Kurzbeschreibung

Das Deutsche Historische Museum öffnet nach nunmehr fast 20 Jahren hitziger Wissenschaftsdebatten über eine angebrachte Darstellungsweise der deutschen Vergangenheit seine Türen. Ein Journalist beschreibt die optimistische Stimmung bei der offiziellen Eröffnung und fährt damit fort den eigentlichen Grundcharakter des Museums genauer darzustellen, der vor allem die Ausstellung von historischen Artefakten betont und abzielt auf „Authentizität statt Inszenierung,“ um es mit den Worten des Museumsdirektors Hans Ottomeyer auszudrücken. Weiter bringt der Journalist einen allgemeinen Enthusiasmus für die permanente Ausstellung des Museums zum Ausdruck, welche den Besucher durch die höchsten Höhen und tiefsten Tiefen der 2000jährigen Geschichte Deutschlands führt. Dabei verweist er jedoch aber auch auf kritische Stimmen.

Das Deutsche Historische Museum versucht sich an einem ungetrübten Blick auf die Vergangenheit (2. Juni 2006)

  • Reinhard Mohr

Quelle

Es ist vollbracht!”

Es war, als habe auch der liebe Gott seinen Segen gegeben. Just in dem Augenblick, da Kulturstaatsminister Bernd Neumann die große Dauerausstellung „Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen” für eröffnet erklärte, läuteten die Glocken des Berliner Doms.

Doch auch auf Erden, im wunderschönen, von Licht durchfluteten Schlüterhof des Zeughauses Unter den Linden, unter Kurfürst Friedrich III. erbaute Waffenkammer und Ruhmeshalle des preußischen Militärs, war eine freundliche Gelöstheit spürbar, eine froh gestimmte Leichtigkeit, die sonst nicht gerade ein Markenzeichen deutscher Geschichte ist.

Wer wollte, konnte diese Atmosphäre freudiger Entspanntheit auch als praktischen Kommentar zur gegenwärtigen Patriotismus-Debatte verstehen, bei der es vor allem darum zu gehen scheint, wer die neue Liebe zu Deutschland als erster überm Bierbauch gespürt hat.

Die Sonne schien durchs transparente Dach, ein knapp einjähriger süßer Knabe mit Schnuller im Mund krabbelte friedlich über den hellen Steinfußboden, der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse, gesellte sich locker zu Journalisten an einen der hinteren Stehtische, und Helmut Kohls strahlende Miene in der ersten Reihe schien selbst dem sichtbar, der ihn nur von hinten sah.

Nicht ohne Grund: Kein Name fiel heute Vormittag so oft wie seiner. Dass nun, nach fast 20 Jahren Vorbereitung, das Deutsche Historische Museum (DHM) endlich seine programmatische Ausstellung über 2000 Jahre deutscher Geschichte präsentieren kann, verdankt sie zuallererst dem Altbundeskanzler. Selbst Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, der mit den Worten „Es ist vollbracht!” anhob, betonte diese Tatsache ohne Umschweife: „Und das sage ich ausdrücklich als Sozialdemokrat”.

Als Helmut Kohl Mitte der achtziger Jahre die Idee eines Museums der deutschen Geschichte äußerte, schlug ihm und dem späteren Gründungsdirektor Christoph Stölzl massive Kritik entgegen. Es war die Zeit des leidenschaftlich geführten „Historikerstreits” um Auschwitz und Gulag und die Vergleichbarkeit von kommunistischer und faschistischer Vernichtungslogik.

Linke Intellektuelle warnten vor einer neo-nationalen Geschichtsschreibung mit reaktionärer Tendenz, vor einer goldglänzenden Beschönigung der Vergangenheit und, natürlich, vor der Relativierung deutscher Schuld an Krieg und Holocaust, kurz: vor einer gefährlichen geschichtspolitischen Wende ins Biedermeier eines scheinheiligen Reiches Deutscher Nation.

Nichts von alledem hat sich bewahrheitet. Im Gegenteil. Alle großen Debatten über Naziterror und Judenvernichtung, deutsche Schuld und nationale Verantwortung, fanden in den letzten 20 Jahren statt. Auch die Ausstellung lässt hier nichts an Klarheit zu wünschen übrig.

Gleichwohl schwebt die ewige Frage, ob und wie aus der Geschichte zu lernen sei, weiter im Raume. Doch es gibt etwas Neues, das wohl nur deshalb keinem mehr wirklich auffällt, weil wir uns inzwischen daran gewöhnt haben: dass die deutsche Geschichte auch glückliche Augenblicke kennt, in denen Freiheit und Einheit zueinander finden – der alte Traum der Revolutionäre von 1848.

Bundeskanzlerin Angela Merkel wies in ihrer Ansprache auf die bemerkenswerte Koinzidenz hin, auf den „geschichtsträchtigen Moment am geschichtsträchtigen Ort”. Denn das barocke Zeughaus beherbergte nicht nur Preußens Waffenarsenal, sondern – bis 1989 – auch das DDR-Museum für deutsche Geschichte, in dem, streng marxistisch-leninistisch, schon Thomas Müntzer und die Bauernkriege im ausgehenden Mittelalter auf Erich Honecker, Egon Krenz, Erich Mielke und das ZK der SED zuzulaufen schienen.

„Historisch-dialektischen Materialismus” nannte man das damals, ein unverrückbares Naturgesetz der geschichtlichen Entwicklung, die in der Diktatur des Proletariats ihren vorläufigen Höhepunkt erklommen hatte.

Ausdrücklich erinnerte Merkel an diese unerfreuliche Erbschaft, die sich im Glücksmoment von Mauerfall und Wiedervereinigung dialektisch und kongenial mit den Kohlschen Museumsplänen verband. Trotz der ideologischen Zurichtung barg die Sammlung des DDR-Museums, ein ganz praktischer Glücksfall, unwiederbringliche Schätze, seltene Originalstücke in Hülle und Fülle.

Bald nach der „Wende” von 1989/90 war klar, dass ein deutsches Nationalmuseum, das man am Ende allerdings doch lieber „Deutsches Historisches Museum” nannte, nur im alten Zeughaus seinen idealen Platz finden konnte – zwischen Lustgarten und Brandenburger Tor, zwischen Alter Nationalgalerie und Kronprinzenpalais.

Hier, so Merkel, soll nun niemandem mehr ein „Geschichtsbild” aufgedrängt werden. Jeder solle sich selbst ein Bild von den „Höhen und Tiefen vergangener Tage” machen. Vielleicht könne ja die weithin immer noch „geteilte Erinnerung” in Ost und West durch historische Anschauung versöhnt werden – womöglich zu einem ein Geschichtsbild, das keine pseudowissenschaftliche Naturgesetzlichkeit kennt, sondern „offen, vielschichtig und umfassend” ist. Ein differenziertes Geschichtsbewusstsein, das zu Orientierung und Identität der Nation beitrage.

Stolz wies DHM-Direktor Hans Ottomeyer – „Ich bin überglücklich, ringe um Worte” – darauf hin, dass das Publikum seines Museums, zu dem auch der wunderbare gläserne (An-)Bau des chinesisch-amerikanischen Architekten Pei mit vielen Wechselausstellungen gehört, außerordentlich jung sei.

„Geschichte hat Konjunktur” stellte Ottomeyer fest und hob noch einmal das Museumskonzept hervor: Authentizität statt Inszenierung. Kein Ersatz für ein Geschichtsstudium oder die Lektüre dicker Bücher, sondern das Angebot eines zuallererst sinnlichen Gesamteindrucks, der bei jedem Besucher andere Gedanken und Gefühle auslösen mag.

Während des anschließenden Rundgangs durch die zweistöckige Ausstellung wurde nicht nur die Bundeskanzlerin von den rund 8000 Exponaten auf einer Gesamtfläche von 7500 Quadratmetern überwältigt – vom komplett „eingerüsteten” Ritterross samt Reiter bis zur Uniform Friedrichs II., vom Flakgeschütz bis zum Dürer-Porträt Karls des Großen, von der mittelalterlichen Goldmünze bis zur Waschschüssel einer Arbeiterfamilie um 1900, von sparsam eingesetzten Film- und Videoinstallationen bis zum Originalhandwagen, mit denen Vertriebene aus dem ehemaligen Osten des Deutschen Reiches in Richtung Westen flohen.

Unmöglich, auch nur eine Ahnung von der Vielfalt der präsentierten Objekte zu vermitteln, die in grob chronologischer Abfolge und mit kurzen, deutsch-englischen Texten erklärt und in historische Epochen eingeordnet werden, nicht zuletzt in den europäischen Kontext.

Die Raumaufteilung ist großzügig und verständlich, auch wenn die Fülle und Attraktivität der Gegenstände zumindest den eiligen Zeitgenossen zum heillosen Zickzack-Kurs verführt.

Einige Kritiker haben die „konzeptionelle Zurückhaltung” und „Deutungsunlust” der „baukastenhaft arrangierten Museumsvitrinen” moniert und sprechen, wie der Feuilletonchef der FAZ, Patrick Bahners, recht despektierlich von einer Schau „ohne Hintersinn und Geheimnis”, die letztlich nicht mehr als ein „begehbares Schulbuch” sei. Süffisantes Resümée: „Der gut sortierte Positivismus des Deutschen Historischen Museums darf als demokratische Errungenschaft gelten.”

So spricht der Aristokrat des Geistes über das „Volk, das sich von seiner Geschichte nicht mehr beunruhigen lassen will”.

Wir verstehen.

Während die einen ihrem begriffslosen Patriotismus frönen, dürstet es die anderen nach Geschichtsphilosophie, nach dem großen transzendenten Wurf. Und mittendrin also das Museum. Es lädt zum Flanieren ein, zum Schauen und Staunen, zum Lesen und Denken, entspannt und dennoch voll Neugier.

Quelle: Reinhard Mohr, „Es ist vollbracht!”, Spiegel Online, 2. Juni 2006. http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,419500,00.html