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Chancenlosigkeit macht Jugend aggressiv
Schlimme Ursachen haben skandalöse Folgen
Ausländer sind Messerhelden, Totschläger, Rauschgifthändler und Triebtäter. Immer noch werden sie in manchen Presseerzeugnissen so dargestellt.
Dabei haben wissenschaftliche Untersuchungen längst bewiesen, daß ausländische Arbeitnehmer und deren Familienangehörige weniger zu kriminellen Handlungen neigen als die Deutschen, in deren Gesellschaft sie leben. Das gilt uneingeschränkt für ausländische Kinder und Erwachsene. Aber es gibt eine Problemgruppe unter den Ausländern, die zu erheblicher Sorge Anlaß gibt: die 14- bis 18jährigen, die sich zunehmend der sozialen Kontrolle durch das Elternhaus entziehen und kriminell werden.
Das sind die schlimmen Ursachen, für die nicht die Ausländer, sondern die Deutschen verantwortlich sind: Mehr als 70 Prozent von ihnen haben keinen Schulabschluß, mehr als 50 Prozent aller 16- bis 18jährigen sind ohne Arbeit und haben keine Aussicht, je einen Arbeitsplatz zu finden. Der Weg in die Kriminalität ist vorprogrammiert.
„Hier formiert sich eine Generation der Hoffnungslosigkeit“, so wurde es auf einer Fachtagung in Bonn formuliert, die auf Einladung der Arbeiterwohlfahrt und der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte Wege aufzeigte, wie die „soziale Katastrophe“ für junge Ausländer abzuwenden ist.
Die Forderung Nummer eins der Kriminologen heißt: Integration! Sie verweisen auf die Tatsache, daß die heranwachsende zweite Generation junger Ausländer meist in der Bundesrepublik geboren worden ist, keine Bindung mehr an die Heimatländer ihrer Eltern hat, sich an deutschen Normen orientiert und immer mehr ihre Identität als Ausländer verliert. „Für diese jungen Ausländer ist die Bundesrepublik ein Einwanderungsland.“
Um dem Rechnung zu tragen, müsse die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung mit Deutschen erfolgen, fordern die Fachleute. Doch die Praxis des Ausländerrechts bewirkt genau das Gegenteil, ist unter humanitären Gesichtspunkten ein Skandal: Deutsche und ausländische Kinder werden zunehmend im sozialen und schulischen Bereich getrennt, junge Ausländer erhalten keine Ausbildungsplätze, nach dem 1. 1. 1977 eingereiste Kinder ausländischer Arbeitnehmer dürfen keinen Beruf ergreifen – nicht einmal als Hilfsarbeiter –, und nach 1973 Eingereisten droht bei Erreichen der Volljährigkeit die Ausweisung, auch wenn die Eltern nach wie vor in der Bundesrepublik leben.
Ausweisung droht auch allen, die in ihrer hoffnungslosen Situation straffällig werden. Ihre Fehltritte sind überwiegend Aggressions- und Sexualdelikte, wie sie vor allem bei Menschen in Konfliktsituationen typisch sind. Zum Vergleich: Kriminelle gleichaltrige Deutsche machen sich schwerer Diebstähle, der Hehlerei und Erpressung schuldig.
Experten fordern deshalb mit Nachdruck, auf die Abschiebung straffällig gewordener ausländischer Kinder und Jugendlicher zu verzichten, da sie in den meisten Fällen einer „sozialen Hinrichtung“ gleichkomme.
Die Chancen, daß die Bundesrepublik in Zukunft mit ausländischen Jugendlichen humaner verfährt als bisher, sind jedoch gering: Verwaltungsanweisungen einzelner Bundesländer lassen erkennen, daß kein Wille zu einer Integrationspolitik vorhanden ist.
Jährlich werden bei uns 110 000 Kinder ausländischer Eltern geboren. Heimat sollen sie bei uns nicht finden. Eine andere Heimat haben sie nicht mehr, wenn sie erst einmal 18 sind. Wo bleiben ihre Menschenrechte?
„Das Ausländerproblem . . . ist nur zu einem Teil ein Ausländerproblem, zum anderen, zum größten Teil ist es ein Problem der Deutschen.“ Bundespräsident Walter Scheel konstatierte das.
Wollen wir das wahrhaben?
Quelle: Theobald Gross, „Chancenlosigkeit macht Jugend aggressiv“, Welt der Arbeit, 16. November 1978.