Kurzbeschreibung

Das preußische Offizierskorps war ein Hauptpfeiler des Kaiserreichs. Demgemäß wurde dieser Gruppe von Kaiser Wilhelm I. (reg. 1861–1888) und seinen Nachfolgern erhebliche Aufmerksamkeit geschenkt. In dieser Verordnung führt der Kaiser an, was er für die wesentlichen Charakterzüge eines preußischen Offiziers hält: Kameradschaft, Ehre und Treue bis in den Tod. Ebenso aufschlussreich ist seine Sorge, Offiziere könnten nicht standhaft genug sein gegenüber den Verlockungen eines behaglichen Lebens, persönlicher Laster, von Börsenspekulationen und von Arroganz im Verhältnis zur Zivilbevölkerung.

Wilhelm I. zum Standesethos der preußischen Offiziere (1879)

Quelle

„Einleitung zur Verordnung über Ehrengerichte etc.“ vom 2. 5. 1879: Ich will, daß die heute von Mir vollzogene Verordnung über die Ehrengerichte der Offiziere in Meinem Heere in dem Geiste verstanden und angewendet wird, der Mein Heer von alters her ausgezeichnet hat.

Ich erwarte daher von dem gesamten Offizier-Korps Meines Heeres, daß ihm, wie bisher so auch in Zukunft, die Ehre das höchste Kleinod sein wird; dieselbe rein und fleckenlos zu erhalten, muß die heiligste Pflicht des ganzen Standes, wie des einzelnen bleiben. Die Erfüllung dieser Pflicht schließt die gewissenhafte und vollständige Erfüllung aller andern Pflichten des Offiziers in sich. Wahre Ehre kann ohne Treue bis in den Tod, ohne unerschütterlichen Mut, feste Entschlossenheit, selbstverleugnenden Gehorsam, lautere Wahrhaftigkeit, strenge Verschwiegenheit, wie ohne aufopfernde Erfüllung selbst der anscheinend kleinsten Pflichten nicht bestehen. Sie verlangt, daß auch in dem äußern Leben des Offiziers sich die Würde ausdrücke, die aus dem Bewußtsein hervorgeht, dem Stande anzugehören, dem die Verteidigung von Thron und Vaterland anvertraut ist. – Der Offizier soll bestrebt sein, nur diejenigen Kreise für seinen Umgang zu wählen, in denen gute Sitte herrschend ist, und darf am wenigsten an öffentlichen Orten aus dem Auge lassen, daß er nicht bloß als gebildeter Mann, sondern auch als Träger der Ehre und der gesteigerten Pflichten seines Standes auftritt. Von allen Handlungen, welche dem Ruf des einzelnen oder der Genossenschaft nachteilig werden können, besonders von allen Ausschweifungen, Trunk und Hazardspiel, von der Übernahme solcher Verpflichtungen, mit denen auch nur der Schein unredlichen Benehmens verbunden sein könnte, vom hazardmäßigen Börsenspiel, von der Teilnahme an Erwerbsgesellschaften, deren Zweck nicht unantastbar und deren Ruf nicht tadellos ist, sowie überhaupt von jedem Streben nach Gewinn auf einem Wege, dessen Lauterkeit nicht klar erkennbar ist, muß der Offizier sich weit abhalten. Sein Ehrenwort darf er nie leichtsinnig verpfänden.

Je mehr anderwärts Luxus und Wohlleben um sich greifen, um so ernster tritt an den Offizierstand die Pflicht heran, nie zu vergessen, daß es nicht materielle Güter sind, welche ihm die hochgeehrte Stellung im Staate und in der Gesellschaft erworben haben und erhalten werden. Nicht nur, daß die kriegerische Tüchtigkeit des Offiziers durch eine verweichlichende Lebensweise beeinträchtigt werden könnte, sondern völlige Erschütterung des Grundes und Bodens, worauf der Offizierstand steht, ist die Gefahr, welche das Streben nach Gewinn und Wohlleben mit sich bringen würde.

Je eifriger die Offizier-Korps treue Kameradschaft und richtigen Korpsgeist pflegen, um so leichter werden sie Ausschreitungen vorbeugen, auf Abwege geratende Kameraden in die richtigen Bahnen zurückleiten, unnütze Händel und unwürdige Zänkereien vermeiden.

Niemals darf das berechtigte Selbstgefühl des Offiziers in Mangel an Achtung oder in Überhebung gegen andere Stände ausarten. Je mehr der Offizier seinen Beruf liebt und je höher er dessen Zwecke auffaßt, um so mehr wird er ermessen, in wie hohem Grade das volle Vertrauen aller Stände zum Offizierstande eine Bedingung für die erfolg- und ruhmreiche Lösung der letzten und höchsten Aufgabe des Heeres ist.

Ich habe das Vertrauen zu den Offizieren des Beurlaubtenstandes und zu den verabschiedeten Offizieren, welchen Ich die Beibehaltung der äußeren Zeichen des Standes bewilligt habe, daß, wie sie fortdauernd Anteil an der Standesehre haben, sie der Verpflichtung, für die Wahrung dieser Ehre zu sorgen, auch in ihren bürgerlichen Verhältnissen stets eingedenk bleiben werden. []

Quelle: Max Menzel, Der Infanterie-Einjährige und Offizier des Beurlaubtenstandes, 11. Aufl. Berlin: Eisenschmidt, 1911, S. 271–72; abgedruckt in Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka, Hrsg., Deutsche Sozialgeschichte 1870–1914. Dokumente und Skizzen, 3. Aufl. München: C. H. Beck, 1982, S. 227–28.