Quelle
Das Ministerium für Arbeit und Soziales des Landes Thüringen an die Deutsche Wirtschaftskommission, Hauptabt. Arbeit und Sozialfürsorge
Erfurt, 7. Januar 1949
Durch statistische Erhebungen ist einwandfrei der Nachweis erbracht, daß zur Gestaltung eines gesunden Arbeitseinsatzes die Forcierung der Frauenarbeit mit zu den dringenden Aufgaben der Arbeitseinsatzverwaltung gehört. Um eine grössere Zahl von Frauen für den Arbeitsprozess zu gewinnen, ist es erforderlich, gewisse Voraussetzungen hierfür zu schaffen.
Propaganda. Durch entsprechende Propaganda auf breiter Grundlage unter Beteiligung sämtlicher an den Wirtschaftsfragen interessierten Stellen müsste die wirtschaftspolitische Notwendigkeit der Frauenarbeit so beleuchtet werden und durch regelmässig wiederkehrende Schlagbilder so populär werden, daß allmählich der Boden für diesen Gedanken vorbereitet wird, den wir für die Durchführung dieser Maßnahmen brauchen.
Abneigung brechen. Hierzu gehört auch eine entsprechende Aufklärungsarbeit, um die immer noch vorhandene Abneigung bei den Frauen selber zu brechen. Diese Arbeit dürfte zweckmäßigerweise von den Frauenorganisationen – DFD – auszuführen sein. Leider entspricht es der Mentalität der deutschen Frauen, ihren Aufgabenkreis nicht über den Rahmen der Familienbetreuung hinaus erweitern zu wollen. Man wird ihr daher einen gewissen Anreiz durch Vergünstigungen bieten müssen, die wiederum ihrem Haushalt zugute kommen.
Bevorzugte Versorgung mit Bedarfsgütern aller Art, Nahrungsmitteln, Haushaltsgegenständen, Textilien. Betriebsnahe Einkaufsstätten, ausreichende Waschanstalten, Nähstuben und Schuhreparaturwerkstätten müssen geschaffen werden, was wiederum Aufgabe des FDGB wäre.
Kindergärten. Erweiterung und Verbesserung des Kindergartenwesens, der kommunalen sowie Betriebskindergärten, Heim- und Kindertagesstätten. Von besonderer Wichtigkeit ist hier die Versorgung der Kinder mit einer warmen Mittagsmahlzeit und Anpassung der Öffnungszeiten an die Arbeitszeit der Frauen. Hierbei könnte, was die Betriebskindergärten anbelangt, derselbe Weg beschritten werden, wie bei der Schaffung der Betriebspolikliniken. Entsprechend der Zahl der beschäftigten Frauen und der vorhandenen Kinder wäre bei allen Betrieben von einer bestimmten Belegschaftsstärke an ein Betriebskindergarten zu errichten.
Belieferung der Lebensmittelkarten. Eine termingemäße Belieferung mit Lebensmittelkarten würde sehr wesentlich zu einer erleichterten Haushaltsführung beitragen, wie überhaupt die Lebensmittelkartengruppe 3 für alle Schaffenden der beste Anreiz für die noch abseits stehenden Frauen wäre. Diese Tatsache konnte bereits festgestellt werden, als es seinerzeit die Karte 6 für Nichtbeschäftigte gab.
Erziehung der Betriebe. Ebenso wesentlich wie die Erziehung der Menschen ist es, den Widerstand der Betriebe zu brechen. Die Bereitschaft der Frauen allein wird nicht zum Erfolg führen, so lange die Betriebe die Frage des Fraueneinsatzes ablehnen und vor allem von der Beschäftigung älterer Frauen nichts wissen wollen. Nötigenfalls wird vorgeschlagen, den Betrieben ein Beschäftigungssoll aufzuerlegen, wie es bereits mit Jugendlichen geschehen ist. Eine Erhebung ist z.Zt. im Gange zwecks Erstellung von Richtzahlen.
Reserven. Sodann ist notwendig festzustellen, wo die Reserven liegen und welche Berufe zur Verfügung stehen.
Betriebsverlagerungen werden sich als notwendig erweisen, um die Arbeitszeit an die in den entlegenen Ortschaften wohnenden Frauen heranzutragen. Angesichts der geringen Ausgleichsmöglichkeiten der familiengebundenen Frauen ist diesem Vorschlag besondere Beachtung zu schenken.
Im Auftrag
Wagenhaus, Regierungsrat
Quelle: BArch, DQ 2/2072, Ausfertigung; abgedruckt in Udo Wengst und Hans Günther Hockerts, Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland. Bd. 2/2: 1945–1949: Die Zeit der Besatzungszonen. Sozialpolitik zwischen Kriegsende und der Gründung zweier deutscher Staaten. Dokumente. Baden-Baden: Nomos, 2001, S. 555–56.