Kurzbeschreibung

Karl Friedrich von Klöden (1786-1856), 1786 in Berlin geboren, erarbeitete sich den Aufstieg und wurde 1825 Direktor der Berliner Gewerbeschule. Die Schule entstand im Zug der Bildungsreformbewegung und strebte die Integration von Handwerk und moderner Technologie und Wissenschaft an. Dieser Textauszug schildern lebhaft und schmerzhaft das Schicksal äußerster Soldatenarmut, welches seine Familie durchlebte und dass nur durch die unermüdliche Arbeit seiner Mutter gelindert wurde. Obwohl er nach höherer Bildung strebte, hatte Klöden anfänglich keine andere Wahl, als eine Lehrstelle bei seinem Onkel, einem Goldschmied, anzunehmen und dort die gnadenlose Realität des Handwerksnachwuchses zu erfahren. Seine Lehrzeit endete 1806, und er trat als Geselle in die Schicht der Lohnempfänger ein. Später gelang es ihm zu studieren und sich zum Pädagogen und Historiker zu bilden. Seine Memoiren belegen den positiven Einfluss seiner jugendlichen Lektüre sowie die hohe Bedeutung intellektueller Mentoren.

Der Sohn eines preußischen Unteroffiziers sinniert über seine Kindheit und Jugend im späten 18. Jahrhundert (1874 posthum veröffentlicht)

  • Karl Friedrich von Klöden

Quelle

Jugenderinnerungen

Karl Friedrich von Klöden

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Von der frühesten Jugend an mußte meine Mutter wie angefesselt sitzen und stricken, oder in der Wirthschaft helfen und ihre Brüder abwarten. Bei alle dem fehlte es nie an Vorwürfen und Schlägen. Entschuldigungen wurden mit dem damals beliebten: „Nicht räsonnirt!“ zurückgewiesen und machten das Uebel nur ärger. So verfloß ein Tag wie alle Tage in der freudenlosesten Jugend, und nur das auch hier hochgehaltene Weihnachtsfest warf in das ganze Jahr einen heitern Sonnenblick, an welchem sich meine Mutter lebenslang erfreute.

Der Schulunterricht, den sie empfangen hatte, war kurz und dürftig gewesen, hatte aber doch ihre ganz vorzüglichen Anlagen geweckt und theilweise entwickelt. Lectüre beim Stricken und der Umgang mit ihren Brüdern, deren Lectionen sie in der Wiederholung mit ihnen gleichfalls lernte, halfen weiter. Lesen durfte sie nur beim Stricken, und selbst da oft nur verstohlen. []

[Etwa 1782 heiratete Christiane Dorothea Willmanns den Unteroffizier Klöden.]

[] Meine Mutter war eine der geschicktesten Strickerinnen ihrer Zeit, eine Kunst, die damals viel seltener und unbekannter war als jetzt. Besonders waren gestrickte durchlöcherte und gemusterte grünseidene Geldbörsen mit übergeschobenen Metallringen an beiden Enden allgemein beliebt, welche zu arbeiten, sie eine große Fertigkeit besaß. Damit erhielt sie im ersten Jahre die ganze Wirthschaft; allein im zweiten wurde sie von einer Tochter entbunden, und die Pflege des Kindes raubte ihr viele Zeit, die sie durch Nachtwachen einzubringen suchte. Ihr Kind war ihr einziger Trost, ihre einzige Freude, und die Entwickelung desselben zu immer klarerem Bewußtsein gewährte ihr die süßeste Erquickung. Diesen Trost hatte sie sehr nöthig, denn gar bald lernte sie mit Schaudern erkennen, in welch eine Hölle sie gerathen sei, in welcher Umgebung sie künftig zu leben, mit welchen Menschen sie künftig umzugehen habe – und wer die Zusammensetzung des damaligen Heeres kennt, wird sich ein Bild von der Existenz in einer Regiments-Kaserne machen können. Nur ein Drittel des Heeres bestand aus eingeborenen und ausgehobenen Kantonisten und Landeskindern. Die beiden andern Theile waren Söldlinge, die sich oft nur anwerben ließen, um dem Zuchthause zu entgehen, und bei erster Gelegenheit wieder davon liefen; ein anderer Theil war zusammengesetzt aus Leuten, welche sich als notorische Taugenichtse ausgewiesen hatten, mit denen nichts anzufangen war, und welche man durch kein Correctionsmittel zur Ordnung bewegen konnte, es wäre denn durch die härtesten Strafen.

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Der Vater hatte inzwischen versucht, sich außer seiner Dienstzeit ebenfalls eine Nebenbeschäftigung zu verschaffen. Es war damals Mode geworden, an Spiegelrahmen, Sophas und anderen Meublen Schnitzarbeiten anzubringen und diese letzteren durch Auftragen eines polirten Kreidegrundes und Firnisses unächt zu vergolden. Mein Vater hatte Gelegenheit gesucht, diese Vergoldung zu erlernen, und begann, sich für Geld damit zu beschäftigen. Sie gelang ihm recht wohl, und er machte die Arbeiten in seinem Zimmer in der Kaserne. Leider wurden sie aber schlecht bezahlt, und es gab oft lange Pausen, ehe sich wieder etwas zu thun fand, da ihn nur wenige Meister beschäftigten.

Trauriger Weise starb meiner Mutter das erste Kind, nachdem es ein Jahr alt geworden war, am krampfhaften Zahnen. Verzweiflungsvoll und trostlos blickte sie zum Himmel. Ihr war es, als ob jede Lebensfreude für immer von ihr gewichen sei, bis endlich die Zeit den herben Schmerz linderte. Sie strickte wieder unablässig und hatte die Freude, daß sie als Lehrerin im Stricken einer Prinzessin empfohlen wurde, ich weiß nicht mehr welcher, die sie einige Monate lang unterwies. Eine Nebenhülfe war dringend nöthig; denn meine Mutter sah ihrer zweiten Entbindung entgegen.

Am 21. Mai 1786, Mittags um 12 Uhr wurde ich geboren. []

Allein ich muß jene dunkle Periode des unbewußten kindlichen Lebens übergehen bis zum Jahre 1790, als meine Eltern nach der Kaserne in der großen Friedrichsstraße Nr. 102, vorn heraus, zwei Treppen hoch eine Wohnung bezogen. [Diese bestand nur aus einer Stube.] Hier entwickelte sich mein Bewußtsein, und mannigfache Bilder aus jener Zeit treten in lebendigster Frische vor meine Seele.

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Am Tage wurde auf den Straßen, auf dem Kasernenhofe, auf dem Flure oder Corridore oder in der Stube gespielt und getobt, je nachdem die Jahreszeit und die Witterung es mit sich brachten und gestatteten, denn darauf wurde strenger gehalten, als auf geschriebene Gesetze. Man weiß, daß Kühler [d. i. wohl Murmeln] nur im ersten Frühlinge, Ball nur um die Osterzeit, Drachenziehen im Herbste gespielt werden, Zeck [d. i. Fangen] aber zu allen Zeiten. Die Musterung der Soldaten auf dem Kasernenhofe, die dabei sehr häufig vorfallenden Stockprügel bei den Kanonieren und Fuchtel bei den Bombardieren, das Spießruthenlaufen ebendaselbst, das „In der Fiddel stehen“ der Weiber in den Corridoren gaben der Schaulust viel Nahrung und Gelegenheit, die Zeit todt zu schlagen. Bei alle dem entwickele ich ziemliche Anlagen zum Straßenjungen.

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Meine Mutter arbeitete inzwischen, so viel sie nur irgend vermochte. Leider waren nicht immer genug Bestellungen da, und wenn sie bloß auf den Verkauf arbeitete, mußte sie die Waaren oft so billig losschlagen, daß sie nicht im Stande war, Seide zu neuer Arbeit zu kaufen. Indessen wäre es allenfalls noch leidlich gegangen, wenn mein Vater nicht unglücklicher Weise „Freiwächter“ geworden wäre. Dies war auch eine von den schlimmen Einrichtungen jener Zeit, welche den Menschen zur Verzweiflung treiben konnten. Der Compagnie-Chef konnte nämlich einen Theil seiner Compagnie, ich glaube den dritten, auf vier Monate beurlauben, und bezog inzwischen den Sold dieser Mannschaft für seine Privatkasse. Die Beurlaubten waren während jener Zeit dienstfrei. Die Landeskinder gingen dann nach Hause zu ihren Angehörigen und kehrten nach abgelaufener Zeit wohl ausgefüttert zurück. Diejenigen, welche ein Handwerk trieben oder Gegenstände zum Verkauf anfertigten, arbeiteten dann zu Hause ungestört um so fleißiger. Wer aber in der Kaserne seine Heimath hatte, mußte bleiben wo er war, behielt seine Wohnung, die Unteroffiziere auch meist ihre Schlafburschen, für deren Ueberwachung sie verpflichtet blieben; aber sie erhielten in vier Monaten keinen Pfennig Sold. Dieses Loos traf auch meinen Vater; er wurde Freiwächter und konnte nun sehen, ob er von der Luft zu leben vermöchte. []

Das war eine schlimme Zeit; da war es sehr schwer, sich satt zu essen. Meine Mutter mußte die ganze Wirthschaft erhalten, und mein Vater, dessen Vergoldungsarbeiten längst aufgehört hatten, da sie aus der Mode gekommen waren, – mußte nothgedrungen stricken helfen, obgleich es ihm, trotz der guten Anweisung meiner Mutter, nicht sonderlich von Händen ging.

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Zu Ostern 1793 mußten wir die Kaserne verlassen. Meine Mutter hatte eine geringe Wohnung in der kleinen Hamburgerstraße an der Ecke der Linienstraße gemiethet, die wir natürlich nun bezahlen mußten. Von meinem Vater fehlten alle Nachrichten. Unser Leben wurde immer ärmlicher. Ich lief im Sommer barfuß und hatte nur leinene Hosen, ein Hemde und eine Weste. Gar bald war meine Mutter so weit, daß sie keine andern Kleidungsstücke besaß, als die, welche sie auf dem Leibe trug. Mochte sie diese auch noch so reinlich halten und noch so oft flicken, so konnte sie sich zuletzt doch mit ihnen nicht mehr Sonntags in der Kirche sehen lassen, und so mußte sie endlich auch den letzten Genuß, den letzten Trost, den sie bis dahin gehabt hatte, entbehren. []

So etwas ist in dem sonst so wohlthätigen Berlin möglich, wenn der Arme sich schämt zu betteln, und dazu konnte sich meine Mutter auch im tiefsten Elende nicht entschließen. Die sogenannten Bettelvögte waren ihr fürchterliche Menschen, und sie wäre vor Scham gestorben, hätte sie einer nur angerührt. []

Obgleich ich jetzt schon sieben Jahre alt war, konnte ich doch noch nicht lesen. Meine Mutter erhielt für mich den Eintritt in eine Armenschule; ich konnte sie aber nicht regelmäßig besuchen, weil ich meine Geschwister abwarten mußte; auch hatte ich wenig Lust zum Lernen. Es waren zwei Gebrüder, ich glaube Namens Jacob, welche die sehr zahlreich besetzte Schule hielten und von welcher jeder eine Abtheilung beschäftigte. Ich habe die Schule innerhalb vier Wochen etwa 14 Tage lang besucht. Was darin vorgenommen wurde, begriff ich nicht, und das „a, b, ab, b, a, ba“ langweilte mich unendlich. []

[Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg wurde der Vater 1793 „Akzise-Aufseher“, also kleiner Steuerbeamter, in dem westpreußischen Städtchen Preußisch Friedland. Daß er zu trinken begann, wurde zu einer Belastung für die Familie. Karl Friedrich Klöden besuchte dort die Schule, deren Alltag er eingehend beschreibt. [] Anfang 1796 wechselte der Vater mit seiner Familie auf die Stelle eines „Toreinnehmers“ (ebenfalls ein unterer Steuerbeamter) in dem Städtchen Märkisch Friedland. Dort besuchte Karl Friedrich zunächst die Privatschule des zweiten Predigers, den man „Kaplan“ nannte.]

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Meine Mutter hatte darauf gerechnet, daß die Versetzung meines Vaters in einen ganz anderen Wirkungskreis, das Herausreißen aus jener gefährlichen Umgebung vortheilhaft auf ihn wirken und seiner unseligen Neigung zum Trunke Einhalt thun werde. Sie hatte zu dem Ende nichts versäumt, um ihn an das Haus zu fesseln und ihm das Leben in demselben so angenehm wie möglich zu machen. Allein es war zu spät. Die Gewohnheit war zum zwingenden Bedürfniß geworden, und es ist das Furchtbare dieses Fehlers, daß er die Kraft, welche erforderlich ist, der Versuchung zu widerstehen, immer mehr und mehr schwächt. Vorstellungen, Bitten, Flehen, Thränen, Alles wurde verschwendet, um dem Uebel Einhalt zu thun. []

Im Februar 1797 bekam ich die Masern. Sie waren zu dieser Zeit gefährlich, und ich lag in heftigem Fieber. Dennoch überstand ich sie unter der sorgfältigen Pflege meiner Mutter glücklich, mußte mich aber noch sechs Wochen nachher im Zimmer halten und war so geschwächt, daß ich nur taumelnd gehen konnte, als ich zum ersten Male an die Luft kam. – Man hat die Masern und ähnliche Kinderkrankheiten oft Entwickelungskrankheiten genannt, und ich darf behaupten, daß diese Bezeichnung ihre volle Berechtigung hat. Bei mir brachten die Masern geradezu eine körperliche und geistige Umwälzung hervor. []

Bis zu meiner Krankheit waren Phantasie und Gedächtniß die einzigen Fähigkeiten gewesen, welche einigermaßen hervortraten. Mit den Masern änderte sich das, indem sich zugleich diese Anlagen steigerten. In den ersten Wochen nach der Krankheit durfte ich auch nicht lesen oder die Augen anstrengen. Das machte mir Langeweile, und ich bat meine Mutter, mir so bald als möglich ein Buch zu geben. Dies überraschte sie, denn meist hatte ich mich zum Lesen treiben lassen. Sie hatte sich Campe’s Robinson Crusoe zu verschaffen gewußt und übergab ihn mir. Mit wahrem Heißhunger fiel ich über ihn her. Nie hatte ein Buch eine solche Wirkung auf mich gemacht. Jede Scene stellte sich mir plastisch dar, ich schwebte in Entzücken und beneidete die darin auftretenden Kinder um einen solchen Erzieher, und bald wurden sie mir so befreundet, als wären sie meine Geschwister. [] Elfmal habe ich so das Buch hintereinander durchgelesen, ohne eine Silbe zu überspringen, und ich konnte es beinahe auswendig. Nicht ich hatte mich der darin enthaltenen Lebensregeln und Maximen, sondern sie hatten sich meiner bemächtigt; alle Erklärungen waren mir geläufig, alle Scenen gegenwärtig; ich hatte aus jedem Worte Saft gesogen. Außer der Bibel hatte kein Buch auf mich so mächtig gewirkt, keines mich so wesentlich gefördert und meinen Ideenkreis erweitert.

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Leider aber nahm der unglückliche Hang meines Vaters zum Trunke mehr und mehr zu. Die Mutter hatte alles Ersinnliche dagegen vorgenommen; es wurden ihm von allen Seiten Vorstellungen gemacht; es half nichts. Auch die Geduld eines Engels kann ermüden. Wenn er betrunken nach Hause kam, wurde die Mutter nun heftig, er nicht minder, und es gab harte Scenen, bei denen wir Kinder in eine schlimme Lage kamen. Schon kannte die ganze Stadt den Fehler meines Vaters und bedauerte uns. []

Gegen Ende dieses Jahres wurde meine Mutter bettlägerig. Gar bald ergab sich, daß die Krankheit eine sehr ernstliche wurde, die selbst ihrem Leben Gefahr drohte. Sie mußte das jüngste Kind entwöhnen und that dies, als der Körper schon in Unordnung war, ein Umstand, der späterhin höchst traurige Folgen hatte, die wir nicht ahnen konnten. Wir hatten einen recht geschickten Arzt [] Er behandelte sie aufmerksam, wurde aber oft auf das Land berufen und blieb dann tagelang weg. Endlich erklärte er uns, meine Mutter sei so schwer erkrankt, daß er wenig Hoffnung habe, sie zu retten. Ihre Gesundheit war bis dahin eisenfest gewesen, und sie hatte weit mehr ertragen und ausgehalten, als man tausend anderen weiblichen Körpern in der Regel zumuthen darf. Das waren schwere Tage für uns, die wir bange zwischen Fürchten und Hoffen verlebten; ja es gab einen Tag, da der Arzt, wie wir alle, ihren Tod mit der höchsten Wahrscheinlichkeit erwarteten. Es war die Krisis; sie überlebte sie und fing an, sich wieder zu erholen. Aber vier Monate blieb sie in einem höchst leidenden Zustande an das Bett gefesselt, während welcher Zeit ich nicht die Schule besuchen konnte; denn meine Schwester und ich mußten nothgedrungen die ganze Wirthschaft besorgen, da das Dienstmädchen genug mit der Abwartung des entwöhnten Kindes und der dreijährigen Schwester, wie mit den nothwendigsten Reinigungsarbeiten gröberer Art zu thun hatte. []

Ich war 14 Jahre alt geworden, und es entstand die schwer zu beantwortende Frage: Welchem Berufe ich mich bestimmen wollte? Meine Neigung war entschieden auf das Studiren gerichtet, und am Liebsten hätte ich die Theologie gewählt, nicht etwa aus besonderer Vorliebe, sondern weil mir Medizin und Jurisprudenz nicht gefielen und ich von einer philosophischen Fakultät nichts wußte; sonst hätte ich mich unbedingt für Mathematik, Astronomie, Physik, Chemie, Geographie, überhaupt für die naturwissenschaftlichen Disciplinen entschieden. Diese aber faßte ich gar nicht in’s Auge; denn was man werden könne, wenn man diese Fächer studirt habe, war mir ganz unbekannt. Daß ich an das Studiren nicht denken dürfe, sah ich aber nur zu wohl ein. Mein Vater besaß nicht die Mittel, um mich auf einem Gymnasium und nachher auf der Universität zu erhalten. []

Gänzlich unbekannt mit fast allen Lebensverhältnissen, abgeschnitten von jeder Gelegenheit, andere Berufsarten kennen zu lernen, und von den meisten Laufbahnen durch meine Armuth ausgeschlossen, ergab sich nach vielem Ueberlegen, daß es am besten sein und sich am leichtesten ausführen lassen würde, wenn ich nach Berlin ginge, um bei meiner Mutter Bruder, dem Goldschmied Willmanns, die Goldarbeiter-Profession zu erlernen. Ob mir das Geschäft gefallen würde, konnte ich im Voraus nicht bestimmen. Neigung fühlte ich nicht dazu; denn mir erschienen diese Arbeiten wenig nutzend und uninteressant; aber ich vermochte auch nichts Besseres vorzuschlagen. Zum Kaufmannsstande hatte ich keine Lust, kannte ich doch nur die jüdischen Kaufleute, und diese gefielen mir nicht. Von den in Friedland ausgeübten Handwerken gefiel mir auch keines; andere waren mir unbekannt, und wie man es anzufangen habe, Maler, Kupferstecher oder Bildhauer zu werden, wußte mir Niemand zu sagen. Der Vorschlag meiner Mutter blieb also als der allein zu verwirklichende übrig. Aber alle diese Pläne konnten sehr leicht durchkreuzt werden, und meine Mutter dachte mit Entsetzen an die Möglichkeit, ja an die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns. Denn jedes Jahr wurden Rekruten ausgehoben; jedes Jahr wurde Cantonrevision gehalten. Ich war schnell gewachsen, und bereits groß genug, um eingestellt zu werden. Mein Name mußte in den Cantonlisten stehen. Wurde ich gefordert, so mußte ich mich stellen, und daran, daß ich als untauglich zurückgestellt werden würde, war nicht zu denken. Dann aber waren alle Pläne vergeblich und mein Loos ein anderes, nach den Ansichten meiner Mutter, ein gräßliches. Allein ich wurde in diesem Jahre nicht aufgefordert, auch nicht in den folgenden, und das ist bei der bekannten militärischen Genauigkeit zu verwundern. Für meine Mutter und mich war dieses über unserm Haupte schwebende Damoklesschwert sehr beengend und beängstigend []

[] Mit meinem Oheim war die Sache ins Reine gebracht, und er hatte sich bereit erklärt, mich anzunehmen. []

Der Abschied von Allem, was ich kannte und liebte, wurde mir recht schwer. Ich trat in eine unbekannte fremde Welt, die kein Herz für mich hatte, so wenig als ich für sie. Ich wußte nicht, was ich von ihr zu erwarten hätte, und blickte wie in ein Chaos, wie in einen unbestimmten Nebel, ungewiß, ob mir eine freundliche Gestalt daraus entgegen treten werde []

Es war der 13. Juli 1801, als ich in Berlin anlangte []. Meinen Empfang hatte ich mir wärmer gedacht; es war nicht anders, als ob ein Fremder käme. []

Gesellen hatte mein Oheim nicht; er arbeitete allein; es war also nur eine kleine Werkstatt. Gleich in den ersten Tagen verdarb ich es mit meiner Tante und ihrer Mutter dadurch, daß ich von dem „Handwerke der Goldarbeiterei“ sprach. Da kam ich schön an! Sie fuhren auf, als hätte sie eine Wespe gestochen. Es sei kein Handwerk, hieß es, sondern eine „Kunst“ oder ein „Amt“. Die Goldarbeiter seien Künstler; es gäbe darin keine Meister, sondern Herren; denn wenn ein Geselle sich seßhaft mache, werde er Herr, und wenn die Herren zu einer Berathung zusammen berufen würden, hieße es: das Amt komme zusammen. Wie ich ferner den Ausdruck „Goldarbeiterei“ gebrauchen könne? Das sei herabwürdigend; es gäbe wohl eine Schinderei, aber keine Goldarbeiterei; meine Aeußerungen seien ganz unbesonnen. Mein Oheim trat dem meist stillschweigend bei; auch ich schwieg, und mußte mir das Meinige denken []

[1802/03] Zu alledem kam ein neues Uebel. Ich hatte sehr viel zu vergolden; dabei mußte ich nicht allein die giftigen Quecksilberdämpfe einschlucken, weil nicht die geringste Veranstaltung getroffen war, mich dagegen zu sichern, sondern ich mußte auch die Hände, die eben im Feuer gewesen waren, mit den vergoldeten Sachen in kalte Bierneigen bringen und sie dann, ohne sie vollständig trocknen zu können, der kalten Luft und darauf wieder dem Feuer aussetzen. Diese stete Abwechselung von Hitze, Kälte, Trockenheit und Nässe war nicht zu vermeiden. Schon im November hatte ich an beiden Händen alle Finger, mit Ausschluß der beiden Daumen, erfroren. Ich versuchte Mittel dagegen anzuwenden; sie halfen nicht und konnten nicht helfen, da ich die Finger nicht schonen durfte und dieselben Ursachen dieselben Uebel wieder erzeugten. Alle Finger brachen auf und fingen unter heftigen Schmerzen an zu eitern. Zwar band ich Lappen um, allein täglich mußte ich sie wieder lösen, weil ich ebenso arbeiten mußte, als hätte ich die gesundesten Finger von der Welt. Auch nicht eine Spur des Mitleidens oder Mitgefühls äußerte sich, wohl aber Unwillen über meinen Zustand und Aeußerungen des Ekels []

[Am 31. 12. 1806 wird Klöden freigesprochen und damit zum Gesellen.]

Quelle: Karl Friedrich von Klöden, Jugenderinnerungen. Hrsg. Max Jähns. Leipzig, 1874, Auszüge,

S. 13–200; abgedruckt in Jürgen Schlumbohm, Kinderstuben, Wie Kinder zu Bauern, Bürgern, Aristokraten wurden 1700–1850. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1983, S. 268–99.