Kurzbeschreibung

Die politischen Unruhen im Gefolge der Pariser Julirevolution von 1830, die restriktiven Maßnahmen gegen die politische Öffentlichkeit und eine überhöhte Steuer- und Abgabenlast führten in Süddeutschland zu politischen Massendemonstrationen wie dem Hambacher Fest vom 27. bis 30. Mai 1832, an dem 30.000 Menschen teilnahmen. In seiner Rede ruft der radikaldemokratische Publizist Johann August Wirth (1798–1848) zum Sturz der Monarchien und zur Errichtung der Demokratie in ganz Deutschland auf; er hofft, dies werde die Demokratisierung ganz Europas und die enge Zusammenarbeit der neuen demokratischen Nationen nach sich ziehen.

Johann August Wirth auf dem Hambacher Fest (Mai 1832)

  • Johann Georg August Wirth

Quelle

Rede von Wirth

Das Land, das unsere Sprache spricht, das Land, wo unsere Hoffnung wohnt, wo unsere Liebe schwelgt, wo unsere Freuden blühen, das Land, wo das Geheimniß aller unserer Sympathien und all' unserer Sehnsucht ruht, dieses schöne Land wird verwüstet und geplündert, zerrissen und entnervt, geknebelt und entehrt. Reich an allen Hülfsquellen der Natur sollte es für alle seine Kinder die Wohnung der Freude und der Zufriedenheit seyn, allein ausgesogen von 34 Königen, ist es für die Mehrzahl seiner Bewohner der Aufenthalt des Hungers, des Jammers und des Elendes. Deutschland, das große, reiche, mächtige Deutschland, sollte die erste Stelle einnehmen in der Gesellschaft der europäischen Staaten, allein beraubt durch verrätherische Aristokratenfamilien, ist es aus der Liste der europäischen Reiche gestrichen und der Verspottung des Auslandes Preiß gegeben. Berufen von der Natur, um in Europa der Wächter des Lichts, der Freiheit und der völkerrechtlichen Ordnung zu seyn, wird die deutsche Kraft gerade umgekehrt zur Unterdrückung der Freiheit aller Völker und zur Gründung eines ewigen Reiches der Finsterniß, der Sclaverei und der rohen Gewalt verwendet. So ist denn das Elend unseres Vaterlandes zugleich der Fluch für ganz Europa. Spanien, Italien, Ungarn und Polen sind Zeuge davon. Spanien ist durch die heilige Allianz, welche ihre Stütze ausschließend in Deutschland hatte, einer auf Aufklärung, Menschlichkeit und Vernunft gebauten Staatsverfassung, sowie seiner patriotischen Cortes beraubt und unter das Messer fanatischer Priester und Aristokraten, sowie des Regime des Unsinnes und der Grausamkeit überhaupt zurückgeführt worden. Ungarn und Italien werden von Oesterreich mit Hülfe deutscher Kräfte ihrer Nationalität beraubt nud in Knechtschaft und Finsterniß gehalten. Polen ist zu wiederholtenmalen von deutschen Mächten verrathen worden, und hat den Verlust der Freiheit und des Vaterlandes auch in neuerer Zeit einem deutschen Könige zu verdanken. Die Ursache der namenlosen Leiden der europäischen Völker liegt einzig und allein darin, daß die Herzoge von Oesterreich und die Kurfürsten von Brandenburg den größten Theil von Deutschland an sich gerissen haben, und unter dem Titel der Kaiser von Oesterreich und der Könige von Preußen nicht nur ihre eigenen, durch methodische Plünderung Deutschlands erworbenen Länder, nach orientalischen Formen beherrschen und deren Kräfte zur Unterdrückung der Freiheit und Volkshoheit der europäischen Nationen verwenden, sondern auch ihr Uebergewicht über die kleineren Länder Deutschlands benützen, um auch die Kräfte dieser dem Systeme fürstlicher Alleinherrschaft und despotischer Gewalt dienstbar zu machen. Bei jeder Bewegung eines Volkes, welche die Erringung der Freiheit und einer vernünftigen Staatsverfassung zum Ziele hat, sind die Könige von Preußen und Oesterreich durch Gleichheit der Zwecke, Gesinnungen und Interessen an Rußland geknüpft, und so entsteht jener furchtbare Bund, der die Freiheit der Völker bisher immer noch zu tödten vermochte. Die Hauptmacht dieses finstern Bundes besteht immer aus deutschen Kräften, da Rußland ohne die Allianz mit Preußen und Oesterreich ohnmächtig wäre und durch innere Stürme in Zerrüttung fallen würde. So riesenhaft daher die Macht des absoluten Bundes auch seyn mag, so ist ihr Ende doch in dem Augenblicke gekommen, wo in Deutschland die Vernunft auch in politischer Beziehung den Sieg erlangt, d. h. in dem Augenblicke, wo die öffentlichen Angelegenheiten nicht mehr nach dem despotischen Willen eines Einzigen, nicht mehr nach den Interessen einer über ganz Europa verzweigten Aristokraten-Familie, sondern nach dem Willen der Gesellschaft selbst und nach den Bedürfnissen des Volkes geleitet werden. In dem Augenblicke, wo die deutsche Volkshoheit in ihr gutes Recht eingesetzt seyn wird, in dem Augenblicke ist der innigste Völkerbund geschlossen, denn das Volk liebt, wo die Könige hassen, das Volk vertheidigt, wo die Könige verfolgen, das Volk gönnt das, was es selbst mit seinem Herzblut zu erringen trachtet, und, was ihm das Theuerste ist, die Freiheit, Aufklärung, Nationalität und Volkshoheit, auch dem Brudervolke: das deutsche Volk gönnt daher diese hohen, unschätzbaren Güter auch seinen Brüdern in Polen, Ungarn, Italien und Spanien. Wenn also das deutsche Geld und das deutsche Blut nicht mehr den Befehlen der Herzoge von Oesterreich und der Kurfürsten von Brandenburg, sondern der Verfügung des Volkes unterworfen sind, so wird Polen, Ungarn und Italien frei, weil Rußland dann der Ohnmacht verfallen ist und sonst keine Macht mehr besteht, welche zu einem Kreuzzuge gegen die Freiheit der Völker verwendet werden könnte. Der Wiederherstellung des alten, mächtigen Polens, des reichen Ungarns und des blühenden Italiens folgt von selbst die Befreiung Spaniens und Portugals und der Sturz des unnatürlichen englischen Uebergewichts. Europa ist wiedergeboren und auf breiten natürlichen Grundlagen dauerhaft organisirt. Freiheit des Welthandels ist die köstliche materielle Frucht und unaufhaltsames Fortschreiten der Civilisation der außer jeder Berechnung liegende geistige Gewinn eines solchen Weltereignisses. Die reichen Länder der europäischen Türkei werden dann nicht länger den Feinden aller Kultur überlassen bleiben, weil die Eifersucht einer schwachköpfigen und engherzigen Politik diese herrlichen Provinzen einem civilisirten Volke nicht gönnt. Man wird sie vielmehr der Civilisation wiedergeben, Constantinopel durch Umschaffung in eine freie Stadt und einen freien Hafen in einen allmächtigen Hebel des europäischen Handels verwandeln, die Hülfsquellen Afrika's für Europa eröffnen, und dann den großen Menschenfreund, den Handel gewähren lassen, daß er seine unendlichen Gaben und unerschöpflichen Schätze über die Völker Europa's ausschürte und zugleich alle Nationen zu ewig neuen Fortschritten in der Civilisation ansporne. Unermeßlich sind die Folgen der Befreiung Europa's, unermeßlich schon in Ansehung der Emporhebung und gleichmäßigen Verbreitung des Wohlstandes und unermeßlich vollends in Ansehung der geistigen Fortschritte. Und alle diese unendlichen Triumphe des menschlichen Geschlechts, all' diese unermeßlichen Segnungen sollten den Völkern Europa's blos darum vorenthalten werden, damit ein paar unverständige Knaben fortwährend die Königsrolle erben können? Wahrlich, ich sage euch, giebt es irgend Verräther an den Völkern und an dem gesammten Menschengeschlechte, giebt es irgend Hochverräther, so wären es die Könige, welche der Eitelkeit, der Herrschsucht und der Wollust willen die Bevölkerung eines ganzen Welttheils elend machen und dieselbe durch empörende Unterdrückung Jahrhunderte hindurch hindern, zu dem ihr von Natur bestimmten Zustande von materieller Wohlfart und geistiger Vollendung sich aufzuschwingen. Fluch, ewigen Fluch darum allen solchen Verräthern!

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Quelle: Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach. Neustadt: Phillip Christmann, 1832, S. 41–43. Online verfügbar unter: https://www.deutschestextarchiv.de/book/view/wirth_nationalfest01_1832?p=7