Kurzbeschreibung

Ohne jegliche bürgerliche Voreingenommenheit und in einem liebenswerten Ton, der an Dickens erinnert, beschreibt der Schriftsteller Ernst Weyden (1805-1869) das Leben einfacher Leute in seiner Geburtsstadt Köln. Er schildert eine von den Ideen und Bestrebungen der Aufklärung unberührte Subkultur, in der Beruf und Nachbarschaft sich mit Religion und Volksglauben kreuzten und so den engen Horizont der einfachen Leute definierten. Der Staat spielte nur entfernt eine Rolle, mit Ausnahme des gefürchteten Rekrutierungsoffiziers.

Die Kindheit eines Jungens in Köln um 1810 (1862)

  • Ernst Weyden

Quelle

Köln am Rhein vor 50 Jahren

[]

Straßenleben.

[]

Unabsehbar sind die Reihen der Dreck- und Aschenhaufen in den Straßen, denn wurde auch die Asche und der Kehricht in den belebteren Straßen zum Abholen für den »Dreckmann« in Körben hingestellt, so war es aber eine Lieblings-Beschäftigung der Knaben, diese Körbe umzuwerfen, und zudem wurde aller nur denkbare und undenkbare Abfall und Unrath ungescheut vor den Häusern ausgeschüttet, der an manchen Stellen, selbst mitten in der Stadt oft hügelhoch angewachsen []

Gar oft beizt Dir in den gangbarsten Straßen scharfer Holzdampf die Augen; es sind die Faßbinder, welche auf der Straße ihre Fässer ausbrennen, wie sie denn überhaupt ihr Geschäft meist mit betäubendem Gehämmer auf offener Straße treiben. Dichter Kaffee- aber noch häufiger Cichorien-Dampf qualmt uns an manchen Orten erstickend entgegen, da man auch die Straße zum Kaffee- und Cichorien-Brennen benutzt []

Oft sehen wir auf den Plätzen, in den Straßen die Jugend heiße Schlachten fechten; denn feindselig standen sich die einzelnen Plätze, wie der Domhof, der Altenmarkt, der Heumarkt und der Augustinerplatz und die verschiedenen Schulen entgegen, und gar oft bricht dieser Haß unter den Knaben in wilde Treffen aus, bei denen Fenster und Straßenlaternen eben nicht verschont blieben, und welche häufig das Einschreiten der Policei nothwendig machten. Ein ewiger, unversöhnlicher Krieg bestand zwischen den Zöglingen der Secundär-Schule – früher Jesuiten-Gymnasium – der Boosch, wie die Kölner sagten, und den Schülern der umgränzenden Pfarrschulen, ein Haß, der sich bis in die freireichsstädtischen Zeiten verfolgen läßt, wo sich außerdem die so genannten Studenten der drei damals bestehenden Gymnasien stets in den Haaren lagen und die Zipfel ihrer Mäntel, in die selbst Steine geknüpft wurden, mit der größten Hartnäckigkeit gegen einander gebrauchten. Diese im Sommer sich oft wiederholende Knaben-Krawalle hatten die Folge, daß sich ein Knabe nicht ohne Begleitung aus seinem Bezirke in einen anderen wagte, weßhalb uns, außer unserer Nachbarschaft, dem Kirchspiel, das übrige Köln eine wahre Terra incognita war. []

In einigen entlegenen Straßen, wie Diepengasse, Griechenmarkt, Löhrgasse, Entenpfuhl und Altengraben, wohin sich jedoch selten Jemand ohne Nothwendigkeit verlief, finden wir im Sommer ein Stück Italien, italienisches Straßen-Leben, den reichsten halb nackt, oder ganz adamitisch sich herumtummelnden Kindersegen. Vor den Thüren der niederen, hüttenähnlichen Häuser, in langen Reihen im zwanglosesten Negligé, die Spitzenklöppelerinnen, die „Wirkeschen“. Derber Scherz und Witz, die originellsten Lieder begleiten die künstliche Arbeit

[]

Die Erscheinung eines Fremden erregt Aufmerksamkeit. Er wird verspottet, verhöhnt, und weh’ ihm, läßt er sich mit diesen Weibern in Wortstreit ein, tritt er Einer zu nahe. „Dae kraeg si Fett“, wie der Kölner sagt []

Ein trauriges Bild „weißen Sclaventhums“ waren die so genannten Wirkschulen, etwa fünfzig an der Zahl, in denen vielleicht 800 bis 1000 Mädchen, die für gewisse Jahre an die Vorsteherinnen dieser Schulen völlig verkauft waren, im Spitzenklöppeln unterrichtet wurden, der unverschämtesten, schnödesten Gewinnsucht ihre Jugend und ihre Gesundheit zum Opfer bringen mußten.

Das Innere der Häuser.

[]

Die Wohnstube des geringeren Bürgers, des Handwerkers ist meist, wenigstens im Winter, auch Küche und Werkstätte, wenn das Handwerk nicht größeren Raum erheischt. Er hat sonst nur die „Stuff“ und die Kammer, wo die Familie schläft. Stühle und Sessel gehören zu den Seltenheiten, Truhen, in denen Alles aufbewahrt wird, bilden die Sitze []

In keiner „Stuff“ (Stube) fehlt unter oder über dem Spiegel das Crucifix, unter demselben das Kammfutter, der große oder kleine „hinkende Bote“ mit dem Aderlaß-Täfelchen, und hinter dem Spiegel, sind Kinder im Hause, die birke Juffer, die Ruthe für die Mädchen, und für die Knaben der Ohsepisel [Ochsenziemer] oder das Engkge Tau’s.

Die altkölnische Erziehung hielt es mit Jesus Sirach, der da spricht: „Wer seine Kinder liebt, schonet der Ruthe nicht!“ Förmliche Prügel-Executionen ließ man durch die Alexianer-Brüder vornehmen, wenn irgend ein schon herangewachsener Sohn nicht ganz nach der elterlichen Pfeife tanzen wollte. Mit Grausen schlichen wir an einem Hause „unter Kästen“ vorbei, wo, wie man erzählte, bei einer solchen exemplarischen Execution ein junger Mensch todt geprügelt worden, – und jetzt als Spuk umging []

Kinder-Zeit.

Jubel über Jubel im Hause! Die Mutter hat aus dem „Cuniberts-Pütz“ ein neues Brudermännche oder Schwestermädchen geholt, sich aber im Düsteren das Bein an den Pütz, den Brunnen, gestoßen, und muß krank das Bett hüten. Auch bei dem geringsten Bürger ist der Kindersegen ein Glück, jede Vermehrung desselben eine Freude, umsonst sagt der Kölner nicht: „Vill Kinder, vill Schnedde Brud, evver och vill Vater unser“! – Der Verwandtschaft und Bekanntschaft wird die Ankunft des neuen Kölners förmlich durch die Wartefrau angesagt. In den ersten Tagen wird sich nach dem Befinden der Wöchnerin und des Kindes erkundigt. Dann fangen die Besuche an, und mit denselben das Bewundern des Kindes, wie schwer es ist, wie stark. Ist es ein Knabe, ist er dem Vater, ist es ein Mädchen, ist es der Mutter „we ûs den Augen geschnedden“.

Der neue Weltbürger bringt immer den Geschwistern etwas mit: „Zuckerjods“ [d. i. Zuckerzeug], Biskuit, Speculatius und ähnliche Kinderseligkeiten. Bei der Niederkunft wohlhabender Frauen werden auch die Kinder der nächsten Nachbarschaft erfreut mit den Herrlichkeiten, welche der Ankömmling in den Windeln mitgebracht hat.

Ein wichtiges Geschäft war die Wahl des Pathen und der Pathin, „Patt un Jot“. Selbst bei den besseren Classen das Ergebniß eines Familienrathes, blieb man hier auch gewöhnlich im Kreise der Familie. Die geringeren Classen betrachten die Pathenwahl als ein Speculations-Geschäft, sprachen reichere Bürger darum an, die Pathenstelle zu übernehmen. Der echte Kölner hielt es für eine Sünde, diese Bitte abzuschlagen, ließ man sich auch bei der Taufe durch einen Anderen, einen so genannten „Aaschjevatter“ vertreten, das Pathengeschenk fehlt aber nie, und erheischen es die Umstände, vergißt der Pathe nie seine Pflicht, der Eltern Stellvertreter zu sein. Der allgemeinen Ansicht nach, nahm das Kind den Charakter seines Pathen an []

Beim wohlhabenden Bürger wurde die Taufe im Hause vollzogen, bei den geringeren Classen nach herkömmlichem Ritus in der Kirche. Die ersteren halten viel auf eine lange Reihe von Namen, fünf, sechs an der Zahl, unter denen, nach den Pfarren, einer stereotyp, so in der Dompfarre „Hubert“ und „Hubertina“. Der kindliche Glaube ist der Ueberzeugung, daß derjenige, der diesen Namen führe, von keinem rasenden Hunde gebissen werden könne. Die ganze Sippe und die Frauen der Nachbarschaft waren zum Tauffeste gebeten, wo der Kaffee mit frischer „Raum“ [d. i. Sahne] nie fehlen durfte, und als Kaffeekuchen noch viel weniger der „türkische Bund“, der hausbacken, die Bretzeln und die Anisschnittchen. Die Frauen der Nachbarschaft sorgten auch aufs gewissenhafteste dafür, daß armen „Kromfrauen“ [d. i. Wöchnerinnen] nichts abging und richteten bei ihnen auch die Taufe ein. []

Vor Allem wurde der Säugling vor Luft und Wind gehütet, nur immer recht warm gehalten, besonders der Kopf, auf dem Tag und Nacht die eng anschließende Barchent- oder Cattun-Mütze, de „Ging“ nicht fehlte, über die am Tage noch ein Zierhäubchen getragen wird. Grind, böse Augen waren die Folgen dieses Verpackungs-Systems. Viel, viel bedeutender war auch die Sterblichkeit unter den Kindern, als jetzt. []

Gegen das Impfen der Schutzblattern haben viele Kölner noch ein Vorurtheil, weßhalb auch noch immer blatternarbige Gesichter, „usjestoche Bildcher“, aus jener Periode, von der wir reden, vorkommen. Bei gewöhnlichen Krankheiten müssen Hausmittel helfen, Simpeln, wie der Kölner sagt. Der geringere Bürger nimmt nur im äußersten Nothfalle seine Zuflucht zum Arzte und besonders bei Kindern. Bei Kinderkrämpfen, der „Bejofung“, sucht man sich wohl noch durch Ueberlesen, d. h. kirchliches Einsegnen der Kinder zu helfen. Der Aberglaube war, trotz der Franzosen, noch lange nicht gebannt. Wie viel wurde uns vom Behexen der Kinder erzählt, wie sich die Federn in den Bettchen zu Kränzchen bildeten durch der Hexen Gewalt, was die Bejofung der Kinder zur Folge hatte. Wie streng wurde es uns Kindern anempfohlen, uns nur ja nicht von fremden Frauen berühren zu lassen, nichts von denselben anzunehmen, das Kreuz zu schlagen, wenn uns eine Alte anredete oder freundlich zulächelte.

Mit dem Augenblicke, wo der Kölner anfing, von den eigenen Füßen Gebrauch machen zu wollen, wurde er in den Laufkorb gesteckt, in das Gängelband geschnürt, und sein Kopf mit einem mächtigen, pfundschweren Fallhute, dem kölnischen „Butzekop“ aus Sammt oder Plüsch bewaffnet, welcher in manchen Familien schon, wer weiß, wie vielen Generationen, zum Schutz und Schirm der Köpfe gedient hatte. []

Starb ein Kind, wurde es, das Köpfchen mit dem Todtenkränzlein geschmückt, das Todtenhemdchen mit bunten Papier- und Klappergold-Schnitzeln bestreut, den Kleinen zur Schau ausgestellt. Ein Fest für die Kinder der Nachbarschaft, denn bei einer solchen Todtenschau fehlte nie das Stück Lebkuchen oder das Zuckerherzchen, uns Kindern noch wahre Leckerbissen. []

Auch die Leichen von vornehmen Personen, besonders von den Pfarrgeistlichen, wurden ein paar Tage auf dem Paradebett ausgestellt, ein vielbesuchtes Schauspiel für Jung und Alt, dabei eine reiche Aernte für die Bettler.

Das Erste, welches ein Kind gelehrt wurde, konnte es einige Worte lallen, war das Kreuz machen. Dann folgte das Vater unser, das Glaubensbekenntniß und die gemüthvollen Kindergebete, []

Wurde auch in dem Kleinkinderzeug, das sich übrigens mehrere Geschlechter hindurch forterbte, in den reicheren Classen ein gewisser däftiger Luxus getrieben, so aber nicht in der Kinderkleidung der ersten Jahre. Die gewöhnliche Tracht für Knaben und Mädchen war bis zum fünften, sechsten Jahre der so genannte wollen gestrickte „Jussep“ [d. i. Unterrock, Wams], der auch wohl jedes Jahr um ein Stück länger gestrickt ward. Im Hause trugen wir Kinder den „Pungl“ [d. i. Schlafrock], der, da er vor Schlafengehen angezogen wurde, uns gar oft ein wahrer Gräuel war, denn selbst im Sommer mußten wir mit den Hühnern schlafen gehen. Und auf diese Gesetze wurde mit exemtorischer Strenge geachtet. Unbeschreiblich ist die Freude, durfte man bei festlichen Gelegenheiten länger aufbleiben, auch wohl eine Belohnung für gute Führung. Eine solche Ausnahme wird mit einem gewissen Stolze den Cameraden erzählt, erregt nicht selten Neid und Mißgunst unter den Gespielen.

Ein wichtiger Lebensmoment war für den Knaben die erste Hose, kölnisch „Boz“. Hose und Wamms an einem Stück, von hinten zugeknöpft, dabei Schuhe mit Riemen auf dem Fuße zusammengebunden oder festgeknöpft. Da Taschentücher bei den Knaben ein seltener Luxusartikel, war der rechte Aermel des Wamms gewöhnlich lackirt, weil er die Stelle des Taschentuches vertrat. Wurde ein Taschentuch gegeben, nähte es die vorsichtige Mutter fest an die Tasche, oder es wurde an dieselbe festgeknüpft. An der Hose des Knaben fehlt nie das Hubertus-Riemchen, welches der Volksglaube als Schutzmittel gegen wüthende Hunde betrachtet. Amulette als Scapuliere, unter dem Namen „Teufelsgeistcher“, kamen auch noch vor, besonders wenn eine Nonne in der Familie oder in der Freundschaft.

Schulzwang kannte man nicht. Bei den geringeren Bürgerclassen war von Schulbesuch keine Rede; der Mittelstand schickte seine Kinder zur Schule. Der Schreck der Kinder. Die meisten Elementar-Schullocale waren düstere, dumpfe Höhlen, in die nicht Sonne noch Mond schienen. Die älteste Domschule z. B. war an der Nordwestseite des Domes zwischen die Pfeiler des Baues eingezwängt. Die Schulen durfte man als wahre Folterkammern der Jugend bezeichnen, in denen vom Morgen bis zum Abende die Haselruthe, das Lineal, das Engkge Tau’s, der Ochsenziemer regiert, oder im Schulzimmer herumfliegt, um die Lässigen und Plauderer zu mahnen oder aufzufordern, herauszutreten, um sich systematisch durchbläuen zu lassen. Und wie erfinderisch waren manche der Schultyrannen in ihren Strafen, so unter den zahllosen Strafweisen, das Schlagen auf die Fingerspitzen, „Pütjer halden“, oder auf die flache Hand, das „auf Erbsen knieen“ und ähnliche pädagogische Erfindungen, wie Eselsohren, rothe Zungen u. s. w. Das spärliche Wissen wurde regelrecht eingebläut. Nichts natürlicher, als daß die Kinder mit Schreck und Graus an die Schule denken, besonders die Knaben jede Gelegenheit wahrnehmen, an der Schule vorbei, „blänke“ zu gehen. Selten geht ein Morgen vorbei, ohne daß ihr in den zu den Schulen führenden Straßen nicht auf aus Leibeskräften brüllende Knaben stoßt, welche von einem Dienstboten oder selbst vom Vater oder der Mutter mit Gewalt nach der Schule spedirt werden, auch wohl mit umgehängten Betttuche, wenn dem Kleinen in der Nacht ein Unglück widerfahren war.

Des Wissens erste Quelle ist das „Täfelchen“, auf welches das große und kleine A B C gedruckt aufgeklebt, und das der hoffnungsvolle Kölner an einer Kordel am Halse trägt. Hat er es in Jahresfrist dahin gebracht, die Buchstaben zu kennen und „Ba, be, bi, bo, bu“ buchstabiren zu können, bekommt er die Fibel. Welch’ ein Stolz, war dieselbe in recht buntes, oder gar golden Papier gebunden. Die einzelnen Buchstaben sind durch Bildchen und Knittelreime dargestellt und den Schluß macht ein Holzschnitt, den ich oft bewundert, das Jesukindlein mit einem Kreuz, auf einem großen Hahne reitend, hinter welchen ein Nest mit Eiern zu schauen, und der im Munde die Legende führt: „Lernt fleißig!“ Wie weit die Naivetät jener Zeit, ihre Unschuld ging, mag man daraus ersehen, daß bei dem Buchstaben X zu lesen:

„Xantippe war ’ne arge Hur,

X mal X macht hundert nur.“

Mit ihrem ganzen Gewicht lastete die Langeweile in der Schule auf uns; es war ein Herzensgaudium, wenn wir unisono unsere Lungenkraft classenweise am Buchstabiren üben können. Sonst sucht man sich zu zerstreuen durch plastische Arbeiten aus Papier, das zu Hähnchen, Schiffchen, Salzfässern und Aehnlichem geformt wurde []

Gar häufig wurden Nachmittags, nach dem Schulschlusse, die Bücher hinter einen Stein versteckt, um nicht am Spielen zu hindern, auch wohl auf dem Eise als Schlitten benutzt. Keine Seltenheit war es, junge Leute erst mit dem siebenzehnten oder achtzehnten Jahre die Elementarschule verlassen zu sehen, wenn sie ausstudirt, das Titelbuch oder – gar die Zeitung lesen konnten. Eine rühmliche Ausnahme von diesem Treiben machte die evangelische Elementarschule unter der Leitung des würdigen Lehrers Almenräder. []

Und welche Freude voller Poesie des Kindes Herzen, der „Zinter Klohs!“. Ein wirkliches Kinderfest. Mit welcher Innigkeit beteten wir um die Bescheerung, welche der „heilige Mann“ brachte, in dessen Geleit der »Hans Muff«, der unartigen Kinder Schreck. Hoch klopfend vor Angst war jedes Kinderherz, besuchte am Vorabende des verhängnißvollen Tages der Bescheerung, des 6. Decembers, der heilige Mann, in Begleitung seiner Magd, der heiligen Barbara, und des Hans Muff die Häuser mit seinen Spenden und ernsten Mahnungen, oder wurden von unsichtbarer Hand die Aepfel, Nüsse und ähnliche Kostbarkeiten unter die knieend betende Kinderschaar geworfen. Wie andächtig aus tiefstem Herzen klangen die Vater unser der Kleinen, tönte von der Straße oder auf der Diele die Klingel.

Was war es für einen Familien-Jubel, stellten wir am Tage vorher, unsere Schüssel und auch wohl unsere Schuhe auf [] Der Hauptreichthum bestand [] herkömmlich aus Speculatius, Aepfeln und Nüssen.

Es war ein wahres Kinderfest, reich an der Poesie des Glaubens. Und wie lange, lange suchte man den Schein von sich zu halten, daß man wisse, wer der heilige Mann sei, weil dann die Bescheerungen aufhörten. Und in diesen Kinder-Bescheerungen machte sich noch keine Ostentation geltend. Ein Bild, oder gar ein bunter nürnberger Bilderbogen, welche Freude! Wurde auch das Eine oder Andere der Spielsachen, besonders die Puppen der Schwestern, aus forschender Neugierde untersucht und zerstört, die Hauptsachen schloß die Mutter aber sorgsam fort und beglückte uns nur damit an hohen Tagen; – immer neu blieben die Spielsachen und erbten in den reicheren Familien auch wohl von Geschlecht zu Geschlecht. Das Haushalten in allen Dingen verstanden unsere Väter, unsere Mütter []

Die Elementarstudien der Mädchen wurden in den katholischen Schulen nicht so weit getrieben. In den mittleren Bürgerclassen ist es eine Seltenheit, wenn eine Schöne „in der Feder erfahren“, das heißt etwas mehr, als ihren Namen schreiben und geläufig lesen kann. Die „Jungfern“, der ehrwürdige Name der Lehrerinnen, sahen mehr auf praktische Bildung für die Häuslichkeit. Besonders gepflegt wird die Strickkunst. In der „Planche“, dem Schulkasten der Mädchen, fehlt neben der „Hós“, so nennt der Kölner altdeutsch den Strumpf, nie der Zeichenstahle, ein Stück Wirktuch, auf dem mit bunter Baumwolle Buchstaben, Ziffern und als bewunderte Kunstwerke der Name Jesus, Blumentöpfe, Monstranzen und dergl. gestickt werden, und eben so wenig der Stopfstahle. Unsere Mütter hielten viel, sehr viel aufs Stopfen. Fing die Leinwand an irgend einer Stelle an, dünn zu werden, sofort mußte gestopft werden, in echt kölnischen Familien, und zwar wohlhabenden, stopfte man sogar den Schüsselwisch, den kölnischen „Spölsplagge“. Die Mädchen erhielten gewöhnlich eine häusliche Arbeit, einen „Feier“, das hieß so oder viele Näthchen zu stricken, und daß diese Feier sorgfältig gemacht wurde, darauf achteten die strengen Mütter. Für die höhere Bildung der Mädchen sorgten einige so genannte französische Schulen. []

Kinder-Spiele.

[]

Zu allen Jahreszeiten nach der Schulzeit, an den freien Nachmittagen, den Sonn- und Feiertagen, an denen damals kein Mangel, hatten die Franzosen auch schon ziemlich aufgeräumt, auf allen Plätzen und Plätzchen der lauteste Kinderjubel, die spieltollste Kinderfreude, in den engen Straßen selbst das heiterste Kinderleben mit seiner reichen Poesie. Welch’ ein Schatz von Kinderliedern! Ueberhaupt fand das Volkslied noch, wie früher in allen deutschen Städten, in Köln die lebendigste Pflege. Des öffentlichen Lebens Lust und Leid sprach sich im Liede aus, und der Schalksnarr des derbsten Bürgerwitzes geißelte scharf auffallende Lächerlichkeiten und Schwachheiten []

Fängt es an zu frühlingen, steckt das Jahr seine ersten Maien aus, beginnt auch der Lerchenjubel der Kinderfreude. Wir Kinder wurden hinausgetrieben in die ersten Maischauern, denn ein Mairegen macht groß []

Eine gewöhnliche Unterhaltung bildet das Erzählen der Kinder unter einander, wobei die Thierfabel, die Verzellchen vom Wölfchen und vom Füssjen, die Mährlein vom Daeumeling, vom Schmittchen von Bielefeld, von Johannes Unverzag, sibben en einem Schlag und wie der Mährchenschatz heißt, den Stoff bieten. Hochgeachtet von den Kindern sind die Knechte und Mägde, die reich an solchen Erzählchen, wo es des Spukes und der Hexengeschichten so viele gab und so grausliche, daß die Kleinen ohne Gänsehaut und böse Träume nicht davon kamen: die Furcht uns aber auch eingeimpft ward. Bei gemischten Kinderkreisen wird auch „Plumpsack“ aufgeführt. Bannt schlechtes Wetter die Kinder ins Haus, oder sind sie bei einander auf Besuch, dann ist das gewöhnlichste Spiel „Piepiep!“, wie das Versteckenspiel im Kölnischen heißt. In den Häusern der Reicheren entzückt zuweilen eine Optik oder eine Laterna magica die Kleinen mit ihren Wundern []

Unglaublich ist die Behendigkeit, welche die Knaben bei diesem Spiel entwickelten, das Hin- und Herrennen, das Schreien, die Zänkereien der Parteien, und das Auseinanderstieben der ganzen Schar, wenn eine Fensterscheibe klirrte, oder das Roß, wider Wissen und Willen der Spielenden, mit dem Hut oder gar mit dem Kopfe eines Vorübergehenden in zu nahe Berührung gerathen ist. So leidenschaftlich war die kölner Knabenwelt auf dieses Spiel versessen, daß ich junge Leute, welche in der Ziehung, den Tag vor der letzten französischen Conscription noch Plätsch und Roß auf dem Domhofe spielen sah []

Mit dem Herbste kamen die fliegenden Drachen, die „gepatte Vügel“. Ging ein Drache verloren, hieß es: „He es Parîs!“ Dann die Kreisel, kölnisch „Doepp“. Da gab es „Münche“, „Beginge“, „Wipdoepp“. Aus einem Streifen Aalhaut „Oelefell“ machte man die Peitschen, mit denen die Kreisel getrieben wurden, und die Kunst bestand darin, die Doepp recht weit zu treiben, wobei, in der Hitze des Spiels, nicht immer auf Fensterscheiben und Laternen geachtet wurde, es oft gar unfreundliche Kopfnüsse absetzte. War in der Nähe der Spielplätze eine Lache von weichem Straßenkothe, und die brauchte man nicht weit zu suchen, wurde mit den Kreiseln aufgeworfen. Es spielten zwei oder drei Knaben, von denen jeder einen Dopp einsetzte, diese wurden auf die flache Hand genommen und in die Höhe geworfen, die waren gewonnen, welche auf dem Kopfe stehen blieben. Daß bei allen Spielen, wo Etwas zu gewinnen, oder zu verlieren, die Spielenden sich mitunter in die Haare geriethen, ist selbstredend.

Mit dem Spielmonat, dem October, holen die Knaben die Peitschen hervor, es war Ochsenmarkt; wer am besten knallen konnte, war der beste Mann.

An den Sommer-Abenden, wenn die Nachbarschaft in aller Genüglichkeit auf der Straße, vor den Hausthüren saßen und sich unterhielten, lagerten die Knaben wohl um einen Erzähler, gewöhnlich reich an Mährchen und Legenden, Ritter- und Räubergeschichten. Welch’ ein Schreck, wenn dann der bekannte Pfiff oder Ruf, ans zu Bett gehen mahnte. Die Mädchen sangen und tanzten ihre Ringelreihen []

Auch der Winter hat seine Kinderfreuden. Flockt der erste Schnee, dann jauchzen die Kinder: „Die Mutter Gottes schütte das Bettlein des Heilandes auf, und die Engel die Betten der Heiligen.“ Fällt starker Schnee, werden auf den Plätzen Schneemänner gebildet, je kolossaler, je schöner, deren Augen, Nase und Mund aus Holzkohlen geformt; mit alten Besen oder Knitteln ist die Rechte bewaffnet. Allgemein war das Schneeballen-Werfen, oft in den engen Straßen, da sich auch Erwachsene daran betheiligen, ein so großer Unfug, daß die Nachbarschaften die Fenster-Blenden schließen []

Quelle: Ernst Weyden, Köln am Rhein vor 50 Jahren. Köln, 1862, S. 31, 33–34, 35, 42–45, 53–63, 65–70, 72, 76, 79–81, 84; abgedruckt in Jürgen Schlumbohm, Kinderstuben, Wie Kinder zu Bauern, Bürgern, Aristokraten wurden 1700–1850. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1983, S. 241–58.