Quelle
Die öffentliche Reaktion auf die Nürnberger Prozesse
Befragte: 2983 Befragte in der amerikanischen Zone.
Untersuchungszeitraum: 4. Oktober 1946 (5 Seiten).
Gegen Ende Februar 1946 sank das öffentliche Interesse an den Prozessen, ein Trend, der sich im März und bis in den April hinein fortsetzte. Das Interesse der Leser von Zeitungsberichten über die Prozesse erhöhte sich, als im August 1946 deren baldiges Ende angekündigt wurde. Nach der Urteilsverkündung war das öffentliche Interesse fast ebenso groß wie zu Beginn: 93 Prozent der Bevölkerung gaben an, über die Urteile gehört zu haben.
Die meisten Menschen waren zufrieden mit der Vollständigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Zeitungsberichte. Die Unzufriedenen warfen den Berichten eher Unvollständigkeit als Ungenauigkeit vor.
Allgemein war man der Meinung, der Prozess sei fair und geordnet abgelaufen. Als die Urteile im Oktober 1946 verkündet wurden, war die Zahl jener, die den Prozess für gerecht und geordnet hielten, ebenso hoch wie die Zahl jener, die im Vorjahr mit einem fairen Prozess gerechnet hatten.
Sieben von zehn (71%) hielten die vor Gericht stehenden Angeklagten nicht für die einzigen Schuldigen. Nach den Urteilssprüchen waren ebenso viele (43%) der Meinung, auch die niedrigeren Chargen sollten vor Gericht gestellt werden, wie jene, die meinten, es würde ausreichen, nur die Oberen zu bestrafen. Drei von vier (77%) waren der Meinung, dass den Funktionären der NSDAP eine größere Verantwortung für das Hitler-Regime zukomme als jenen, die keine Funktionen bekleidet hatten. Ein Drittel meinte, die Parteimitglieder der Zeit vor 1937 trügen eine größere Schuld an den Handlungen der Partei. Nur 18 Prozent hielten jene, die nach 1937 Parteimitglieder wurden, für schuldiger. Ein Drittel sah keinen Unterschied im Ausmaß der Schuld zwischen den beiden Gruppen.
Die Mehrheit der AMZON-Deutschen (92%) lehnte eine kollektive Kriegsschuld ab. Eine Mehrheit (51%) war jedoch der Meinung, dass die Deutschen wegen ihrer Unterstützung des Hitler-Regimes wenigstens teilweise für dessen Handlungen mitverantwortlich seien.
Im August 1946 hielt nur ungefähr die Hälfte alle Angeklagten für schuldig, während im Dezember 1945 und im März 1946 noch 70 Prozent dieser Meinung waren. Nach der Urteilsverkündung hielten 60 Prozent keines der Urteile für zu hart.
Mehrheiten (57 Prozent im November 1945, 60 Prozent im Januar 1946 und 59 Prozent im Oktober 1946) befürworteten die Anklageerhebung gegen ganze Organisationen, wie SA, SS und Generalstab. Obwohl eine beträchtliche Minderheit mit einer Anklage gegen diese Organisationen nicht einverstanden war, sprachen sich nur wenige dagegen aus, Gestapo, Reichskabinett und oberste NSDAP-Führung vor Gericht zu stellen.
Nach der Urteilsverkündung befragt, was sie durch den Prozess gelernt hatten, verwiesen 30 Prozent auf die Gefahren von Diktatur und einseitger Politik und sprachen sich für Vorsicht bei der Wahl künftiger Staatsmänner aus. Ein Viertel (25%) betonte die Friedenserhaltung als Lehre aus dem Prozess. Nur wenige (6%) äußerten sich negativ: Es gebe keine Gerechtigkeit, man bestrafe nur die Deutschen, die Menschenrechte seien verletzt worden, man solle der Politik aus dem Weg gehen. Und mehr als ein Drittel (34%) konnte auf die Frage nach der Lehre aus den Prozessen keine klare Antwort geben. Die Hälfte (50%) sagte, sie sei sich der Unmenschlichkeit der Konzentrationslager bewusster geworden.
Quelle: A. J. und R. L. Merritt, Public Opinion in Occupied Germany, The OMGUS Surveys, Urbana, IL, 1970, S. 121–23.