Kurzbeschreibung

Der Stadtplaner Günter Schlusche beschreibt die Auswirkungen der neuen Bundesbauten auf das städtische Gefüge und die architektonische Landschaft Berlins. Ihn interessiert dabei nicht nur der Symbolgehalt der profilträchtigen Bauten, sondern auch deren erfolgreiche Integration in die allgemeine urbane Landschaft. Sein weit ausholender Essay beschäftigt sich mit einer Vielzahl von Themen: Geschichte und Erinnerung, aber auch Nutzung und Funktionalität. Schlusche diskutiert zudem den Beschluss, verschiedene Ministerien in vorhandenen Gebäuden im historischen Stadtzentrum unterzubringen und beschreibt die positiven Auswirkungen des Nebeneinanders von Regierungsbehörden und anderen Institutionen innerhalb eines urbanen Kontextes.

Ein Stadtplaner beschreibt das neue Regierungsviertel in Berlin (2001)

  • Günter Schlusche

Quelle

Die Parlaments- und Regierungsbauten des Bundes im Kontext der Berliner Stadtentwicklung

I. Berlin ist viele Hauptstädte

„Berlin ist viele Städte“ – so lautet ein Ausspruch des verstorbenen Berliner Architekten Werner Düttmann. „Berlin ist viele Hauptstädte“ – so könnte man diesen Satz abwandeln und auf die hauptstädtischen Standorte beziehen, die in den letzten 200 Jahren unter den verschiedenen Staatsformen in Berlin gebaut wurden: die Staatsbauten der gerade untergegangenen DDR, die Bauten des Nationalsozialismus, der Weimarer Republik, des Kaiserreichs und schließlich Preußens. Schon 1990, also ein knappes Jahr vor dem Hauptstadtbeschluss des Deutschen Bundestages, legte Berlin ein Kompendium der vorhandenen Liegenschaften vor, dem zweierlei zu entnehmen war:[1] zum ersten, dass Berlin einen Fundus von für den Bund verfügbaren Gebäuden und Flächen anzubieten hatte, der selbst die weitestgehenden Ansprüche abdecken konnte; zum zweiten, dass der überwiegende Teil der in Frage kommenden Standorte sich in der Alten Mitte, also im historischen Zentrum zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz, befand. Aufgrund der Evidenz dieser Fakten ist es nie zu einer ernsthaften Diskussion über grundsätzliche Alternativen – etwa eine Unterbringung aller Bundeseinrichtungen im Riesenbau des Flughafens Tempelhof oder in den zahlreichen Berliner Kasernen – gekommen. Es hat allerdings einige Zeit gebraucht, bis die große Vielfalt, die diese Standortkulissen in architektonischer wie in funktionaler Hinsicht darstellen, ins Bewusstsein der Vertreter der entscheidenden Institutionen gelangten.

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II. Schwerpunkt Spreebogen

Die wenigsten Fragen stellten sich bei der Wahl des Spreebogens als Regierungsbereich – hier lieferte die Existenz des Reichstagsgebäudes eine eindeutige Vorgabe, zudem war die Verfügbarkeit großer angrenzender Flächen im Bundesbesitz gegeben. Dennoch – die im Oktober 1991 vom Ältestenrat des Deutschen Bundestages getroffene Entscheidung, das Reichstagsgebäude zum Sitz des Parlaments zu machen, war nicht so selbstverständlich, wie es im Nachhinein scheinen mag.[2] In der Öffentlichkeit und bei einigen Politikern war das Gebäude als nationalsozialistisch belasteter Bau diskreditiert, seine wilhelminische Architektur stieß auf Missfallen. In der Tat – das trutzige Gebäude, zu Mauerzeiten wie ein erratischer Block am äußersten Rand des Tiergartens im Schatten der Mauer gelegen, hatte nichts Einnehmendes – ganz anders als der von Günter Behnisch in das Rheinufer eingefügte Bundestagsneubau in Bonn. Es bedurfte einer Reihe von Kolloquien und öffentlicher Debatten, um die historische Rolle dieses Baus zu objektivieren, dessen Zweckbestimmung Kaiser Wilhelm verhöhnt und dessen Architektur er zurechtgestutzt hatte.[3] Die große öffentliche Zuneigung zu diesem Bau entwickelte sich mit der künstlerischen Aktion von Christo und Jean [sic] Claude im Sommer 1995 und hat seit der Fertigstellung der Kuppel geradezu enthusiastische Züge angenommen. Mit drei Millionen Besuchern in gut zwei Jahren ist dieses Gebäude zu einer internationalen Tourismus-Attraktion vom Rang des Eiffelturms oder des Londoner Towers geworden – für ein Parlamentsgebäude im Zeichen der Politikverdrossenheit eine erstaunliche Entwicklung.

Vom zentralen Bereich zum Spreebogen

Für die ab 1992 zu treffenden Standortentscheidungen hatte das Reichstagsvotum weit reichende Konsequenzen, denn dadurch wurden Spreebogen und Dorotheenstadt zum bevorzugten Standort für den Bundestag und das Bundeskanzleramt. Im März 1992 wurde mit den entsprechenden Vorgaben der internationale städtebauliche Wettbewerb Spreebogen ausgelobt – in enger Verzahnung mit dem Architekturwettbewerb zum Umbau des Reichstagsgebäudes als Haus des Deutschen Bundestags.[4] In städtebaulicher Hinsicht wurde dieser Raum am nördlichen Tiergartenrand damit zum bedeutungsvollen Entree des historischen Zentrums designiert. []

Das Band des Bundes

Der Spreebogen-Wettbewerb wurde im Februar 1993 von den Berliner Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank gewonnen, die schon in die Planungsverfahren zum „Zentralen Bereich“ involviert waren. Ihr Entwurf überzeugte das Preisgericht mit der äußerst kraftvollen Idee einer linearen städtebaulichen Struktur, welche die Spree an zwei Stellen überspannt und Exekutive wie Legislative, also durchaus heterogene Elemente, in einer Konfiguration gegenüberstellte.[5] Die große, auch international sehr positive Resonanz auf diesen Entwurf erklärte sich zu einem Gutteil aus seiner stadtgeschichtlichen Sensibilität. Dem Großmachtstreben des Nationalsozialismus, der eine gewaltige Nord-Süd-Achse durch die Berliner Innenstadt geplant hatte und hier in einer „Halle des Volkes“ kulminieren lassen wollte, setzten Schultes und Frank das „Band des Bundes“ entgegen. Die zweite Quelle der Akzeptanz dieses Entwurfs war sicherlich der Anspruch, den Ost- und den Westteil der gerade wiedervereinten Stadt mit dieser Formation wieder zu verklammern, eine idealistische, aber eingängige Metapher.

Den beiden Architekten gelang es 1995 schließlich auch, den architektonischen Wettbewerb für das im Westen des Bandes platzierte Bundeskanzleramt zu gewinnen – eine keineswegs selbstverständliche Entscheidung, die der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl erst nach halbjähriger Bedenkzeit traf. Den Wettbewerb für den Umbau des Reichstags gewann der britische Architekt Sir Norman Foster, allerdings nach einer langwierigen Überarbeitungsphase, in deren Verlauf Foster seinen ursprünglichen Entwurf auf massiv vorgetragene Wünsche des Auftraggebers hin radikal veränderte und schließlich die Idee der Kuppel verwirklichte. Der Wettbewerb für das östliche Glied des Bandes, den Bereich, in dem die Parlamentsgebäude entstehen sollten, wurde von dem Münchener Architekten Stephan Braunfels gewonnen, der nach einer Entscheidung der Auftraggeber auch zum Architekten für die Fortsetzung des Bandes zwischen Spree und Luisenstraße wurde.

Band des Bundes ohne Forum?

Während die „harten“ Elemente des Bandes, also das Kanzleramt und die Parlamentsbauten, praktisch fertig gestellt sind, ist das Kernstück des Schultes-Frank-Entwurfs, das Forum des Bundes, bis heute eine Idee geblieben. Weder die alte noch die neue Bundesregierung oder der Bundestag haben der in keinem Programm vorgegebenen, aber gleichwohl sinnfälligen Idee von Schultes und Frank, hier ein Forum für den Austausch zwischen gesellschaftlicher Öffentlichkeit und parlamentarisch-politischem Leben zu konzipieren, etwas abgewinnen können. [] Mit durchaus hohen Erwartungen kann nach Abschluss der Tiefbauarbeiten im Spreebogen nun der Fertigstellung der großen Landschaftsräume entgegengesehen werden. Der vom Reichstagsgebäude bis zum Haus der Kulturen der Welt reichende Platz der Republik bietet ein Wechselspiel zwischen offenen Wiesen- bzw. Heckenbereichen und großzügigen Baumlandschaften. Die Fläche des Forums zwischen Kanzleramt und Paul-Löbe-Haus wird durch Wasserspiele und Natursteinfelder hervorgehoben, während die durch Bäume gestalteten Randbereiche die Spur des Bundesbands wahren. []

Mit seiner Fertigstellung im Mai 2001 ist das Kanzleramt zum Gegenstand einer kontroversen architektonischen Debatte geworden, die in einer Reihe von Argumenten jedoch auf das nun zu Tage getretene städtebauliche Dilemma abzielt.[6] Die beiden Großbauten des Bundeskanzleramtes und des gerade bezogenen Paul-Löbe-Hauses liegen in einer nicht einfach überbrückbaren Distanz zueinander und machen die Vorstellung eines Bandes zum Fragment. Zudem sind sie ein wenig aus der Balance geraten. Das Kanzleramt, das Schultes und Frank schon bei ihrer ersten Überarbeitung in der Höhenwirkung differenzierten, überragt nun mit seinem 36 m hohen quadratischen Leitungsbau die seitlichen, das Band markierenden Verwaltungsflügel um fünf Geschosse. Sein östliches Gegenüber, der Bundestagsbau von Stephan Braunfels, bleibt in der Höhenentwicklung konstant und vollzieht den Sprung auf das Ostufer der Spree in den gleichen baulichen Dimensionen. Die Fortsetzung des Bandes nach Westen besteht hingegen aus dem von Sockelwänden eingefassten Kanzlerpark, den man über eine doppelstöckige Brücke erreicht. Im Osten dagegen wird die Figur des Bandes durch den nördlich des Braunfels-Baus entstandenen Neubau einer Kindertagesstätte von Gustav Peichl für die Bundestagsbediensteten undeutlich macht.

Der Städtebau des Spreebogens

Ein gravierenderes Monitum ist die fehlende städtebauliche Einbindung der Teile des Bandes nach Norden hin. Schultes und Frank sind in ihren Entwürfen immer davon ausgegangen, dass am Moabiter Nordufer der Spree ein kompaktes Stadtquartier um einen großvolumigen neuen Lehrter Fernbahnhof entstehen wird. Dies war die bereits 1992 verkündete feste Absicht der Deutschen Bahn, die von der Stadt trotz gewisser Bedenken mitgetragen wurde. Zur Verwirklichung dieser Planung wird es auf absehbare Zeit nicht kommen. Seit 1994 baut die Bahn an dem unterirdischen Tunnelbauwerk der Nord-Süd-Bahntrasse, die nicht nur die Spree, sondern auch den Tiergarten, den Potsdamer Platz und den Landwehrkanal unterqueren wird. Die Fertigstellung des Groß-Bahnhofs am Kreuzungspunkt mit der oberirdischen Ost-West-Trasse der Stadtbahn wird sich, wenn er denn in der geplanten Konzeption mit zwei den Gleiskörper überspannenden „Bürobügeln“ realisiert werden sollte, mindestens bis 2006 verzögern. []

Der Hinweis auf ein ähnliches Großvorhaben am südlichen Rand des Tiergartens, das eine wahre planerische Odyssee hinter sich gebracht hat, erscheint tröstlich: das von dem Architekten Hans Scharoun konzipierte Kulturforum. Auch hier hat sich das Urbanitätsversprechen, das bei Baubeginn gegeben wurde, erst nach 40 Jahren einlösen lassen, allerdings auf Umwegen und auch nur dadurch, dass mit dem Potsdamer Platz unverhofft ein weiteres Großprojekt hinzutrat. Der bis heute von Scharouns Meisterwerk, der Philharmonie, ausgehenden Ausstrahlung haben diese Wirrungen übrigens keinerlei Abbruch getan.

Im Osten des Reichstagsgebäudes werden nun die Baumassen sichtbar, die sich nördlich und südlich der Dorotheenstraße sowie der Luisenstraße angesammelt haben.[7] Die diesen Formationen gegebenen Namen Jakob-Kaiser-Haus und Marie-Elisabeth-Lüders-Haus mögen ihre demokratiegeschichtliche Berechtigung haben, aus städtebaulicher Sicht führen diese Begriffe in die Irre. In der hier versammelten Aneinanderreihung von äußerst kompakt bebauten Großblöcken ballt sich eine Geschossfläche von über 300 000 Quadratmetern – nahezu ein Viertel des gesamten vom Bund in Berlin genutzten Volumens. Zudem handelt es sich um monofunktional genutzte Büroflächen mit nur wenig Chancen, hier städtische Mischnutzungen, etwa Geschäfte und Gastronomie oder gar Wohnen, zu etablieren.

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III. Der Bund in der Alten Mitte

Nur wenige hundert Meter weiter südlich der Linden ist in den Blöcken der Friedrichstadt zwischen Wilhelmstraße und Markgrafenstraße zu sehen, welche positive Wirkung die in die vorhandene Baustruktur eingeflochtenen Standorte verschiedener Bundesministerien haben. Die Bauten des Bundesministeriums für Justiz, des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung oder das heute vom Bundesrat genutzte ehemalige Preußische Herrenhaus knüpfen z. T. an über hundertjährige Nutzungstraditionen an und sind gleichzeitig Beleg für eine lebendige denkmalgerechte Umnutzungskultur.[8] Von diesen Gebäuden geht keine Aura der Unnahbarkeit – etwa durch überzogene Sicherheitsanforderungen – aus, sie erzeugen kaum Verdrängungseffekte, sondern bieten ein gewisses Maß an städtischer Reibungsfläche, aus der sich hochwertige Nutzungsgeflechte zu anderen hochwertigen Standorten, aber auch zu Sekundärnutzungen wie Gastronomie oder Dienstleistungen ergeben können. Die zahlreichen in der Friedrichstadt genutzten Vertretungen der Bundesländer und Standorte der ausländischen Botschaften wie etwa von Frankreich, Großbritannien, Polen oder Belgien zeigen, dass diese Institutionen dem Beispiel des Bundes gefolgt sind. Ihre Existenz belegt die Vereinbarkeit von Hauptstadt-Funktionen und Urbanität auf überzeugende Weise. Eine Ausnahme wird möglicherweise die Botschaft der USA am Pariser Platz darstellen, deren gestiegene Sicherheitsansprüche offensichtlich zu einigen städtebaulichen Konzessionen führen, die für den Stadtgrundriss und für die Wiederherstellung der öffentlichen Räume an dieser so prominenten Stelle eigentlich nicht akzeptabel sind.

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V. Schwerpunkt Spreeinsel

Der Bereich zwischen Schlossplatz und Molkenmarkt hat im Lauf der sechsjährigen Planungsphase die einschneidendsten Änderungen erfahren müssen. Bis 1994 ging der Bund noch davon aus, hier mindestens drei Ministerien unterzubringen. In dem 1993 für den Bereich der Spreeinsel, also das Gebiet um den Schlossplatz, ausgelobten städtebaulichen Wettbewerb waren das Auswärtige Amt, das Bundesinnenministerium sowie ein Bundeskonferenzzentrum vorgesehen.[9] Um dieses Volumen unterzubringen, war der Abriss des den östlichen Teil des Schlossstandortes einnehmenden Palastes der Republik, des Staatsratsgebäudes und des DDR-Außenministeriums als verbindliche Vorgabe formuliert. Mit anderen Worten: Mit einem Schlag sollten die gesamten DDR-Staatsbauten dieses Bereichs verschwinden. Doch nicht genug damit: Nach den Vorstellungen des damals durch die FPD-Politikerin Irmgard Schwaetzer geführten Bundesbauministeriums wären auch das ehemalige Staatsbankgebäude auf dem benachbarten Friedrichswerder sowie das ehemalige Reichsluftfahrtministerium abgerissen worden.

Diese Pläne offenbarten tiefe Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bund und Berlin und stießen auch in der Fachöffentlichkeit auf erheblichen Widerspruch.[10] Die beim Spreeinsel-Wettbewerb im Mai 1994 getroffene Entscheidung für ein von Bernd Niebuhr entworfenes „Stadthaus“ in den räumlichen Abmessungen des ehemaligen Schlosses brachte aufgrund der unausgewogenen Nutzungskonflikte keine Lösung, sondern führte nur in neue Schwierigkeiten.[11] Während die Frage nach einem adäquaten Nutzungsprogramm für diesen Ort ungelöst beiseite geschoben wurde, machten die Protagonisten eines Wiederaufbaus des Schlosses mit der Fassadensimulation vom Sommer 1993 erfolgreiche Publikumswerbung für ihre Sache, und das DDR-Außenministerium verschwand.

VI. Das Altbaukonzept von Klaus Töpfer

Die Wende kam mit dem seit Ende 1994 amtierenden Bundesbauminister Klaus Töpfer, der allen Abriss- und Neubauplänen für Bauten des Bundes eine klare Absage erteilte. Sein 1995 vorgelegtes Standortkonzept vollzog den Schwenk zu einem bestandsorientierten Vorgehen, das Gebäude aus allen Zeitschichten, auch der DDR-Ära, einschloss. Dieses Konzept konnte nicht nur das schlagende Argument der geringeren Kosten aufweisen, es führte auch aus dem immer belastender gewordenen Perfektheitsanspruch an den Berlin-Umzug heraus, hinter dem sich die unvermindert tätigen Berlin-Gegner in den Verwaltungen verbargen. Zudem setzte es ungeahnte Potenzen für die städtebauliche Aktivierung der im Zentrum vorhandenen Altbauten frei und ermöglichte eine differenzierte denkmalpflegerische Auseinandersetzung mit dem Bestand.

Für den Bereich zwischen Schlossplatz und Molkenmarkt hatte dies doppelte Konsequenzen. Die Abrisspläne für das Staatsratsgebäude und die ehemalige Reichsbank wurden endgültig aufgegeben, langfristig jedoch hat der Bereich für die Regierungsfunktionen des Bundes rapide an Bedeutung verloren. Daran änderte auch die vorübergehende Unterbringung des Kanzleramts im Staatsratsgebäude bis zum April diesen Jahres nichts. Der Bund wird in diesem Bereich in Zukunft nur durch das westlich der Spreeinsel gelegene Auswärtige Amt vertreten sein – dies allerdings auf höchst eindrucksvolle Weise. Der strenge, sich leicht der Spreebiegung anpassende Altbau der Reichsbank, der zu DDR-Zeiten Sitz des Zentralkomitees der SED war, hat durch den neuen Kopfbau der Architekten Müller und Reimann eine moderne, innerstädtisch sehr angemessene Neuinterpretation erfahren. Das wohlproportionierte Wechselspiel von Glasfassaden, Natursteinflächen und Innenhöfen stellt einen angenehmen Kontrast zur schier endlosen Reihung der Fensterachsen des Altbaus dar. Vom nördlichen Lichthof des Neubaus, der für Ausstellungen und Veranstaltungen öffentlich zugänglich ist und ein kleines Café beherbergt, öffnet sich der Blick auf den halbwegs wiederhergestellten Stadtraum um den Werderschen Markt.

VII. Die Zukunft des Schlossplatzes

Zugleich fällt das Auge auf die Leerstelle des Schlossplatzes und den Palast der Republik, der nach Abschluss der Asbestentfernung vollständig skelettiert sein wird. Die Tatsache, dass sich hier nun keine Büroflächen des Bundes ausbreiten werden, sollte nicht als Hiobsbotschaft, sondern als gute Nachricht begriffen werden. Die geschichtliche Bedeutung dieses Platzes verlangt nicht nach einer doch eher flachen und für die Öffentlichkeit unergiebigen Nutzung durch eine Ministerialverwaltung. Das Nutzungsprogramm für diesen Ort müsste internationale Dimensionen haben, etwa in Gestalt einer ost- und westeuropäische Werte integrierenden Institution. []

IX. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas

Zur Präsenz des Bundes in Berlin gehört auch die von ihm mitgetragene und sehr differenzierte Gedenkstätten- und Erinnerungslandschaft. Damit ist insbesondere die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus gemeint, die zum Kern des staatlichen Selbstverständnisses der Bundesrepublik gehört. In Berlin wird sich dies nicht nur in Form von verbalen Bekenntnissen, Feierstunden und Kofinanzierungen, sondern vor allem in Gestalt des Denkmals für die ermordeten Juden Europas darstellen. Die 1999 getroffene Entscheidung des Deutschen Bundestages für dieses Denkmal kann in gewisser Hinsicht als Pendant zu seinem Berlin-Beschluss von 1991 gesehen werden. Denn damit wird deutlich, dass der Bund in Berlin keinen Neuanfang macht, sondern sich sehr bewusst zu seiner historischen Verantwortung und zur Kontinuität der deutschen Geschichte bekennt.[12] Das Denkmal wird in unmittelbarer Nähe des Brandenburger Tores entstehen, also an einem Ort, der durch ein Höchstmaß an Öffentlichkeit geprägt ist. Der Entwurf des amerikanischen Architekten Peter Eisenman gibt Grund zu der Annahme, dass hier ein ästhetisch völlig neuer Typus von Kunst im Stadtraum entsteht, der einen höchst attraktiven Raum für die von jedem Einzelnen zu leistende Erinnerungsarbeit bietet.

X. Fazit

Gemessen an den Erwartungen, die in den ersten Jahren an den Umzug des Bundes nach Berlin geknüpft waren, hat seine Präsenz in Berlin weniger bewirkt als angenommen. Die auch von Seiten der privaten Wirtschaft gehegten Hoffnungen, dass sich im Sog des Bundes die ökonomische und demographische Situation der Stadt grundlegend bessern würde, haben getrogen. Ebenso falsch waren die Projektionen eines neuen Zentralismus oder einer Wiederbelebung alter preußischer Zustände. Gerade die städtebauliche Physiognomie des Bundes in Berlin macht deutlich: Berlin organisiert sich als Hauptstadt eines so vorher nie dagewesenen föderalen Staatswesens mit europäischer Perspektive. Diese Restrukturierung wird durch Aneignung und Kultivierung der vorhandenen Räume und Bauten vollzogen. Das Band des Bundes im Spreebogen bleibt die einzige städtebauliche Großintervention des Bundes, deren Vollendung jedoch mehr Zeit braucht und die ohne Einbeziehung anderer Entwicklungskräfte ihre städtischen Qualitäten nicht wird entfalten können. In der Alten Mitte trägt die Präsenz des Bundes zur Stadtwerdung bei, füllt potenzielle Leerstellen aus und verbessert die Lesbarkeit der historischen Entwicklung. Schließlich leistet das Hinzutreten des Bundes auch für die Gesamtstadt etwas Großartiges: Durch die Stärkung seiner Ränder wird der Tiergarten zur grünen Mitte der Stadt.

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Anmerkungen

[1] Arbeitsstab „Hauptstadtplanung Berlin“ (Hrsg.), Rahmenbedingungen und Potentiale für die Ansiedlung oberster Bundeseinrichtungen in Berlin, Berlin 1990.
[2] Deutscher Bundestag (Hrsg.), 2. Kolloquium Deutscher Bundestag, Berlin 1993, S. 19 ff.
[3] Kaiser Wilhelm nannte das Reichstagsgebäude „Reichsaffenhaus“ und verhinderte erfolgreich den Bau einer Kuppel, die höher geworden wäre als die Kuppel des Berliner Schlosses. S. Michael Cullen, Der Reichstag – Die Geschichte eines Monuments, Berlin 1983.
[4] Vgl. Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau mit Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Internationaler städtebaulicher Wettbewerb Spreebogen, Berlin-Bonn 1993.
[5] Vgl. Bundesministerium für Raumordnung (Anm. 4).
[6] Vgl. Hanno Rauterberg, „Pathos für die Republik“, in Die Zeit, Nr. 18 vom 26. 4. 2001 S. 41 f.; Sebastian Redecke, „Auf der Bühne der Politik“, in Bauwelt, Nr. 22 vom 8. 6. 2001; Heinrich Wefing, „Das Ende der Bescheidenheit“, in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. 4. 2001, S. 52 f.
[7] Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Demokratie als Bauherr – Die Bauten des Bundes in Berlin 1991-2000, Hamburg-Berlin 2000, S. 70 ff.
[8] Vgl. Jürgen Tietz, „Glück auf“, in Architektur in Berlin-Jahrbuch 2000, Hamburg-Dresden 2000, S. 32; Landesdenkmalamt Berlin (Hrsg.), Hauptstadt Berlin – Denkmalpflege für Parlament, Regierung und Diplomatie, Berlin 2000.
[9] Vgl. Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau mit Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Internationaler städtebaulicher Ideenwettbewerb Spreeinsel Berlin, Bonn-Berlin 1994.
[10] Vgl. Bruno Flierl, Berlin baut um – Wessen Stadt wird die Stadt? Berlin 1998, S. 107ff.
[11] Vgl. Bundesministerium für Raumordnung (Anm. 9)
[12] Vgl. Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Informationsblatt, Berlin 2000.

Quelle: Günter Schlusche, „Die Parlaments- und Regierungsbauten des Bundes im Kontext der Berliner Stadtentwicklung“, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 34–35, 2001.