Kurzbeschreibung

Der Landtag des Herzogtums Nassau debattierte im Mai 1846 über die Gewährung gleicher staatsbürgerlicher Rechte für die Juden. Ähnlich wie die Parlamentsverhandlungen in anderen deutschen Staaten während der 1848er Revolution verdeutlicht die Debatte die von den Abgeordneten geäußerten unterschiedlichen Ansichten sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen des Staatsbürgerrechts als auch der Frage, in welchem Umfang die Juden in Nassau diese Normen erfüllten.

Antrag des Herzogtums Nassau auf völlige Emanzipation der Juden (1846)

  • Großherzogtum Nassau

Quelle

Begründung des Antrags auf völlige Emanzipation der Juden.

Meine Herren! Der gegenwärtige Landtag hat unter günstigen Auspizien begonnen. Ehrenwert hat die Staatsregierung sich bewiesen, indem sie den Wahlen volle Freiheit gelassen, sich jeder Einwirkung auf dieselben enthalten und dadurch gezeigt hat, daß sie die öffentliche Meinung zu achten und anzuerkennen wisse. Die Kammer hat, indem sie auf vollständige Veröffentlichung ihrer Protokolle drang und, wie man wohl annehmen darf, für Öffentlichkeit und Mündlichkeit in Rechtssachen sowie für Schwurgerichte sich aussagen wird, nicht minder bewiesen, daß sie, eben weil konstitutionell-monarchisch, darum auch freisinnig gesinnt und von der Überzeugung durchdrungen sei, daß die Anerkennung gerechter Ansprüche die sicherste Stütze und der schönste Glanz der bestehenden Institutionen sei. In der Tat ist gesetzmäßige Freiheit der zuverlässige Schutz gesetzmäßiger Ordnung, verbürgt Gerechtigkeit gegen alle am besten, die Liebe aller zu dem Staate und Fürstenhause, dem sie angehören, wie zu dem großen Vaterlande, dem sie verpflichtet sind, Gut und Blut zu weihen. Diese Gerechtigkeit ist in unserm Staate den Bekennern des jüdischen Glaubens noch nicht geworden, diese gesetzmäßige Freiheit fehlt ihnen in bedeutendem Maße, und der Gegenstand meines Antrags ist: hohe Staatsregierung um einen Gesetzvorschlag zu ersuchen, durch welchen dieser Mißstand aufgehoben und die Juden in Nassau gegen Übernahme der vollen Bürgerpflichten des vollen Genusses der Bürgerrechte teilhaftig werden. Zur Begründung dieses Antrags erlaube ich mir, Sie auf die Beschränkungen aufmerksam zu machen, welchen die Juden bei uns unterworfen sind, zugleich einen Blick auf ihren gesetzlichen und faktischen Zustand in Deutschland und andern Ländern zu werfen und an der Hand der Erfahrung allenfallsigen Einwendungen zu begegnen. Der erste Teil meiner Aufgabe ist nun, ich gestehe es, fast peinlich für mich. Daß in einem Lande, dessen Staatsregierung wie dessen Bewohner sich durch hohe Intelligenz auszeichnen, ein Eingeborner, bloß weil er von jüdischen Eltern abstammt, nur einen Sohn erzeugen könne, der eine Familie gründen darf, während die andern Söhne alle schon bei der Geburt verdammt sind, der reinsten Freuden des Familienlebens beraubt, ehe- und kinderlos, ein wüstes, unsittliches Leben zu führen, das ist gewiß weder mit Ehren zuzugestehen noch mit Wahrheit zu leugnen. Zu allen Zeiten hart und ungerecht, muß dieses Gesetz heutzutage, wo die Gesetzgebung auch bei uns in Deutschland größtenteils weit über solche Matrikelbestimmungen für die Juden hinaus ist, noch weit drückender und eher verletzender erscheinen als früher. In Bayern, einem der wenigen Staaten, wo es noch besteht, haben die eben jetzt versammelten Kammern mit großer Mehrzahl dessen Abschaffung beantragt. In demselben und fast in noch schlimmerem Geiste ist die bei uns noch immer bestehende Verfügung, welche dem Juden das Recht nimmt, zugunsten eines andern Juden gegen einen Christen Zeugnis abzulegen. Wo das Gesetz eine solche Immoralität voraussetzt, da erzeugt es sie, und zwar, was noch schlimmer ist, bei den Christen nicht minder. Ein solches Gesetz ist die Sanktion jeder Unbill, die den Juden erzeigt, jeder bösen Gesinnung, die gegen sie verbreitet wird. Mag sein, daß es in früheren Zeiten einem gewissen Bildungsstande unter den Juden wie unter den Christen gemäß war. In unserm Jahrhundert steht gottlob die große Mehrzahl in allen Religionsparteien auf einer ganz anderen Stufe. Eine solche Bestimmung beschimpft die Gesetzgebung, welche sie zuläßt, weit mehr als die Juden, welche sie trifft. Ehedem bestand eine Judensteuer, gleichsam als Menschenzoll, steuerbare Religionsmeinung. Diese Steuer wurde aufgehoben, wogegen sie jetzt die Gewerbsteuer wie wir bezahlen zu ihrer so schweren Kirchensteuer. So z. B. zahlt der Wirt Simon Cahn in Soden allein 54 Gulden Kirchensteuer und dennoch keine Gleichstellung! Man war wohl immer dafür, daß die Juden gleiche Steuern zahlen, aber nicht, daß sie gleiche Bürgerrechte genießen sollten. Weniger beschimpfend, aber kaum leichter zu rechtfertigen, sind andere Beschränkungen, welche sie treffen. So z. B. darf ein Jude bei uns Arzt, aber nicht Apotheker sein. Er darf Arzneimittel verschreiben, aber nicht verkaufen. Handel zu treiben ist ihm erlaubt, Spezereigeschäfte sind ihm verboten. Die Inkonsequenz springt in die Augen. Solcherlei Bestimmungen bestehen eben, weil sie bestehen. Ein neues Gesetz kann sie unmöglich beibehalten. Den Zivilgemeinden sind die Juden in Nassau einverleibt, indem sie seit zwei Jahren einer Regierungsverordnung gemäß zu den speziellen Gemeindekassen beizutragen haben. Dennoch wurden sie zu den letzten Gemeindewahlen in Wiesbaden zwar eingeladen, aber nicht zugelassen. Jene Einladung, hieß es, habe auf einem Irrtum beruht. Vernünftigen Rechtsbegriffen gemäß war die Ausschließung ein Irrtum. Unsere Regierung hat, indem sie ihnen jene speziellen Abgaben auflegte, auch ihr Recht anerkannt, in Gemeindeangelegenheiten mitzustimmen, zu Gemeindeämtern mitzuwählen und mit wählbar zu sein. Sie wird hoffentlich nicht Anstand nehmen, dies gesetzlich auszusprechen. In der Tat werden sie in Preußen, wo ihnen die politischen Bürgerrechte noch entzogen sind, nichtsdestoweniger zu Munizipalämtern und Abstimmungen zugelassen. [] (Es folgen Bemerkungen über die Verhältnisse in Württemberg und Frankreich.) Wenn also die genannten drei Nachbarländer, wenn bei uns in Deutschland Kurhessen den Juden die vollen politischen Bürgerrechte einräumten, wenn sie in Württemberg zu allen, in Baden wenigstens zu einigen Branchen des Staatsdienstes gelangen, in Braunschweig zu Landtagsabgeordneten gewählt werden können und wenn sich nirgends Nachteile, überall nur Nutzen für das Gemeinwesen daraus ergeben hat, wenn die preußischen Rheinlande sich auf dem vorjährigen Provinziallandtage mit großer Mehrheit und mit warmer Überzeugung für die volle Gleichstellung der Juden mit den Christen verwandt, so wäre es gewiß unrecht, wenn unser Nassau zurückbleiben sollte. Es wäre unverzeihlich, wenn auch ferner wie bis jetzt der Staatsregierung gesetzlich untersagt bliebe, das kleinste Ämtchen, die untergeordnetste Staatsbedienung einem Mann zu übertragen, den sie dazu geeignet findet, wenn dieser zufällig von jüdischen Eltern geboren und ehrlich genug ist, sich äußerlich nicht zum Christentum bekennen zu wollen, solange er innerlich nicht davon überzeugt ist. Ja, unsere erleuchtete Regierung hat selbst die von mir verteidigten Grundsätze faktisch anerkannt, indem sie den würdigen Doktor Herz in Weilburg zum Medizinalrate beförderte. Was hat denn der Staat und das Christentum an solchen Heuchlern, die um eines Amtes willen das äußere Gepräge wechseln, weil sie innerlich von unechtem Schrot und Korn sind? Schon im Jahre 1814 haben die hochseligen Fürsten, Herzog Friedrich August und Fürst Friedrich Wilhelm von Nassau, gleich im Eingange des Gesetzes zur Errichtung der Landstände die merkwürdigen, dem erlauchten Hause Nassau wohlziemenden Worte gesprochen, daß sie „bei fortdauernden Bedrückungen der Gewalt in auswärtigen Staatsverhältnissen die bürgerliche Freiheit ihrer Untertanen möglichst gesichert und die politische Gleichheit derselben vor dem Gesetze aufrecht gehalten. Von dieser Ansicht ausgehend und von solchen Beweggründen geleitet haben Wir, heißt es weiter, bis hierher die vollkommenste Duldung religiöser Meinungen und freie Übung jedes Gottesdienstes in unserm Lande gehandhabt.“ Wohlan, meine Herren, es ziemt dem Hause Nassau, an dessen Namen sich geschichtlich der Begriff der Glaubensfreiheit knüpft, es ziemt den Abgeordneten unseres schönen, gesegneten und intelligenten Landes, sich an die Spitze eines großen, gesetzlichen Fortschrittes in unserem Vaterlande zu stellen. Es ist unsere Pflicht, auf Abschaffung von Ausnahmsgesetzen, überhaupt hier aber insbesondere derjenigen anzutragen, welche die Juden bei uns noch unter mittelalterlichen Druck stellen, und bei diesem Antrage habe ich wohl keinen Widerspruch zu fürchten. Lassen Sie uns aber, meine Herren, dabei nicht stehen bleiben! Lassen Sie uns den Antrag dahin stellen, die schönen Worte unserer Fürsten im Jahre 1814 nach 32 Jahren zur vollen Wahrheit zu machen, die bürgerliche Freiheit und die politische Gleichheit aller Nassauer in ihrem ganzen Umfange unumwunden anzuerkennen und gesetzlich auszusprechen! Nach 32 Jahren, sage ich, und wie viel ist in diesen 32 Jahren geschehen, das einen ungeheuern Fortschritt von seiten der Juden beweist! Erlauben Sie mir eine Tatsache anzuführen, die mir entscheidend scheint. Vor einigen Jahren machte die Königlich Preußische Regierung bekannt, daß sie mit dem Plane umginge, die Juden, unter Belassung, ja mit einiger Erweiterung des ihnen in diesem großen deutschen Lande eingeräumten Privatbürgerrechts, des Militärdienstes zu entheben. Was taten da die Juden unserer Zeit und wie benahmen sich bei einem ähnlichen Falle ihre Vorfahren nur 50 Jahre früher? Die Geschichte antwortet für uns. Der edle Kaiser Joseph II., der zuerst von allen deutschen Fürsten ihr Schicksal verbesserte und sie dafür zugleich, wie recht und billig, was früher nicht geschehen war, zum Kriegsdienste zog, hatte gegen ihren wie gegen des christlichen Volkes Widerstand zu kämpfen. Die Verknechteten wollten nach der Knechte Art lieber Sklaven bleiben, als mit den Waffen in der Hand ihre Freiheit verdienen. Die Juden unserer Zeit hingegen fühlten sich gekränkt und entehrt ob der Zumutung, sie von der Ehre auszuschließen, für das gemeinschaftliche Vaterland ferner die Waffen zu führen. Aus allen Teilen, aus allen Kreisen, fast aus allen Städten der Monarchie liefen Vorstellungen ein, worin die Juden auf ihrem Rechte beharren, für König und Vaterland in das Feld zu ziehen. Nicht ohne Rührung fand ich in der von dem jüdischen Vorstande des Kreises Simmern an den König gerichteten, durch den Druck veröffentlichten Petition die Worte: „Man möchte ihnen doch nicht (durch Ausschließung vom Kriegsdienste) die trostlose Aussicht eröffnen, daß ihre Nachkommen würden, was ihre Vorfahren in finsterer Zeit und durch finstere Zeiten waren: ein Geschlecht ohne Mut, ohne Selbstgefühl, ohne Nationalgefühl, nur Last dem Staate wie sich selbst.“ Wenn die Juden so bewähren, daß sie nicht nur, wie der 16. Artikel der Bundesakte ihnen auflegt, bereit sind, alle bürgerlichen Pflichten zu erfüllen, sondern es als eine Ehrenkränkung betrachten, wenn sie der Staat der Pflicht überheben will, ihr Blut für ihn zu vergießen, haben sie da nicht die Bedingung redlich erfüllt, gegen welche ihnen eben dieser Artikel die bürgerlichen Rechte in allen Bundesstaaten zusichert? Haben sie dadurch nicht den überzeugendsten Beweis gegeben, daß die deutschen Juden unserer Zeit sich mit Herz und Seele der deutschen Nationalität anschließen und Gesetze, die ganz andern Juden gelten, auf sie nicht mehr anwendbar sind? []

Es ist aber darum nicht minder wahr und steht nach den Erklärungen des jüdischen, größtenteils aus orthodoxen Rabbinern bestehenden Sanhedrin, welcher in Frankreich im Jahre 1806 versammelt war, aus den Entscheidungen der deutschen Rabbinerversammlung in Braunschweig und Frankfurt, welche von zwei Nassauischen Rabbinern beschickt war, wie nicht minder aus den Erklärungen ihrer zelotischen Gegner unumstößlich fest, daß die jüdische Religion zu allen Zeiten ihren Bekennern die Beobachtung der Staatsgesetze als eine der höchsten Pflichten auferlegt. Gehen Sie, meine Herren, die Lehrbücher der jüdischen Religion durch, welche in Deutschland ihrem Religionsunterricht zugrunde liegen, und Sie werden sich überzeugen, daß nichts darin enthalten ist, was nicht mit dem Gebote der Liebe, mit den Anforderungen des Staates und der Zivilisation im vollen Einklange stände. Auch hier steht die Erfahrung den Ansprüchen der Juden zur Seite. Kein Jude weigert sich, an seinen Festen Kriegsdienste zu leisten. Jüdische Staatsdiener werden, das versteht sich von selbst, ebensowenig an ihren Festen von den Berufsarbeiten dispensiert werden können, welche der Staat ihnen auferlegt, und es noch weniger wollen. Ohnehin ist der deutsche Jude unserer Zeit ebensowenig der des Mittelalters, als der protestantische Christ unserer Zeit mit Calvin und Melanchton für die Verbrennung des Servet oder der katholische für Inquisition sein würde. So spricht Religion und Politik, Erfahrung und Zivilisation für den Antrag, welchen ich die Ehre habe, hiermit an die Kammer zu richten: Es wolle dieselbe hohe Staatsregierung um die Vorlage eines Gesetzes ersuchen, welches die gegen die Nassauischen Juden bestehenden Ausnahmsgesetze aufhebe und auf der Grundlage beruhe, denselben gegen Erfüllung derselben Pflichten, dieselben bürgerlichen und politischen Rechte als den übrigen Staatsbürgern einzuräumen.

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Herr Deputierter Senfft: Zum Zeichen seiner Teilnahme an diesem Antrage und um zugleich manchem der Herren Gelegenheit zu geben, sich mit der Geschichte und Literatur dieser Angelegenheit näher bekannt zu machen, hat mich der Herr Pfarrer Dr. Haas zu Dickschied, Amt Langenschwalbach, beauftragt, jedem Mitgliede der beiden Ständeabteilungen sowie den Landesherrlichen Herren Kommissarien ein Exemplar seiner Schrift: „Das Staatsbürgerthum der Juden vom Standpunkte der inneren Politik beleuchtet“ als Geschenk darzubieten. Nachdem ich mich dieses Auftrags entledigt habe, bemerke ich in Beziehung auf den gestellten Antrag selbst nur im allgemeinen, daß derselbe seiner Tendenz nach gewiß unsere ganze Aufmerksamkeit und sorgsamste Erwägung verdient. Es handelt sich dabei nicht bloß um eine gerechtere und günstigere Regulierung der bürgerlichen Verhältnisse der Juden, sondern auch um unsere eigene Ehre und unser eigenes Wohl, denn es ist unzweifelhaft, daß wir diese befördern und erhöhen, wenn wir jene so ordnen, wie es das in unserer sittlichen Menschennatur und in dem Geiste des Christentums tief begründete, unabweisbare Gesetz der Gerechtigkeit und Humanität dringend fordert. Indem man dieses, vom Vorurteile geblendet, viele Jahrhunderte hindurch unterlassen, indem man den Juden die natürlichsten Rechte vorenthalten und sie zum Gegenstande der unnatürlichsten Beschränkungen und Bedrückungen gemacht hat, hat man den Partikularismus in diesem Volke genährt, hat man es zu einer feindlichen Absonderung gezwungen und es in einem Stande der Notwehr erhalten, welcher sich allerdings auf mancherlei, für den Staat nachteilige, oft verderbliche Weise geltend gemacht hat. Je mehr man in der neueren Zeit von jenen Vorurteilen zurückgekommen und den Juden eine würdigere und günstigere Stellung in der Gesellschaft eingeräumt hat, desto augenfälliger hat sich ein Streben nach Reformation unter ihnen gezeigt; desto unverkennbarer hat ihr Geist und Charakter im allgemeinen eine bessere Richtung genommen, und ich bin überzeugt, daß dieses mehr noch geschehen wird, daß sich die Juden dem Staatsleben immer völliger anschließen und assimilieren werden, daß der Name Jude, wie in Frankreich, Holland, Belgien etc. so auch unter uns, seine ehrenrührige Bedeutung ganz verlieren und nur noch als ein geschichtlicher Name fortbestehen wird, wenn wir an diesem Volke, das unbestritten reiche Keime der Intelligenz und des Guten in sich trägt und an dem vieles gut zu machen ist, volle Gerechtigkeit üben und es für uns gewinnen durch die unumwundene und offene Erklärung: ihr seid uns als Mitbürger mit denselben Rechten, wie wir sie genießen, willkommen, sobald ihr euch durch eure Religionsgrundsätze und eure Zeremonialgesetze in keiner Weise mehr zurückhalten laßt, alle staatsbürgerlichen Pflichten, gleich uns, zu erfüllen. Herr Deputierter Haas: Auch ich bin der Ansicht, daß es an der Zeit ist, die bürgerlichen Verhältnisse der Juden zu deren Gunsten zu ordnen und stimme daher dem Antrag des verehrlichen Mitgliedes bei, indem ich mich auf die zu dessen Begründung bereits hervorgehobenen Rücksichten beziehe. Die verehrliche Deputiertenkammer möge daher bei der Regierung eine Verwendung dahin eintreten lassen, daß im Wege der Gesetzgebung eine völlige Gleichstellung der Juden in bürgerlicher und politischer Hinsicht mit den christlichen Untertanen des Herzogtums, wie dies in Frankreich, Bayern, Holland, im Königreiche Württemberg und Kurhessen bereits geschehen ist, ausgesprochen werde.

Herr Deputierter Eberhard: Der umfassenden Rechtfertigung des Herrn Antragstellers kann ich nur meine Zustimmung geben und derselben in gleichem Sinne noch einige Worte anfügen. Ein altes, merkwürdiges Volk, durch die Geschichte hinlänglich bekannt, dessen Größe und früherer Glanz in dem grellsten Kontraste mit seiner dermaligen Lage stehen, zerstreut in alle Welten und geteilt in deren verschiedene Länder, vielfach verfolgt und gänzlich unterdrückt, ohne allen Zusammenhang, finden wir diese ehrwürdigen Trümmer einer vormaligen großen Nation unter dem Drucke des Schicksals ihre Sprache, Sitten und Religion getreulich bewahren und gegen feindselige Angriffe mit Erfolg verteidigen – welche Erscheinungen nicht allein eine allgemeine Teilnahme rechtfertigen, sondern auch zugleich zur Bewunderung auffordern. Ein minder kräftiges Volk, unter ähnlichen ungünstigen Verhältnissen, würde längstens seinem harten Geschicke erlegen und spurlos verschwunden sein. Dem fortschreitenden Geiste unseres Zeitalters bleibt es vorbehalten, diese Tatsachen zu würdigen und die begangenen Fehler früherer Jahrhunderte möglichst auszugleichen. Es tut dem deutschen Vaterlande not, einer jeden existierenden Spaltung, oder von welcher Seite her eine solche noch anrücken mag, und daraus erfolgender Zersplitterung seiner Kräfte nicht allein entschieden entgegen zu treten, sondern auch dieselben zugleich durch das allgemeine Band der Liebe zum gemeinsamen Vaterlande innigst zu vereinigen. Mit Unrecht beschuldigt man die Juden des Hanges zum Betrug und der damit in Verbindung stehenden andern Laster. Die Schuld daran fällt vielmehr auf deren Bedrücker. Man gestatte Ersteren die freie Wahl eines jeden beliebigen Gewerbes, und dieser Vorwurf wird von selbst in Nichts zerfallen. Aber zurückgedrängt auf nur wenige Erwerbsquellen, noch dabei übersetzt von Konkurrenz der Glaubensgenossen, erzeugt die Not der Selbsterhaltung Erscheinungen, die bei freistehender Bewegung nicht erfolgen würden.

Nur eine vollkommene Gleichstellung mit den übrigen Bürgern des Landes wird die Juden nicht allein von bisherigen, durch die Not betretenen Abwegen abhalten, sondern auch dieselben ihrem Vaterlande, welches sie bis dahin nur stiefmütterlich behandelt, innigst verpflichten und sie zugleich anspornen, demselben im freundschaftlichen Verbande mit ihren christlichen Nachbaren diejenigen Dienste zu leisten, die man von ihren ausgezeichneten Anlagen erwarten darf. Auf diese Gründe gestützt trage ich ebenfalls auf völlige Emanzipation der Juden an.

Herr Deputierter Siebert: Der Herr Antragsteller zeichnet uns die Juden der jetzigen Zeit von so vorteilhafter Seite, daß man fast verleitet werden möchte, selbst ein Jude zu werden. Recht gut weiß der Herr Deputierte, wie derselbe in seiner Begründung zeigt, daß zu jeden guten Bilde Licht und Schatten gehören; zu bedauern ist es aber, daß er in dem uns vorgestellten Gemälde das Licht von den Juden und den Schatten von den Christen genommen hat. Ich wünschte nur gleiche Erfahrungen wie der Herr Deputierte gemacht zu haben; leider ist dies aber nicht der Fall. Ich habe gefunden, daß besonders Juden die Not der Ärmeren nur zu sehr als Mittel zur Bereicherung benutzen. Übrigens kenne ich auch sehr brave und redliche Juden, deren Emanzipation ich freudig unterstützen würde. Was der Herr Deputierte weiter sagt, dem ältesten Sohne stehe nur das Recht zu, auf Schutz Anspruch zu machen, die anderen seien verdammt, ehe- und kinderlos zu bleiben, beruht auf einem Irrtum. Nach unsern Gesetzen soll allerdings nur dem ältesten Sohne einer Israelitenfamilie der Schutz als Handelstreibender gegeben werden. Dieses Gesetz wird übrigens sehr schonend angewendet, indem ich selbst Familien kenne, wovon fünf Söhne Handelsleute und sämtlich verheiratet sind. Dagegen sagt auch noch das Gesetz, daß den nachgeborenen Söhnen, wenn sie sich jedem anderen Gewerbe widmen, der Schutz nicht versagt werden kann. Zu bedauern ist, daß so wenige hiervon Gebrauch machen. Ebenso sind nach meiner Überzeugung die Juden in der Besteuerung gegen die Christen eher begünstigt als benachteiligt.

Herr Deputierter Bertram: Ich stimme den von dem ehrenwerten Antragsteller weitläufig entwickelten Ansichten über Toleranz und verzögerte Gleichstellung einer bisher bloß geduldeten Volksklasse von ganzem Herzen bei, erlaube mir jedoch die Bemerkung, daß die Zustände der Juden im Herzogtum Nassau bei weitem nicht so trostlos sind, wie er sie uns schildert. Im Gegenteile wird der unbefangene Beobachter zugestehen müssen, daß die Nassauische Regierung sich der Juden stets mit großer Wärme angenommen hat. Sie hat nachhaltig, was auch das Beste sein dürfte, darauf gewirkt, daß die Juden sich aus sich selbst heranbildeten, und die Juden leugnen selbst nicht, daß sie die Stufe der Kultur, die sie erreicht haben, den humanen Maßregeln der Regierung verdanken, und möchte es derselben überlassen bleiben, eine vollständige Assimilierung in Sitten, Gewohnheiten und Gebräuchen zu überwachen und zu befördern. Der Zeitpunkt dürfte dann nicht fern liegen, wo man sie in die wenigen, ihnen noch abgehenden, mehr Ehren- als einträglichen Rechte ohne Bedenken einsetzen kann, und die christliche Bevölkerung wird, wie ich fest überzeugt bin, gerne von den Vorurteilen, die bisher nicht ganz zu verkennen waren, abgehen und sie mit Freuden in ihre Reihen aufnehmen.

Herr Deputierter Dresel: Ich erlaube mir, den Herrn Deputierten, welcher vor dem letzten gesprochen hat, zu bitten, in seiner Phantasie an meine Stelle zu treten und sich zu fragen, ob er bei der Begründung eines Antrags zu Gunsten der Juden die schlechtesten des Volkes geschildert haben würde. Ich zweifle sehr daran. Ich habe auch nicht die Namen der besten genannt, sondern mich damit begnügt, einige Data, wie sie die Erfahrung gibt, zu zitieren. Ich muß mich ausdrücklich dagegen verwahren, daß ich die Christen unter die Juden gestellt habe. Es gibt gute und schlechte Juden, gute Christen und schlechte Christen. Das Christentum habe ich nicht gegen das Judentum in Schatten gestellt. Das Christentum bleibt immer in seiner Glorie. Davon kann keine weitere Rede sein. Was dagegen die Gerechtsamen der Juden betrifft oder vielmehr die Entziehung von Rechten, auf welche sie Anspruch haben, so bin ich so frei gewesen, die Wahrheit zu wiederholen, und zwar gestützt auf Aussagen der Regierung selbst. Hinsichtlich des Verfahrens, das man gegen die Juden beobachtet, muß allerdings anerkannt werden, daß manches für sie geschehen und ihnen zugestanden worden ist, je nach den Personen und vorliegenden Fällen. Eine Gleichstellung derselben mit den Christen liegt aber nicht im Gesetze, sondern diese ist an Bedingungen geknüpft, die von der Regierung abhängen. Übrigens muß ich dem letzten Redner, welcher anerkennt, daß die Regierung viel für die Juden getan hat, und glaubt, man könne von derselben erwarten, daß sie angemessen darin fortschreiten werde, antworten, daß dann immer noch dem Belieben der Regierung überlassen sei, was ich in meinem Antrage als Gesetz verlange. []

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Herr Deputierter Zais: Der verehrliche Antragsteller geht von dem Grundsatz aus: „Gleiche Lasten, gleiche Rechte.“ Dieser Grundsatz ist in unserm Falle nicht ganz anwendbar. Die Juden sind ein Volk fremder Abstammung, mit eigenen Gesetzen, Sitten und eigner Religion. Ihre Stellung, die sie daher unter uns einnehmen, ist die des Schutzes, und dieses Verhältnis besteht geschichtlich seit fast 2000 Jahren. Wenn sie zu gleichen Lasten angezogen werden, so ist dies nicht mehr als recht, da sie an allen Rechtswohltaten teilnehmen, deren Bestreitung nur durch Hilfe von Abgaben erreicht werden kann. Die Vorteile, die wir ihnen gewähren, sind daher als eine Vergünstigung von unserer Seite zu betrachten, sie können jene aber nicht als ein Recht in Anspruch nehmen, und wir haben diese Gunst ihnen nur insoweit zu erteilen, als wir es mit den Staatsinteressen vereinbar halten. Ob völlige bürgerliche und nationale Gleichstellung der Juden zum Wohle des Landes diene, möchte so lange zu bezweifeln sein, als ihre eignen Gesetze und Institutionen sie als ein fremdes Volk von uns völlig scheiden, solange sie namentlich nicht den Sabbat auf den Sonntag verlegen, welcher Sabbat sie hindert, ein gleiches Geschäftsverhältnis zwischen Christen und Juden herzustellen.

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Herr Deputierter Cratz: Ich kann dem Herrn Antragsteller über das, was derselbe über die Stellung der Juden im allgemeinen sagt, nicht beistimmen, indem solche, besonders in unserm Lande, gewiß mit aller Rücksicht und Schonung behandelt werden, und stimme daher seinem Antrag nur insofern bei, als, wie das verehrliche Mitglied, welches über diesen Gegenstand zuerst gesprochen, sich äußerte, daß dieselben sich vorerst mit ihren Gebräuchen und religiösen Einrichtungen den Christen mehr nähern und mit deren Institutionen in Übereinstimmung zu bringen suchen, daher dieses vorher von ihnen ausgehen müßte, ehe eine vollständige Emanzipation stattfinden könnte.

Herr Deputierter Hergenhahn: Ich will nur bemerken, daß auch ich für die weitere Erörterung des Antrags stimmen werde. Es kann nicht bestritten werden, daß die christlichen Grundsätze der Humanität und der Nächstenliebe lange Zeit den Juden gegenüber nicht beobachtet worden sind. Es war dies jene finstere Zeit, wo die Juden von den Christen als ein für alle Ewigkeit verfluchtes Volk betrachtet wurden, wo sich die Christen berufen glaubten, die Schuld der Vorfahren der Juden an unserm Heiland in grellem Widerspruche mit seiner Lehre zu rächen und zu strafen. Es ist auch nicht zu bezweifeln, daß die lange Unterdrückung der Israeliten der geistigen und moralischen Entwicklung einer großen Zahl derselben vielfache Hindernisse in den Weg gelegt hat. Wir haben in dieser Beziehung manches Unrecht wiedergutzumachen. Aus den Mitteilungen des Herrn Regierungskommissärs haben wir ersehen, daß bereits vieles in dieser Beziehung geschehen ist. Es ist die Frage, was noch weiter zu tun sei, und diese Frage ist wichtig genug, um sie einer gewissenhaften, gründlichen Untersuchung zu würdigen.

Herr Deputierter Siebert: Ich glaube nicht, daß meine Phantasie fähig ist, das Judentum als Ideal vorzuführen, und ich kann auch nicht für eine unbedingte Emanzipation stimmen, bin jedoch dafür, daß diejenigen Juden, welche nach dem Vorschlag der Ortsbehörden hierzu reif sind, emanzipiert werden, und wünsche deshalb, daß der Antrag zur Erörterung kommen möge.

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Quelle: Verhandlungen der Landesdeputiertenversammlung des Herzogtums Nassau, 1846, S. 506–22, 553–60 (Auszug); abgedruckt in Anton Doll, Hans-Josef Schmidt und Manfred Wilmanns, Hrsg., Der Weg zur Gleichberechtigung der Juden, Dokumentation zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Rheinland-Pfalz und im Saarland von 1800 bis 1945, Bd. 2, Koblenz, 1979. Veröffentlichung der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 13, S. 209–13, 215–17, 221–22, 224–25. Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Landeshauptarchiv Koblenz (www.landeshauptarchiv.de).