Kurzbeschreibung

Die Bandung-Konferenz, auch Asien-Afrika- oder Afro-Asien-Konferenz genannt, war ein Treffen afrikanischer und asiatischer Staaten, von denen viele erst kurz zuvor unabhängig geworden waren. An der Konferenz nahmen 29 Länder teil, deren Gesamtbevölkerung von 1,5 Milliarden Menschen 54 % der Weltbevölkerung entsprach. Ziel der Konferenz war es, die afro-asiatische Zusammenarbeit in wirtschaftlichen und kulturellen Fragen zu fördern und sich gegen den Kolonialismus oder Neokolonialismus anderer Nationen auszusprechen. Die Konferenz war ein wichtiger Baustein für die spätere Gründung der Bewegung der Blockfreien Staaten, die aus dem Bestreben heraus entstand, die Polarisierung der Welt des Kalten Krieges zu vermeiden und weder der Sowjetunion noch dem Einflussbereich der Vereinigten Staaten anzugehören. In diesem Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird Nehru als Held der Konferenz dargestellt, obwohl er in Wirklichkeit eher negativ aufgenommen wurde. Der Artikel räumt ein, dass Zhou Enlai, der chinesische Ministerpräsident, maßgeblich zum Gelingen der Konferenz beigetragen hatte, indem er die versöhnlichen Absichten seiner Regierung betonte und insgesamt eine gemäßigte und zurückhaltende Haltung an den Tag legte.

Zwischenbericht über Bandung (22. April 1955)

Quelle

Nur vorsichtig tastend wird man, während sich die Konferenz von Bandung etwa auf der Mitte ihres Weges befindet, versuchen dürfen, die Konturen dieses weltgeschichtlich neuen Gebildes nachzuzeichnen, das unter nicht geringen Schmerzen auf dieser gewaltigen Zusammenkunft der Führer von einer Milliarde und vierhundert Millionen Nicht-Weißer geboren wird. Auch aus der Ferne fesselt das politische Bild mehr noch als erwartet. So sehr hatte schon die Ankündigung dieser Konferenz die Vorstellung eines mächtigen antikolonialistischen Willens erweckt, daß man verblüfft ist zu erkennen, wie auch jene Menschen, die farbig zu nennen man sich heute scheut, keine Ausnahme von der uns Abendländern nur zu geläufigen Regel machen, daß vor der Einheit erst die Überwindung der Zerklüftungen, vor dem Gemeinsamen das Verlassen des Trennenden, der selbstsüchtigen Interessenkonflikte, der ideologischen Ereiferung stehen muß. Weder die biologische Tatsache der nicht-weißen Hautfarbe noch die gemeinsamen Leidenserfahrungen aus der längst abgeklungenen Blütezeit der weißen Kolonialherrschaft konnten verdecken, daß in Bandung nicht nur viel örtliche Zwietracht zwischen einzelnen Konferenzstaaten aufbrach, sondern auch unbeschadet der rassischen Frontstellung gegen den Westen sich hier die weltpolitischen Kampflinien zu verlängern und die asiatisch-afrikanische Gemeinschaft zu spalten trachteten.

Nach der Eröffnungsrede des indonesischen Staatschefs Sukarno, die ganz auf die moralische und geschichtliche Verurteilung des Kolonialismus abgestimmt war, erwies sich rasch, daß der Generalnenner für die asiatisch-afrikanische Gemeinsamkeit so einfach nicht zu finden sein würde. Bei Ägypten und dem Irak zeigte sich zuerst die gereizte Stimmung, die zwischen den Anhängern der Neutralität und den asiatischen Paktpartnern des Westens steht. Von dieser Spannung hätte eine Attacke gegen Israel abgelenkt, aber Nehru verhinderte sie in der Vollversammlung. Dies blieb den Ausschüssen überlassen, wo die Haltung vor allem der Türkei den nichteingeladenen jüdischen Staat schwer trifft. Indien nahm sich das Recht, seine Erbitterung gegen die Rassenpolitik der Südafrikanischen Union zu äußern, deren Regierung gleichfalls nicht eingeladen war, obwohl sie doch gewiß „afrikanisch“, wenn auch weiß, ist. Der Streit zwischen Indien und Pakistan über Kaschmir trat in der Verhüllung auf, daß die beiden Mächte in der Auseinandersetzung zwischen Westpartnern und Neutralen auf verschiedener Seite stehen. Die heftigen antikommunistischen Redner des Iraks, Thailands, der Philippinen, Persiens und der Türkei richteten sich nicht so sehr gegen das abwesende Rußland als gegen den chinesischen Ministerpräsidenten, der vor ihnen saß.

So erschien über der Konferenz der Schatten des Scheiterns, die Gefahr tauchte auf, daß die Begeisterung, der Schwung, das Gefühl einer Zeitenwende des ersten Tages in Bandung – eine Stimmung, die Beobachter, wie den Engländer Vernon Bartlett, an die Frühzeit des Völkerbundes erinnerte – in Meinungsverschiedenheiten verschiedenster Herkunft ersticken würden. Verwandelte sich die Konferenz in ein ideologisches Schlachtfeld, in einen kraftloseren Reflex des Ringens der weißen Mächte, gewissermaßen in den Schauplatz eines Kalten Krieges aus zweiter Hand: dies wäre ein schlimmer Schlag für das Prestige der nicht-weißen Völkergemeinschaft, eine versäumte Gelegenheit vielleicht weltgeschichtlichen Ranges. Die Nationen des Westens hätten dann kaum noch Grund, sich zu freuen, daß sie nicht allein auf der unsichtbaren Anklagebank der Konferenz Platz nehmen mußten, sondern die Asiaten eine Reihe anderer Bänke aufgestellt haben, auf denen sie sich gegenseitig und auch den „kommunistischen Kolonialismus“ Rußlands in den Anklagezustand versetzten. Es ist gewiß für den Westen angenehm zu sehen, mit welchem Elan ihre Verbündeten für die antikommunistische Paktpolitik eintreten, wie sie sich gegen eine „umgekehrte Rassenpolitik“ gegen die Weißen wandten – aber es wäre auch für den Westen verhängnisvoll, wenn dies zu einem Zerfall der großen Anstrengung von Bandung führen würde, so etwas wie einen asiatisch-afrikanischen Faktor der Weltpolitik ins Leben zu rufen.

Denn dann würde die stärkste unter den versammelten Mächten, das kommunistische Riesenreich der Chinesen, die Hände politisch völlig frei bekommen. Der Sprachgewalt der westlich gebundenen Orientalen entspricht nicht immer die innere Festigkeit ihrer Regierungssysteme noch die militärische Leistung; könnte durch ihren Übereifer auch nur der Anschein einer Isolierung Tschu En-lais auf der Konferenz entstehen, so würde Peking in Zukunft kaum noch Rücksicht auf das Friedensbedürfnis seiner Mit-Asiaten nehmen. Eine mäßigende, bremsende Kraft fiele fort. Vor nichts müßte sich der Westen mehr fürchten, als wenn der größte Teil der Menschheit, die asiatisch-afrikanische Welt, ausschließlich vor die Alternative zwischen amerikanisch-europäischer Demokratie und Kommunismus gestellt würde. Es gibt keinen Asienkenner, der an dem Ausgang einer solchen Entscheidung, wäre ein dritter Weg verbaut, zweifeln würde. Das Ansehen, das China bei den asiatischen Massen heute genießt, kam nicht im Konferenzsaal, sondern in den Ovationen zum Ausdruck, mit denen Tschu En-lai, mehr als jeder andere Staatsmann, von den Indonesiern gefeiert wurde, wo er sich auch zeigte. Es ist, wie man weiß, nicht die Ideologie des sowjetischen Kommunismus, die diese Massen anzieht, sondern die technisch-sozialen Mittel, mit denen der Maoismus die großen Sorgen Asiens, die Armut, die Unterentwicklung, den entsetzlich niedrigen Lebensstandard zu bewältigen sucht. Nicht durch Militärpakte, sondern nur wenn die asiatischen Völker aus sich heraus ebenso wirkungsvolle, doch freiheitliche Formen ausbilden können, werden sie dem Kommunismus chinesischer Prägung auf lange Sicht entgehen. Niemand denkt hieran mehr als Nehru.

Ihm ist es zu verdanken, wenn die in der Konferenz von Bandung angelegte Krise bisher nicht tödlich wurde. Schon in den Verfahrensfragen sorgte er dafür, daß sich das Trennende weniger als das Einigende behaupten kann. Er dämpfte die Möglichkeiten zur Agitation, zur Propaganda, wenn auch hierfür der Preis – außer in den wirtschaftlichen Beratungen – der Verzicht auf aufbauende Lösungen ist. Nehru hätte seine Rolle als der Ausgleichende im Hintergrund nicht spielen können, wenn ihm nicht Tschu En-lai zu Hilfe gekommen wäre. Was auch die Beweggründe der chinesischen Haltung sein mögen, bis jetzt jedenfalls hat sich der Vertreter Pekings im Licht des um Vertrauen werbenden Friedensbringers zu zeigen gesucht. Er hat auf die Angriffe der westlich orientierten Sprecher nur geantwortet, um die versöhnenden Absichten seiner Regierung zu beteuern; er hat in der für Südostasien explosiven Frage der Überseechinesen sogar Angebote gemacht; er hat allen Seiten die Koexistenz der indisch-chinesischen Charta vorgeschlagen und auf scharfe antiamerikanische Ausfälle verzichtet. Jedoch hat er sich bisher nicht über die Möglichkeiten unterhalten, die Formosafrage ohne Krieg zu lösen. Noch ist nicht aufgeklärt, warum es zu der angesagten vertraulichen Acht-Mächte-Besprechung nicht gekommen ist, deren Anregung Nehru, wohl kaum ohne Grund, dem ceylonesischen Ministerpräsidenten Kotelawala überlassen hatte. Nehru wird daran zweifeln, ob die asiatische Zusammengehörigkeit schon so stark ist, daß Tschu hier das größte Geheimnis, das gegenwärtig die Welt bewegt, verraten wird, nämlich, ob und wann die Chinesen in der Straße von Formosa angreifen wollen. Die Wirkung von Bandung auf diese Entscheidung kann kaum anders als mittelbar sein. Nach dem Abschluß der Konferenz wird sich hierüber vielleicht etwas sagen lassen.

Quelle: Herbert von Borch, „Zwischenbericht über Bandung“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. April 1955, S. 1.