Kurzbeschreibung

Wie in der Korrespondenz zwischen Konrad Adenauer und Hans Böckler erwähnt, bewahrte der Kompromiss, den Bundeskanzler Adenauer 1950/51 aushandelte, die paritätische Mitbestimmung für die Kohle- und Stahlindustrie, aber nicht darüber hinaus. Gleichzeitig waren die Sozialpartner und die Politik bestrebt, ein Gesetz zu schaffen, das den Arbeitnehmern und ihren Vertretern ein gewisses Maß an Mitbestimmung bei der Leitung und Entwicklung von Unternehmen aller Größenordnungen einräumte. Dementsprechend wurde ein Betriebsverfassungsgesetz ausgearbeitet und schließlich am 14. Oktober 1952 in das Gesetzbuch aufgenommen. Nach einigen allgemeinen einleitenden Bestimmungen wird in den folgenden Auszügen auf die Zusammensetzung und die Wahlmodalitäten eines Betriebsrats eingegangen. Der dritte Abschnitt regelt die Geschäftsordnung des Betriebsrats, gefolgt von einem vierten Abschnitt, der die Rechte und Pflichten des Betriebsrats zusammenfasst und Soziales sowie Personal- und Wirtschaftsfragen behandelt. Abschnitt 5 schließlich befasst sich mit der Vorschrift, dass ein Drittel der Mitglieder des Aufsichtsrats Angestellte und Arbeiter sein müssen. Im Rückblick lässt sich sagen, dass das Betriebsverfassungsgesetz den Arbeitnehmern wichtige Informations- und Anhörungsrechte einräumte und zusammen mit dem Montanmitbestimmungsgesetz allgemein als ein System angesehen wird, das dazu beitrug, Kompromisse zwischen „Arbeit und Kapital“ zu schmieden. Es erleichterte die Beilegung von Arbeitskonflikten, bevor die Gewerkschaften zu Streiks und die Arbeitgeber anschließend zu Aussperrungen griffen. Kurz gesagt, das System sicherte den relativen Frieden, den Westdeutschland in den Nachkriegsjahrzehnten genoss, wenn man es zum Beispiel mit Großbritannien vergleicht, wo die Kluft zwischen Arbeitnehmern und -gebern fortbestand und niemals irgendeine Form der Mitbestimmung eingeführt wurde. Auch gab es in Großbritannien keine „Partnerschafts“-Ideologie, die von liberalen Unternehmern und dem Arbeitgeberverband, der für die Aushandlung von Löhnen und Arbeitsbedingungen auf der Ebene der einzelnen Bundesländer zuständig war, gefördert wurde.

Betriebsverfassungsgesetz (11. Oktober 1952.)

Quelle

ERSTER TEIL

Allgemeine Vorschriften

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In den Betrieben werden Betriebsräte nach Maßgabe dieses Gesetzes gebildet.

§ 2

Die Aufgaben der Gewerkschaften und der Vereinigungen der Arbeitgeber werden durch dieses Gesetz nicht berührt.

ZWEITER TEIL

Der Betriebsrat

ERSTER ABSCHNITT

Zusammensetzung und Wahl

§ 6

Wahlberechtigt sind alle Arbeitnehmer, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und itn Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte sind.

§ 7

Wählbar sind alle Wahlberechtigten, die das 21. Lebensjahr vollendet haben, ein Jahr dem Betrieb angehören und das Wahlrecht für den Deutschen Bundestag besitzen. Von den Voraussetzungen der einjährigen Betriebsangehörigkeit und des Wahlrechts für den Deutschen Bundestag kann in Ausnahmefallen Abstand genommen werden, wenn zwischen der Mehrheit der Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber hierüber eine Verständigung herbeigeführt wird.

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§ 9

Der Betriebsrat besteht in Betrieben mit In der Regel

5 bis 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern aus einer Person (Betriebsobmann),
21 Wahlberechtigten bis 50 Arbeitnehmern aus 3 Mitgliedern,

51 bis 150 Arbeitnehmern aus 5 Mitgliedern,
151 bis 300 Arbeitnehmern aus 7 Mitgliedern,
301 bis 600 Arbeitnehmern aus 9 Mitgliedern,
601 bis 1000 Arbeitnehmern aus 11 Mitgliedern,
1001 bis 2000 Arbeitnehmern aus 13 bis 17 Mitgliedern,
2001 bis 3000 Arbeitnehmern aus 15 bis 19 Mitgliedern,
3001 bis 4000 Arbeitnehmern aus 17 bis 23 Mitgliedern,
4001 bis 5000 Arbeitnehmern aus 19 bis 25 Mitgliedern,
5001 bis 7000 Arbeitnehmern aus 21 bis 29 Mitgliedern,
7001 bis 9000 Arbeitnehmern aus 23 bis 31 Mitgliedern,
über 9000 Arbeitnehmern aus 25 bis 35 Mitgliedern.

§ 10

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(4) Die Geschlechter sollen innerhalb der Gruppen entsprechend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis vertreten sein.

§ 13

(1) Der Betriebsrat wird in geheimer und unmittelbarer Wahl gewählt.

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§ 19

(1) Die Wahl des Betriebsrats darf von niemand behindert werden. Insbesondere darf kein Arbeitnehmer in der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts beschränkt werden.

Die Wahl des Betriebsrats darf nicht durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflußt werden.

Die sächlichen Kosten der Wahl trägt der Arbeitgeber. Notwendige Versäumnis von Arbeitszeit infolge Ausübung des Wahlrechts, der Teilnahme an der in §16 genannten Betriebsversammlung oder der Betätigung im Wahlvorstand berechtigt den Arbeitgeber nicht zur Minderung des Arbeitsentgelts.

§ 20

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(2) Die Arbeitnehmer unter 18 Jahren wählen in Betrieben, in denen mindestens fünf Jugendliche beschäftigt sind, eine Jugendvertretung. Diese besteht in Betrieben mit

5 bis 50 jugendlichen Arbeitnehmern aus einem Jugendvertreter,
51 bis 100 jugendlichen Arbeitnehmern aus 3 Jugendverlretern,
mehr als 100 jugendlichen Arbeitnehmern aus 5 Jugendvertretern.

Als Jugendvertreter können Arbeitnehmer des Betriebs vom vollendelen 16. bis zum vollendeten 24. Lebensjahr gewählt werden. Absatz 1 Sätze 2 und 3 gelten entsprechend.

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DRITTER ABSCHNITT

Geschäftsführung

§ 27

(1) Der Betriebsrat wählt aus seiner Mitte den Vorsitzenden und dessen Stellvertreter. Besteht der Betriebsrat aus Vertretern beider Gruppen, so sollen der Vorsitzende und sein Stellvertreter nicht der gleichen Gruppe angehören.

(2) Der Vorsitzende des Betriebsrats oder im Falle seiner Verhinderung sein Stellvertreter vertreten den Betriebsrat im Rahmen der von ihm gefaßten Beschlüsse.

§ 28

Hat der Betriebsrat elf oder mehr Mitglieder, so wählt er aus seiner Mitte mit einfacher Stimmenmehrheit drei Ausschußmitglieder. Die Ausschußmitglieder bilden zusammen mit dem Vorsitzenden und dem stellvertretenden Vorsitzenden den Betriebsausschuß. Dieser führt die laufenden Geschäfte. Der Betriebsausschuß muß aus Angehörigen der im Betriebsrat vertretenen Gruppen (§ 10) bestehen.

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§ 37

(1) Die Mitglieder des Betriebsrats führen ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt.

(2) Versäumnis von Arbeitszeit, die nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsmäßigen Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist, berechtigt den Arbeitgeber nicht zur Minderung des Arbeitsentgelts.

(3) Mitglieder des Betriebsrats sind von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellen, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsmäßigen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist.

VIERTER TEIL

Mitwirkung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer

Erster Abschnitt

Allgemeines

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§ 51

Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, daß alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere, daß jede unterschiedliche Behandlung von Personen wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts unterbleibt. Arbeitgeber und Betriebsrat haben jede parteipolitische Betätigung im Beirieb zu unterlassen.

§ 52

(1) Die gemeinsam mit dem Betriebsrat gefaßten Beschlüsse führt der Arbeitgeber durch, es sei denn, daß etwas anderes im Einzelfalle vereinbart ist. Der Betriebsrat darf nicht durch einseitige Handlungen in die Betriebsleitung eingreifen.

(2) Die Betriebsvereinbarungen werden durch Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam beschlossen. Sie sind schriftlich niederzulegen, von beiden Seiten zu unterzeichnen, durch den Arbeitgeber an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen und in gut leserlichem Zustand zu erhalten.

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§ 54

Der Betriebsrat hat folgende allgemeine Aufgaben:
a) Maßnahmen, die dem Betrieb und der Belegschaft dienen, beim Arbeitgeber zu beantragen;

b) darüber zu wachen, daß die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden;

c) Beschwerden von Arbeitnehmern entgegenzunehmen und, falls sie berechtigt erscheinen, durch Verhandlung mit dem Arbeitgeber auf ihre Abstellung hinzuwirken;

d) die Eingliederung Schwerbeschädigter und sonstiger besonders schutzbedürftiger Personen in den Betrieb zu fördern.

(2) Dem Betriebsrat sind auf Verlangen die zur Durchführung seiner Aufgaben nach Absatz 1 Buchstabe b erforderlichen Unterlagen vorzulegen.

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ZWEITER ABSCHNITT

Soziale Angelegenheiten

§ 56

Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten milzubesthumen:

a) Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen;

b) Zeit und Ort der Auszahlung der Arbeitsentgelte;

c) Aufstellung des Urlaubsplans;

d) Durchführung der Berufsausbildung;

e) Verwaltung von Wohlfahrtseinrichtungen, deren Wirkungsbereich auf den Betrieb oder das Unternehmen beschränkt ist, ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform;

f) Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb;

g) Regelung von Akkord- und Stücklohnsätzen;

h) Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und Einführung von neuen Entlohnungsmethoden.

(2) Ist eine Übereinstimmung über die vorstehenden Fragen nicht zu erzielen, so entscheidet die Einigungsstelle verbindlich, soweit eine Regelung nach § 50 Abs. 3 nicht zustande kommt.

§ 57

Durch Betriebsvereinbarung können insbesondere geregelt werden:

Maßnahmen zur Verhütung von Betriebs­unfällen und Gcsundheitssdiädigungen;

bj Errichtung von Wohlfahrtseinrichtungen, deren Wirkungsbereich auf den Betrieb oder das Unternehmen beschränkt ist, ohne Rücksicht auf ihre Rechlsform.

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DRITTER ABSCHNITT

Personelle Angelegenheiten

§ 60

(1) In Betrieben mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern hat der Betriebsrat nach Maßgabe der Vorschriften dieses Abschnitts in personellen Angelegenheiten mitzuwirken und mitzubestimmen,

(2) Personelle Angelegenheiten im Sinne dieses Gesetzes sind:

Einstellungen, Umgruppierungen, Versetzungen und Entlassungen.

(3) Als Versetzung gilt nicht die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes innerhalb der gleichen selbständigen Betriebsabteilung oder des gleichen Betriebs am selben Ort bei gleichen Arbeitsbedingungen, wenn damit eine Schlechterstellung des Arbeitnehmers nicht verbunden ist. Werden Arbeitnehmer nach der Eigenart ihres Arbeitsverhältnisses üblicherweise nicht ständig am gleichen Ort beschäftigt, so gilt die Bestimmung des Ortes, an dem jeweils die Arbeit zu leisten ist, nicht als Versetzung im Sinne dieses Gesetzes. Das Nähere kann durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung bestimmt werden.

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§ 66

(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören.

Ist zu erwarten, daß in Betrieben

a) mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 50 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer,

b) mit in der Regel mindestens 50 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 vom Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer,

c) mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 50 Arbeitnehmer eingestellt werden können oder entlassen werden müssen, so hat der Arbeitgeber dies so früh wie möglich dem Betriebsrat mitzuteilen und mit ihm über Art und Umfang der erforderlichen Einstellungen oder Entlassungen sowie über die Vermeidung von Härten bei Entlassungen zu beraten

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VIERTER ABSCHNITT

Wirtschaftliche Angelegenheiten

§ 67

Um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Unternehmer zu fördern und eine gegenseitige Unterrichtung in wirtschaftlichen Angelegenheiten sicherzustellen, wird in allen Unternehmen mit in der Regel mehr als einhundert ständigen Arbeitnehmern ein Wirtschaftsausschuß gebildet.

Der Wirtschaftsausschuß hat Anspruch auf Unterrichtung über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens an Hand der Unterlagen, soweit dadurch nicht die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens gefährdet werden. Die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses haben über Angelegenheiten, die die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens berühren können, Stillschweigen zu bewahren.

Zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten im Sinne des Absatzes 2 gehören:

a) Fabrikations- und Arbeitsmethoden;

b) das Produktionsprogramm;

c) die wirtschaftliche Lage des Unternehmens;

d) die Produktions- und Absatzlage;

e) sonstige Vorgänge, welche die Interessen der Arbeitnehmer des Unternehmens wesentlich berühren.

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§ 72

(1) Bei geplanten Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, hat der Betriebsrat in Betrieben mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern ein Mitbestimmungsrecht. Als Betriebsänderungen im Sinne des Satzes 1 gelten:

a) Einschränkung und Stillegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen;

b) Verlegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen;

c) Zusammenschluß mit anderen Betrieben;

d) grundlegende Änderungen des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen, soweit sie nicht offensichtlich auf einer Veränderung der Marktlage beruhen;

e) Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden, soweit sie nicht offensichtlich dem technischen Fortschritt entsprechen oder ihm dienen.

(2) Kommt ein Interessenausgleich nicht zustande, so kann der Unternehmer oder der Betriebsrat eine behördliche Stelle um Vermittlung ersuchen. Geschieht dies nicht oder bleibt der Vermittlungsversuch ergebnislos, so kann der Unternehmer oder der Betriebsrat eine Vermittlungsstelle anrufen, die, wenn nichts anderes vereinbart wird, aus zwei Beisitzern und einem unparteiischen Vorsitzenden besteht. Je ein Beisitzer wird vom Unternehmer und dem Betriebsrat bestellt und nach Möglichkeit aus dem Personenkreis der Betriebsangehörigen entnommen. Über die Person des Vorsitzenden sollen beide Seilen sich einigen. Kommt eine Einigung nicht zustande, so bestellt den Vorsitzenden der Oberlandesgerichtspräsident. § 50 Abs. 4 Satz 3 sowie die §§ 53 und 55 gelten entsprechend.

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FÜNFTER ABSCHNITT

Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat

§ 76

(1) Der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien muß zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer bestehen.

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Quelle: Bundesgesetzblatt Nr. 43, Bonn, 14. Oktober 1952, S. 681–694.
Online verfügbar unter: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl152s0681.pdf%27%5D__1695244327396