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[…] Die allmälige Vermehrung der Kadres der Armee hat die Gesammtzahl der etatsmäßigen Offizierstellen beträchtlich erhöht. Für dieselben einen geeigneten und möglichst zahlreichen Ersatz zu schaffen, ist ein dringendes Erforderniß, ganz besonders im Hinblick auf die Ansprüche, die der Kriegsfall an die Armee stellt. Gegenwärtig weisen fast alle Regimenter der Infanterie und der Feldartillerie erhebliche Lücken auf. Diese Lage macht die Heranziehung eines ausreichenden und geeigneten Ersatzes zu einer von Tag zu Tag wichtigeren und ernsteren Pflicht der Truppenkommandeure. Der gesteigerte Bildungsgrad unseres Volkes bietet die Möglichkeit, die Kreise zu erweitern, welche für die Ergänzung des Offizierkorps in Betracht kommen. Nicht der Adel der Geburt allein kann heutzutage wie vordem das Vorrecht für sich in Anspruch nehmen, der Armee ihre Offiziere zu stellen. Aber der Adel der Gesinnung, der das Offizierkorps zu allen Zeiten beseelt hat, soll und muß demselben unverändert erhalten bleiben. Und das ist nur möglich, wenn die Offizieraspiranten aus solchen Kreisen genommen werden, in denen dieser Adel der Gesinnung zu Hause ist. Neben den Sprossen der adligen Geschlechter des Landes, neben den Söhnen Meiner braven Offiziere und Beamten, die nach alter Tradition die Grundpfeiler des Offizierkorps bilden, erblicke Ich die Träger der Zukunft Meiner Armee auch in den Söhnen solcher ehrenwerther bürgerlicher Häuser, in denen die Liebe zu König und Vaterland, ein warmes Herz für den Soldatenstand und christliche Gesittung gepflegt und anerzogen werden. Ich kann es nicht gutheißen, wenn manche Kommandeure sich für die Heranziehung des Offizierersatzes eigene, einseitige Grundsätze schaffen, wenn beispielsweise die Grenzen der erforderlichen wissenschaftlichen Bildung so eng gezogen werden, daß für die Annahme eines jungen Mannes die Ablegung der Abiturientenprüfung als unabweisbare Bedingung hingestellt wird. Ich muß es mißbilligen, wenn der Eintritt abhängig gemacht wird von einer übermäßig hohen Privatzulage, welche die Söhne wenig begüterter, aber nach Gesinnung und Lebensauffassung dem Offizierkorps nahestehender Familien der Armee fernhalten muß. Um solchen Unzuträglichkeiten Einhalt zu thun, spreche Ich Meinen Willen dahin aus, daß in der Regel die Kommandeure bei der Infanterie, den Jägern, der Fußartillerie und den Pionieren nicht mehr als 45 Mark, bei der Feldartillerie nicht mehr als 70 Mark und bei der Kavallerie nicht mehr als 150 Mark an monatlicher Zulage fordern sollen. Daß die Verhältnisse großer Garnisonen und speziell diejenigen der Truppentheile des Gardekorps geringe Erhöhungen erforderlich machen können, verkenne Ich nicht. Aber Ich erachte es als den Interessen der Armee nachtheilig, wenn bei der Infanterie und den Jägern etc. die Forderungen an Privatzulagen bis auf 75, und 100 Mark – an einzelnen Stellen sogar darüber hinaus – gesteigert sind, und wenn dieselben bei der Kavallerie, namentlich bei der Garde, eine Höhe erreicht haben, welche es dem ländlichen Grundbesitzer nahezu unmöglich macht, die Söhne der ihm lieb gewordenen Waffe zuzuführen. Mit solchen übertriebenen Ansprüchen wird der Offizierersatz nach Umfang und Beschaffenheit beeinträchtigt. Ich will nicht, daß in Meiner Armee das Ansehen der Offizierkorps nach der Höhe der Eintrittszulage bemessen werde, und schätze diejenigen Regimenter besonders hoch, deren Offiziere sich mit geringen Mitteln einzurichten und doch ihre Pflicht mit der Befriedigung und Freudigkeit zu erfüllen wissen, die den Preußischen Offizier von Altersher ausgezeichnet haben. In diesem Sinne mit Aufbietung aller Kräfte zu wirken, ist die Aufgabe der Truppenkommandeure. Unausgesetzt haben sie es sich klar zu machen, daß es heutzutage mehr wie je darauf ankommt, Charaktere zu erwecken und groß zu ziehen, die Selbstverleugnung bei ihren Offizieren zu heben, und daß hierfür das eigene Beispiel in erster Linie mitwirken muß. Wie Ich es den Kommandeuren erneut zur Pflicht mache, den mancherlei Auswüchsen des Luxus zu steuern, die in kostspieligen Geschenken, in häufigen Festessen, in einem übertriebenen Aufwande bei der Geselligkeit und ähnlichen Dingen zu Tage treten, so halte Ich es auch für angezeigt, der Auffassung nachdrücklich entgegenzutreten, als sei der Kommandeur selber vermöge seiner Dienststellung zu umfangreichen Ausgaben für Repräsentationszwecke verpflichtet. Ein jeder Offizier kann sich durch angemessene Förderung einer einfachen, standesgemäßen Geselligkeit Verdienste um seinen Kameradenkreis erwerben; zum „Repräsentiren“ aber sind nach Meinem Willen nur die kommandirenden Generale verpflichtet, und darf es in Meiner Armee nicht vorkommen, daß gutgediente Stabsoffiziere mit Sorgen den Geldopfern entgegensehen, die mit dem etwaigen Erreichen der Regiments-Kommandeurstellung vermeintlich ihrer warten. Ich werde Mir von Zeit zu Zeit neben den Eingaben über die Offizieraspiranten Nachweisungen über die bei den Truppentheilen üblichen Zulagen und die Gehaltsabzüge vorlegen lassen. Wie Ich hiermit bestimme, daß Mir solche Offiziere namhaft zu machen sind, welche den auf Vereinfachung des Lebens gerichteten Einwirkungen ihrer Vorgesetzten nicht entsprechen, so werde Ich die Kommandeure wesentlich mit danach beurtheilen, ob es ihnen gelingt, einen geeigneten und ausreichenden Nachwuchs an Offizieren heranzuziehen und das Leben ihrer Offizierkorps einfach und wenig kostspielig zu gestalten. – Ich wünsche von Herzen, daß ein jeder Meiner Offiziere nach erfüllter Pflicht seines Lebens froh werde. Dem überhandnehmenden Luxus in der Armee muß aber mit allem Ernst und Nachdruck entgegengetreten werden.
Berlin, den 29. März 1890
Wilhelm R.
Quelle: Militär-Wochenblatt, Jg. 75, Nr. 32 (9. April 1890), Berlin, 1890, S. 1009–12; abgedruckt in Gerhard A. Ritter, Hrsg., Das Deutsche Kaiserreich 1871–1914. Ein historisches Lesebuch, 5. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1992, S. 95–97.