Kurzbeschreibung

Die Hitler-Diktatur hatte die freien Gewerkschaften der Weimarer Republik verboten und ihre Führer und Mitglieder inhaftiert und ermordet. Eine der ersten Maßnahmen, welche die Westalliierten nach der Befreiung 1945 ergriffen, war die Förderung der Gründung von Gewerkschaften. Mit dem gleichzeitigen Beschluss zum Wiederaufbau der Industrie war es auch nur eine Frage der Zeit, bis Arbeitgeberverbände gegründet und die alten Arbeitsverhältnisse wiederhergestellt würden. 1945 forderten einige Gewerkschaftsführer und auch Politiker der wiedergegründeten Sozialdemokratischen Partei (SPD), die der deutschen Wirtschaft vorwarfen, Hitler in den Sattel gehoben zu haben, die Verstaatlichung der Industrie, wofür es auch Unterstützung in der britischen Labour Party gab, die 1945 an die Macht gekommen war und als Besatzungsmacht das westdeutsche Ruhrgebiet, das traditionelle Zentrum des Kohlebergbaus und der Stahlerzeugung, kontrollierte. Doch 1947 begannen die Gewerkschaftsführer und insbesondere Hans Böckler, eine andere Lösung für die Arbeitsbeziehungen zu entwickeln, die ebenfalls auf Ideen aus den 1920er Jahren zurückging, nämlich eine direkte Beteiligung der Arbeitnehmer an den Entscheidungsprozessen in einem bestimmten Unternehmen. Ziel war es, eine paritätische Vertretung in den Aufsichtsräten der großen Unternehmen zu erreichen, bei der eine gleiche Anzahl von Arbeitnehmern neben den Vertretern der Aktionäre saß. Um Einfluss auf die eigentliche Geschäftsführung zu nehmen, sollte ein „Arbeiterdirektor“ mit gleicher Stimme in den Vorstand berufen werden. Dieses Modell gefiel den britischen Vertretern im Ruhrgebiet, und so wurde es 1947 gegen den Widerstand der Arbeitgeber in der Kohle- und Stahlindustrie eingeführt.
Das neue System funktionierte recht gut, bis 1949 die Bundesrepublik gegründet wurde und das Parlament die Verantwortung für die Verkündung von Gesetzen übernahm. So war es nicht verwunderlich, dass die Arbeitgeber ein Gesetz einführen wollten, das das Mitbestimmungsmodell für Kohle und Stahl von 1947 abschaffte. Die Gewerkschaften hingegen wollten dieses Modell auf alle Branchen ausweiten. Aus Sorge vor einer großen Konfrontation zwischen den beiden Seiten nahm der Arbeitgeberverband Gespräche mit Böckler auf, um eine Kompromisslösung zu finden. Als diese Gespräche scheiterten, eskalierte der Konflikt auf Seiten der Arbeitgeber. Die Gewerkschaften reagierten darauf mit der Androhung eines großen Streiks. An diesem kritischen Punkt schaltete sich Bundeskanzler Konrad Adenauer ein und brachte schließlich einen Kompromiss zustande, der im Mai 1951 in das Gesetzbuch aufgenommen wurde. Das „Modell Kohle und Stahl“ wurde in der Schwerindustrie des Ruhrgebiets beibehalten, doch mussten die Gewerkschaften ihr Ziel aufgeben, dieses Modell für den Rest der westdeutschen Industrie einzuführen. Stattdessen bekamen sie als Trostpreis das Betriebsverfassungsgesetz von 1952, das ebenfalls in diesem Kapitel zu finden ist.

Mitbestimmungsgesetz (21. Mai 1951)

Quelle

Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie.

Erster Teil

Allgemeines

§ 1

(1) Die Arbeitnehmer haben ein Mitbestimmungsrecht in den Aufsichtsräten und in den zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organen nach Maßgabe dieses Gesetzes in

(a) den Unternehmen, deren überwiegender Betriebszweck in der Förderung von Steinkohle, Braunkohle oder Eisenerz oder in der Aufbereitung, Verkokung, Verschwelung oder Brikettierung dieser Grundstoffe liegt und deren Betrieb unter der Aufsicht der Bergbehörden steht,

(b) den Unternehmen der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie in dem Umfang, wie er in Gesetz Nr. 27 der Alliierten Hohen Kommission vom 16. Mai 1950 (Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission für Deutschland S. 299) bezeichnet ist, soweit diese Unternehmen in „Einheitsgesellschaften“ im Sinne des Gesetzes Nr. 27 überführt oder in anderer Form weiterbetrieben und nicht liquidiert werden,

(c) den Unternehmen, die von einem vorstehend bezeichneten oder nach Gesetz Nr. 27 der Alliierten Hohen Kommission zu liquidierenden Unternehmen abhängig sind, wenn sie die Voraussetzungen nach Buchstabe a erfüllen oder überwiegend Eisen und Stahl erzeugen.

(2) Dieses Gesetz findet nur auf diejenigen in Absatz 1 bezeichneten Unternehmen Anwendung, welche in Form einer Aktiengesellschaft, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder einer bergrechtlichen Gewerkschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit betrieben werden und in der Regel mehr als eintausend Arbeitnehmer beschäftigen oder „Einheitsgesellschaften“ sind.

§ 2

Auf die in § 1 bezeichneten Unternehmen finden die Vorschriften des Aktiengesetzes, des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, der Berggesetze und des Betriebsverfassungsrechts insoweit keine Anwendung, als sie den Vorschriften dieses Gesetzes widersprechen.

Zweiter Teil

Aufsichtsrat

§ 3

(1) Betreibt eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder eine bergrechtliche Gewerkschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit ein Unternehmen im Sinne des § 1, so ist nach Maßgabe dieses Gesetzes ein Aufsichtsrat zu bilden.

(2) Auf den Aufsichtsrat, seine Rechte und Pflichten finden die Vorschriften des Aktienrechts sinngemäß Anwendung.

§ 4

Der Aufsichtsrat besteht aus elf Mitgliedern. Er setzt sich zusammen aus

a) vier Vertretern der Anteilseigner und einem weiteren Mitglied,

b) vier Vertretern der Arbeitnehmer und einem weiteren Mitglied,

c) einem weiteren Mitglied.

Die in Absatz 1 bezeichneten weiteren Mitglieder dürfen nicht

a) Repräsentant einer Gewerkschaft oder einer Vereinigung der Arbeitgeber oder einer Spitzenorganisation dieser Verbände sein oder zu diesen in einem ständigen Dienst- oder Geschäftsbesorgungsverhältnis stehen,

b) im Laufe des letzten Jahres vor der Wahl eine unter Buchstabe a bezeichnete Stellung innegehabt haben,

c) in den Unternehmen als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber tätig sein,

d) an dem Unternehmen wirtschaftlich wesentlich interessiert sein.

(3) Alle Aufsichtsratsmitglieder haben die gleichen Rechte und Pflichten. Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden.

§ 5

Die in § 4 Abs. 1 Buchstabe a bezeichneten Mitglieder des Aufsichtsrats werden durch das nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern berufene Organ (Wahlorgan) nach Maßgabe der Satzung oder des Gesellschaftsvertrags gewählt. Im Falle der Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 88 des Aktiengesetzes darf deren Gesamtzahl ein Drittel der Vertreter der Anteilseigner nicht übersteigen.

§ 6

Unter den in § 4 Abs. 1 Buchstabe b bezeichneten Mitgliedern des Aufsichtsrats müssen sich ein Arbeiter und ein Angestellter befinden, die in einem Betriebe des Unternehmens beschäftigt sind. Diese Mitglieder werden dem Wahlorgan durch die Betriebsräte der Betriebe des Unternehmens nach Beratung mit den in den Betrieben des Unternehmens vertretenen Gewerkschaften und deren Spitzenorganisationen vorgeschlagen. Zur Aufstellung dieser Vorschläge bilden die Arbeitermitglieder und die Angestelltenmitglieder der Betriebsräte je einen Wahlkörper. Jeder Wahlkörper wählt in geheimer Wahl das auf ihn entfallende Mitglied.

Die nach Absatz 1 gewählten Personen sind vor Weiterleitung der Vorschläge an das Wahlorgan innerhalb von zwei Wochen nach der Wahl den Spitzenorganisationen mitzuteilen, denen die in den Betrieben des Unternehmens vertretenen Gewerkschaften angehören. Jede Spitzenorganisation kann binnen zwei Wochen nach Zugang der Mitteilung Einspruch bei den Betriebsräten einlegen, wenn der begründete Verdacht besteht, daß ein Vorgeschlagener nicht die Gewähr bietet, zum Wohle des Unternehmens und der gesamten Volkswirtschaft verantwortlich im Aufsichtsrat mitzuarbeiten. Lehnen die Betriebsräte den Einspruch mit einfacher Stimmenmehrheit ab, so können die Betriebsräte oder die Spitzenorganisation, welche den Einspruch eingelegt hat, den Bundesminister für Arbeit anrufen; dieser entscheidet endgültig.

Zwei der in § 4 Abs. 1 Buchstabe b bezeichneten Mitglieder werden von den Spitzenorganisationen nach vorheriger Beratung mit den im Betriebe vertretenen Gewerkschaften und den Betriebsräten dem Wahlorgan vorgeschlagen. Die Spitzenorganisationen sind nach dem Verhältnis ihrer Vertretung in den Betrieben vorschlagsberechtigt; sie sollen bei ihren Vorschlägen die innerhalb der Belegschaften bestehenden Minderheiten in angemessener Weise berücksichtigen.

Für das in § 4 Abs. 1 Buchstabe b bezeichnete weitere Mitglied gilt Absatz 3 entsprechend.

Das Wahlorgan ist an die Vorschläge der Betriebsräte und der Spitzenorganisationen gebunden.

§ 7

Gehören dem Aufsichtsrat länger als drei Monate weniger als fünf nach § 5 oder weniger als fünf nach § 6 zu wählende Mitglieder an, so gilt § 89 des Aktiengesetzes entsprechend.

§ 8

Das in § 4 Abs. 1 Buchstabe c bezeichnete weitere Mitglied des Aufsichtsrats wird durch das Wahlorgan auf Vorschlag der übrigen Aufsichtsratsmitglieder gewählt. Der Vorschlag wird durch diese Aufsichtsratsmitglieder mit Mehrheit aller Stimmen beschlossen. Er bedarf jedoch der Zustimmung von mindestens je drei Mitgliedern, die nach § 5 und die nach § 6 gewählt sind.

Kommt ein Vorschlag nach Absatz 1 nicht zustande oder wird eine vorgeschlagene Person nicht gewählt, so ist ein Vermittlungsausschuß zu bilden, der aus vier Mitgliedern besteht. Je zwei Mitglieder werden von den nach § 5 und den nach § 6 gewählten Aufsichtsratsmitgliedern gewählt.

Der Vermittlungsausschuß schlägt innerhalb eines Monats dem Wahlorgan drei Personen zur Wahl vor, aus denen das Wahlorgan das Aufsichtsratsmitglied wählen soll. Kommt die Wahl auf Grund des Vorschlages des Vermittlungsausschusses aus wichtigen Gründen nicht zustande, insbesondere dann, wenn keiner der Vorgeschlagenen die Gewähr für ein gedeihliches Wirken für das Unternehmen bietet, so muß die Ablehnung durch Beschluß festgestellt werden. Dieser Beschluß muß mit Gründen versehen sein, über die Berechtigung der Ablehnung der Wahl entscheidet auf Antrag des Vermittlungsausschusses das für das Unternehmen zuständige Oberlandesgericht. Im Falle der Bestätigung der Ablehnung hat der Vermittlungsausschuß dem Wahlorgan drei weitere Personen vorzuschlagen; für diesen zweiten Vorschlag gilt die vorstehende Regelung (Sätze 2 bis 4) entsprechend. Wird die Ablehnung der Wahl von dem Gericht für unberechtigt erklärt, so hat das Wahlorgan einen der Vorgeschlagenen zu wählen. Wird die Ablehnung der Wahl aus dem zweiten Wahlvorschlag von dem Gericht für berechtigt erklärt, oder erfolgt kein Wahlvorschlag, so wählt das Wahlorgan von sich aus das weitere Mitglied.

Wird die in Absatz 2 vorgesehene Anzahl von Mitgliedern des Vermittlungsausschusses nicht gewählt, oder bleiben Mitglieder des Vermittlungsausschusses trotz rechtzeitiger Einladung ohne genügende Entschuldigung einer Sitzung fern, so kann der Vermittlungsausschuß tätig werden, wenn wenigstens zwei Mitglieder mitwirken.

§ 9

Bei Gesellschaften mit einem Nennkapital von mehr als zwanzig Millionen Deutsche Mark kann durch Satzung oder Gesellschaftsvertrag bestimmt werden, daß der Aufsichtsrat aus fünfzehn Mitgliedern besteht. Die Vorschriften der §§ 4 bis 8 finden sinngemäß Anwendung mit der Maßgabe, daß die Zahl der gemäß § 6 Abs. 1 und 2 zu wählenden Arbeiter zwei, die Zahl der in § 6 Abs. 3 bezeichneten Vertreter der Arbeitnehmer drei beträgt.

Bei Gesellschaften mit einem Nennkapital von mehr als fünfzig Millionen Deutsche Mark kann durch Satzung oder Gesellschaftsvertrag bestimmt werden, daß der Aufsichtsrat aus einundzwanzig Mitgliedern besteht. Die Vorschriften der §§ 4 bis 8 finden sinngemäß Anwendung mit der Maßgabe, daß die Zahl der in § 4 Abs. 1 Buchstaben a und b bezeichneten weiteren Mitglieder je zwei, die Zahl der gemäß § 6 Abs. 1 und 2 zu wählenden Arbeiter drei und die Zahl der in § 6 Abs. 3 bezeichneten Vertreter der Arbeitnehmer vier beträgt.

§ 10

Der Aufsichtsrat ist beschlußfähig, wenn mindestens die Hälfte seiner Mitglieder anwesend ist.

§ 11

Auf die in § 5 bezeichneten Mitglieder des Aufsichtsrats finden §§ 87 Abs. 2, 88 Abs. 4 des Aktiengesetzes Anwendung.

Auf die in § 6 bezeichneten Mitglieder des Aufsichtsrats findet § 87 Abs. 2 des Aktiengesetzes mit der Maßgabe Anwendung, daß die Abberufung auf Vorschlag derjenigen Stelle erfolgt, auf deren Vorschlag das Aufsichtsratsmitglied gewählt wurde.

Eine Abberufung des in § 8 bezeichneten Mitgliedes des Aufsichtsrats kann auf Antrag von mindestens drei Aufsichtsratsmitgliedern durch das Gericht aus wichtigem Grunde erfolgen.

Dritter Teil

Vorstand

§ 12

Die Bestellung der Mitglieder des zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organs und der Widerruf ihrer Bestellung erfolgen nach Maßgabe des § 75 des Aktiengesetzes durch den Aufsichtsrat.

§ 13

Als gleichberechtigtes Mitglied des zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organs wird ein Arbeitsdirektor bestellt. Der Arbeitsdirektor kann nicht gegen die Stimmen der Mehrheit der nach § 6 gewählten Aufsichtsratsmitglieder bestellt werden. Das gleiche gilt für den Widerruf der Bestellung.

Der Arbeitsdirektor hat wie die übrigen Mitglieder des zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organs seine Aufgaben im engsten Einvernehmen mit dem Gesamtorgan auszuüben. Das Nähere bestimmt die Geschäftsordnung.

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Quelle: Bundesgesetzblatt I, 1951, 23. Mai 1951, S. 347–350.
Online verfügbar unter: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl151024.pdf%27%5D__1694726471010