Kurzbeschreibung

Die UdSSR begann sich während und nach der raschen Entkolonialisierung Afrikas für den Kontinent zu interessieren. Vor der Entkolonialisierung hatte Stalin Afrika auf der Liste der außenpolitischen Prioritäten als niedrig eingestuft, vor allem weil es von den europäischen imperialen Mächten kontrolliert wurde und daher noch nicht für eine Revolution bereit sei. Nach der Entkolonialisierung sah Nikita Chruschtschow jedoch eine Chance und begann, eine Außenpolitik für Afrika zu entwickeln. Langfristig verfolgte die UdSSR in Afrika vier Hauptziele: eine dauerhafte Präsenz auf dem Kontinent, ein Mitspracherecht in afrikanischen Angelegenheiten, die Untergrabung des Einflusses des Westens und der NATO auf dem Kontinent (insbesondere durch die Verknüpfung von Kapitalismus und westlichem Imperialismus) und (nach 1962) die Verhinderung der Entwicklung einer eigenen, ausgleichenden Präsenz Chinas. Das dritte außenpolitische Ziel kann in diesem Artikel beobachtet werden; der Autor des Artikels in dieser ostdeutschen Zeitung argumentiert, dass der Kontinent gegen die alten Kolonialmächte, die Vereinigten Staaten und den Bonner „Neokolonialismus“ kämpfte, wobei er eine Verbindung zwischen dem Westen und dem Kolonialismus herstellt und damit die Überlegenheit des sozialistischen Systems unterstellt.

Ein Kontinent im Aufbruch (7. Januar 1960)

Quelle

Der große Marsch der Afrikaner zur Freiheit, Sturm auf die letzten Bastionen des Kolonialismus

Dr. Kwame Nkrumah, Ministerpräsident Ghanas und ein führender afrikanischer Politiker, rief auf der Solidaritätskonferenz in Accra, bereits Symbol des Freiheitskampfes geworden, im Dezember 1958 die zukunftssicheren Worte aus: „Die Völker Afrikas verkünden offen vor der Welt, daß sie nicht eher ruhen werden, ehe nicht die letzten Reste des Kolonialismus und Imperialismus in ganz Afrika beseitigt sind. Die Einheit der Aktionen und Ziele muß zur Hauptlosung für alle afrikanischen Völker werden!“ Diese Worte werden seitdem unaufhaltsam Realität – im Kampf gegen den verhaßten Kolonialimperialismus, im solidarischen Ringen der Afrikaner im Norden und Süden, im Osten und Westen, die siegreich beweisen, daß der Belgier Jean-Paul Harroy mit seinem vor zehn Jahren erschienenen Buch „Afrika, sterbendes Land“ unrecht hat. Sie bringen zugleich die Kalkulationen der USA-Zeitschrift „Collier’s“ zum Einsturz, die gleichfalls vor über zehn Jahren hoffte: „Nach Asien ist das der größte Kontinent der Erde. Zwar kann niemand seine Ressourcen genau schätzen, man weiß aber, daß sie märchenhaft sind. In den Kalkulationen stützt man sich bereits auf das strategische Uran, auf Kautschuk, Kobalt, Mangan, die industriell verwertbaren Diamanten, das Chrom, Zink, Blei, Eisenerz und Bauxit Afrikas.“

Der „ruhige Kontinent“ war ein Irrtum

Aber nicht nur die Redakteure von „Collier’s“ und der anderen westlichen Presse, sondern auch ihre imperialistischen Auftraggeber, wobei besonders nach dem zweiten Weltkrieg die Amerikaner hervorgetreten sind, wollen Afrika als riesige ökonomische und strategische Reserve halten und hielten es für einen „ruhigen Kontinent“. Sie müssen heute bitter erkennen, daß sie sich hier ebenfalls irrten und ihre Lage hoffnungslos ist. Die begeisternde Losung der Afrikaner „Unabhängigkeit noch zu Lebzeiten unserer Generation“ wird in einem unerhörten Tempo real, so greifbar nahe wie die Überzeugung von Dr. Hastings K. Banda, politischer Führer Rhodesiens: „Wir glauben, daß es keine weißen, keine schwarzen und keine qualifizierten Freiheiten gibt. Es gibt nur eine Freiheit, die für die Menschen aller Rassen und jeden Glaubens gilt … Die Freiheit wollen wir jetzt in Afrika verwirklichen, und danach rufen jetzt die Trommeln im Busch.“

Seit Jahrtausenden dröhnen die Trommeln in den Dschungeln – und heute künden sie über Steppen und Sümpfe, über Wälder und Ströme hinweg vom vereinten Befreiungskampf gegen die alten Kolonialmächte, gegen die USA, die sich seit dem letzten Weltkrieg politisch, ökonomisch und strategisch auf dem 30 Millionen qkm großen und von 200 Millionen Menschen bewohnten Erdteil festsetzten, und ebenso gegen den Bonner Neokolonialismus, der in die Kolonialbesitzungen der NATO-Partner einzudringen versucht, um dort die führende Rolle zu übernehmen. Deutlich erkennbar, daß das klerikal-militaristische Regime an Rhein und Ruhr an die „Kolonialtraditionen Wilhelms II. und Hitlers anknüpft. Die unverschämte Forderung des damaligen BHE-Bundestagsabgeordneten Benda vom April 1954 an die UNO, der Adenauer-Regierung eine Treuhandschaft über eine Kolonie in Afrika anzutragen, kennzeichnet das System und seinen Kurs des Terrors und der Aggressionen bis zum heutigen Tag.

Einheitsfront gegen Kolonialismus

Der Kolonialismus hält immer noch zäh, mit Intrigen und blutigem Terror, an seinen schwindenden Positionen fest, aber sein wankendes, sein letztes Bollwerk bröckelt, bricht und wird in absehbarer Zeit zusammenbrechen, um so rascher, je fester sich die Afrikaner gegen den gemeinsamen Feind zusammenschließen und darüber hinaus mit allen antiimperialistischen Kräften in der Welt eine einheitliche Front bilden. Mit dem Kolonialismus in Afrika aber geht das gesamte verruchte koloniale System unter – unaufhaltsam und für alle Zeiten, und diese Gewißheit in ihre historische Aufgabe beflügelt die afrikanischen Völker. Vor dem Krieg bestanden formell nur vier unabhängige Staaten – Ägypten, Äthiopien, Liberia und die Südafrikanische Union. In diesem Jahr werden es mindestens sechzehn sein, denn zu den vier genannten werden sich den inzwischen souverän gewordenen Marokko, Tunesien, Libyen, Sudan, Ghana, Guinea und Kamerun noch Togo, Nigeria, Somali-Land, die Mali-Föderation, bestehend aus Senegal und Französisch-Sudan, Zentral-Kongo sowie sicherlich noch weitere hinzugesellen. War schon das vergangene Jahr eine entscheidende Etappe im Ringen der Afrikaner für Freiheit und Unabhängigkeit, so wird das eben angebrochene Jahr die Kolonialherren in Afrika noch mehr zittern machen.

Afrika den Afrikanern

In allen Teilen des dunklen Kontinents, des stürmischen Erdteils, bereitet sich die Bevölkerung auf die zweite afrikanische Völkerkonferenz vor, die am 5. Januar in der tunesischen Metropole beginnen wird. Sie ist eine hoffnungsfrohe Fortsetzung der historischen Bandung-Konferenz, die auch in Afrika eine neue Ära des antiimperialistischen Kampfes einleitete, der afro-asiatischen Solidaritätskonferenz von Kairo, auf der sich gewaltig die Siegeszuversicht der dort vertretenen Völker Bahn brach, der beiden Tagungen von Accra unter Ausschluß der westlichen Mächte und des Kongresses von Tanger. Auf dieser hochbedeutsamen Zusammenkunft der Delegierten der freien afrikanischen Völker und ihrer noch kolonial gefesselten Brüder in Tunis wird über die weitere Verstärkung des Kampfes für die restlose Befreiung Afrikas vom Kolonialjoch, die Schaffung der Einheit des dunklen Kontinents sowie über die ökonomische und soziale Entwicklung seiner Länder beraten werden – und wer in aller Welt bezweifelt noch, daß von diesem Treffen aus neue Impulse und Kraftströme für den Freiheitskampf kommen werden? Sie werden eine an Opfern und Siegen reiche Bilanz ziehen, neue vereinte Kampfaktionen und –formen beraten und sich dabei der flammenden Worte des algerischen Delegierten Dr. Fanon auf der letzten Accra-Tagung stolz und froh erinnern: „Jeder Afrikaner muß ein antiimperialistischer Kämpfer sein. Alle Formen des Kampfes sind anzuwenden. Afrika muß den Afrikanern gehören, selbst wenn sie ihr Eigentum mit Gewalt nehmen müssen!“

Die westlichen Regierungen, und dabei vor allem ihre Kolonialminister, haben schwere Sorgen – und es ist durchaus zu verstehen, daß sie mit allen Mitteln des politischen und diplomatischen Ränkespiels versuchen, wenigstens ihre wirtschaftlichen Positionen zur Erhaltung ihrer mühelosen und immensen Profite zu sichern. In diesem Licht sind auch die hastigen Afrikareisen des belgischen Königs Boudoin, de Gaulles und des Londoner Kolonialministers McLeod zu sehen. Nur, sie waren von sehr mäßigem Erfolg und konnten nicht verhindern, daß die afrikanischen Völker ihren Kampf gegen Imperialismus, Kolonialismus und atomare Bedrohung forcieren und sich für Freiheit, Unabhängigkeit, Einheit und Fortschritt bedingungslos einsetzen. Gravierend die Erklärung eines Abako-Führers auf dem Kongreß der patriotischen kongolesischen Parteien in Kisantu bei Leopoldville, als Baudoin in der Stadt weilte (!), seine Organisation werde ab 1. Januar die belgischen Kolonialbehörden nicht mehr anerkennen!

Das Zentrum des nationalen Befreiungskampfes hat sich nach Afrika verlagert – erfolgreich, wie aus der Entwicklung klar zu ersehen ist, wollen doch die Menschen ganz Afrikas schon längst nicht mehr sein unerschöpfliches Reservoir billiger Menschenware, Lieferant mühelos zu raubender Rohstoffe, Territorium riesiger Profite, taktischer und strategischer Stützpunkte sowie die „letzte Grenze“ der USA, wie der Amerikaner John Gunter in seinem Buch „Im Innern Afrikas“ ungeniert fordert. Die Afrikaner kämpfen auch gegen die 17 NATO-Luft- und acht NATO-Flottenbasen auf ihrem Kontinent und damit zugleich gegen die aggressiven Militärbündnisse des Westens, denn ihnen ist nicht unbekannt, daß diese Beistandsleistungen verpflichten. Und wie dieser Beistand aussieht, erwies sich bei der Suez-Aggression und der Jordanien-Libanon-Intervention und zeigt sich in blutiger Schrecklichkeit immer noch am grausamen Algerienkrieg.

Kaum ein Tag vergeht ohne neue Meldungen über Kämpfe und Aufstände, die von den bereits unabhängigen Afrikastaaten unterstützt werden, mit Ausnahme der Rassenhetzerregierung Südafrikas. Und in all dem Ringen ist die eindeutige Zielsetzung zu erkennen: Freiheit, Unabhängigkeit und Einheit. Schon zeichnen sich Föderationen und Staatenbünde ab, die politisch und ökonomisch weitaus stärker sind als die einzelnen Staaten und Gebiete. So hat das leidenschaftliche, opfervolle und doch zukunftsreiche Ringen der noch kolonial unterdrückten und ausgebeuteten Völker Afrikas – in Uganda und Somalia, in Kongo, Angola und Tanganjika, in Rhodesien, Mozambique und Kenia, in Njassaland, Betschuana- und Basutoland, in Tschad, Togo und Nigeria, in Mauretanien, Französisch-Sudan und –Niger, auch in der Südafrikanischen Union, in den spanischen Kolonien und besonders in Algerien – die Hilfe und Unterstützung aller freiheitsliebender Menschen der Welt. Auch Staat und Bevölkerung unserer Republik erweisen den Völkern Afrikas allseitige Hilfe und stehen mit ihnen in einer Front, ist doch der deutsche Imperialismus der Todfeind des deutschen Volkes und auch der afrikanischen Völker. Unsere Republik mit ihrer Weltgeltung steht mit Wort und Tat hinter der Versicherung unserer Regierung, daß „die DDR auch weiterhin alles in ihren Kräften Stehende tun wird, um den gerechten Kampf um die nationale Unabhängigkeit und Freiheit in Afrika zu unterstützen“.

Quelle: „Ein Kontinent im Aufbruch – Der große Marsch der Afrikaner zur Freiheit, Sturm auf die letzten Bastionen des Kolonialismus“, Neue Zeit, Nr. 5, 7. Januar 1960, S. 3.