Kurzbeschreibung

Carl Ferdinand von Stumm-Halberg (1836–1901), Stahlmagnat und freikonservativer Reichstagsabgeordneter, war einer der einflussreichsten Industriellen des Kaiserreichs. In dieser Auswahl aus Reden an seine Arbeiter um 1889 lehnt er die Bildung von Gewerkschaften entschieden ab und besteht auf seinem unternehmerischen Recht, als Patriarch die Arbeitnehmer auch privat zu maßregeln, um christliche Werte und bürgerliche Ordnung sicherzustellen.

Carl Ferdinand von Stumm-Halberg, Ansprachen an seine Angestellten (ca. 1889)

  • Carl Ferdinand von Stumm-Halberg

Quelle

[] Ich denke, wir alle werden, wie bisher, so auch für die Zukunft zeigen, daß im „Königreich Stumm“, wie unsere Gegner spöttisch unser Gemeinwesen nennen, nur ein Wille regiert, und das ist der Wille Seiner Majestät des Königs von Preußen. [] Überall, wohin wir sehen, wird die Autorität aufrechterhalten, nötigenfalls durch Strafen gegenüber denjenigen, die sich der notwendigen Autorität nicht fügen. Von der Armee will ich hier gar nicht sprechen. Es wird vielfach behauptet, eine Analogie zwischen den Betrieben und der Armee bestehe nicht. Ich behaupte das Gegenteil. [] In beiden Fällen ist, wenn Erfolge erzielt werden sollen, die Disziplin eine ganz unvermeidliche Voraussetzung. [] Wenn ein Fabrikunternehmen gedeihen soll, so muß es militärisch, nicht parlamentarisch organisiert sein. [] Wie der Soldatenstand alle Angehörigen des Heeres vom Feldmarschall bis zum jüngsten Rekruten umfaßt, und alle gemeinsam gegen den Feind ziehen, wenn ihr König sie ruft, so stehen die Angehörigen des Neunkircher Werkes wie ein Mann zusammen, wenn es gilt, die Konkurrenz sowohl wie die finsteren Mächte des Umsturzes zu bekämpfen. Bleiben wir siegreich, so ist dies zu unser aller Nutzen; unterliegen wir, so haben wir alle den Schaden davon, und Ihr sicherlich weit mehr noch als ich. Zum Siege ist aber bei uns wie in der Armee die strenge Aufrechterhaltung der Disziplin unerläßlich, welche hier wie dort mit treuer Kameradschaft nicht bloß verträglich ist, sondern geradezu deren Unterlage bildet.

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Das Aufhören der Autorität der Arbeitgeber [] erscheint mir um so gefährlicher, als sie sich auf die Dauer nicht auf diejenigen Stände beschränken wird, um die es sich hier zunächst handelt. Hat der Arbeiter einmal die Autorität des Arbeitgebers über den Haufen geworfen, unterwirft er sich ihr nicht mehr, lacht er ihn einfach aus, wenn er ihn strafen will, [] dann wird die Autorität auf anderen Gebieten, in Staat und Kirche sehr bald folgen [] Geschieht das aber, wird die Autorität auf der ganzen Linie, in allen Erwerbszweigen zerstört, [] dann wird da, wo die Autorität am nötigsten ist, in der Armee, es auch nicht lange dauern, bis sie angefressen ist. []

Ich für meine Person würde keinen Augenblick länger an Eurer Spitze aushalten, wenn ich an die Stelle meines persönlichen Verhältnisses zu jedem von Euch das Paktieren mit einer Arbeiterorganisation unter fremder Führung setzen müßte. [] Ein solches Verhältnis wie zu einer fremden Macht würden mir schon mein sittliches Pflichtgefühl und meine christliche Überzeugung verbieten. [] Sollte dies jemals anders und ich in der Tat verhindert werden, den Arbeiter auch in seinem Verhalten außer dem Betriebe zu überwachen und zu rektifizieren, so würde ich keinen Tag länger mehr an der Spitze der Geschäfte bleiben, weil ich dann nicht mehr imstande sein werde, die sittlichen Pflichten zu erfüllen, welche mir mein Gewissen vor Gott und meinen Mitmenschen vorschreibt. Ein Arbeitgeber, dem es gleichgültig ist, wie seine Arbeiter sich außerhalb des Betriebes aufführen, verletzt meines Erachtens seine wichtigsten Pflichten. [] Ich könnte [] eine ganze Reihe von [] Handlungen von Arbeitern außerhalb des Betriebes nennen, gegen die ich es für die absolute Pflicht eines von seiner sittlichen Aufgabe durchdrungenen Arbeitgebers halte, einzuschreiten und sich nicht auf den bequemen Standpunkt zurückzuziehen und zu sagen: das, was der Arbeiter außerhalb des Betriebes macht, ist mir gleichgültig, ich interessiere mich lediglich für die Leistungen des Arbeiters, die er im Betriebe hervorbringt. [] Ich führe das alles nicht an, um mir ein Verdienst daraus zurechtzumachen, denn ich tue damit einfach meine Pflicht als Mensch, als Christ und als Haupt der großen Neunkircher Arbeiterfamilie. [] Ich glaube mit gutem Gewissen sagen zu dürfen, daß ich keinem meiner Berufsgenossen in den Wohlfahrtseinrichtungen nachstehe, jedenfalls nicht in dem Bestreben, nach bestem Wissen und Gewissen für Euer materielles und geistiges Wohl zu sorgen und das praktische Christentum zu bestätigen, wofür ich mich vor Gott verantwortlich fühle. Auf diese Weise hoffe ich, weit über meine eigenen Lebenstage dafür zu sorgen, daß Ihr für die Lockungen der Sozialdemokraten und anderen falschen Propheten unempfänglich bleibt, das ist die beste Wohlfahrtseinrichtung, welche ich Euch gewähren und hinterlassen kann. Bleibt fest für alle Zeit in der alten, unerschütterlichen Treue zu unserem erhabenen Monarchen, bleibt fest in der christlichen Nächstenliebe und der echten Gottesfurcht, welcher Konfession Ihr auch angehört, dann wird es Euch nach menschlichem Ermessen auch fernerhin wohlergehen. []

Jeder Meister und Arbeiter soll sich auch außerhalb des Dienstes so aufführen, daß sie dem Hause Gebr. Stumm zur Ehre gereichen; sie können sich gegenwärtig halten, daß ihr Privatleben von ihren Dienstherren stets im Auge behalten wird. []

Was das Heiratsverbot anlangt, so habe ich [] konstatiert, daß in meiner Arbeitsordnung von einem Verbot der Heiraten ebensowenig die Rede sei, wie von einem Verbot von Prozessen und Klagen. Es ist lediglich vorgeschrieben: der Arbeiter soll mir vorher seine Absicht anzeigen, damit ich in der Lage bin, wenn ich es für zweckmäßig halte, unnötige Klagen abzuwenden, resp. törichte Heiraten zu verhindern. Daß ich in einzelnen Fällen so weit gehe, zu sagen: [] ich halte die Heirat für ganz leichtfertig, z. B. wenn ein Mensch von achtzehn, neunzehn Jahren, der kränklich und noch nicht einmal ausgewachsen ist, der geringen Lohn und nichts gespart hat, ein Mädchen heiraten will, die ebensowenig etwas gespart hat, also mit Sicherheit zu erwarten steht, daß hier eine unglückliche Ehe eintritt, wo die Leute ihre Kinder gar nicht einmal ernähren können, daß ich in solchen Fällen sage: wenn Ihr meinem Rat nicht folgt, hebe ich das Arbeitsverhältnis auf, natürlich mit Kündigung –, das versteht sich ganz von selbst. [] Wenn halbreife Burschen, welche noch keinen auskömmlichen Lohn beziehen, vorzeitig heiraten und Kinder in die Welt setzen, so werden sie nicht imstande sein, die letzten zu ernähren und zu erziehen, und sie werden die notwendige Kraft und Freudigkeit verlieren, ihre Arbeit zu verrichten.

Das notwendige Korrelat solcher Bestimmungen ist natürlich auch, daß ich mich verpflichtet fühle, wenn die Leute ihre Ehe eingegangen sind und ohne ihr Verschulden nicht in der Lage sind, ihre Kinder zu ernähren, ihnen auch meinerseits beizustehen, also mit anderen Worten, die Konsequenz aus meinem System zu ziehen und zu sagen: wenn ihr meinen Anforderungen und meinem Rat folgt, so stehe ich dafür auch für euch ein. Das eine ist mit dem anderen verbunden. Wenn ich aber in der Tat zulassen wollte, daß meine Arbeiter in der leichtsinnigsten Weise Ehen eingehen, sich dadurch geradezu ruinieren, dann würde kein Mensch von mir verlangen können, daß ich für sie einstehe; sonst würde ich eine Prämie auf den Leichtsinn setzen, und dazu bin ich nicht gewillt, und ich würde nicht glauben, eine sittliche Pflicht damit zu erfüllen.

Wollte ich umfassende Konsumvereine ins Leben rufen, so würde dieser Mittelstand in Handwerk und Kleinhandel an unserem Orte geradezu vernichtet werden und Ihr selbst auch deshalb einen direkten Schaden davon haben, weil viele Eurer Kinder und Verwandten, ja unter Umständen Ihr selbst bei zunehmendem Alter und zunehmenden Ersparnissen als selbständige Gewerbetreibende tätig sein könnt. [] Deshalb habe ich stets vorgezogen, Euch beim Steigen der Lebensmittel Teuerungszulagen zu gewähren, als Konsumvereine zu gründen, welche für Euch dasselbe, aber ohne jede persönliche Belastung für mich erzielen würden. Nichtsdestoweniger überlasse ich Euch durchaus nicht blindlings der Willkür des handwerksmäßigen Gewerbebetriebes, und wenn derselbe jemals seine Stellung Euch gegenüber mißbrauchen sollte, so würde ich keinen Augenblick zögern, zu dem dann notwendigen Übel des Konsumvereins zu greifen. []

Ein wesentliches Kampfmittel, durch welches der wissenschaftliche und pseudochristliche Sozialismus die Sozialdemokratie unterstützt, ist die Legende von der Existenz eines vierten Standes, welcher sich ganz allgemein gegen das „Kapital“ schützen müsse. Daß der Lohnarbeiter durch staatliche Maßregeln vor immerhin möglichen Ausbeutungen geschützt werden müsse, ist von niemandem lebhafter anerkannt worden als von mir. [] Diese Tendenz, Euch zu einem vierten Stande zu degradieren, ist geradezu eine Beleidigung des gesamten Arbeiterstandes. Die Arbeiterschaft steht heute jeder anderen Kategorie von Staatsbürgern gesetzlich völlig gleich, und niemals werde ich zugeben, daß der Arbeiter aus einem anderen Stoffe bestehe oder weniger Wert habe als ein Kommerzienrat oder ein Minister. Daß es unter den Arbeitern vielfach Not und Elend gibt, wird niemand weniger bestreiten als ich, der täglich bemüht ist, dasselbe zu mildern, wo es in Eurer Mitte auftritt. Dies ist aber kein Merkmal des sogenannten vierten Standes; denn vielen Bauern und Handwerkern, ja selbst manchen Angehörigen der sogenannten gebildeten Stände geht es weit schlechter als den meisten Fabrikarbeitern, gerade weil das Kapital durch seine Zunahme in Deutschland seit den letzten Jahrzehnten in der Lage ist, für den Fabrikarbeiter besser, als dies in früheren Jahren geschehen ist, zu sorgen. [] Ganz unerfindlich ist es mir, wie sich die gelehrten Herren den vierten Stand eigentlich konstruieren. Zwischen mir und dem geringsten Tagelöhner liegen eine Menge Zwischenstufen: der Direktor, der Betriebschef, der Betriebsingenieur, der Meister, der Vorarbeiter – und möchte ich wohl wissen, wo da der dritte Stand aufhört und der vierte Stand beginnt! Nein, meine Freunde, wir alle gehören einem Stande an, das ist der alte ehrenhafte Stand der Hammerschmiede, und ich habe mich stets und allerorten mit Stolz zu diesem Stand bekannt. []

Auf der Fiktion der Existenz eines vierten Standes im Gegensatz zum Besitz beruht auch das verhängnisvolle Bestreben, die Arbeiter gegen ihre Arbeitgeber zu organisieren und sie unter die Führung von Leuten zu bringen, welche jede Kenntnis der Verhältnisse, wie Lohnhöhe, Arbeitszeit usw. abgeht. Es ist für mich eine der schwierigsten Aufgaben meines Berufes, genau abzuwägen, ob der eine im rechten Lohnverhältnis zum anderen steht, und ist keiner unter Euch, auch kein Arbeiterausschuß, den ich sonst sehr gern zu Beratungen heranziehe, imstande, mir diese Aufgabe abzunehmen; um wieviel weniger ist dies also bei Personen der Fall, denen eine eingehende Kenntnis des Betriebes und der Arbeitsverhältnisse abgeht. Nun sagt die Theorie: Der einzelne Arbeiter, der vermag nichts, der muß sich zum Kampf mit seinen Kameraden zusammenschließen. Sie übersieht aber ganz, daß sie sich damit mit einem zweiten ihrer Hauptsätze in Widerspruch setzt, wonach der Arbeitgeber immer der wirtschaftlich stärkere sei. Organisieren sich also die Arbeiter gegen die Arbeitgeber, so werden sich die letzteren notgedrungen auch gegen die Arbeiter organisieren müssen und dann allerdings dem Arbeiterstande schwere Nachteile zufügen können. „Selbst ist der Mann“, ist der Grundsatz jedes tüchtigen Arbeiters, mit dem er auch seinem Arbeitgeber gegenüber am weitesten kommt, während sein Zusammenschließen zu Kampforganisationen, welche früher oder später immer unter die Botmäßigkeit fremder Agitatoren gelangen, seine Selbständigkeit vernichtet und ihn in einen Konflikt mit seinem Arbeitgeber setzt, welches jedes persönliche Verhältnis, das die beste Gewähr für das Wohl des Arbeiters bildet, vernichten muß. []

Quelle: Zusammengestellt nach den Reden Stumms an seine Arbeiter aus den Jahren 1889–1895 und veröffentlicht in Fritz Hellwig, Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg, Heidelberg-Saarbrücken: Westmark-Verl., 1936, S. 289ff.; abgedruckt in Ernst Schraepler, Hrsg., Quellen zur Geschichte der sozialen Frage in Deutschland. 1871 bis zur Gegenwart, 3. verbesserte Aufl. Göttingen und Zürich: Muster-Schmidt, 1996, S. 104–8.

Carl Ferdinand von Stumm-Halberg, Ansprachen an seine Angestellten (ca. 1889), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/reichsgruendung-bismarcks-deutschland-1866-1890/ghdi:document-535> [24.04.2024].