Kurzbeschreibung

Diese auf Französisch verfassten Briefe verdeutlichen die Kluft zwischen Maria Theresia, die nicht gewillt war, die traditionelle Gleichsetzung katholischer Rechtgläubigkeit mit österreichischem Staatsinteresse aufzugeben, und ihrem Sohn und Mitregenten Joseph, der sich als aufgeklärter Rationalist und Bewunderer des säkular eingestellten Friedrich II. von Preußen auf die Gerechtigkeit und den praktischen Nutzen religiöser Toleranz seitens des Staates berief. Die in diesen Briefen offenbaren Meinungsverschiedenheiten waren nicht die einzigen während ihrer 15-jährigen gemeinsamen Regentschaft, zählten jedoch sicherlich zu den schärfsten. Dennoch kooperierten die beiden in bemerkenswertem Maß bei der erfolgreichen Administration des ausgedehnten österreichischen Kaiserreiches.

Briefwechsel zwischen Kaiserin Maria Theresia und ihrem Sohn Joseph II. zur religiösen Toleranz (1777)

Quelle

Joseph an Maria Theresia

19. Juni 1777

[] politisch gesprochen sei der Unterschied der Religionsbekenntnisse in einem Staate nur dann ein Uebel, wenn Fanatismus, Zwiespalt und Parteigeist daraus hervorgingen. Er falle von selbst hinweg, wenn man die Anhänger der einen wie der anderen Confession vollständig gleich behandle, und wenn man demjenigen, der allein die Herzen regiere, das Uebrige anheimstelle.

Joseph an Maria Theresia

Ende Juni 1777

[] Ohne sich zu dieser Methode zu bequemen wird man nicht mehr Seelen erretten, hingegen weit mehr nützliche und nothwendige Körper verlieren. Die Dinge nur halb thun, stimmt nicht zu meinen Prinzipien; man bedarf entweder einer völligen Freiheit des Cultus, oder Sie müssen Alle aus Ihren Ländern vertreiben können, die nicht dasselbe glauben wie Sie, und die nicht die gleiche Form annehmen, um den gleichen Gott anzubeten und dem gleichen Nächsten zu dienen. Wenn man aber, auf daß ihre Seelen nach dem Tode nicht verdammt werden, vortreffliche Arbeiter und gute Unterthanen während der Zeit ihres Lebens vertreibt und sich dadurch aller Vortheile beraubt, die man von ihnen zu ziehen vermöchte, welche Macht maßt man sich dadurch an? Kann man sie so weit ausdehnen, daß man über die göttliche Barmherzigkeit urtheilen, die Menschen gegen ihren Willen erretten, ihrem Gewissen befehlen will? So lang der Dienst des Staates besorgt, das Gesetz der Natur und der Gesellschaft beobachtet wird, so lang Euer höchstes Wesen nicht entehrt, sondern respectirt und angebetet wird, was habt. Ihr zeitliche Verwalter Euch in andere Dinge zu mischen? Der heilige Geist soll die Herzen erleuchten; Eure Gesetze werden nie etwas anderes erreichen, als seine Wirkungen zu schwächen. Das ist meine Gesinnung; Eure Majestät kennen sie, und ich besorge, daß meine vollständige Ueberzeugung mich mein ganzes Leben hindurch hindern wird, sie zu ändern.

Maria Theresia an Joseph

5. Juli 1777

Dieser Brief wird Dich in der Schweiz treffen; diese Leute erkennen nicht den Werth Deiner Gegenwart. Allen Ausschweifenden und Verbrechern ein Asyl, beherbergt sie auch einige unserer Frauen, welche Du, wie ich hoffe, nicht sehen wirst. Sie wären unverschämt genug, darnach zu trachten, und zu meinem großen Schmerze muß ich sagen, in Bezug auf die Religion wäre nichts mehr zu verderben, wenn Du auf dieser allgemeinen Toleranz zu beharren gedenkst, von der Du behauptest, daß sie ein Grundsatz von Dir sei, von dem Du niemals abgehen wirst. Ich hoffe es dennoch, und ich werde nicht aufhören zu beten und würdigere Menschen als ich bin, beten zu machen, daß Gott Dich vor diesem Unglück bewahre, dem größten, welches die Monarchie jemals zu ertragen gehabt hätte. In dem Glauben, Arbeiter zu besitzen, sie zu erhalten, ja sie sogar heranzuziehen, wirst Du Deinen Staat zu Grunde richten und Schuld sein an dem Verderbnisse so vieler Seelen. Wozu würde es Dich führen, die wahre Religion zu besitzen, wenn Du sie so wenig schätzest und liebst, wenn Dir so wenig daran liegt, sie zu erhalten und zu vermehren? Ich sehe diese Gleichgültigkeit an den Protestanten nicht; ich wünschte im Gegentheile, daß man sie nachahme, indem gar kein Staat eine solche Gleichgültigkeit bei sich zuläßt. Du wirst dieß in dieser häßlichen Schweiz sehen; man beobachtet dort täglich und versucht das, was sich im deutschen Reiche, in England, in Sachsen, Baden, Holland u. s. w. mit Ausnahme von Preußen zuträgt, ist aber das Land darum glücklicher? Besitzt es jene Arbeiter, jene Leute, welche dem Staate so nothwendig sind, um ihn blühend zu machen? Es gibt keine weniger glücklichen Länder, keine, die in dieser Beziehung weiter zurück sind als jene Provinzen. Des guten Glaubens bedarf man und unverrückbarer Regeln; wo willst Du sie finden oder erhalten?

Joseph an Maria Theresia

20. Juli 1777

Um Ihren langen und gütigen Brief zu beantworten müssen Sie mir gestatten Ihnen zu sagen, daß das Gemälde und die Schlußfolgerungen, welche Eure Majestät aus dem ableiteten, was ich Ihnen hinsichtlich der Protestanten zu schreiben wagte, die in Mähren entdeckt wurden, mich derart erstaunte und ergriff, daß ich mich im Augenblicke gar nicht zu erinnern wußte, ob Aehnliches aus Irrthum meiner Feder entfloß, während ich doch weit davon entfernt bin es zu denken. Glücklicherweise entriß mich das Wort Toleranz, welches Sie die Güte gehabt haben mir zu wiederholen, meinem Zweifel, und verwandelte meinen ganzen Schrecken in eine zärtliche und lebhafte Erkenntlichkeit für die wahrhaft rührende, heroische, männliche und kräftige Güte, mit der Sie mir die Schlußfolgerungen enthüllten, die Sie daraus ziehen. Das Wort Toleranz allein ist es jedoch, welches das Mißverständniß verursachte. Sie haben es in einem ganz anderen Sinne genommen. Gott bewahre mich davor zu denken, daß es gleichgültig sei, ob die Staatsangehörigen protestantisch werden oder Katholiken bleiben, und noch weniger, ob sie dem Cultus anhängen oder ihn wenigstens beobachten, den sie von ihren Vätern überkamen. Alles was ich besitze, würde ich darum geben, wenn sämmtliche Protestanten Ihrer Staaten zum Katholizismus übertreten würden.

Bei mir will das Wort Toleranz nur sagen, daß ich in allen bloß irdischen Dingen Jedermann ohne Unterschied der Religion anstellen würde, ihn Güter besitzen, Gewerbe ausüben, Staatsbürger sein ließe, wenn er hiezu befähigt und dem Staate und seiner Industrie zum Vortheile wäre. Diejenigen, welche unglücklicher Weise einem falschen Glauben anhängen, sind viel entfernter von ihrer Bekehrung, wenn sie in ihrem Lande verbleiben, als wenn sie in ein anderes übersiedeln, wo sie die überzeugenden Wahrheiten des katholischen Glaubens hören und sehen. Ebenso macht die ungestörte Ausübung ihres Cultus sie zu viel besseren Unterthanen und läßt sie die Religionslosigkeit vermeiden, welch letztere für die Verführung unserer Katholiken weit gefährlicher ist, als wenn man Jene ihren Cultus ungehindert beobachten läßt. Wenn die Protestanten diese Methode in ihren Staaten nicht allgemein annehmen, so geschieht dieß, weil ihre Leitung die Klarheit und den Scharfblick der unsrigen flieht, und weil es für Republiken schwieriger ist, ähnliche Aenderungen zu unternehmen. Wenn ich endlich die Muße hätte, die ein Brief nicht gewährt, so würde ich wohl den Beweis führen können, daß wie ich die Sache betrachte, ich mich unmittelbar darauf vor dem verehrungswürdigen Richterstuhle einzufinden vermöchte, der über mein ewiges Schicksal entscheiden wird. Gewiß würde dann Niemand Lutheraner oder Calvinist werden; in allen Religionen würde es weniger Ungläubige geben, der Staat würde viel dabei gewinnen, und ich kann nicht glauben, daß Alles dieß vereinigt mich vor den Augen Gottes schuldig erscheinen ließe. Mir wenigstens schiene es weder mit seiner Vollkommenheit noch mit dem Amte vereinbar, welches er mir übertrug, indem er mich zum Diener von fünfzehn Millionen Menschen gemacht hat.

Maria Theresia an Joseph

Ende Juli 1777

Ohne herrschende Religion? Die Toleranz, die Gleichgültigkeit, das sind gerade die wahren Mittel, Alles zu untergraben, auf daß nichts mehr sich halte; wir Anderen werden dann am schlimmsten dabei fahren. Nicht das Edict von Nantes ist es, welches jene Provinzen zu Grunde gerichtet hat; in Bordeaux gab es niemals ein solches Edict, und das Land ist darum nicht reicher. Jene unglücklichen Pachtungen sind es, die schlechte Verwaltung, die schwachen oder ränkesüchtigen Minister, die das Land ruinirten, welches eine so überaus günstige Lage besitzt, der Mangel an Religion bei jenen Beamten, die nur mit ihren eigenen Interessen oder Leidenschaften beschäftigt sind; dadurch wird Alles zu Grunde gerichtet. Welchen Zügel gibt es noch für diese Art von Leuten? Keinen, weder den Galgen noch das Rad, außer der Religion oder indem man grausam gegen sie wird, kein Menschenfreund, wie diese jetzt so gewöhnliche Phrase heißt, wobei Jeder seinen Gedanken sich überläßt. Ich sage nur in politischem Sinne, nicht als Christin: nichts ist so nothwendig und heilsam als die Religion. Willst Du zugeben, daß Jeder sich eine solche nach seiner eigenen Phantasie entwerfe? Keinen festgestellten Cultus, keine Unterordnung unter die Kirche, was soll dann aus uns werden? Die Ruhe, die Zufriedenheit werden nicht daraus hervorgehen, das Faustrecht und andere unglückliche Zeiten, wie man deren bereits gesehen, werden hieraus folgen. Eine solche Kundgebung von Deiner Seite kann das größte Unglück hervorrufen und Dich verantwortlich machen für viele tausende von Seelen. Was aber habe ich erst zu leiden, wenn ich Dich in so irrigen Meinungen befangen sehe? Es handelt sich nicht bloß um das Glück des Staates, um Deine Erhaltung, um die eines Sohnes, der seit seiner Geburt der einzige Zielpunkt meiner Handlungen ist; es handelt sich um das Heil Deiner Seele. Indem Du überallhin blickst und horchst, indem Du Deinen Geist des Widerspruches mit dem gleichzeitigen Bestreben vermengst, irgend Etwas zu schaffen, richtest Du Dich zu Grunde und ziehst zugleich mit Dir die Monarchie in den Abgrund, vernichtest das Resultat all der schweren Sorgen Deiner Vorfahren, die uns mit großer Mühe diese Provinzen hinterlassen und ihren Zustand gar sehr verbessert haben, indem sie, nicht gleich unseren Gegnern mit Kraft und mit Grausamkeit, sondern mit Sorgfalt, Mühe und Auslagen unsere heilige Religion daselbst einführten. Kein Geist der Verfolgung, aber noch weniger einer der Gleichgültigkeit oder des Tolerantismus; hieran hoffe ich mich zu halten so lange ich lebe, und ich wünsche nur so lang zu leben, als ich hoffen darf, mit dem Troste hinabzusteigen zu meinen Ahnen, daß mein Sohn so groß, so religiös sein wird wie seine Vorfahren, daß er zurückkehren wird von seinen irrigen Anschauungen, von jenen schlechten Büchern, deren Verfasser ihren Geist glänzen lassen auf Kosten alles dessen, was das heiligste und das verehrungswürdigste auf der Welt ist, welche eine eingebildete Freiheit einführen wollen, die niemals zu existiren vermag, und die in Zügellosigkeit umschlägt und in gänzlichen Umsturz.

Quelle: Alfred Ritter von Arneth, Maria Theresia’s letzte Regierungszeit 1763-1780. Wien: Wilhelm Braumüller, 1879, S. 138-45.

Quelle des französischen Originals: Alfred von Arneth, Maria Theresia und Joseph II. Ihre Correspondenz, Bd. II. Wien, 1867-68, S. 140ff.