Kurzbeschreibung

Die Familien von Facharbeitern gaben normalerweise mehr für Fleisch aus als Familien mit geringerem Einkommen. Die Tabelle unten zeigt, dass eine solche Familie in Berlin zwischen einem Drittel und der Hälfte ihres Lebensmittelbudgets für Fleisch aufwendete, das gewöhnlich nicht von höchster Qualität war, häufig mit anderen Zutaten gestreckt und oft als Sonntagsschmaus aufgespart wurde. Die Ausgaben für Nahrungsmittel machten über die Hälfte der Lebenshaltungskosten dieser Familie aus. Dies stellt ein ziemlich verbreitetes Verhältnis für Arbeiterfamilien um 1890 dar; ab der Jahrhundertwende jedoch war es eher etwas geringer und betrug dann etwa 50%. Den zweitgrößten Posten der Familie machten die Mietkosten mit 16% aus. Zu beachten ist, dass Ausgaben für Bekleidung eine Ungleichheit zwischen dem Vater und den anderen Familienmitgliedern widerspiegeln: Während die Bekleidung und die Schuhe für Mutter und Kinder insgesamt 43 Mark kosteten, betrugen diese Ausgaben für den Vater allein 48,5 Mark, wozu er noch 162 Mark für Tabak und Bier rechnete. Alkoholausgaben variierten erheblich in den verschiedenen Regionen Deutschlands, was teilweise davon abhing, ob er zuhause oder in einem Lokal konsumiert wurde.

Haushaltsführung und Lebensweise der Familie eines besser gestellten Facharbeiters in Berlin (1890)

  • Otto von Leixner

Quelle

Er ist in einer Bronzewarenwerkstätte als Former beschäftigt, ein fleißiger, achtungswerter Mann, braver Gatte und Vater. [] Versammlungen besucht er fast gar nicht; ein Wirtshaus sehr selten. Seine Frau, ein früheres Dienstmädchen, ist trotz ihrer Kränklichkeit fleißig und sehr haushälterisch. Die Wohnung besteht aus einem ziemlich geräumigen Zimmer, an das sich die Küche schließt. Obwohl Mann, Frau und zwei Kinder hier schlafen und leben, ist alles von peinlicher Sauberkeit. Geblümte Kattunvorhänge sind an den zwei Fenstern angebracht; bescheidene Blumen stehen auf den Brettern. Die eine Langmauer nehmen zwei Betten und ein einfaches Schlafsofa ein, das den Kindern zur Ruhestätte dient; die andere wird von einem „Vertikow“, einem Kleiderschrank und einem Waschtisch eingenommen. Ein Tisch und Stühle vervollständigen die Einrichtung.

Der Durchschnitt der Einnahmen ist 1700 Mark. [] An Wohnungsmiete muß 259 Mark gezahlt werden. Diese kleinen Wohnungen sind, weil am meisten gesucht, trotz des Mangels an Ausstattung, die teuersten. [] Wenn der Former am Samstag seinen Lohn empfangen hat, legt er den Teilbetrag für die Wohnungsmiete, die monatlich vorausbezahlt wird, beiseite. Die Frau erhält 18 Mark für den Haushalt der Woche, also 2,57 Mark für den Tag, 64 Pfennige für den Kopf; davon muß noch Beleuchtung bezahlt werden. Heizung begleicht der Mann. []

Lehrreich ist der Tagesverbrauch an Nahrungsmitteln. Die Aufstellung ist nur eine durchschnittliche, da der Speisezettel nicht stets der gleiche ist. Stark ist der Verbrauch von Hülsenfrüchten, Kartoffeln, Mehl, Brot und Milch. Von Fleischwaren werden neben billiger Wurst – mit der Brot bestrichen, aber nicht belegt wird – zumeist gehacktes Rindfleisch oder Lungen verwendet, zu Fleischklößen (Klops) oder „falschen Hasen“ (Hackfleisch vermischt mit Semmelbröseln oder -Würfeln und dann mit etwas Fett ausgebacken). In Rücksicht auf Sonn- und Festtage wird Werktags sehr gespart.

Die Aufstellung zeigt folgende Durchschnittszahlen:

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Mark

Milch, 2–2 ½ Liter

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0,36 – 0,45

Fleisch, 1–2 Pfund

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0,70 – 1,40

Gemüse, Kartoffeln, Hülsenfrüchte oder Reis

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0,05 – 0,15

Kaffee und Cichorie

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0,10 – 0,15

Brot

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0,30 – 0,40

Schrippen (gröbere Semmeln) zum Frühstück

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0,12 ½ – 0,12 ½

Wurst

etwa

0,30 – 0,30

Fett, Salz und Gewürze

etwa

0,10 – 0,15

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Mk.

2,03 ½ – 3,12 ½

Das Mittel der beiden Zahlen ist 2,58 Mark, stimmt also mit dem für den Tag festgesetzten Betrag; da es aber nicht täglich erreicht wird, so bleibt ein Überschuß, der für Beleuchtung und kleinere Pfennigausgaben verwendet wird. Auf Borg wird nicht das Geringste genommen, es ist das überhaupt eine Hauptbedingung, wenn ein kleiner Haushalt in Ordnung bleiben soll. Sind größere Ausgaben nötig, so wird jede Woche ein berechneter Teilbetrag beiseite gelegt, damit der Gegenstand bar bezahlt werden kann.

Der Mann nimmt am Morgen in einem Blechgefäß Kaffee mit, abends und mittags trinkt er 2 bis höchstens 3 Glas Bier, das Seidel zu 10 Pfennige (Schnaps trinkt er gar nicht), Werktags raucht er 2, Sonntags 3 Cigarren zu 3 Pfennige, in das Wirtshaus geht er vielleicht einmal in der Woche, aber ist dann spätestens um 10 ½ Uhr zu Hause.

Ich stelle nun im folgenden die Zahlen zusammen, die ich in Erfahrung bringen konnte:

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Mark

Einnahme

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1700,–

Ausgaben:

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Wohnung

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259,–

Haushalt

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924,–

Steuern

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30,–

Krankenkassen- und andere Beiträge

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13,–

Heizung, im Mittel

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45,–

Winterrock für Mann

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30,–

Hut

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2,50

Stiefel für Mann

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16,–

Stiefel für Frau

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11,–

Stiefel für Kinder

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10,–

Kleideranschaffungen für Frau und Kinder

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23,–

Arzt und Apotheke für Frau

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20,–

Zeitung, mit einem andern zusammen 6 Mark, also

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3,–

Verschiedenes (Flickereien, Wäsche, Vergnügungen)

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64,–

Mann (Getränke, Tabak, Groschensammlungen u. s. w.)

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162,–

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Mk.

1612,50

Im Jahre 1889 hat die Ersparnis 82 Mark betragen. [] Vergnügungen, die Geld kosten, sind sehr selten, Ausflüge nach dem Zoologischen Garten an „billigen Sonntagen“, wobei der „Freßkober“ mitgenommen wird, oder in die Hasenheide, dazu reicht es noch; alle heiligen Zeiten, d. h. in Jahren einmal, geht man in ein billiges Rauchtheater. Damit sind die äußern Vergnügungen erschöpft. Der Mann hilft sich: er entlehnt Bücher aus den Volksbüchereien und liest des Abends, wenn er nicht zu müde ist; die Frau begnügt sich mit dem Roman und den örtlichen Nachrichten im „Blatt“ oder redet mit den Nachbarinnen, sobald sie die Kinder zu Bett gebracht hat.

Quelle: Otto von Leixner, 1888 bis 1891. Soziale Briefe aus Berlin. Mit besonderer Berücksichtigung der sozialdemokratischen Strömungen. Berlin, 1891, S. 183–88; abgedruckt in Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka, Hrsg., Deutsche Sozialgeschichte 1870–1914. Dokumente und Skizzen, 3. Aufl. München: C. H. Beck, 1982, S. 276–78.