Kurzbeschreibung

Als Antwort auf westdeutsche Versuche, die Grenze zwischen Ost und West durchlässiger zu machen, rechtfertigt der angesehene kommunistische Historiker Jürgen Kuczynski die Abgrenzungspolitik gegenüber dem Westen, die das Ziel habe, die Bevölkerung der DDR gegen die Verlockungen von Entspannungspolitik, Demokratie und Wohlstand zu immunisieren.

Kommunistische Rechtfertigung der „Abgrenzung“ gegenüber dem Westen (10. Februar 1971)

  • Jürgen Kuczynski

Quelle

Abgrenzung

Genosse Honecker hat auf der 15. Tagung unseres Zentralkomitees erklärt, daß wir bei der Entwicklung unserer sozialistischen Gesellschaft stets vor Augen haben, „daß wir die neue Gesellschaft des Sozialismus unter den Bedingungen unversöhnlicher Klassenauseinandersetzung mit dem Imperialismus in der BRD und seiner verschärften geistigen Diversionsversuche aufbauen“.

Und daraus hat er den Schluß gezogen: „Die weitere Abgrenzung der sozialistischen DDR von der imperialistischen BRD ist die wirksamste Antwort auf die reaktionäre nationalistische, antikommunistische Politik der herrschenden Kreise der BRD.“

Das Wort „Abgrenzung“ hat größte Empörung in den monopolhörigen Massenmedien der BRD, in Rundfunk und Presse, hervorgerufen. Und das kann man verstehen.

Gibt es doch unter den Ganoven dieser Welt, genau wie unter den Monopolen, zwei „grundlegend verschiedene“ Theorien des Raubes von Freiheiten, Brieftaschen, Ersparnissen usw. Die einen sind Anhänger der brutalen Angriffsstrategie: Sie schlagen ihr Opfer nieder und rauben es dann aus. Die anderen nähern sich dem Opfer plumpvertraulich, benehmen sich, wie sie es nennen, human, und rauben es dann beim Schlagen einer menschlichen Brücke zur inneren Jackentasche aus.

Wer die Wahl hat, sollte sich nun doch, meinen einflußreiche Kreise in Bonn, für den „menschlichen“ Weg des Beraubtwerdens entscheiden. Ist dieser nicht in jeder Beziehung dem des brutalen Niederschlagens des Opfers vorzuziehen? In diesem Fall könne man doch wirklich nicht sagen: Wer die Wahl hat, hat die Qual.

Aber gehört tatsächlich so viel Phantasie dazu, sich noch eine andere Lösung des Problems vorzustellen? Nämlich überhaupt kein Opfer irgendeiner Ganoven-, irgendeiner Monopolstrategie zu werden!

Selbstverständlich halten die Anhänger beider theoretischer Flügel eine solche Lösung für verbrecherisch, ja für unmenschlich. Denn sie bedeutet eine scharfe Abgrenzung von ihnen, macht jede Strategie des Raubes unmöglich. Und genau das wollen wir!

Ja, wir in unserer Deutschen Demokratischen Republik wollen uns abgrenzen, soweit abgrenzen wie nur möglich, und immer weiter abgrenzen von einer Gesellschaftsordnung, in der die Interessen des Monopolkapitals das Leben der Menschen bestimmen, ihre Gedanken manipulieren und ihre Existenz verunsichern.

Abgrenzen in doppeltem Sinne: Abgrenzen im Objektiven, in der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft und ihrer Gesetze, die beinhalten:

Eine konsequente Friedenspolitik, die der imperialistischen Aggression keine Chance gibt, während der Revanchismus und Militarismus in der BRD die Sicherheit in Europa bedroht.

Eine menschliche Gemeinschaft, die allen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht, während in der BRD die Werktätigen zu Objekten der Profitmacherei degradiert sind.

Eine stete Sicherheit des Lebens, auch durch die Sicherheit des Arbeitsplatzes, während in der BRD steigende Arbeitslosigkeit droht.

Eine fortlaufende Hebung des kulturellen Lebensniveaus, auch durch Hochschul- und Akademiereform, während in der BRD das Wort Misere immer häufiger im Kulturteil selbst der Monopolpresse erscheint.

Abgrenzen aber auch im Subjektiven, in unserem Verstehen dessen, was bei uns und was in der BRD vorgeht, im Erkennen des Großen und Schönen bei uns, im Begreifen all des Schlimmen, das heute in der BRD vor sich geht, und des Schlimmeren, was sich dort vorbereitet, und auch im Durchschauen aller Gaunertricks des Feindes.

Ja, wir ziehen bewußt eine Grenze zwischen uns und dem Abgrund, zwischen uns und der Pest, zwischen Leben und Tod!

Und weiter:

Wie viele von uns, gerade unter den Älteren, haben Freunde dort in der BRD! Alte Freunde, mit denen wir einst unter Thälmanns Führung gemeinsam marschiert, mit denen wir in unserer Jugend gelebt und geliebt, Marx und Heine und Hölderlin gelesen haben! Alte Genossen und Freunde, mit denen uns auch heute gemeinsame Klasseninteressen verbinden.

Auch sie rufen uns zu: Jawohl, ihr handelt richtig und auch in unserem Interesse, wenn ihr zwischen euch und diesem imperialistischen System, seiner Politik und Ideologie einen klaren Trennungsstrich zieht. Damals waren wir gemeinsam unterdrückt, kämpften wir gemeinsam gegen Ausbeutung und Monopole. Heute seid ihr frei, lebt in einer anderen Welt, die wir lieben. Wir aber stehen noch im Kampf gegen die, die uns beherrschen, von denen ihr euch – wie wir – abgrenzen müßt, wenn ihr, uns zum Vorbild, die Deutsche Demokratische Republik stark und groß und schön aufbauen wollt.

Abgrenzen – wie sie das Wort hassen, unsere Feinde, genau wie die »Mauer«, die wir vor zehn Jahren gegen ihre Angriffe in einer Nacht gebaut haben!

Abgrenzen – gegen alles, was an Schädlichem in unser Land eingeschleust werden soll, gegen Rauschgifte und ideologische Perversionen, gegen „Hasch“ und Heroin, gegen nationalistische Reaktion und Sozialdemokratismus!

Wenn wir ihnen aber korrekte völkerrechtliche Beziehungen zwischen unseren beiden Staaten vorschlagen, dann geht ihnen das „zu weit“.

Natürlich geht ihnen das „zu weit“ auf dem Wege der friedlichen Koexistenz, da sie doch den Weg der „friedlichen“ Vernichtung unserer Existenz gehen wollen.

Diesen Weg aber werden wir ihnen versperren: aus eigener Kraft und im Schutze unserer sozialistischen Staatengemeinschaft.

Quelle: Jürgen Kuczynski, „Abgrenzung“, Neues Deutschland, 10. Februar 1971. © Jürgen Kuczynski. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Thomas Kuczynski, Berlin.