Kurzbeschreibung

Prostituierte waren gewöhnlich junge, in städtischen Gebieten lebende Frauen. Die folgende Tabelle zeigt, dass mehr als die Hälfte der 2749 Berliner Prostituierten, die von August 1872 bis Oktober 1873 von den Polizeibehörden kontrolliert und unter Sanitätskontrolle standen, zwischen 21 und 35 Jahre alt waren. (183 Prostituierte waren 17 Jahre alt oder jünger.) Viele Prostituierte waren unverheiratete Dienstmädchen, ungelernte Arbeiterinnen oder Heimarbeiterinnen in der Textilbranche. Die Tabelle in Dokument 34 in diesem Kapitel zeigt, dass fast jede zweite Prostituierte aus einer Familie kam, in der ein oder beide Elternteile im Handwerk arbeiteten, während nur jede fünfte einen Vater oder eine Mutter hatte, die in einer Fabrik tätig waren. Die Tabelle in Dokument 35 in diesem Kapitel dokumentiert, dass nahezu die Hälfte der Frauen als Heimarbeiterinnen oder Verkäuferinnen gearbeitet hatten, bevor sie Prostituierte wurden. Nur 16% waren Fabrikarbeiterinnen gewesen. Eine weitere große Gruppe machte das Dienstpersonal aus, das wahrscheinlich aus ländlichen Gegenden und gewöhnlich aus Familien der Unterschicht stammte. Wenn sie in die Stadt gezogen waren, um bezahlte Arbeit zu finden, sahen sich viele von ihnen zur Prostitution gezwungen, als sie feststellten, dass ihr Arbeitslohn die Bedürfnisse des Alltags nicht deckte.

In den 1880er Jahren wurde die Prostitution zu einem viel diskutierten Thema. Die bürgerliche Frauenbewegung verurteilte üblicherweise die Prostitution entschieden. Der Deutsche Kulturbund, der sich als deutsche Zweigstelle der Internationalen Abolitionistischen Föderation verstand und 1880 von Gertrude Guillaume-Schack (1845–1903) gegründet worden war, verurteilte die Doppelmoral, nach der die Prostituierten, nicht aber ihre Kunden bestraft wurden; der Zusammenschluss befürwortete auch die Deregulierung als Mittel im Kampf gegen Geschlechtskrankheiten. Laut einer Quelle befanden sich 1890 insgesamt 4039 Berliner Prostituierte unter polizeilicher Aufsicht. Viele davon durften sich nur in den vorgesehenen Sperrbezirken einer Stadt bewegen. Doch eine andere Schätzung beziffert die Gesamtzahl der Prostituierten in Berlin mit annähernd 30.000 in den 1890er Jahren, zwischen 100.000 und 200.000 in ganz Deutschland und am Vorabend des Ersten Weltkriegs mit bis zu 333.000 im gesamten Reichsgebiet. (Angelika Schaser, Frauenbewegung in Deutschland 1848–1933. Darmstadt, 2006, S. 70.) Die Kundschaft der Prostituierten stammte aus allen Teilen der Bevölkerung. Traditionell waren viele von ihnen Matrosen, Soldaten und Studenten.

Alter der in Berlin registrierten Prostituierten (1873)

  • Hermann Schwabe

Quelle

Es waren vorhanden Prostituirte im Alter[1]

von 14 Jahren

5

von 15 Jahren

43

von 16 Jahren

49

von 17 Jahren

86

von 18 Jahren

162

von 19 Jahren

165

von 20 Jahren

175

von 21–25 Jahren

748

von 26–30 Jahren

452

von 31–35 Jahren

204

von 36–40 Jahren

76

von 40–50 Jahren

39

von über 50 Jahren

20

-

2224

Anmerkungen

[1] Die Angaben beruhen auf den Angaben von 2749 (Oktober 1873) Zählblättern, die seit dem 1. August 1872 von Prostituierten, die mit der Polizei in Berührung kamen und unter Sanitätskontrolle standen, angelegt worden waren. Von diesen waren inzwischen 444 wieder aus der Kontrolle entlassen worden. 1890 betrug die Zahl der in dieser Zeit in Berlin unter Polizeikontrolle stehenden Prostituierten bereits 4039. (Bruno Schoenlank, „Zur Statistik der Prostituierten in Berlin“, in Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik 7 [1894], S. 331.)

Quelle: Hermann Schwabe, „Einblicke in das innere und äußere Leben der Berliner Prostituirten“, Berliner Städtisches Jahrbuch für Volkswirtschaft und Statistik 1 (1874), S. 60–74, hier S. 62–66; abgedruckt in Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka, Hrsg., Deutsche Sozialgeschichte 1870–1914. Dokumente und Skizzen, 3. Aufl. München: C. H. Beck, 1982, S. 252.