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Zur Debatte: Flucht, Vertreibung, Versöhnung
Im März 2008 beschloss die Bundesregierung, unter dem Dach des Deutschen Historischen Museums eine unselbstständige Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ zu errichten. Wolfgang Benz verfolgt die Pläne für das Zentrum für Vertreibungen bereits seit mehreren Jahren. In diesem Artikel zeichnet er die Debatte nach.
Im März 2008 beschloss die Bundesregierung, unter dem Dach des
      Deutschen Historischen Museums eine unselbständige Stiftung
      „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ zu errichten. Vorangegangen war
      der jahrelange Streit um ein Projekt „Zentrum gegen
      Vertreibungen“, für das die CDU-Politikerin Erika Steinbach,
      Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, die Werbetrommel gerührt
      hatte. Ihr Projekt, das gleichzeitig als Gedenkstätte zur
      Erinnerung an das Leid der deutschen Heimatvertriebenen, als
      Dokumentationsstelle, als Denkmal, Museum, zentraler
      Veranstaltungsort fungieren sollte, bot viele Angriffsflächen. Die
      Idee des „Vertreibungszentrums“, in den 1990er Jahren ganz
      offensichtlich als erinnerungspolitischer Reflex auf die „Stiftung
      Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ propagiert, spaltete die
      Öffentlichkeit.
Das Projekt trübte auch die politischen
      Beziehungen zu den Nachbarn, weil es mindestens in Polen und
      Tschechien irritierte, weil die Initiatoren darauf beharrten, dass
      es in Berlin und nirgendwo anders seinen Sitz haben sollte. Der
      Versuch, im Gegenzug eine Erinnerungs- und Dokumentationsstätte in
      internationaler Trägerschaft im europäischen Geist etwa in
      Breslau/Wroclaw oder in Görlitz/Zgorzelec, vielleicht auch in
      Prag, jedenfalls nicht in Berlin zu etablieren, wurde zwar
      prominent unterstützt, war aber nicht erfolgreich. Polen und die
      tschechische Republik übten sich, ob der schrillen Begleitmusik
      des Bund der Vertriebenen-Projekts misstrauisch geworden, in
      Zurückhaltung.
Nationaler Anspruch und Interessen der Trägerschaft
Ungewöhnlich war auch die Diskrepanz zwischen dem nationalen
      Anspruch des Zentrums gegen Vertreibungen und seiner Trägerschaft,
      nämlich einer Stiftung des Vertriebenenverbandes. Problematisch
      war schließlich die politische Argumentation, die Emotionen
      stimulierte, aber intellektuellen – d.h. wissenschaftlichen und
      formalen – Ansprüchen nicht genügte. Denn Anlass und Ursache der
      Vertreibung waren so wenig thematisiert wie die
      Integrationsleistungen der beiden Nachkriegsstaaten BRD und DDR,
      stattdessen arbeitete man mit Schuldzuweisungen, suchte Analogien
      zu Völkermorden des 20. Jahrhunderts und gründete Forderungen auf
      die Behauptung, das Leid der zwölf Millionen Deutschen, die nach
      dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verloren, sei bislang zu wenig
      gewürdigt, ja sogar tabuisiert worden.
Seine inhaltlichen
      Positionen hatte der Bund der Vertriebenen in einer Ausstellung
      „Erzwungene Wege“ im Sommer 2006 dargelegt. Trotz des Bemühens um
      eine differenziertere Sicht, als sie in den ursprünglich ganz auf
      Emotionen zielenden und den „Vertreiberstaaten“ Polen und
      Tschechoslowakei die Schuld zumessenden Konzepten erkennbar war,
      blieb die politische Absicht unübersehbar. Dies umso mehr, als zu
      gleicher Zeit, in der die Ausstellung des Vertriebenenbunds im
      Kronprinzenpalais in Berlin gezeigt wurde, in unmittelbarer
      Nachbarschaft im Deutschen Historischen Museum eine Ausstellung
      zum gleichen Thema zu sehen war, die vom Bonner „Haus der
      Geschichte“ (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik
      Deutschland) erarbeitet worden war. Diese, als ausgewogen und
      umfassend gerühmte Darstellung deutscher Geschichte, soll die
      Grundlage der Präsentation im künftigen Dokumentations-Zentrum der
      Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ am Anhalter
      Bahnhof bilden.
Politische Debatten um das Zentrum
Die Auseinandersetzungen wurden rasch zum Parteienstreit. Die
      SPD distanzierte sich überwiegend von dem Projekt. Die CDU nahm
      dagegen die Forderung des Vertriebenenverbands nach einem
      Erinnerungs- und Dokumentationszentrum in ihr Programm zur
      Bundestagswahl 2005 auf und musste dann in der Großen Koalition
      mit der SPD einen Kompromiss finden, der im Frühjahr 2008 erzielt
      wurde: Ein „sichtbares Zeichen“ soll errichtet werden, die
      inhaltliche Gestaltung und die Deutungshoheit sollen aber nicht
      der Interessengruppe BdV überlassen, vielmehr in
      gesamtgesellschaftlichem Konsens wahrgenommen und verantwortet
      werden.
Dem Gesetzentwurf des Kulturstaatsministers waren
      diplomatische Anstrengungen vorausgegangen, mit denen Misstrauen
      und Verstimmung in Prag und Warschau gedämpft wurden, die sich
      nach den unsensiblen Kampagnen zur Durchsetzung des Projekts
      „Zentrum gegen Vertreibungen“ in hohem Maße ausgebreitet hatten.
      Insbesondere in Polen hatte die Propaganda, mit der die Pläne des
      BdV forciert wurde, Ängste ausgelöst und Ressentiments belebt, die
      auf offizieller politischer Ebene von der Kaczynski-Regierung
      ebenso wie von polnischen Medien in oft beleidigender Diktion
      offensiv vorgetragen wurden.
In einer Rede am „Tag der
      Heimat“ am 6. September 2008 machte Erika Steinbach deutlich, dass
      sie die Aufgaben des vom Bund der Vertriebenen getragenen
      „Zentrums gegen Vertreibungen“ durch die Bundesstiftung „Flucht,
      Vertreibung, Versöhnung“ aber nicht für erledigt hält. Sie
      kündigte als neue Aktivität ihres Zentrums eine Ausstellung an,
      die 2009 in der Vertretung Bayerns in Berlin gezeigt werden soll;
      sie wird die Kultur- und Siedlungsgeschichte der Deutschen
      außerhalb des Deutschen Reiches zum Thema haben.
Bei gleicher
      Gelegenheit propagierte die Präsidentin vom Bund der Vertriebenen
      auch ein Geschichtsbild, in dem die Vertreibung der Deutschen aus
      Ostmitteleuropa als genozidale Intention erscheint. Die
      Heimatvertriebenen als Opfer eines Völkermords (d. h. systematisch
      geplanter und ins Werk gesetzter Vernichtung) würde sie – unter
      Widerspruch sachverständiger Historiker allerdings – an die Seite
      der Überlebenden des Holocaust rücken. Ein solches politisches
      Kalkül vermuten nicht nur nationalkonservative polnische Medien.
      Das Geschichtsverständnis, das zugrunde liegt, ist ein weiteres
      gutes Argument für die neue Institution unter Verantwortung des
      zentralen deutschen Geschichtsmuseums, also in öffentlicher und
      professioneller Trägerschaft, geleitet vom Streben nach Aufklärung
      und fundamentiert durch historische Forschung.
Das künftige „sichtbare Zeichen“
Das „sichtbare Zeichen“ der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ wird in zwei Stockwerken des Deutschlandhauses in Berlin nahe dem Anhalter Bahnhof (und nicht weit vom Denkmal für die ermordeten Juden Europas) errichtet. Es wird noch einige Zeit dauern, bis der Umbau (29 Millionen EURO sind veranschlagt) vollzogen ist. Streit könnte es davor um die Besetzung der Gremien geben. Dem Stiftungsrat werden Vertreter der Bundesregierung, des Bundestags und gesellschaftlicher Gruppen angehören, drei Sitze sind für den Bund der Vertriebenen vorgesehen. Wenn dessen Präsidentin ihrem Selbstbewusstsein den Vorrang vor der gebotenen diplomatischen Zurückhaltung gibt, wird sich wieder Kritik erheben. Wladyslaw Bartoszewski, polnischer Historiker, Freund der Deutschen und von Amts wegen als Staatssekretär beim Premierminister in Warschau für Fragen der deutsch-polnischen Nachbarschaft zuständig, äußerte die Befürchtung, dass Frau Steinbach in einem Gremium der neuen Stiftung die alten polnischen Ängste vor deutschem Revisionismus und die daraus resultierenden Ressentiments in Polen abermals entfachen würde. Damit wäre der Stiftungszweck „Versöhnung“ in Frage gestellt und die Absicht, die Ausstellung und Dokumentationsstätte als „Ort des Dialogs“ zu installieren, gefährdet.
Quelle: Wolfgang Benz, „Zur Debatte: Flucht, Vertreibung, Versöhnung“, in Dossier: Geschichte und Erinnerung, Bundeszentrale für politische Bildung, 12. November 2008.
Online verfügbar unter: http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/geschichte-und-erinnerung/39826/flucht-vertreibung-versoehnung?p=0