Kurzbeschreibung

Am 13. Januar 1999 legte die Regierungskoalition von SPD und Grünen einen Arbeitsentwurf für ein Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vor. Ziel des Entwurfs war die Erleichterung des Einbürgerungsprozesses und die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft. Die CDU-CSU lehnte den Entwurf entschieden ab und reagierte mit einer bundesweiten Unterschriftenkampagne gegen die geplanten Gesetzesänderungen. In Hessen fand die Unterschriftenaktion besonderen Anklag: bis Ende Januar trugen sich 290.000 Bürger in die Listen ein. Dank dieser populistischen Taktik gelang es dem CDU-Spitzenpolitiker Roland Koch, die hessische Landtagswahl am 7. Februar 1999 zu gewinnen und den favorisierten SPD-Kandidaten zu schlagen. Der folgende Artikel erschien am 15. Januar 1999, zwei Tage nach der Ankündigung der von der neuen rot-grünen Bundesregierung beabsichtigten Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Koch argumentiert hier gegen doppelte Staatsangehörigkeit und für Integration, wobei sein Aufruf zur Integration teilweise mehr einer Aufforderung zur Assimilation ähnelt.

CDU-Politiker Roland Koch gegen doppelte Staatsangehörigkeit (15. Januar 1999)

  • Roland Koch

Quelle

„Der Wille zur Integration ist nötig“

CDU-Politiker warnt bei Staatsbürgerrecht vor Spaltung der Gesellschaft

Es ist schon seltsam. Millionen Unterschriften gegen den Nato-Doppelbeschluß waren ein Sieg der Moral und ein Ausweis demokratischer Kultur. Millionen Unterschriften gegen die grundlegende Änderung unseres Staatsangehörigkeitsrechts sollen unmoralisch und der Untergang der politischen Kultur sein.

Dabei weiß jeder, daß uns das Zusammenleben von Deutschen und ausländischen Mitbürgern vor Schwierigkeiten stellt, die sich nicht wegdiskutieren lassen. Wer darüber spricht, darf nicht als ausländerfeindlich abgestempelt werden. Es muß auch uns Deutschen möglich sein, offen über Probleme bei der Integration ausländischer Mitbürger zu sprechen. Die von der rot-grünen Bundesregierung beabsichtigte Einführung der generellen „doppelten Staatsbürgerschaft“ wird diese Probleme nicht lösen. So würden die Sprachprobleme in unseren Schulen fortbestehen.

Wer nicht sehenden Auges eine Spaltung unserer Gesellschaft in Kauf nehmen will, dem können unübersehbare Tendenzen zur Ghettobildung – vor allem in Großstädten – sowie Ausgrenzung von oder auch Gewalt gegen Ausländer nicht gleichgültig sein. Die Situation zum Beispiel vieler junger türkischer Frauen, die allein durch völlig unzureichende Sprachkenntnisse von ihrer weiteren Umwelt ausgeschlossen sind – von wirklicher gesellschaftlicher Teilhabe am Leben ganz zu schweigen –, kann keine Vision für das künftige Miteinander sein.

Die Bürger unseres Landes erwarten zu Recht Ehrlichkeit bei der Behandlung des Themas – und daß die Politik realistische Lösungswege aufzeigt. Das ist gerade bei der jetzt von der neuen rot-grünen Bundesregierung beabsichtigen generellen Möglichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit nicht der Fall: Die Spaltung der Gesellschaft würde besiegelt. Loyalitätskonflikte sind die zwangsläufige Folge: In welchem Land wird beispielsweise der Wehrdienst abgeleistet? Welche Regierung vertritt die Interessen der heute in Deutschland lebenden Mitbürger ausländischer Herkunft? Und: Welches Land setzt sich für den Schutz der Betroffenen in Drittländern ein? Wo besteht ein Anspruch auf Sozialleistungen? Warum sollen Mitbürger ausländischer Herkunft über die Politik in Deutschland mitbestimmen, während Deutsche im Ausland kein Wahlrecht haben? Das Konzept von Rot-Grün hätte zur Folge, daß die „doppelte Staatsbürgerschaft“ auf Kinder und Kindeskinder, auf Familiennachzüge und durch weitere Zuzüge immer weiter ausgedehnt würde. Wenn Vater und Mutter hier leben, dann ist es niemandem zu verdenken, daß er auch seine Kinder bei sich haben will. Aber es ist ein großes Problem, wenn Kinder bewußt zur Erziehung ins Heimatland geschickt werden und beispielsweise mit 16 Jahren – ohne deutsche Schulausbildung und ohne deutsche Sprachkenntnisse – zu uns kommen.

Nach den rot-grünen Vorstellungen hätte im Prinzip jeder Ausländer, der acht Jahre hier gelebt hat, Anspruch auch auf die deutsche, also die doppelte Staatsangehörigkeit. Das würde bedeuten, auch Mitglieder der terroristischen PKK könnten Deutsche werden. Wenn Rot-Grün die generelle „doppelte Staatsbürgerschaft“ durchsetzen würde, könnten Täter nicht mehr ohne weiteres abgeschoben werden. So besteht die Gefahr, daß innertürkische Konflikte nach Deutschland verlagert werden. Dem friedlichen und gutnachbarschaftlichen Miteinander würde damit ein Bärendienst erwiesen.

Wer ernsthaft an tragfähigen Lösungen interessiert ist, der muß bereit sein, Vorurteile zu überwinden und Fiktionen über Bord zu werfen. Er muß sich etwa vom überkommenen Bild des „Gastarbeiters“ lösen, der nach einigen Jahren der Arbeit in Deutschland wieder in sein Heimatland zurückkehrt. Die Wirklichkeit ist eine andere. Wir haben ausländische Arbeitskräfte zu uns gebeten, die inzwischen zu ausländischen Mitbürgern geworden sind und dauerhaft hier leben.

Das Zusammenleben von Ausländern und Deutschen ist Normalität in unserem Land. Deutschland ist weltoffen und ausländerfreundlich. Ausländische Mitbürger haben ihre Rolle in unserer Gesellschaft gefunden. Viele Wirtschaftsbereiche wären ohne sie nicht mehr vorstellbar. Ausländische Mitbürger sind Teil unserer Gesellschaft geworden, und wir bejahen dies. Aber wir wollen keine Bürger erster und zweiter Klasse – solche mit mehr und solche mit weniger Rechten. Über vier Millionen Menschen hätten nach dem Willen von Rot-Grün einen Anspruch auf die „doppelte Staatsbürgerschaft“. 80 Millionen Deutsche hätten diese Möglichkeit nicht.

Wir stehen für das faire Angebot, daß jeder, der unbescholten ist, seinen Lebensmittelpunkt und seine Zukunft in Deutschland sieht und über längere Zeit hier wohnt, Deutscher werden kann. Aber wir erwarten eine Entscheidung – und nicht ein beliebiges Sowohl-Als-auch. Notwendig ist der Wille zur Integration. Die Forderung nach guten Sprachkenntnissen ist keine Anmaßung, sie liegt auch im Interesse desjenigen, der sich in sein neues Umfeld integrieren will. Dieses wird um so eher gelingen, je mehr der ausländische Mitbürger bereit ist, sich auf die vielfältigen kulturellen Traditionen einzulassen, die unser Land seit Jahrhunderten geprägt haben.

Integration ist keine Einbahnstraße. Wir brauchen bei uns Toleranz gegenüber anderen Religionen, Gebräuchen und Sitten. Aber zugleich erwarten wir von anderen bei einem dauerhaften Leben in Deutschland auch eine Anpassung an die Lebensformen einer vom christlichen Abendland geprägten Gesellschaft. Deutschland ist offen für Gebetsräume und Gebetshäuser auch nichtchristlicher Religionen. Aber wir wollen, daß in Deutschland weiter Kirchenglocken läuten und nicht Muezzine rufen.

Wer ja sagt zur Integration, muß die Einbürgerung leichter machen. Es ist notwendig, bürokratische Hemmnisse weiter abzubauen und vor allem die Wartezeiten für den Anspruch auf Einbürgerung auf acht Jahre zu verkürzen. Besonders für die nachwachsende Generation muß das Verfahren einfacher gestaltet werden: Kinder ausländischer Eltern sollen – wenn die Eltern dies möchten – schon mit der Geburt eine „Einbürgerungszusicherung“ erhalten. Wenn sie dann später die ausländische Staatsbürgerschaft aufgeben, werden sie automatisch Deutsche.

Die Pläne der neuen Bundesregierung sehen dagegen vor, Deutschland die generelle „doppelte Staatsbürgerschaft“ aufzuzwingen. Ganz offensichtlich hat Rot-Grün schon nach wenigen Wochen Regierungszeit in Bonn die Bodenhaftung verloren. Mit der Unterschriftenaktion wird die Union deshalb SPD und Grüne auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Die CDU Hessen wird die Landtagswahl am 7. Februar auch zu einer Abstimmung über die Frage der generellen „doppelten Staatsbürgerschaft“ machen.

Quelle: Roland Koch, „Der Wille zur Integration ist nötig“, Die Welt, 15. Januar 1999.