Quelle
„Von den wechselseitigen Rechten und Pflichten der Aeltern und Kinder“
[…]
Zweyter Abschnitt
Von den Rechten und Pflichten der Aeltern und der aus einer Ehe zur rechten Hand erzeugten Kinder, so lange die letztern unter väterlicher Gewalt stehn.
Allgemeine Rechte ehelicher Kinder.
§. 58. Kinder aus einer Ehe zur rechten Hand führen den Namen des Vaters.
§. 59. Sie erlangen die Rechte seiner Familie und seines Standes, in so fern letztere durch die bloße Geburt fortgepflanzt worden.
[…]
Allgemeine Pflichten derselben.
§. 61. Kinder sind beyden Aeltern Ehrfurcht und Gehorsam schuldig.
§. 62. Vorzüglich aber stehen sie unter väterlicher Gewalt.
§. 63. Sie sind verbunden die Aeltern in Unglück und Dürftigkeit nach ihren Kräften und Vermögen zu unterstützen, und besonders in Krankheiten deren Pflege und Wartung zu übernehmen.
Rechte und Pflichten der Aeltern.
1) wegen der Verpflegung.
§. 64. Beyde Eheleute müssen für standesmäßigen Unterhalt und Erziehung der Kinder mit vereinigten Kräften Sorge tragen.
§. 65. Hauptsächlich muß jedoch der Vater die Kosten zur Verpflegung der Kinder hergeben.
§. 66. Körperliche Pflege und Wartung, so lange die Kinder deren bedürfen, muß die Mutter selbst, oder unter ihrer Aufsicht besorgen.
§. 67. Eine gesunde Mutter ist ihr Kind selbst zu säugen verpflichtet.
§. 68. Wie lange sie aber dem Kinde die Brust reichen solle, hängt von der Bestimmung des Vaters ab.
§. 69. Doch muß dieser, wenn die Gesundheit der Mutter oder des Kindes unter seiner Bestimmung leiden würde, dem Gutachten der Sachverständigen sich unterwerfen.
§. 70. Vor zurückgelegtem Vierten Jahre kann der Vater das Kind, wider den Willen der Mutter, ihrer Aufsicht und Pflege nicht entziehen.
§. 71. Es wäre denn, daß es der Mutter an Kräften, oder am Willen fehlte, ihrer Obliegenheit ein Gnüge zu leisten.
[…]
2) wegen der Erziehung und des Unterrichts.
§. 74. Die Anordnung der Art, wie das Kind erzogen werden soll, kommt hauptsächlich dem Vater zu.
§. 75. Dieser muß vorzüglich dafür sorgen, daß das Kind in der Religion und nützlichen Kenntnissen den nöthigen Unterricht, nach seinem Stande und Umständen, erhalte.
[…]
3) Rechte der älterlichen Zucht.
§. 86. Die Aeltern sind berechtigt, zur Bildung der Kinder alle der Gesundheit derselben unschädliche Zwangsmittel zu gebrauchen.
[…]
5) Rechte und Pflichten der Aeltern bey der Wahl einer Lebensart für die Kinder.
§. 109. Die Bestimmung der künftigen Lebensart der Söhne hängt zunächst von dem Ermessen des Vaters ab.
§. 110. Er muß aber dabey auf die Neigung, Fähigkeiten, und körperlichen Umstände des Sohnes vorzügliche Rücksicht nehmen.
§. 111. Bis nach zurückgelegtem Vierzehnten Jahre muß sich der Sohn der Anordnung des Vaters schlechterdings unterwerfen.
§. 112. Bey alsdann fortdauernder gänzlicher Abneigung des Sohnes gegen die von dem Vater gewählte Lebensart, muß das vormundschaftliche Gericht, mit Zuziehung eines oder zweyer am Orte befindlichen nächsten Verwandten, und der Lehrer des Sohns, die beyderseitigen Gründe prüfen.
[…]
7) Pflicht der Kinder zu häuslichen Diensten.
§. 121. Die Kinder sind schuldig, den Aeltern in deren Wirthschaft und Gewerbe nach ihren Kräften hülfreiche Hand zu leisten.
§. 122. Es darf aber den Kindern dadurch die zu ihrem Unterrichte und Ausbildung nöthige Zeit nicht entzogen werden.
8) Wie weit Kinder etwas erwerben, oder sich oder die Aeltern verpflichten können.
§. 123. Was die Kinder bey solchen Gelegenheiten erwerben, das erwerben sie den Aeltern.
[…]
Quelle: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (1794), Teil II.2: „Von den wechselseitigen Rechten und Pflichten der Aeltern und Kinder.“ Berlin: G. C. Nauck, 1835, S. 98–100, 102–03; abgedruckt in Jürgen Schlumbohm, Kinderstuben, Wie Kinder zu Bauern, Bürgern, Aristokraten wurden 1700–1850. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1983, S. 47–49.