Kurzbeschreibung

Ein Journalist fasst die kontroverse Debatte über eine Untersuchung des Centrums für Hochschulentwicklung (CEH) zur Einführung der Juniorprofessur zusammen, die von konservativen Universitäten abgelehnt, von erneuerungsfreudigeren Einrichtungen begrüßt wird, sich aber bislang als Ersatz für die Habilitation in den Geisteswissenschaften wenig bewährt.

Unterschiedliche Meinungen zum Erfolg von „Juniorprofessuren“ (13. Juli 2006)

  • Manuel Hartung

Quelle

Ein letzter Gruß

Sie sollte die angestaubte Berufungspraxis an den Universitäten verändern. Jetzt steht die Juniorprofessur vor dem Aus

Die junge Wissenschaftlerin wusste sofort, worum es geht. „Ach so“, sagte sie, „Sie wollen einen Nachruf schreiben.“ Genauer: einen Nachruf auf die Juniorprofessur. Und dann sprudelte es aus ihr heraus: dass die meisten Jungprofessoren hoffnungslos verunsichert seien. Dass sich die meisten nebenher habilitierten. Dass die meisten niemand anderem zu einer Juniorprofessur raten würden. „Die Juniorprofessur“, schloss sie, „ist am Ende.“

Die Nachwuchsforscherin will ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. Denn sie spricht eine Wahrheit aus, die schmerzhaft ist für viele junge Wissenschaftler und verheerend für das Hochschulwesen: Die Juniorprofessur droht einen frühen Tod zu sterben. Nur gut vier Jahre nach ihrem Geburtstag, dem 23. Februar 2002, steht eine der besten hochschulpolitischen Ideen der vergangenen Jahre vor dem Scheitern.

Die Juniorprofessur sollte die wissenschaftliche Karriere in Deutschland revolutionieren. Junge Wissenschaftler, so sah es das Vorhaben der früheren Bildungsministerin Edelgard Bulmahn vor, sollten schon mit Anfang 30 eigenständig lehren und forschen dürfen, statt als Assistenten einem Professor zugeordnet zu sein und erst mit Anfang 40 unabhängig zu werden. Die Juniorprofessoren sollten Aufgaben übernehmen, die bis dato Professoren vorbehalten waren: Vorlesungen halten, Prüfungen abnehmen, eigene Forschungsgelder akquirieren und Mitarbeiter führen. „In dieser Arbeit habe ich deutlich mehr Gestaltungsfreiheit als bei einer Assistentur“, sagt etwa Dorothea Nolde, Juniorprofessorin für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Uni Bremen.

Die Zahl der Stellen ist seit zwei Jahren kaum gestiegen

Die Idee besticht, doch die Realität sticht sie aus: Dorothea Nolde ist eine große Ausnahme geblieben. Gerade einmal 1000 Juniorprofessuren sind seit 2002 ausgeschrieben worden, belegt das von Bertelsmann Stiftung und Hochschulrektorenkonferenz finanzierte Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in einer noch unveröffentlichten Studie. Besonders dramatisch: In den vergangenen beiden Jahren hat sich die Zahl der Juniorprofessoren kaum erhöht, schon im Jahr 2004 gab es – je nach Zählung – zwischen 800 und 930 Juniorprofessoren. Bis Ende 2004 förderte der Bund neue Stellen mit Sondergeldern. Seitdem diese Geldquelle versiegt ist, werden pro Monat im Schnitt nur zehn neue Stellen ausgeschrieben. Früher hieß es im Bundesbildungsministerium, mittelfristig solle es 6000 Jungprofessoren geben. Diese Zielmarke hat das Haus nun in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linkspartei im Bundestag für „obsolet“ erklärt. Die Juniorprofessur – wegen geringer Nachfrage eingestellt.

„Von einem großen Erfolgsmodell kann man nicht sprechen“, sagt Bernhard Kempen, der Chef des Deutschen Hochschulverbandes. „Die Juniorprofessur hat sich nicht durchsetzen können“, bedauert auch Katharina Landfester, die frühere Sprecherin des Wissenschaftlerverbundes Junge Akademie, die stets für den neuen Titel gekämpft hatte. „Die Juniorprofessoren hocken zwischen Baum und Borke“, berichtet der Heidelberger Uni-Rektor Peter Hommelhoff. Und Reinhardt Lutz, Kanzler der Bonner Universität und einer der schärfsten Kritiker des neuen Modells, sagt gar: „Wenn die Juniorprofessur nicht schon eine Totgeburt war, so könnte sie sich jetzt als solche erweisen.“

In der Wirklichkeit vieler Hochschulen kommt die Juniorprofessur ohnehin nicht vor: Bonn etwa hat keinen einzigen Jungprofessor in seinen Reihen, weil sich die Universität, wie ihr Kanzler sagt, „vom Juniorprofessoren-Virus nicht infizieren“ ließ. Auch in Heidelberg stieß das neue Modell auf so „ausgeprägte Reserviertheit bei den Fakultäten“, wie Rektor Hommelhoff sagt, dass die Universität erst mit einem „neuen Modell Klarheit schaffen“ musste: Die Juniorprofessur gilt dort bloß als einer von drei Wegen zum Lehrstuhl – neben Nachwuchsgruppenleitern und Habilitanden. An anderen Unis sieht es ähnlich aus.

Natürlich gibt es Ausnahmen: die Unis in Oldenburg, Göttingen, Bochum oder Frankfurt am Main zum Beispiel, an vorderster Stelle aber die Berliner Humboldt-Universität (HU). Sie will Juniorprofessoren im Verhältnis eins zu vier zu Professoren einstellen. Derzeit lehren an der HU 50 Jungprofs. „Das ist ein sinnvolles und notwendiges Modell“, sagt Vizepräsident Hans Jürgen Prömel, „auch wenn das Interesse etwas erlahmt ist.“ Die HU hat im Mai einen vorbildhaften tenure track eingeführt: Wer viel leistet und positiv evaluiert wird, den setzt die Universität aufs Gleis (track) zur Dauerstelle (tenure). Wird binnen fünf Jahren nach Ablauf der Juniorprof-Stelle ein Lehrstuhl frei, kann die Uni die Nachwuchswissenschaftler ohne Ausschreibung ins Amt hieven. So dezidiert setzt sich sonst keine deutsche Hochschule für Jungprofessoren ein. Der Einsatz hat sich ausgezahlt, neun ehemalige Humboldt-Junioren sind auf Lehrstühle berufen worden. Eine herausragende Quote.

Tenure track-Stellen für Juniorprofessuren bleiben allerdings, so die CHE-Untersuchung, die Ausnahme. Dabei halten eigentlich drei Viertel der vom Centrum für Hochschulentwicklung befragten Hochschulleitungen die Qualität der Juniorprofessoren für hoch, nur ein Viertel hat zu kritteln. Auch die meisten Zwischenevaluationen sind positiv verlaufen. Doch die offensichtlich hohe Qualität der berufenen Jungprofessoren zieht keine neuen Stellen, keine erhöhte Nachfrage nach sich, aus einem einfachen Grund: An den meisten Universitäten konkurrieren klassische Habilitanden und Juniorprofessoren gegeneinander. „Dieser Wettbewerb ist schon weise“, sagt dazu Hochschulverbands-Präsident Kempen.

Mag sein. Auf jeden Fall aber ist es auch ein unfairer Kampf, schließlich haben die Juniorprofessoren einen gravierenden Wettbewerbsnachteil: Sie müssen nicht nur lehren, oft mehr als Habilitanden, sie müssen Prüfungen abnehmen, und sie müssen sich oft auch noch an der akademischen Selbstverwaltung beteiligen. Bei Berufungsverhandlungen zählen aber vor allem Forschungsergebnisse. Und für gute Forschung haben die Jungwissenschaftler kaum Zeit. „Man kann die Forschungsleistung nicht zum eigentlichen Kriterium machen“, sagt die Bremer Juniorprofessorin Dorothea Nolde. Auch ihre Bremer Kollegin Dagmar Borchers kennt die Mühen des Alltags: „Man ist sehr damit befasst, dass man sich nicht im Tagesgeschäft verliert.“ Florian Buch vom CHE sagt: „Die Juniorprofessoren müssen vieles machen, was nicht zur Publikationsliste beiträgt.“

Vorsichtshalber habilitieren sich viele noch zusätzlich

Ein Blick in die Statistiken der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) hinterlässt ein gemischtes Bild. Während sich Jungprofs aus den Natur- und Lebenswissenschaften sehr erfolgreich um Gelder für Forschungsprojekte bewerben, schneiden Geistes-, Sozial- und Ingenieurwissenschaftler deutlich schlechter ab als der Durchschnitt. „Die Natur- und Lebenswissenschaften sind schon weiter und lassen eine größere Bandbreite an Karrierewegen zu“, sagt Beate Scholz von der DFG. In vielen Fächern, besonders in den Geistes- und Sozialwissenschaften, ist die Habilitation, die Prüfung nach dem zweiten großen Buch, noch immer eine entscheidende Voraussetzung für einen Ruf. Daher habilitieren sich zahlreiche Jungwissenschaftler noch neben dem Kerngeschäft als Juniorprofessor. „Das ist von der Sache her Unfug, aber im individuellen Fall klug“, sagt der Historiker Tassilo Schmitt.

Dass eine Nebenbei-Habilitation länger dauert als der Standardweg, liegt auf der Hand – und könnte eine Begründung sein für den Rückgang der Habilitationen im Jahr 2005. Zunächst hatte das Statistische Bundesamt die Juniorprofessur als Begründung aufgeführt. Auf Nachfrage heißt es nun: „Wir können das wirklich definitiv erst in den nächsten Jahren sagen.“ Auch unter den vom CHE befragten Hochschulleitungen glaubt nur eine Minderheit, dass die Habilitation ihre Bedeutung verliere – die große Mehrheit meint, dass sich fächerspezifische Verfahren durchsetzten.

Was Wunder, dass die Stimmung bei den Juniorprofessoren nicht mehr so euphorisch ist wie noch vor einigen Jahren. „Ich hätte mir eine höhere Akzeptanz vorgestellt“, sagt Lars Frormann, Jungprofessor in Clausthal und als Chef des Fördervereins Juniorprofessur ein dezidierter Lobbyist des neuen Modells. Frormann selbst stieß in Clausthal auf Hürden, hatte „interne Anerkennungsschwierigkeiten“, wurde zu Gremiensitzungen nicht eingeladen. Jetzt wird er Clausthal verlassen, er hat einen Ruf an die Fachhochschule Zwickau bekommen. Dabei befindet er sich in einer glücklichen Lage: Bloß ein Drittel der Nachwuchswissenschaftler, schätzt er, werde auf eine Lebenszeitstelle übernommen werden. Den anderen drohe das Schicksal, von der Alma Mater ins berufliche Aus geschubst zu werden. „Viele werden rausfallen“, sagt Frormann, „die Stellen sind nicht da.“

Die Vorbehalte gegen die Juniorprofessur sind auch deshalb so groß, weil Edelgard Bulmahn seinerzeit versucht hatte, ihr Konzept mit Brachialgewalt durchzusetzen und damit die Habilitation abzuschaffen. Sie landete, wie der bayerische Wissenschaftsminister Thomas Goppel damals formulierte, vor dem Bundesverfassungsgericht „auf dem Steiß“. Die Richter hielten Bulmahns Vorstoß für Kompetenzpiraterie, Bildungspolitik sei Sache der Länder, der Bund habe dabei nichts zu melden. Bulmahn hielt trotzdem an ihrem Einsatz für die jungen Wissenschaftler fest – und sieht ihr Baby heute noch als „erfolgreiches Mittel“, das an den Universitäten „nicht mehr ernsthaft infrage gestellt wird“.

Doch vom Bundesbildungsministerium unter Führung der CDU-Ministerin Annette Schavan kommen kaum ermutigende Signale für die Jungprofessoren. Ministeriumssprecher Florian Frank bezeichnet das Instrument Juniorprofessur zwar als „Talentschmiede“, verweist aber stoisch auf Gespräche mit den Ländern – ein klares Bekenntnis zum neuen Modell hört sich anders an. „Das Ministerium hat noch nicht Stellung bezogen“, klagt der Experte Tassilo Schmitt, „die Juniorprofessoren kommen sich verlassen vor.“ Annette Knaut, die Vorsitzende der Doktorandenvereinigung Thesis, klagt: „Die Bundesregierung äußert sich sehr verhalten.“ Und Petra Sitte, die Bildungsexpertin der Linkspartei im Bundestag, sagt: „Das Ministerium wartet noch ab.“

Der Bund hält sich zurück, die meisten Universitäten sind passiv, die Juniorprofessoren verunsichert. Lars Frormann vom Förderverein Juniorprofessur zieht ein ernüchtertes Fazit. „Ich würde es selber wohl noch mal machen“, sagt er, der gerade einen Ruf bekommen hat, „aber ob ich jemand anders raten würde, eine Juniorprofessur zu übernehmen? Ich weiß es nicht.“

Quelle: Manuel J. Hartung, „Ein letzter Gruß“, Die Zeit, 13. Juli 2006.

Unterschiedliche Meinungen zum Erfolg von „Juniorprofessuren“ (13. Juli 2006), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/ein-neues-deutschland-1990-2023/ghdi:document-4278> [04.11.2024].