Hitler, seinen Mitstreitern und Unterstützern ist. Und dass sie die unhinterfragte und heute unhinterfragbare Politik Deutschlands bestimmen. Ein integraler Bestandteil dieser Politik, der heute genauso wichtig ist wie früher und vielleicht sogar noch wichtiger wird, ist der weltweite Krieg gegen die Juden. Die Beweise dafür sind unumstößlich und dürften all jene überall auf der Welt trösten, die sich auf den Rassenhass zur Rettung der Menschheit verlassen.

Adolf Hitler hält heute kaum eine Rede – und seine Reden erreichen jeden Winkel Deutschlands, durch Radio, Zeitungsplakate, Filme und öffentliche Bekanntmachungen – ohne die Juden zu verunglimpfen, zu tadeln oder zu verfluchen. Von meinem Fenster aus sehe ich, während ich schreibe, ein großes rotes Plakat, sieben Fuß hoch, welches das deutsche Volk auffordert, zur Winterhilfe für die Armen beizutragen, damit Deutschland nicht auf das Niveau der „jüdisch-bolschewistischen Länder der übrigen Welt“ sinkt. Sein Propagandaminister war noch beleidigender und sagte, die ganze Unterdrückung Deutschlands durch die Welt sei durch jüdische Emigranten verursacht. Jedes Unglück der Welt wird ganz oder teilweise den Juden angelastet – die spanische Rebellion, die Behinderung des Welthandels, usw. Man findet Fälle in den Zeitungen: Juden, die wegen sexueller Beziehungen zu deutschen Frauen ins Gefängnis geworfen wurden; eine Heirat, die nicht anerkannt wurde, weil ein jüdischer Friedensrichter sie bezeugte; Freimaurer, die von Ämtern in der nationalsozialistischen Partei ausgeschlossen wurden, weil Juden Freimaurer sind; Anzeigen, die Juden ausschließen; die totale Entrechtung aller Juden; Entzug der Bürgerrechte und Unfähigkeit, deutsche Staatsbürger zu bleiben oder zu werden; eingeschränkte Rechte auf Bildung und ein eng begrenztes Recht auf Arbeit im Handel, in akademischen Berufen und im öffentlichen Dienst; die Androhung von Boykott, Arbeitsplatzverlust und sogar Gewalt durch den Mob für jeden Deutschen, der mit einem Juden Geschäfte macht; und vor allem die fortgesetzte Verbreitung von Julius Streichers Stürmer, dem schamlosesten, verlogensten Verfechter des Rassenhasses der Welt, Florida nicht ausgenommen. Ohne Hitlers Zustimmung könnte er kein einziges Exemplar verkaufen.

Quelle des englischen Originaltextes: W.E.B. Du Bois, “A Forum of Fact and Opinion”, Pittsburgh Courier, 19. Dezember 1936, S.A1.

II. Ein Forum der Fakten und Meinungen, 10. Oktober 1936
von Dr. W.E.B. Dubois

Ruhm

Eines der schwierigsten Dinge auf dieser Welt ist es, den Lohn für Gedanken und Taten, die der Menschheit zugute gekommen sind, ehrlich zu verteilen. Im Deutschen Museum für Naturwissenschaft und Technik gibt es einen Raum, in dem versucht wird, solche Ehrungen zu verteilen. Im Eingangsbereich steht ein großes Goethe-Denkmal mit einem Porträt von Alexander von Humboldt und Friedrich dem Großen. In einem anderen runden Raum mit schönem Parkettboden stehen Bilder und Statuen von Männern, die Mathematik, Keime, Elektrizität und Optik studiert haben, die über das Universum spekulierten, die Sternbilder benannten und das Licht sezierten, die durch die Luft flogen und Menschen heilten. Es ist eine prächtige Sammlung, aber natürlich ist sie überwiegend deutsch. Ein paar Ausländer wie Kopernikus und Bunsen haben dort einen Platz gefunden, aber zum größten Teil erzählt diese Ruhmeshalle davon, was Deutsche geleistet haben. Es wäre eine schönere und größere Sache, wenn diese Halle, ungeachtet der Nation und der Sprache, die großen Vertreter von Wissenschaft und Technik aus der ganzen Welt versammeln könnte, aber vielleicht war das zu viel erwartet. Aber im Großen und Ganzen wurden bei allen Exponaten hier Kommerzialität und Nationalität eingeschränkt. Die Beschränkung ist manchmal nur schlecht. So wird zum Beispiel Faradays Apparat ausgestellt, doch einer deutschen Erfindung, die Jahre später entstand, wird der Ehrenplatz eingeräumt. Die deutschen Erfinder der Telegrafie werden hervorgehoben, während der Telegraf von Morse einfach nur dort steht.

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Anmerkungen

[1] Im Original “Negro”.

Quelle des englischen Originaltextes: W.E.B. Dubois, “A Forum of Fact and Opinion”, Pittsburgh Courier, 10. Oktober 1936, S. A1.

Übersetzung: Insa Kummer