Quelle
Als ich voriges Jahr im Oktober in Havanna aus dem Flugzeug stieg, glaubte ich, in ein Schwitzbad geraten zu sein. Flüchtige Bekannte von früher empfingen mich als aufmerksame, gute Freunde. Sie waren es auch, die alles taten, um mir ihre Revolution zu erklären, so daß ich bald vergaß, wie mir der Schweiß aus allen Poren lief.
Um einen Einblick in die Entwicklung Kubas seit der Vertreibung des Diktators Batista zu gewinnen, müßte ich mich mit der Bodenreform beschäftigen, sagten sie mir. „La reforma agraria va“, sie geht voran. „Werden auch die USA-Gesellschaften davon betroffen?“ fragte ich. „Warum nicht?“ antworteten sie.
Latifundien als Hemmschuh
Dann zeigten sie mir das Gesetz. Es stammt vom 17. Mai 1959 und wurde vom Ministerrat in der Sierra Maestra, in der Provinz Oriente begonnen, weil dort Fidel Castro den Kampf gegen die Diktatur begonnen hatte. Artikel 1 des Gesetzes lautet:
„Die Latifundie ist verboten. Keine lebende oder juristische Person darf mehr als 30 Caballerias Boden besitzen. Die Flächen, die dieses Maximum überschreiten, werden enteignet oder an landlose Bauern und Landarbeiter verteilt“
Eine Caballeria entspricht 13,43 ha. Die letzte Statistik über die Aufteilung des Landes in Kuba stammt von 1946. Ihr zufolge verfügten 2336 Besitzer über 4 250 000 ha Land, also 1,5 Prozent der Bodeneigentümer besaßen mehr als 46 Prozent der Ländereien, während 70 Prozent der Eigentümer (110 000 Bauern mit 76 000 Caballerias) nur 12 Prozent besaßen. Dazu kamen noch 62 000 Zwergbauern, deren Besitz unter 0,75 Caballeria lag. Dagegen verfügten, wie Fidel Castro am 22. Mai bekanntgab, fünf mittlere USA-Konzerne allein über 50 000 Caballerias oder 671 000 ha.
Die Existenz der Latifundien ist in allen Staaten Lateinamerikas zu einem Hemmschuh für die Entwicklung geworden. Latifundienwirtschaft ist veraltete extensive Landwirtschaft, bei der riesige Flächen brachliegen. Bei Vernachlässigung der technischen Entwicklung wird im Interesse des Profits eine Ausbeutung der rückständigsten Bevölkerungsschichten ausgeübt, wie sie in den Anfängen des Kapitalismus üblich war. In Kuba ist diese Art der Landwirtschaft, die auf den Export eingestellt ist, von dem Hauptkäufer, den USA, völlig auf den Anbau von Rohzucker spezialisiert worden. Die in Unwissenheit gehaltene und schlecht bezahlte Landbevölkerung verfügt über keine Kaufkraft, so daß sich keine nationale Industrie entwickeln kann.
Der erste Schritt
Die Agrarreform, die in Kuba durchgeführt wird, entspricht darum den Wünschen und Bedürfnissen der breiten Massen der Landbevölkerung. Die Sozialistische Volkspartei Kubas bezeichnete sie als „einen entscheidenden Schritt für die Entwicklung der Revolution“. Geduldig erklärt sie den Arbeitern, daß dies der erste Schritt ist, um durch diese Reform die Kraft der Feinde der Arbeiterklasse auf dem Lande zu brechen und in einer gefestigten Bauernschaft einen starken Verbündeten zu gewinnen.
Auf Kuba gab es 500 000 Landarbeiter, die meist nur vier Monate im Jahre Arbeit fanden, und 150 000 kleine Pächter und Verwalter. Zu einem großen Teil haben sie heute Land erhalten. Als „Lebensminimum“ wurde gesetzlich festgelegt, daß eine Familie von fünf Personen 26 ha Land erhalten soll. Den Klein- und Zwergbauern wird ihr Besitz bis zu diesem Minimum vergrößert. Bei der Landverteilung werden zuerst diejenigen berücksichtigt, die von ihrem Besitz vertrieben worden waren, dann die Bewohner der Gegend, in der die Reform durchgeführt wird und die nicht das Minimum besitzen, weiterhin die Landarbeiter und schließlich alle, die einen Antrag auf Land stellen.
Konzernhaie weinen
Die Enteignungen vollziehen sich gegen Bezahlung in Staatsanleihe, die bei einer Verzinsung von 4,5 Prozent in 20 Jahren eingelöst werden soll. Maßgebend für die Preisfestlegung ist die Eintragung in den Grundbüchern. Da besonders die großen USA-Konzerne aus Steuergründen den Wert ihrer Ländereien herabsetzten, werden sie jetzt für ihre Hinterziehungen bestraft. Von Mai bis Oktober mußten die United Fruit Co., Atlantica del Golfo und die Cuban-American Sugar, die drei größten, 700 000 ha Land abtreten.
Natürlich setzten sich die Latifundienbesitzer und die Konzerne zur Wehr. Sie entfesselten eine wüste Hetzkampagne in einem Großteil der nordamerikanischen Presse gegen die Regierung Fidel Castros. Der Vizepräsident der United Fruit Co., William G. Raines, verlangte vom kubanischen Ministerpräsidenten, auf „verschiedene Dispositionen in der Agrarreform zu verzichten“. Castro gab den Inhalt eines Briefes bekannt, den die Rechtsanwälte der „Francisco Sugar Company“ in Havanna nach dem Hauptsitz, Wallstreet 106 in New York, gesandt haben. Darin wird mitgeteilt, daß auf einer gemeinsamen Sitzung mit den Leitern der Vereinigung der Tierzüchter der Beschluß gefaßt wurde, einen Fonds zu schaffen, mit dem man die Pressekampagne gegen die Agrarreform finanzieren will.
Die United Fruit Co. und ihre Verbündeten, die 1954 noch in der Lage waren in Guatemala die demokratische Regierung Arbenz zu stürzen, ließen Attentate gegen Kubas Vertreter in Haiti, San Domingo und Miami folgen. Ein Attentat gegen Castro selbst wurde verübt Flugzeuge überflogen Kuba und warfen Propagandamaterial und sogar Bomben ab.
Attentate und Bomben
Dann versuchte man es mit Stockschlägen auf den Magen: Die USA stellten den Kauf von Zucker ein. Aber hier zeigte es sich, daß man in Washington noch immer übersieht, wieviel sich in der Welt geändert hat. Nicht allein, daß die Völker Lateinamerikas sich ihrer wirtschaftlichen Fesseln entledigen wollen, um ihre nationale Freiheit souverän ausüben zu können – auch in der übrigen Welt ändert sich das Kräfteverhältnis laufend zugunsten der Kräfte des Fortschritts Die Sowjetunion und China waren in der Lage, ohne Schwierigkeiten den kubanischen Zucker aufzukaufen. Ihr Prestige ist damit in den lateinamerikanischen Staaten zugleich mit dem Kubas gewachsen.
Südamerika horcht auf
Wenn die Zeitung Noticias de Hoy warnt: „Wir dürfen nicht verkennen, daß unsere Feinde sehr stark sind, sie werden nicht aufhören, uns Fallen auf den Weg zu stellen und sogar die offene Intervention von außen herauszufordern“, so hat sich Kuba doch auch viele Freunde gemacht. Das kleine Sechsmillionenvolk auf der größten Antilleninsel ist heute zum Vorbild für alle Völker Lateinamerikas geworden. Kubas Einfluß hat Venezuela veranlaßt, sich der Bodenreform zuzuwenden. Zum ersten Male spielt die Agrarreform in dem begonnenen Wahlkampf Brasiliens eine Rolle. Und in Argentinien wurde in einigen Provinzen diese Frage in den Mittelpunkt des politischen Kampfes gerückt.
Darum kann man sagen, daß die Agrarreform in Kuba eine neue Etappe in der Entwicklung aller lateinamerikanischen Staaten eingeleitet hat. Die antifeudale Revolution ist eine neue, sehr wirksame Waffe im antiimperialistischen Befreiungskampf dieser Völker, die entscheidend werden kann.
Quelle: Hermann Burkhardt, „Kubas Landreform geht voran“, Berliner Zeitung, 1. April 1960, S. 5.