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Nihilismus mit Boogie Woogie in der „Badewanne“
Nichts gegen Künstlerlokale! Aber dann sollen es auch welche sein: Treffpunkt künstlerisch schaffender Menschen, die Anregung und Unterhaltung suchen, die diskutieren oder die Zeitungen lesen wollen. Die „Badewanne“, die vor einiger Zeit in der Nürnberger Straße in Berlin W eröffnet wurde, ist kein solches Künstlerrestaurant, sondern ein Geschäftsunternehmen, das mit der Not der Westberliner Künstler spekuliert. Ein tüchtiger Nachtlokalbesitzer hat sich ihrer „angenommen“ und gebraucht sie als Lockmittel.
Für ihr Badewannengeplätscher erhalten die Künstler fünf Prozent der Einnahmen und ein warmes Abendessen. Zuerst hatten sie sich das zwar anders vorgestellt und gedacht, daß hier wirklich ein Künstlerlokal entstehen würde, zu dessen Programmgestaltung jeder etwas beitragen könnte. Aber es ist ein Amüsierlokal für den amisierten Kudamm geworden. Das Kabarettprogramm rollt zwischen dem üblichen Boogie-Woogie-Getanze ab, und das nach Sensatiönchen lüsterne Schieberpack plätschert laut und anspruchsvoll in dieser Wanne herum.
Die Programme des Kabaretts erinnern an den Dada-Rummel der zwanziger Jahre, nur daß man damals geistvoller und witziger war. Das Komischste an der „Badewanne“ ist, daß man sich dort ernst nimmt. Die Veranstalter der ersten Dada-Ausstellung 1920 besaßen wenigstens den Humor, eine Tafel mit der Inschrift aufzuhängen: „Nehmen Sie Dada ernst, es lohnt sich!“ Im heutigen Westberlin nihielistelt und surealistelt man mit tierischer Humorlosigkeit.
Da steht ein Mann in kurzen Unterhosen vom Bett auf und zieht sich Hosen, Frack und Zylinder an, während eine Art moderner Hanswurst in wildem Bauchtanz vor ihm seine Glieder verrenkt. Daneben liegt eine Frau am Boden und schreit gräßlich. Das ganze nennt sich „Vom Sinn des Lebens“. Der Hanswurst ist ein begabter Graphiker, der nach 1945 als gesellschaftskritischer Zeichner von Format begann. Alle Arten des Selbstmords werden vorgeführt. Hier einige Titel der Nummern: „Pulsader“, „Schwert“, „Gift“, „Fenstersturz“, „Morphium“ und „Gas“. Man hat dabei wohl an jene Westberliner Künstler gedacht, die kein Essen in der „Badewanne“ bekommen.
Die angeblich ernsthaften literarischen Donnerstagabende sind dagegen viel lustiger. Neulich wurde Negerdichtung gelesen. Ein nicht unbekannter „abstrakter“ Maler las drei schöne Gedichte von Langston Hughes schlecht ab. Und dann gings richtig los. Es wurden „Gedichte“ eines französischen Negers, der, wie man mit weihevoller Stimme betonte, sich an den Surrealismus anlehnt, vom Übersetzer selbst vorgetragen. Sie hießen „Tam-tam 1“, „Tam-tam 2“ usw., und es war in ihnen vom „Orgasmus heiliger Pollutionen“ und Ähnlichem die Rede. „Literastisch“, hätte Tucholski gesagt.
Man versucht in der „Badewanne“ den Bürgerschreck zu spielen und merkt nicht, wie kleinbürgerlich man selbst ist. Über dem „Künstlertisch“ hängt ein gestickter Haussegen: „Laßt die Welt ihr Wesen treiben, mein Haus soll meine Ruhstatt bleiben.“ Das soll ironisch sein, trifft aber den Kern der Sache. Sie lassen die Welt ihr Wesen treiben und kümmern so am Rande leise dahin, diese Vertreter einer Bohème, die ein Häuflein Elend geworden ist.
So bietet dieses Nachtlokal ein Bild des heutigen Lebens von Westberlin. Künstler ohne Geld, zahlungskräftige Geschäftsleute oder Schieber, Boogie-woogie-boys, die ihr Hemd über der Hose zu tragen pflegen, und dazwischen grinsende Amerikaner. Man könnte darunter schreiben, was George Grosz einmal unter eine seiner Graphiken geschrieben hat: „Schwimme, wer schwimmen kann, und wer es nicht kann, der gehe unter!“
Quelle: Florian, „Nihilismus mit Boogie Woogie in der „Badewanne“, Neues Deutschland, 7. September 1949. Mit freundlicher Genehmigung der Neues Deutschland Druckerei und Verlag GmbH Berlin.