Dass die „neue deutsche Kunst“ der 1880er Jahre die politischen und
kulturellen Kämpfe der Zeit widerspiegeln würde, war unvermeidlich.
Dieses Gemälde von Adolph Menzel (1815–1905), auch unter dem Titel
Frohleichnamsprozession in Hofgastein
bekannt, zeigt wie der Kulturkampf sich auf der Leinwand abspielte.
Menzels Bild stellt sowohl katholische Frömmigkeit als auch liberale
Gleichgültigkeit gegenüber der Religion dar: Somit liefert es zwei
Antworten auf die Frage, „Würde man ein Gemälde eines katholischen
Festtags als positive Darstellung von Volksfrömmigkeit im Alltagsleben
von Deutschen betrachten, die in den katholischen Gebieten Deutschlands
lebten, oder würde man es für subversiv halten in einer Zeit, als die
katholischen Geistlichen staatliche Unterdrückung erlebten und
katholische Gegenden sich zur Unterstützung ihrer Kirche
mobilisierten?“
Als dieses Gemälde in den 1880er und 90er Jahren in München und
Berlin ausgestellt wurde, bewunderten Kritiker Menzel Fähigkeit, die
feierliche Prozession katholischer Geistlicher und Laien in
traditioneller Tracht durch ein malerisches Dorf darzustellen
(tatsächlich überhaupt nicht in Deutschland, sondern in einem
österreichischen Kurort). Doch das Bild bietet mehr als eine einfache
Interpretation seines Sujets: Es kommentiert auch die tiefe soziale und
konfessionelle Gespaltenheit in Deutschland zur Zeit Menzels. Erreicht
wird dies teilweise durch die Schaffung einer gefühlten Trennung
zwischen den Angehörigen der Prozession und denjenigen, die entweder
zuschauen oder sich in der Nähe aufhalten.
Das rechte untere Bilddrittel weist diverse Grüppchen von Bürgern
auf, die unterschiedliche Posen als Reaktion auf die Vorbeiziehenden
einnehmen. Der Münchener Kunstkritiker Friedrich Pecht beschrieb einige
dieser Figuren: Nahe der Bildmitte steht ein schnauzbärtiger
österreichischer Kavalier, der äußerlich aufmerksam, aber innerlich
gleichgültig erscheint; hinter ihm, an eine Steinmauer gelehnt, befindet
sich ein junger Mann, der dem Prozessionszug den Rücken zukehrt, um
entweder Desinteresse oder Respektlosigkeit zu zeigen
(bezeichnenderweise behauptete Pecht, diese Figur sei entweder ein
jüdischer Journalist oder ein ehrgeiziger Student im Referendariat für
die Beamtenlaufbahn.) Unten rechts identifiziert Pecht einen
angeberischen und hochtrabenden norddeutschen Geschäftsmann, begleitet
von Wienerinnen, denen Pecht „mehr Erfahrung als Schönheit“ zuschrieb.
Die Spannung zwischen der Prozession und den Bürgern erhöht sich noch,
wenn das Auge des Betrachters entlang der sanft ansteigenden Diagonale
schweift und am rechten Bildrand ankommt, wo Menzel eine Gruppe frommer
Kirchgänger präsentiert – darunter Frauen, Kinder und Behinderte –, die,
anstatt im Umzug zu marschieren, niederknien, um ihre eigene
Ehrerbietung für die Kirche zu zeigen.
Letzten Endes lehnt Menzel es ab, eine einfache erzählerische Lösung
für diese verwirrende Szene aus Würde und Chaos und für die
unergründlichen Empfindungen zu liefern, die er in Ölfarbe festgehalten
hat. Das einzige Gefühl des Zusammenhalts ist kompositorischer Natur und
wird über die Diagonale erreicht, die bei der Strukturierung der
Bildfläche hilft. Indem er seinen malerischen Impulsen nachgab, feiert
Menzel den herrlichen Tanz der Sonnenstrahlen und die kräftigen Farben
der Festtrachten. Höhere Wahrheiten bleiben ebenso sehr der
Interpretation überlassen wie die undeutlichen Berge im Hintergrund.