Kurzbeschreibung

Dem Autor dieses Artikels nach sei es im Interesse Deutschlands und der USA, die Spannungen in ihrem Verhältnis, die im Gefolge des Angriffs auf den Irak aufgetreten sind, abzubauen. Die gewünschte Rückkehr zu guten transatlantischen Beziehungen müsse jedoch unter veränderten Umständen stattfinden. Deutschland sei kein „Nein-Land“, aber auch nicht automatisch ein „Ja-Land“. Auf der Agenda sei auch der Wunsch der Bundesregierung, einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu erhalten. Bei diesen Bemühungen komme den USA eine ausschlaggebende Rolle zu.

Die transatlantische Allianz im Spiegel neuer Verhältnisse (6. Februar 2005)

  • Eckart Lohse

Quelle

Deutschland ist kein Ja-Land mehr

Die wiederentdeckte Freundlichkeit im Verhältnis zwischen Berlin und Washington kann über alte – und neue – Streitpunkte nicht hinwegtäuschen.

Wenn Gerhard Schröder gut gelaunt ist, dann spricht er in der Öffentlichkeit Englisch. Oder vielmehr: Er sagt einen englischen Satz, meistens einen kurzen. Nicht ohne Grund geht er mit dem Stilmittel der öffentlichen englischen Rede sparsam um. Schließlich ist er deutscher Bundeskanzler und kein Dolmetscher. Am Freitag nachmittag muß Schröders Laune prächtig sein. Im Kanzleramt steht neben ihm die neue amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice, zum Antrittsbesuch in Berlin. Ohne lange zu fackeln, bestimmt sie, wer als nächster aus dem Journalistentroß eine Frage stellen darf. Das ist unüblich, die Moderation von Pressekonferenzen obliegt dem Gastgeber. „We are in Germany. But that is women power", kommentiert mit freundlichem Lachen der Übergangene. Rice begreift, daß sie einen Fehler gemacht hat, wendet sich entschuldigend um zu Schröder. Der winkt großzügig ab.

Szene mit Symbolwert

Die Szene hat Bedeutung aus doppeltem Grund. Erstens gehörten Leichtigkeit und Scherz seit dem Irak-Zerwürfnis nicht zu den Selbstverständlichkeiten deutsch-amerikanischer Treffen. Zweitens führte Schröder mit dem freundlichen Rüffel eine Miniatur des neuen deutschen Selbstbewußtseins gegenüber Amerika vor. Wie hatte Rice wenige Minuten zuvor gesagt: Es sei nun an der Zeit, ein neues Kapitel der amerikanisch-deutschen Beziehungen aufzuschlagen.

Der erste Höhepunkt in diesem Kapitel wird der Besuch Präsident George W. Bushs nebst Gattin Laura am 23. Februar in Mainz sein. Doch schon zuvor hat der frisch im Amt bestätigte Bush den bilateralen Kontakt zu Schröder gesucht: am vorigen Montag. Da rief der Präsident beim Kanzler an, um ihm zu sagen, wie sehr er sich über dessen positive Reaktion auf die Wahl im Irak gefreut habe. Wieder eine dieser kleinen Szenen, ein weiteres Symbol für den gegenwärtigen Zustand der deutsch-amerikanischen Beziehungen.

Denn auf verschiedenen diplomatischen und politischen Kanälen, unter anderem über die Vereinten Nationen, hatte das Weiße Haus schon lange vor dem Wahltag im Irak die europäischen Verbündeten – allen voran die Kritiker des Irak-Kriegs – wissen lassen, daß Washington unabhängig von Verlauf und Ausgang der Wahl eine positive Kommentierung erwarte. Da die Wahlbeteiligung überraschend hoch und der Verlauf alles in allem erfolgreich war, fiel es Schröder nicht schwer, von großen Fortschritten für die Demokratie in der Region zu sprechen. Doch im Rückblick ist in Berlin zu hören: Es wäre „tödlich" gewesen, wenn es von uns Kritik an der Wahl gegeben hätte.

Freundlichkeit auf tönernen Füßen

Die neue deutsch-amerikanische Freundlichkeit steht auf tönernen Füßen. Zu tief war das Zerwürfnis über den Irak-Krieg, als daß jetzt alles ganz schnell gehen könnte. Stephen Szabo, unter den amerikanischen Wissenschaftlern einer der besten Kenner des politischen Verhältnisses zwischen Washington und Berlin, berichtet in seinem jüngsten Buch, wie sehr vor allem Bush die Angelegenheit persönlich genommen habe. Als Schröder schon wieder Signale nach Washington habe senden lassen, er sei an einer Reparatur der Beziehungen interessiert, habe Bush noch lange seinen Mitarbeitern jegliche Reaktion verboten.

Ein zweiter Grund für die Vorsicht bei der jetzigen Wiederannäherung ist die Erkenntnis auf beiden Seiten des Atlantiks, daß es nicht darum geht, die jahrzehntelang eingespielte Beziehung zweier Partner wieder auf die alten Wege zurückzuführen. Karsten Voigt, Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt, sagt, die „geostrategischen Bedingungen“ hätten sich geändert. Deutschland sei nicht mehr der im Zentrum eines weltpolitischen Krisenszenarios gelegene „Importeur“ von Sicherheit, sondern sei mittlerweile als „Exporteur“ gefragt. Bevor es bei einem solchen Sicherheitsexport mitmache, müsse es jedesmal von neuem „überzeugt“ werden. Zwar sei es kein „Nein-Land“. „Aber Deutschland ist nicht mehr automatisch ein Ja-Land.“

Überraschendes persönliches Gespräch

Es fügt sich, daß die Bemühungen der Regierung Bush, Deutschland wieder in den Arm zu nehmen, zeitlich in eins fallen mit der Wahl im Irak. Legt man die Schichten unterhalb von Schröders und Außenminister Fischers wohlwollender öffentlicher Reaktion auf die Irak-Wahl frei, so kommt schnell wieder festes Gestein hervor. In diesen Tagen, da Bush Innenminister Otto Schily in Washington die Ehre eines überraschenden persönlichen Gesprächs zuteil werden läßt, da die Außenministerin anreist, der Präsident schon mal über den Atlantik winkt, verbleibt die Bereitschaft der Bundesregierung, sich nun stärker im Irak zu engagieren, erstens in engen Grenzen und zweitens vage. Bei der Formulierung einer Verfassung bieten Schröder und Schily Hilfe an, beim Aufbau von Verwaltungsstrukturen ebenso. Der Kanzler ist bereit, die Ausbildung irakischer Polizisten oder Soldaten in den Vereinigten Arabischen Emiraten fortzusetzen, sogar auszuweiten, falls gewünscht. Doch wer in der Regierung nachfragt, wie konkret diese Pläne seien, ob man an die Entsendung deutscher Beamter nach Bagdad denke, erhält die Auskunft, das sei noch nicht im einzelnen geplant, und über allem schwebe die Frage nach der Sicherheit. Seine grundsätzliche Position in der Irak-Politik verändert Berlin um keinen Millimeter.

„Bush meint das mit der Demokratie ernst“

Am weitesten geht noch Karsten Voigt, wenn er sagt, diejenigen, die bislang bestritten hätten, daß es die Chance zu mehr Demokratie im Irak gebe, müßten nun „etwas vorsichtiger“ sein. Und wer bislang angenommen habe, es sei Bush im Irak nur ums Öl gegangen, der müsse spätestens mit der Wahl seine Meinung ändern: „Bush meint das mit der Demokratie ernst.“ Gernot Erler, führender Außenpolitiker der SPD-Fraktion, der Schröders Ohr in außenpolitischen Fragen hat, reagiert zurückhaltender. Es dürfe nicht vergessen werden, daß der Grund für den Irak-Krieg nicht die Wahl gewesen sei, sondern die von Amerika behauptete Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen. Daher könne Amerika die Europäer jetzt nicht auffordern: „Nun gebt endlich zu, daß der Krieg berechtigt war.“

So sehr Berlin sich vorgenommen hat, derzeit öffentlich nicht an der Entwicklung im Irak herumzunörgeln, so deutlich geschieht das immer noch hinter den Kulissen. Der hohe Preis für die Befreiung sei der Terrorismus, und nach wie vor drohe die Gefahr, daß auf das Regime Saddam Husseins ein schiitisch-fundamentalistisches folgen könnte, ist zu hören. Es ist auch in diesen Tagen zu spüren, daß die harte Rhetorik der nicht allzu fernen Vergangenheit noch präsent ist. Schon eine negative Wende im Irak, ein neuer Streit mit Washington oder die Not eines Wahlkämpfers könnte sie rasch wieder ans Licht der Öffentlichkeit befördern.

„Iran gibt wahren Test auf die Beziehungen“

Wie sehr sich das Zusammenspiel wieder herstellen läßt, wird schon bald der Umgang mit Iran zeigen. Gary Smith, Direktor der American Academy in Berlin, spricht vom „wahren Test auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen". Auch der kleinste Hinweis darauf, daß Washington mit Ernsthaftigkeit den diplomatischen Weg einzuschlagen gedenkt, um Teheran von der Herstellung der Atombombe abzubringen, wird in Berlin genau registriert. Als Rice nach ihrem einstündigen Gespräch mit Schröder – zwanzig Minuten mehr als geplant – am Freitag nachmittag sagte, es gebe eine Chance, die Krise mit diplomatischen Mitteln zu lösen, wurde das in der Bundesregierung sofort als sehr gutes Zeichen gewertet. Abseits der Mikrofone aber wird kein Hehl daraus gemacht, daß man der amerikanischen Regierung sehr wohl zutraut, nicht-diplomatisch gegen Iran vorzugehen.

Ein anderes Thema steht voraussichtlich noch in diesem Jahr auf der deutsch-amerikanischen Agenda: Berlins Wunsch, einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu bekommen. Als Rice am Freitag mit Schröder zusammentrifft, kommt der Kanzler nur mit aller Zurückhaltung und sehr allgemein auf die Angelegenheit zu sprechen. Washington hat sich bislang erst vage zu den Reformplänen für den Sicherheitsrat geäußert, zu Deutschlands Begehr noch gar nicht. Auch in Berlin bleibt Rice allgemein, hebt im Gespräch mit Schröder lediglich hervor, daß sich Amerika seine wichtige Rolle der Vereinten Nationen wünsche.

Doch wird Washington nicht entgangen sein, daß der ständige Sitz für Schröder längst zum außenpolitischen Großziel geworden ist, daß die deutschen Diplomaten jede Meinungsäußerung eines Mitgliedstaates der Vereinten Nationen in der Reformfrage auf das genaueste registrieren, Listen führen, um festzustellen, wie die Mehrheitsverhältnisse sind. Die Abstimmungsmodalitäten wollen es, daß das amerikanische Votum am Ende ausschlaggebend sein wird für die Erfüllung des deutschen Traums. Der ständige Sitz freilich weniger brisant als die iranischen Atomambitionen wird schon bald zum weiteren Test auf die erneuerte deutsch-amerikanische Freundschaft werden.

Quelle: Eckart Lohse, „Deutschland ist kein Ja-Land mehr“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. Februar 2005, S. 3.