Kurzbeschreibung

Das Ansehen der preußischen Armee und ihres Offizierskorps war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht besonders hoch. Die drei Einigungskriege von 1864, 1866 und 1870/71 änderten dies. Offiziere und Regimenter, die der nationalen Sache gedient hatten, wurden zu geläufigen Begriffen und militärische Denkmuster begannen die deutsche Gesellschaft wie nie zuvor zu durchdringen. In diesem kurzen Text bezieht sich ein deutscher Liberaler, Ludwig Bamberger (1823–1899), auf Bismarcks Gepflogenheit, im Reichstag ausschließlich in Militäruniform zu erscheinen. Es handelt sich dabei nur um ein Beispiel der besonderen Anziehungskraft, die das Militär im Deutschen Kaiserreich ausstrahlte. Dennoch stellt Bamberger fest, dass Bismarcks Kleidungswahl nicht überall Beifall fand.

Ludwig Bamberger zu Bismarcks martialischem Auftreten im Reichstag (1891)

  • Ludwig Bamberger

Quelle

Das deutsche Parlament ist das einzige in der Welt, in welchem die Minister und ihre Vertreter mit dem Säbel an der Seite erscheinen und mit der Hand auf dem Degenknauf ihre Reden halten. Bei etwas lebhaften Regungen in der Debatte geschieht es auch, daß unwillkürlich diese Stützung der Hand auf dem Schwertgriff sich zu einer charakteristischen Geberde gestaltet. Auch diese Eigentümlichkeit unserer repräsentativen Zustände entbehrt nicht des tiefen Sinnes. Im Gegenteil, sie ist noch viel bedeutungsvoller als der Stucco di lustro, von dem man behauptet, daß er sich leicht loslöse und bei Erschütterungen den Abgeordneten auf die Köpfe fallen könne.

Es ist viel darüber geklügelt worden, warum Fürst Bismarck seiner Erscheinung in Staatsgeschäften die stereotype Gestalt des Reiteroffiziers gegeben habe. Er selbst hat gelegentlich in Privatgesprächen allerhand untergeordnete Zweckmäßigkeitsgründe dafür angeführt. Aber er wußte sehr wohl, warum er es in Wirklichkeit that. Trotzdem der Zauber seiner Kraft gewiß nicht in der Uniform lag, hat diese ihm doch Dienste dabei geleistet. Und diese Äußerlichkeit hat, wie Alles, was von ihm ausging, auch ihre Wirksamkeit über das Ganze erstreckt.

Quelle: Ludwig Bamberger, Gesammelte Schriften, Bd. 5, Politische Schriften von 1879 bis 1892. Berlin: Rosenbaum & Hart, 1897, S. 333; abgedruckt in Gerhard A. Ritter, Hrsg., Das Deutsche Kaiserreich 1871–1914. Ein historisches Lesebuch, 5. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1992, S. 110.