Kurzbeschreibung

Die Feindseligkeit zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten saß während des Kalten Krieges tief; das Misstrauen zwischen den beiden Ländern prägt die Beziehungen noch heute. Die Opposition gegenüber Castro und seiner Revolution begann, sobald Castro den von den USA unterstützten kubanischen Diktator Fulgencio Batista stürzte (obwohl die USA Batista langsam die Unterstützung entzogen, als seine Regierung immer korrupter und brutaler und Castro immer populärer wurde). Kubas Ausbau der Beziehungen zur Sowjetunion führte in den USA zu Angst und Schrecken – ein sowjetischer Verbündeter 90 Meilen vor der US-Küste „gefährdete das Überleben der Vereinigten Staaten“, so Botschafter Spruille Braden. Der Kongressabgeordnete Mendel Rivers verglich das Wachstum des Kommunismus in Kuba mit einem Krebsgeschwür, das sich unkontrolliert ausbreiten könnte, während CIA-Direktor John McCone warnte, dass der Rest Lateinamerikas fallen würde, wenn Kuba Erfolg hätte. Die Existenz eines von der Sowjetunion unterstützten kommunistischen Landes, das keine 100 Meilen von den USA entfernt war, bereitete den USA große Sorgen und war während des gesamten Kalten Krieges eine ständige Quelle der Spannung. Diese Spannungen griffen auch auf die internationalen Beziehungen anderer Länder über, wie dieser Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berichtet. Die Ostblockländer versuchten, die Kluft zwischen den beiden Ländern auszunutzen, und die amerikanischen Verbündeten in Europa (wie Westdeutschland) befürchteten, dass die besondere Aufmerksamkeit, die Amerika Kuba schenkte, die Aufmerksamkeit von ihnen ablenken würde – wie es in dem Artikel heißt, war alles, was die Aufmerksamkeit der größten westlichen Macht von Berlin ablenkte, ein Grund zur Sorge.

Was geht uns Fidel Castro an? (9. Juni 1960)

Quelle

Was Formosa für Rotchina ist, kann Kuba für die Vereinigten Staaten werden — eine strategische Bedrohung. Die Entfernungen der beiden Inseln von dem jeweiligen Festland, dem sie vorgelagert sind, sind annähernd gleich. Beide haben im Zeitalter der Fernraketen für den, der hier Stützpunkte unterhält, die gegen den benachbarten Kontinent wirken sollen, einzigartige militärische Bedeutung. Auch, für das Politische lassen sich Parallelen finden. Der Wert von Formosa beruht für die westliche Welt mit darauf, daß vor der Haustür der chinesischen Kommunisten eine Gruppe von Menschen eine andere politische Meinung vertreten kann. Für die Kommunisten könnte umgekehrt ein Kuba, das seine rote Fahne vor den Küsten Amerikas aufpflanzte, ebenfalls als wichtiger „geistiger“ Vorposten angesehen werden. Und um diesen Vergleich zwischen den Inseln fortzuführen: Sowenig wie Rotchina auf militärischem Weg die unangenehme Bastion Formosa beseitigen kann, ohne die Welt mit dem Risiko eines Krieges zu konfrontieren, so wenig könnten amerikanische Marinetruppen ohne Gefahr für den Weltfrieden politische Entwicklungen in Kuba verhindern, die die Zuckerinsel in den roten Machtbereich führten.

Die Einladung Chruschtschows nach Havanna, die Absicht der kubanischen Regierung, Rotchina anzuerkennen und das Bestreben, die politischen und wirtschaftlichen Verbindungen mit dem roten Block zu verstärken, haben die Karibische See zu einer gefährlichen Wetterecke werden lassen. Nun sind die amerikanisch-kubanischen Beziehungen seit langem auf einem Tiefstand. Der kubanische Regierungschef hat die prowestlichen und maßvollen Männer aus seiner Umgebung entfernt. Sein wichtigster Berater neben seinem Bruder Raul — dem niemand in Amerika traut — ist der weit links stehende Major Guevara. Dieser Argentinier ist zum Stellvertreter Castros avanciert und Gouverneur der Bank von Kuba geworden. „Kubas großer Freund ist die Sowjetunion.“ Das ist die feste Überzeugung Guevaras, der er gerade in diesen Tagen wieder in einer der endlosen Fernsehsendungen viele Male Ausdruck gab. Er hat Mikojans Besuch eingeleitet; das Angebot eines Kredits der Sowjetunion von hundert Millionen Dollar an Kuba sowie die rotchinesischen Zuckerbestellungen richten sich an ihn und sollen seiner radikalen Einstellung schmeicheln. Die kubanische Politik besteht also nicht nur aus politischen Schachzügen mit wirtschaftlichen Hintergedanken, sie ist Ausdruck einer geistigen Haltung.

Dennoch kann man unterstellen, daß der Regierungschef, dessen bartumrahmtes Gesicht manchmal einem Heiligenbild gleicht, selbst keineswegs Kommunist im klassischen Sinn ist. Aber in Kuba geht die Logik andere Wege als bei uns. Die radikale Linie der Regierung Castro nährt sich aus verschiedenen Wurzelsträngen. Die Kubaner haben aus der jüngsten Geschichte einen beachtlichen Minderwertigkeitskomplex zurückbehalten. Erst kämpften sie mühsam gegen das spanische Mutterland um primitivste Grundrechte. Dann erdrückte sie wirtschaftlich der Riese aus dem Norden, dem sie zwar die erste Befreiung danken, der aber die soziale Revolution nicht bringen konnte. Seit Castro das blutige Regime Batista, das das offizielle Amerika bis zuletzt unterstützte, überwunden hat, will Kuba mit Raketenschnelle alles nachholen, was das 19. und 20. Jahrhundert ihm vorenthalten haben. Es führt einen Klassenkampf gegen den Reichtum auf der Ebene der Nationen. Nordamerika ist die Macht, an der sich der bisher sozial Unterdrückte als „Volksganzes“ jetzt reibt. Für feine Schattierungen hat man in Kuba wenig Sinn. Man ist entweder konservativ, was gleichbedeutend ist mit kolonialer Hörigkeit, wirtschaftlicher Abhängigkeit. Oder man ist fortschrittlich wie die Fidelistas. Fortschritt ist aber identisch mit Marxismus; daß es einen Sozialismus im Geiste einer englischen Labour-Partei gibt oder einen Sozialismus, wie ihn traditionsreiche nichtkommunistische Parteien in Europa kennen oder gar „Soziale Marktwirtschaft“, das geht den revolutionären Intellektuellen in Kuba nicht ein. Und Castro ist ein aufbegehrender Intellektueller. Schließlich findet man für den Radikalismus in Kuba noch eine weitere Erklärung. Der fast kindliche Trotz Amerika gegenüber muß aus der Sorge heraus begriffen werden, jedes Einlenken und jedes gute Wort an die Adresse Amerikas könnte als Schwäche des neuen Kubas ausgelegt werden.

Es war zu erwarten, daß der Ostblock die Chance, die sich aus der Entfremdung der beiden amerikanischen Nachbarn ergeben hat, nutzen werde. Das Abrutschen Kubas nach links kann unter diesen Umständen sowohl durch amerikanische wie russische Schritte beschleunigt werden. Da eine Revolution in Kuba nicht zu erwarten ist, wird der Weltkommunismus nicht nur den Nahen und den Fernen Osten weiter zu Unruheherden bestimmen; er wird sich auch im karibischen Raum die Einbruchslücke offenhalten wollen.

Die Vereinigten Staaten sind dadurch in eine beklemmende Lage gedrängt worden. Theoretisch können sie ein rotes Kuba nicht dulden, da es nicht nur ihre militärische Sicherheit bedroht, sondern zu einem politischen Druckmittel des Kreml mit einer noch nicht abzusehenden Wirkung werden kann. Doch jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten Kubas gefährdet zugleich die Beziehungen zu allen lateinamerikanischen Völkern. Was der französische Marschall Lyautey von der arabischen Welt sagte — sie sei mit einer Membrane zu vergleichen, die, wenn man sie irgendwo antippe, überall zu schwingen beginne —, gilt auch von den jungen Nationen in Mittel- und Südamerika. Aber wenn die Amerikaner nichts unternehmen und Kuba die Entwicklung einschlagen lassen, die zur Zeit befürchtet werden muß, beschwören sie ebenfalls eine Gefahr für sich herauf. Die Kommunisten haben dann dicht vor dem amerikanischen Kontinent eine Basis, von der sie die Offensive gegen die Mitte und den Süden des amerikanischen Kontinents vorbereiten können. Außerdem lebt Castro in dem Wahn, ein zweiter Bolivar werden zu können. Berücksichtigt man sein bisheriges Verhalten, so ist der Schluß erlaubt, daß er glaubt, die Sowjets, ohne selbst Schaden zu nehmen, für seine Interessen einspannen zu können. Die Kombination aber von kommunistischer Dynamik und willkürlicher Deutung der lateinamerikanischen Geschichte müßte für Nordamerika alarmierend wirken.

Für Europa dagegen wird Kuba deshalb auf gefährliche Weise interessant, weil es in den kommenden Monaten die besondere Aufmerksamkeit der Amerikaner fordern wird. Jede Ablenkung der größten Macht im westlichen Bündnis von Berlin verursacht unsere Sorge.

Quelle: Adelbert Weinstein, „Was geht uns Fidel Castro an?: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Juni 1960, S. 1.