Kurzbeschreibung

Die an das Offizierskorps gestellten hohen Erwartungen wurden in Deutschland unter Bismarck häufig thematisiert. Dieser Artikel aus dem Jahr 1889 aus einer Militärzeitschrift predigt, dass sowohl der Ruf der Armee hinsichtlich moralischer Tugend als auch ihr Anspruch auf „einen hohen Rang auf der Skala der menschlichen Gesellschaft“ begründet seien: Die staatstragende Funktion des Offizierskorps wird als selbstverständlich angenommen, ebenso wie die Unabdingbarkeit absoluter Treue und Gegnerschaft zu republikanischem Gedankengut. Offiziere wurden als Missionare der militärischen Gesinnung in der Zivilbevölkerung betrachtet. Doch dieser Artikel nimmt zudem die Forderung Kaiser Wilhelms II. nach einer „Aristokratie der Gesinnung“ vorweg, die nichtadligen Rekruten einschließt: „Ritter des Geistes“ aus dem Bürgertum würden einen neuen „Waffenadel“ hervorbringen, der die gleiche Berufsehre genießt wie der alte.

Die Ideologie des Offizierskorps (1889)

Quelle

Der Stolz jedes Deutschen ist die Armee, die Blüthe des Volkes. Deutschlands Heer – Deutschlands Ehr! Der ausgezeichnetste Theil aber, die Elite des Heeres, ist das Offizierkorps.

„Der Geist des Heeres sitzt in seinen Offizieren“, sagt General v. Rüchel mit Recht. Sie sind die untrüglichen Werthmesser für die Brauchbarkeit und Tüchtigkeit der Armee; die Träger des moralischen Elements und all’ jener idealen, ethischen Güter, die allein einen dauernden kriegerischen Erfolg verbürgen, und ohne welche ein Heer seinen hohen Beruf als Schützer des Thrones und des Vaterlandes in schwerer Zeit nicht erfüllen kann.

Von der größten Wichtigkeit ist daher der Zustand des Offizierkorps; er ist entscheidend für den Werth des ganzen Heeres. Es wiederholt sich hier, was im Leben allgemeine Erfahrung ist: die unteren Schichten sind stets das, was die oberen aus ihnen machen. So lange die höheren, führenden Klassen, die oberen Zehntausend, sittliche Tüchtigkeit und moralische Gesundheit bewahren, bleibt auch das Volk stark und lebenskräftig; während die sittliche Fäulniß der herrschenden Schichten den Verfall und den Niedergang der ganzen Nation unaufhaltsam nach sich zieht. []

In keinem anderen Lande der Welt steht der Offizierstand auf einer so hohen Stufe, nimmt er auf der Skala der menschlichen Gesellschaft einen so hohen Rang, eine so angesehene und geachtete Stellung ein als in Deutschland. []

Wenn der Offiziersberuf jetzt nicht mehr wie früher das Monopol des Adels ist, so dürfen doch nur Ebenbürtige, nur Ritter vom Geiste und Kavaliere von Erziehung und Gesinnung Mitglieder und Genossen dieses bevorzugten Standes sein.

Der Waffenadel muß dem Geburtsadel gleich stehen. Adelige Ehre und Offizierehre fällt in allen Punkten zusammen; diese ist unzweifelhaft aus jener hervorgegangen.

Aus dem Rittersinn, der, auf das Christenthum begründet, Rechtschaffenheit, treues Wort, Ehrerbietung gegen die Frauen, Mannestreue in sich faßte, hat sich die Offiziersehre gebildet; durch die Aufnahme in diesen Stand der Ehre erhält jeder Einzelne gleichsam den persönlichen Ritterschlag.

In dieser ehrenvollen, bevorzugten Stellung und in dem Ansehen, das den Deutschen Offizier in den Augen des Volkes zum Edelmann macht, liegt gleichsam die geistige Zulage zu seinem kärglichen Solde. Das ist der ideale Zug im Offizierstande inmitten unserer materiellen, realistischen Zeit, der für ein so Geringes Leben und Gesundheit für Königstreue und Vaterlandsliebe opfert und sein Alles freudig setzt an seine Ehre. []

Beide, der bürgerliche sowohl wie der adlige Offizier, vertreten das gleiche Prinzip, die aristokratische Weltanschauung gegen die demokratische.

Der junge Offizier aus bürgerlicher Familie bekundet durch Wahl des Offizierberufes, daß er nach Erziehung und Anschauung sich zur Aristokratie des Geistes und der Gesinnung rechnet, welche den Offizier beseelen muß; daß er der modernen Ritterschaft angehören will, die Se. Majestät von Seinen Offizieren verlangt. []

Die hohe Stellung des Offiziers als erster und vornehmster Stand im Staate legt zugleich die höchsten Pflichten auf; denn erhöhte Rechte beruhen allein auf erhöhten Verpflichtungen. Noblesse oblige!

Wer den Offizierstand zu dem seinigen macht, übernimmt damit auch die Pflichten desselben; macht die Anschauungen zu den seinen, die dem Stande innewohnen, die aus seiner Grundidee entspringen.

Wer dieselben nicht theilen kann, wer anderen Grundsätzen huldigt, muß einen anderen Beruf wählen, wenn er kein Heuchler sein will. Die dem Urgedanken des Offizierstandes entstammenden Gesinnungen sind: dynastischer Sinn, unbedingte Treue gegen die Person des Monarchen, erhöhter Patriotismus, Erhaltung des Bestehenden, Vertheidigung der seinem Schutze anvertrauten Rechte seines Königs und Bekämpfung vaterlandsloser, königsfeindlicher Gesinnung etc. Die erste Pflicht, die schönste Tugend im Strahlenkranze des Offiziers, zugleich die Grundbedingung seiner Existenz, ist die Treue.

„Es ist eines Edlen schönstes Glück;
Einem Fürsten, den er ehrt, zu dienen“.

Der Ruhm und Stolz des Deutschen Offizierkorps beruht auf seiner unbezweifelten Loyalität.

Ratio regis suprema lex!

Das vaterländische Heer ist der Felsengrund des Staates, der Schild des Königs, der Hort der Monarchie. []

Vor allen Anderen ist der Offizier berufen, die Fahne des Königthums von Gottes Gnaden voran zu tragen und hoch flattern zu lassen, die geheiligten Ordnungen Gottes auf Erden vor den finsteren Mächten der Anarchie zu schützen. Und nie war sein Beruf so wichtig, als in unseren Tagen. Das Offizierkorps, und damit die Armee, soll der Fels im tosenden Meer der tief aufgeregten Leidenschaften sein, der rocher de bronze, an welchem, vereint mit der Kirche, die Anarchie, will’s Gott, zerschellen wird.

Festgefügt wie eine eherne Mauer der Treue steht das Deutsche Offizierkorps an den Thronesstufen seiner Königshäuser, die Ehrenwache haltend an den höchsten Kleinodien des Vaterlandes.

„In Treue fest, im Sturme treu!“ []

Die Stellung als Offizier erfordert gebieterisch eine Mißbilligung all jener politischen Richtungen, welche das Königthum von Gottes Gnaden bekämpfen oder seine ihm zustehenden Rechte verkürzen möchten; aller der Tendenzen, welche in ihren Konsequenzen zur Leugnung aller göttlichen und menschlichen Autorität, zur Auflösung aller bestehenden Ordnungen, zur Untergrabung des Rechtes führen.

Ohne irgendwie Politiker zu sein, muß er doch instinktiv alle diejenigen Prinzipien vertreten, die man in der Politik mit dem Ausdruck „königstreu“ bezeichnet.

Das Alles umfaßt die Stellung als Offizier, fordert der seinem Könige abgelegte Eid, entspricht dem Geiste und den Traditionen des Preußisch-Deutschen Offizierkorps, verlangt die Treue, die ja so unendlich viel mehr ist, als bloßer Gehorsam. []

Es ist ferner von der größten Wichtigkeit, daß auch die, in ihrer Civilstellung einen so außerordentlichen Einfluß auf das Volk ausübenden Offiziere der Reserve und Landwehr bei ihrer Einberufung an dem leuchtenden Vorbilde ihrer aktiven Kameraden immer aufs Neue ihre eigenen Gesinnungen erwärmen und befestigen. Denn auch im Frieden fällt den Offizieren des Beurlaubtenstandes eine wichtige Aufgabe zu. Sie stehen mit einem Fuß im Heerwesen, mit dem andern im Volke. Sie sind daher am ehesten befähigt, in weiten Kreisen Lust und Liebe zu des Königs Dienst zu verbreiten und wach zu erhalten. Sie können die thatkräftigsten Vertreter für alle Interessen des vaterländischen Heeres sein.

Möchten doch die Herren Kameraden vom Beurlaubtenstande immer die Traditionen und Anschauungen des Offizierstandes auch in ihren bürgerlichen Verhältnissen als ihre Richtschnur betrachten, und ihrem Könige nicht nur den Gehorsam, sondern unter allen Umständen auch die Treue bewahren! Auch außer Dienst zählt Seine Majestät auf ihre Dienste!

Quelle: Militär-Wochenblatt, Jg. 74, Nr. 62 (20. Juli 1889) und Nr. 67 (7. August 1889), Berlin, 1889, S. 1311–12, 1314–15, 1452, 1454, 1456; abgedruckt in Gerhard A. Ritter, Hrsg., Das Deutsche Kaiserreich 1871–1914. Ein historisches Lesebuch, 5. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1992, S. 92–94.