Quelle
Ersehnter Tag! Inmitten lichten Glanzes,
Erhebt sich
Pfeilerwald und Schiff und Chor,
Aus der Umgrenzung eines
Zinnenkranzes,
Ins Unbegrenzte steigt der Knauf empor;
Aus
Teil- und Stückwerk endlich ward ein Ganzes,
Und Furcht erlag,
und Zweifelsucht verlor,
Und mit den Türmen schwingt sich auf
nach oben,
Ein Lobgesang: Laßt uns den Herren loben!
Und wer ihn hört, aufjubelnder erscholl er,
In keiner
Stund’, an keiner Stelle wohl,
Und alle Pulse schlagen
freud’ger, voller:
Ein Ideal, es ward uns zum
Idol;
Eins wurde Hohenstauf
und Hohenzoller,
Und dieser Dom ist dessen uns Symbol,
Und
wie nach Maß und Schönheit ohnegleichen,
Ist er zugleich uns
unsrer Einheit Zeichen.
Ein Einheits-Zeichen! Ach, und
doch
gespalten,
Uneinheitlich des Volkes Herz und Sinn
–
Ersehnter Tag, in deines Mantels Falten,
Nimm, eh’ du
scheidest, unsren Zwiespalt hin!
Laß
Einigkeit aus Einheit sich
gestalten,
Aus ihr erblüht
der größere Gewinn,
Und klingst du, hohe Kaiserglocke,
heute:
Versöhnung, Friede sei dein erst Geläute!
Quelle: Theodor Fontane, „Zum Kölner Domfest (15. Oktober 1880)“ [veröffentlicht 1880]; abgedruckt in Theodor Fontane, Werke, herausgegeben von Mathias Bertram, Digitale Bibliothek, Bd. 6, CD-ROM. Berlin: Directmedia, 1998.