Quelle
Quelle: Deutsches Historisches Museum, Inv.-Nr. K 54/99
Möbel als Artefakt materieller Kultur dienten nicht nur praktischen Zwecken, sondern gaben auch den gesellschaftlichen Ton eines Raumes an und machten die Ansprüche der Eigentümer auf sozialen Status geltend. Zudem betonten Möbelstücke dabei auch bestimmte Weltanschauungen, entweder indirekt durch Funktion und Aussehen, oder auch auf direkte Weise, wie in diesem Fall. Der Besitz eines hochwertigen lackierten Holzlesepults allein sagte an sich schon viel über den gut gebildeten und wohl situierten Status einer Familie aus. Gleichzeitig verwies ein solches Lesepult auf die hohe Stellung, welche die Lesekultur innerhalb der breiteren bürgerlichen Gesellschaft und Ideenlehre innehatte. Dieses Lesepult barg zudem eine weitere, deutlichere Botschaft, insofern als dass die Intarsienarbeit eine häusliche Szene darstellt, in welcher der Familie—mitsamt der geschlechterspezifischen Rollenverteilung—der zentrale Platz innerhalb der bürgerlichen Ordnung zukommt. Die in der Szene dargestellten Möbel deuten auf Komfort und Wohlstand hin, behaupten aber gleichzeitig den Platz der Frau in Heim und Hof, und nicht in der großen, weiten Welt draußen vor dem Fenster. Obgleich dem Lesen eine bedeutende Rolle bei der Aus- und Statusbildung einer Frau in sämtlichen Lebensabschnitten— —von der Jugend übers Erwachsenen- bis hin ins hohe Alter zukommt, sollten Hausarbeit und Kindererziehung doch ihre Hauptaufgaben bleiben. Da dem abgebildeten Mädchen beigebracht wird, die gleiche Stellung einzunehmen wie die der erwachsenen Frauen in der Szene, wird umso deutlicher, dass die bürgerliche biedermeiersche Geschlechterordnung sich selbst erhielt und weitertrug.
Quelle: Deutsches Historisches Museum, Inv.-Nr. K 54/99
© Deutsches Historisches Museum, Berlin