Kurzbeschreibung

Judenfeindliche Stereotype blieben zwar quer durch das politische Spektrum weit verbreitet, doch gegen Ende der 1840er Jahre fand die Idee der jüdischen Emanzipation als Frage der Gleichberechtigung bei den meisten Politikern in Deutschland – von den gemäßigten Liberalen bis zu Demokraten – zunehmend Unterstützung. Sie begannen auch politischen Druck aufzubauen, um deutlich zu machen, dass judenfeindliche Rhetorik in der politischen Sphäre nicht länger hingenommen würde. Selbst der württembergische Demokrat Moritz Mohl (1802–1888) – nicht zu verwechseln mit seinem älteren Bruder, dem Reichsjustizminister Robert von Mohl – stellte in seinem Redebeitrag zur Debatte über die Emanzipation der Juden nicht grundsätzlich in Frage, dass die deutschen Juden volle Bürgerrechte erhalten sollten. Mohl stellte jedoch in Abrede, dass eine vollständige Assimilation der Juden in die deutsche Nation möglich sei und sprach sich für besondere diskriminierende Rechtsvorschriften gegen Juden aus, um die christlichen Deutschen vor angeblich schädlichen jüdischen Wirtschaftspraktiken zu schützen. Dabei bediente er sich einer markigen judenfeindlichen Rhetorik. Als Gegenredner zu Mohl ergriff niemand Geringeres als Gabriel Riesser (1806–1863) das Wort, der führende jüdische Verfechter der Rechte der Juden im Vormärz. Riesser erklärte, die deutschen Juden seien patriotische Deutsche wie alle anderen und sollten uneingeschränkt die gleichen Bürgerrechte genießen, ohne dass sie gesetzlich diskriminiert oder aber gedrängt würden, zum Christentum überzutreten. Bemerkenswert sind die Widerspruchsbekundungen während Mohls Rede vor der Frankfurter Nationalversammlung, während Riessers Redebeitrag auf ausgesprochen positive Resonanz stieß. Riesser wurde später zu einem der Vizepräsidenten der Frankfurter Nationalversammlung gewählt.

Moritz Mohl und Gabriel Riesser, Zwei Reden über die rechtliche Gleichstellung der deutschen Juden (1848)

Quelle

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Moritz Mohl von Stuttgart: Meine Herren! Ich habe zu diesem Paragraphen folgendes Amendement gestellt: „Die eigenthümlichen Verhältnisse des israelitischen Volksstammes sind Gegenstand besonderer Gesetzgebung, und können vom Reiche geordnet werden. Den israelitischen Angehörigen Deutschlands werden die activen und passiven Wahlrechte gewährleistet.“

Meine Herren! Es ist mir gemüthlich schwer geworden, diesen Antrag zu stellen, aber ich halte ihn für eine heilige Pflicht gegen das deutsche Volk. Es gibt gewiß kein größeres Unglück – wir Alle werden es mit größter Theilnahme fühlen, – es gibt gewiß kein schmerzlicheres Unglück, als sein Vaterland verloren zu haben. Dieses Unglück ist das der über die ganze Welt zerstreuten Israeliten. (Eine Stimme aus dem rechten Centrum: Nein!) Erlauben Sie mir, die Israeliten gehören vermöge ihrer Abstammung, das wird Niemand leugnen, dem deutschen Volke nicht an, und sie können demselben ganz und vollkommen niemals angehören. (Oh!) Nicht ihre Religion ist es, die sie daran verhindert, nicht die Gesetze sind es, die sie daran verhindern, sondern die Unmöglichkeit der Familienvermischung ist es, und diese Unmöglichkeit hat allerdings einen religiösen und einen kirchlichen Grund. Sie werden in allen Ländern, auch da, wo die Emancipation der Juden längst gesetzlich ausgesprochen ist, überall werden Sie finden, daß der israelitische Volksstamm keine Familienverbindungen mit den Völkern eingegangen hat und eingehen konnte, unter denen er lebte. Welche Gesetze wir auch machen möchten, so werden wir diesen Unterschied niemals verwischen können. Ich will damit keineswegs sagen, daß die Gemeinsamkeit der Sprache, daß die Gemeinschaft des Landes nicht die Israeliten bis zu einem gewissen Grade zu Deutschen macht; aber vollständig können und werden die Israeliten zu einem deutschen Stamme wegen dieser historisch gegebenen Verhältnisse und allerdings auch vermöge der religiös gegebenen niemals werden. Wenn es sich nur von politischen Rechten handelte, so wäre die Frage viel einfacher. Gewiß Niemandem von uns wird es einfallen, das active und passive Wahlrecht beanstanden zu wollen. Wir werden uns im Gegentheil nur freuen, wenn Israeliten, – wie dieß ja häufig der Fall ist, – so sehr das Vertrauen des deutschen Volkes genießen, daß sie das deutsche Volk zu seinen Vertretern wählt. Aber, meine Herren, die Frage ist eine ganz andere: die Zerstreutheit der Israeliten über die ganze Welt, die eigenthümlichen Verhältnisse des israelitischen Volksstammes, die allerdings auch mit ihrer religiösen Abgeschlossenheit zusammenhängen, diese eigenthümlichen Verhältnisse haben, das ist ja weltbekannt, dem israelitischen Volksstamme in den bürgerlichen, wie in den Privatverhältnissen eine eigenthümliche Richtung, wenigstens der großen Mehrzahl nach, zumal in den unteren Schichten der Gesellschaft gegeben. Es ist ja bekannt, daß der jüdische Volksstamm gegenwärtig und schon seit Jahrhunderten beinahe durchaus keinen Ackerbau treibt. Allerdings, sehr reiche Juden werden Rittergüter kaufen, allein von armen Juden treiben nur wenige und mit Widerwillen den Feldbau. Ebenso bekannt ist es, daß die Israeliten verhältnißmäßig wenig Gewerbe treiben, und daß, wo sie Gewerbe treiben, sie sehr leicht wieder die Gewerbe in Handel umtauschen. Es ist ja bekannt, daß ihre Beschäftigung der Mehrzahl nach überall der Handel ist. Im Großhandel hat dieß keine, oder wenige Inconvenienzen, im Kleinhandel aber hat es allerdings seine sehr großen Nachtheile, die wir Alle aus der täglichen Erfahrung kennen. Meine Herren! Diese Nachtheile können wir nicht durch eine einzige Erklärung verwischen. Wenn wir heute alle Schacher- und Sack-Juden, alle israelitischen Viehversteller, alle mit wucherlicher Aussaugung der armen Bauern beschäftigten Juden für vollberechtigte Staatsbürger erklären, so wird jene nachtheilige Einwirkung auf das deutsche Volk damit keineswegs verwischt, vielmehr gewinnen dieselben dann nur ein freieres Feld, um ihre nachtheilige Einwirkung auf das deutsche Volk recht ungehindert und vollkommen betreiben zu können. Wir wollen human sein gegen die Israeliten, so human wie immer möglich, aber, meine Herren, unsere erste Pflicht ist gegen das deutsche Volk. Ich beklage allerdings die Beschränkungen, die vermöge gewisser Gesetze, die ich nicht alle rechtfertigen will, den Israeliten häufig drücken; aber, meine Herren, ich beklage noch millionenmal mehr die Tausende armer Bauern, die von den Juden ausgesaugt und zu Grunde gerichtet werden. Meine Herren! Wenn man die Ortsvorsteher, die Advocaten, die Richter aus meinem Lande, und auch aus andern Ländern fragt, da, meine Herren, werden Sie hören, daß, wenn der Judenwucherer nur einmal einen Fuß in das Haus eines Bauern gesetzt hat, der letztere verloren ist. (Stimmen: Oh! Oh! Zischen.) Wenn einmal die mit der Aussaugung des Volks beschäftigten Wucherer aus den unteren Schichten der jüdischen Bevölkerung wissen, daß ein Bauer in Geldverlegenheit ist, und ihm mit einem Anlehen, das gewöhnlich mit Tausch- und andern Geschäften so verwickelt wird, daß der Richter die Sache gar nicht mehr auseinanderbringt, beigekommen sind, so ist der Bauer verloren. Denn er wird immer tiefer hineingerissen, bis Haus und Hof dem Juden gehört. (Widerspruch in der Versammlung.)

Präsident: Ich muß bitten, den Redner nicht zu unterbrechen, es hat Jeder das Recht, seine Gründe zu entwickeln.

Moritz Mohl: Ebenso schädlich wirken die unteren Klassen des jüdischen Volkes im Detailhandel. Die einzelnen Gesetzgebungen haben zum Theil sehr zweckmäßige Gesetze erlassen; so wirken namentlich die in meinem besondern Vaterlande dießfalls erlassenen Gesetze sehr wohlthätig, welche dahin gehen, den Israeliten vom Schacherhandel und vom Wucher abzulenken, und ihn zu einem ordentlichen, ehrlichen Gewerbe und zur Landwirtschaft anzuhalten; auch gehen diese Gesetze dahin, den Israeliten von dem Detailhandel in andere Gewerbe abzulenken, es ist ein ganzes System von Gesetzgebung, das bis jetzt sehr nützlich gewirkt hat. Man beruft sich immer auf Frankreich und England, aber dort sind die Verhältnisse ganz andere. Frankreich hat im Mittelalter die Juden sammt und sonders verjagt, französische Juden gab es bis zum Jahre 1789 nicht, es durften keine mehr in Frankreich sein, mit Ausnahme des Elsasses und Lothringens, von Bayonne und Bordeaux. Im Ganzen gab es bis 1789 bloß 50.000 Juden in Frankreich, während in Bayern allein deren 60- 70.000 sind. Diese Juden waren überdieß theils deutsche im Elsaß und in Lothringen, theils portugiesische in Bayonne und Bordeaux; französische gab es gar nicht, und es durften, wie gesagt, im übrigen Frankreich keine sein bis 1789. Man hat deßhalb damals gar nicht gekannt, was es um diese Nachtheile ist. Später aber hat man es erfahren, und Napoleon hat sich im Jahre 1868 durch die Klagen über den Juden-Wucher genöthigt gesehen, eine besondere und sehr strenge Ausnahme-Gesetzgebung wegen der Klagen über den Juden-Wucher zu erlassen. Von England wurden ebenfalls die Juden im Mittelalter sammt und sonders verjagt, und nur ein kleiner Theil wurde unter Cromwell wieder zugelassen. Nach der höchsten Angabe leben jetzt 30.000 Israeliten in England, während nach anderen Angaben deren viel weniger dort sind. In diesen Staaten hat man also in dieser Hinsicht gut liberal sein, in ganzen Provinzen dieser Länder weiß man gar nichts von Juden. Man beruft sich endlich auf Nord-Amerika. Allein hier sind die Verhältnisse vollkommen verschieden. Hier ist Land genug, der Bauer ist wohlhabend, und kommt also nicht in die Versuchung, sich dem Juden in die Hände zu geben. In Deutschland aber würde es von größten bürgerlichen Nachtheilen sein, wenn der Staat solchem Treiben gegenüber ganz entwaffnet würde, wenn ihm grundgesetzlich das Recht entzogen würde, die Verhältnisse der Israeliten durch Gesetze zu regeln. Ich weiß wohl, welche Einwendungen man dagegen machen wird: man wird sagen, die Juden seien unterdrückt, und dadurch sittlich zu Grunde gerichtet worden. Ich gebe zu, daß die Juden im Mittelalter verfolgt worden sind, und abscheuliche Unterdrückungen erlitten haben, obwohl sie sie in der Regel durch Wucher hervorgerufen haben; ich bin weit entfernt, jene Maßregeln zu vertheidigen. (Stimmen: Schluß!) – Meine Herren! Ich erfülle meine Pflicht gegen das deutsche Volk, von der ich recht gut weiß, daß sie mich unpopulär macht. – Ich wollte sagen, man wird mir die Unterdrückung entgegenhalten; diese findet allerdings theilweise noch statt, ich gebe die nachtheiligen Einwirkungen einer solchen Unterdrückung zu; aber der Hauptgrund der von mir erörterten Uebelstände liegt gleichwohl in ganz anderen Verhältnissen: er liegt darin, daß der israelitische Volksstamm sich mit dem deutschen Volke nicht verschmilzt, sich mit demselben nicht indentificirt und nicht indentificiren kann, vermöge seiner religiösen Verhältnisse; er liegt darin, daß sich dieser Stamm seit Jahrtausenden einer Richtung hingegeben hat, die man nicht auf einmal, auch nicht durch völlige Emancipation auf einmal ändern kann. Die Juden sind ein fremdes Element, sie hängen in der ganzen Welt unter sich zusammen, aber sie fühlen sich nicht als Theile des Volkes, unter dem sie leben. Eine andere Einwendung ist die: man wird sagen, man bedürfe keines besonderen Judengesetzes. Es werde hinreichen, daß die unrechten Handlungen gesetzlich verpönt und gerügt werden an den Juden wie an den Christen. Auch dieses ist unrichtig. Es ist nicht die einzelne Handlung, der bei diesem Judenwucher ohnehin so schwer auf den Grund zu kommen ist, sondern das ganze Leben, die ganze Richtung und Beschäftigung der Israeliten in den unteren Volksschichten ist eine volksverderbliche, und dieser muß durch weise Maßregeln des Staats und eine weise Gesetzgebung, welche die jüdische Jugend in andere Carrieren leitet, abgeholfen werden. Den alten Juden in den unteren Volksschichten machen Sie nicht anders, und jemehr man ihn von allen Fesseln befreit, um so leichter wird er es haben, das Volk auszubeuten. Man wird endlich vielleicht mir eine Einwendung machen, die man mir schon im volkswirthschaftlichen Ausschuß machte. Man hat mir nämlich eingewendet, ich habe mich ja in der Adelsfrage dahin ausgesprochen, daß die staatsbürgerliche Gleichheit hergestellt werden soll. Diese Fragen sind aber vollkommen verschiedene; denn wenn heute die Aufhebung des Adels beschlossen wird, so ist der Adel in keiner Weise verhindert, sich mit dem übrigen Volke zu verbinden. Bei den Israeliten ist dieß aber nicht der Fall, und zwar, wie gesagt, aus religiösen Gründen nicht der Fall. Deshalb wird immer und ewig die israelitische Bevölkerung wie ein Tropfen Oel auf dem Wasser der deutschen Nationalität schwimmen. Ich empfehle Ihnen mein Amendement zur reiflichen Erwägung und Berücksichtigung.

Riesser von Hamburg: Meine Herren! Es hat in einer früheren Discussion, wo es sich um bevorzugte Stände handelte, ein geehrter Redner mit voller Befugniß das Recht in Anspruch genommen, vor Ihnen im Namen des bevorzugten Standes, dem er angehört, zu reden, und denselben zu vertheidigen. Ich nehme das Recht in Anspruch, vor Ihnen aufzutreten im Namen einer seit Jahrtausenden unterdrückten Klasse, der ich angehöre durch die Geburt, und der ich – denn die persönliche religiöse Ueberzeugung gehört nicht hierher – ferner angehöre durch das Prinzip der Ehre, das es hat mich verschmähen lassen, durch einen Religionswechsel schnöde versagte Rechte zu erwerben. (Bravo!) Im Namen dieser unterdrückten Volksklasse gegen gehässige Schmähungen vor Ihnen das Wort zu ergreifen, dieses Recht nehme ich in Anspruch. (Stimmen: Sehr gut!) Der geehrte Vorredner hat seinen Antrag in einer Unwahrheit gefaßt. Er will nämlich den israelitischen Volksstamm durch Ausnahme-Gesetze von dem für Alle gleichen Rechte ausgeschlossen haben. Sie haben nun durch einen feierlichen Beschluß den nicht deutsch redenden Volksstämmen, die in Deutschland leben, Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichheit der Rechte, Gleichheit alles Dessen, was den Deutschen Deutschland theuer macht, zugesichert. Sollen wir Juden es für unser Unglück erachten, daß wir deutsch reden? Sollen wir darum schlechter behandelt, soll uns die Freiheit vorenthalten werden dürfen, weil wir nicht in die Kategorie nicht deutsch redender Volksstämme gehören? Soll die Geschichte von Ihnen sagen, daß Sie mächtige Volksstämme, die zerstörend in die Geschichte Deutschlands eingreifen könnten, die gewaffnet und gerüstet vor Ihnen stehen, durch Verleihung gleicher Rechte haben versöhnen wollen, daß Sie für die drohende Gewalt nur milde Worte hatten, einer schwachen Religionspartei dagegen, die in bürgerlicher Hinsicht nichts will, als in Deutschland aufgehen – denn nur nach Denjenigen, die klar denken, und lebendig fühlen, und ein deutliches Bewußtsein ihrer Lage haben, können Sie diese, wie jede Masse beurtheilen – eine Klasse, die keine Nationalität haben will, die ihnen von ihren Feinden aufgebürdet wird, die deutsch denkt und fühlt, mit Mißhandlungen entgegentreten, und zu ihrem Nachtheil Ausnahms-Gesetze bestehen lassen, während Sie andererseits alle Ausnahms-Gesetze vernichten, und dem gleichen Recht, dem gleichen Gesetz anheimstellen, alle Schäden der Gesellschaft zu heilen? Allerdings mußte eine Religion, welcher ein intolerantes bürgerliches Gesetz, indem es den religiösen Vorurtheilen auf beiden Seiten Vorschub leistete, die gemischten Ehen versagt hat, im Lauf der Jahrhunderte die alte Stammestrennung beibehalten, und auch die Gesetze der neuern Zeit, die die gemischten Ehen erlauben, aber die intolerante Bedingung beifügen, daß die aus diesen Ehen hervorgehenden Kinder Christen werden, konnten an der Einheit des jüdischen Volksstammes nichts ändern. Aber eine Folge unseres neuen Rechts wird Das sein, daß die Ehen gemischt werden, und die Religion nicht mehr eine bleibende und unüberwindliche Scheidewand der Stammeseinigung ist, zumal wenn Sie die ausdrückliche Bestimmung beifügen, daß Verschiedenheit der Religion kein Ehehinderniß sein darf; und dann wird die Stammestrennung aufhören. Man hat von der Beschäftigung der unteren Volksklassen der Juden geredet, man hat dieß in einer gehässigen Weise gethan, deren Beurtheilung ich Ihnen anheimgeben will, denn ich will nicht den Schein haben, die eigene Sache mit Parteilichkeit zu führen. Aber die letzte Einwendung, die der Herr Vorredner so leicht behandelt hat, ist hingegen eine siegreiche. Sie müssen diesem Uebelstand mit gleichem Gesetz begegnen oder Sie werden den alten Schlund des Unrechts und der Ungleichheit von Neuem öffnen. Die Handlungen, die dem Juden verboten werden, müssen auch dem Christen verboten sein. Was volksverderblich und volkswirthschaftlich nachtheilig sein soll, müssen Sie in ein Gesetz bringen, das von dem religiösen Bekenntniß unabhängig ist. Sie müssen den Trödelhandel und die Geschäfte mit dem Landmann, die Sie für nachtheilig halten, verbieten, oder eigentlich den Landmann für unmündig erklären. Sie werden nicht darum, weil der Jude das Christenthum annimmt, oder auf eine andere Weise seine Religion ablegt, was übrigens, wenn sich der Staat von der Religion getrennt haben wird, ein so leichtes Mittel sein dürfte, daß der gewissenloseste Jude am leichtesten dazu greifen wird, ihm eine bessere Reichsstellung anweisen können; Sie dürfen darum auch nicht zu seinem Nachtheil allein Ausnahme-Gesetze bestehen lassen, wenn Sie durch die allgemeine Gesetzgebung die betreffenden Nachtheile im Staatsleben nicht verhüten oder treffen können. Einige Thatsachen will ich beispielsweise herausheben. Ich berufe mich gerade auf das Beispiel von Würtemberg. Dort hat man 1828 den Juden einzelne Geschäftszweige, z.B. den Güterhandel, verboten, weil man von der Ansicht ausging, daß die Zerstückelung von Gütern volkswirthschaftlich nachtheilich sei. Ich berufe mich aber auf Diejenigen, die an den würtembergischen Stände-Verhandlungen im Jahre 1836 Theil genommen haben und frage Sie, ob damals nicht von vielen und ehrenwerthen Seiten versichert worden ist, es sei mit dem Güterhandel noch um kein Haar besser geworden, vielmehr werde jetzt der Güterhandel von den Christen auf rücksichtslosere und schändlichere Weise getrieben. Können Sie die volkswirthschafltichen Uebel, die auf einigermaßen zweifelhafte staatsökonomische Fragen sich beziehen, nicht an der Wurzel angreifen, und die Uebel selbst nicht heilen, so werden Sie nicht wohl daran thun, die Lücken staatswirthschaftlicher Erkenntniß durch fanatische und intolerante Vorschriften ergänzen zu wollen. Erklären Sie das Eine oder das Andere für unzulässig, so müssen Sie es Allen verbieten, denn sonst rufen Sie Unredlichkeit hervor; denn daß die Ungleichheit des Rechts Unredlichkeit auf beiden Seiten hervorgerufen hat, ist z.B. von der Rheinprovinz aus, als es sich um Abschaffung jener kaiserlichen Decrete handelte, von so vielen unparteiischen Beurtheilern behauptet worden, daß Sie es als gewiß annehmen können. Ein zweites Beispiel betrifft die Ausnahme-Gesetze, welche Preußen in den Kreisen Paderborn und Hörter auf kurze Zeit hat eintreten lassen. Der westphälische Landtag hat zu einer Zeit, wo er sich noch nicht zu dem Princip allgemeiner Rechtsgleichheit erhoben hatte, anerkannt, daß solche Ausnahme-Gesetzte nur dazu dienen, dem Wucher der Christen Vorschub zu leisten. Hiernach sind jene Bestimmungen aufgehoben worden. Dieselbe Wirkung, wie in diesen Fällen, hat sich überall bei unbefangener Betrachtung gezeigt. So wenig Sie die eine bevorzugte Volksklasse über die andere werden urtheilen lassen, so wenig Sie in dem Haß und der Verachtung bevorzugter Stände gegen die niederen einen Grund finden würden, ein Unrecht gegen die niederen Stände fortdauern zu lassen, so wenig dürfen Sie hier das Urtheil einer durch vergangene Jahrhunderte hindurch und hier und da vielleicht noch jetzt von Haß und Verachtung erfüllte Majorität zum Nachtheil der Minorität bürgerlich zur Vollziehung bringen. Ich weiß, daß ich hier Partei bin, allein ich will es gern sein auf Seiten der Unrecht Leidenden und Unterdrückten. Ich könnte noch Tausende von unparteiischen Urtheilen gegen die Schilderungen des Redners vor mir anführen, wenn ich es nöthig hielte. Meine Herren! Werfen Sie einen Blick auf die einzelnen Gesetzgebungen in Deutschland. In Preußen haben alle verehrten Kämpfer für die Freiheit zuerst auf den Provinziallandtagen und dann auf dem vereinigten Landtage für vollständige Gewissens- und Religionsfreiheit, für Gleichstellung der Juden mit den Christen gekämpft. Sämmtliche Stämme Preußens haben in dieser Richtung petitionirt, und es geschah in Folge der einstimmigen öffentlichen Meinung, daß in Preußen zugleich mit dem Segen der Volksfreiheit die Gleichstellung der Juden ausgesprochen wurde. Meinen Sie, meine Herren, was eine Bevölkerung von 16 Millionen gewollt hat, würde so leicht rückgängig werden; glauben Sie, daß es eine moralische Möglichkeit für diese Versammlung ist, einen Rückschritt auf der Bahn des Rechts und der Freiheit ins Leben treten zu lassen? In Bayern hat der Landtag in einer Adresse einstimmig den Wunsch ausgesprochen, daß das Judengesetz auf dem Princip der vollen Rechtsgleichheit beruhen möge, und so in der großen Mehrzahl der deutschen Staaten. Ich frage demnach, ob denn die Volksstimme so einig für die Meinung des Vorredners, ob sie denn wirklich nicht dafür ist, daß die Ausnahme-Gesetzte aufgehoben werden? (Mehrere Stimmen: Seit fünf Jahren.) Der Vorredner will uns politische Rechte zuerkennen, aber diese Bewilligung gehört erst der neuesten Zeit an. Ich selbst habe unter den Verhältnissen der tiefsten Bedrückung gelebt, und ich hätte bis vor Kurzem in meiner Vaterstadt nicht das Amt eines Nachtwächters erhalten können. Ich darf es als ein Werk, ich möchte sagen, als ein Wunder des Rechts und der Freiheit betrachten, daß ich befugt bin, hier die hohe Sache der Gerechtigkeit zu vertheidigen, ohne zum Christenthum übergegangen zu sein. Und so lebe ich denn der festen Zuversicht, daß die gute Sache bereits gesiegt hat, ungeachtet der letzten Aufwallungen des bösen Willens von wenigen Seiten her. Ich glaube nicht, daß es möglich ist, gleiche Rechte zu geben für active und passive Wählbarkeit, für das hohe Werk der Gesetzgebung, so lange noch die verletzendsten Ausnahme-Gesetze in niederen Sphären bestehen. Durch diese Ausnahme-Gesetze würde das höchste politische Recht geschändet werden, das Sie zum Gemeingut aller Deutschen machen wollen, ohne allen Unterschied der Confession. Wenn aber nach der Ansicht des Vorredners der Unterschied des Rechts fortan nicht im Glauben, sondern in der Volksthümlichkeit ruhen soll, nun so geben Sie doch den Ort an, auf dem es möglich ist, sich diese Volksthümlichkeit anzueignen, ohne ein Religionsbekenntniß abzulegen. Wenn der Jude sagt: „Ich weiß nichts von einem besonderen Volksthum,“ was für einen Weg wollen Sie ihm denn anweisen? Was haben Diejenigen, welche dieses Traumgebilde der Nationalität seit vielen Jahren von sich wiesen, denn für ein Mittel, zum deutschen Volksthum überzugehen, als das, daß sie zum Christenthum übergehen? Auf diesem Wege gelangen Sie glücklich dazu, Volksthum und Religion mit einem Schlage zur Lüge zu machen. Wenn man so gern einen Unterschied macht zwischen den Gebildeten und Mindergebildeten unter den Juden, von dem es sich noch fragt, ob er nicht in gleicher Weise unter anderen Klassen sich finde, so will ich Sie daran erinnern, daß, als man früher in Preußen aus Liebhaberei den Juden gewisse nationale Vorrecht geben wollte, die gesammte jüdische Bevölkerung ohne Unterschied dieselben abgelehnt hat: es sollte ihnen namentlich die Exemtion vom Kriegsdienste durch eine Majestäts-Grille gewährt werden, und sie haben sie einstimmig zurückgewiesen. Ich kann zugeben, daß die Juden in der bisherigen Unterdrückung das Höchste, den vaterländischen Geist, noch nicht erreicht haben. Aber auch Deutschland hat es noch nicht erreicht. Die Juden werden immer begeistertere und patriotischere Anhänger Deutschlands unter einem gerechten Gesetze werden. Sie werden mit und unter den Deutschen Deutsche werden. Vertrauen Sie der Macht des Rechts, der Macht des einheitlichen Gesetzes und dem großen Schicksale Deutschlands. Erlauben Sie nicht, daß sich Ausnahme-Gesetze machen lassen, ohne daß das ganze System der Freiheit einen verderblichen Riß erhalten, ohne daß der Keim des Verderbens in dasselbe gelegt würde. Es ist Ihnen vorgeschlagen, einen Theil des deutschen Volks der Intoleranz, dem Hasse als Opfer hinzuwerfen; das werden Sie aber nimmermehr thun, meine Herren! (Allgemeiner lebhafter Beifall.)

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Quelle: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main. Herausgegeben auf Beschluß der Nationalversammlung durch die Redactions-Commission und in deren Auftrag von Professor Franz Wigard. Leipzig, 1848, S. 1734–57.