Kurzbeschreibung

Im Anschluss an die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches handelten viele überlebende Territorialfürstentümer nach dem absolutistischen oder staatszentralistischen Impuls, die jahrhundertealte Vertretung der Provinzeliten in Versammlungen der Landstände abzuschaffen. Hier hebt der Herrscher von Hessen-Darmstadt, Mitunterzeichner ist sein leitender Minister Lehmann, die „ständische Verfassung mit der Begründung auf, sie behindere „Nationalgeist und Nationalwohlfahrt.“

Großherzog Ludwig I. von Hessen-Darmstadt, Edikt über die „Abschaffung des vormaligen Ständesystems“ (1. Oktober 1806)

  • Großherzog Ludwig I. von Hessen-Darmstadt

Quelle

Durch die in den letzten Jahren in Deutschland eingetretenen Staatsveränderungen sind Uns mehrere Länder und Besitzungen zugefallen, die in ihrer Verfassung und Regierungsform, sowohl von Unsern bisherigen Landen, als auch unter sich wesentlich verschieden sind. Die Erfahrung hat Uns aber gezeigt, daß Wir das Glück Unserer getreuen Unterthanen nicht in der Maaße befördern können, als es Unsere Pflicht und Unser sehnlichster Wunsch ist, wenn nicht sämmtliche Unsere Lande in ihrer Verfassung verähnlichet, in ihren Rechten sich gleichgestellt, und nach denselben Normen regiert werden; wenn nicht die Verhältnisse des Landesherrn gegen die Unterthanen, und jene der Unterthanen gegen den Landesherrn allenthalben dieselben sind. Dieser Verähnlichung der Verfassung, welche allein Nationalgeist und Nationalwohlfahrt dauerhaft zu begründen im Stande ist, steht aber nichts so sehr im Wege, als die bisher in einem Theile Unserer Staaten bestandene, jedoch selbst in den verschiedenen Provinzen auch verschiedenartige, ständische Repräsentation; indem dieselbe der bezweckten gleichen Behandlung aller Unserer getreuen Unterthanen hinderlich war, Uns bei den wohlthätigsten Verbesserungen der Administration nicht selten hemmte, mit schweren Kosten verbunden ist, und dem Zwecke, den die ständische Verfassung ursprünglich gehabt haben mag, bei veränderten Verhältnissen heut zu Tage nicht mehr entspricht.

Durch diese Betrachtungen, Erfahrungen und Gründe geleitet, haben Wir den Entschluß gnädigst gefaßt, die Landstände sämmtlicher Unserer Provinzen aus unumschränkter Macht-Vollkommenheit, kraft dieses aufzuheben und aufzulösen, und die von denselben behandelte Geschäfte an Unsere Landeskollegien, denen, nach den ihnen auferlegten Pflichten, das Beste des Landes nicht minder heilig ist als den Ständen, zu überweisen, und hoffen durch diese in die Verfassung Unserer Lande gebrachte Gleichförmigkeit Uns im Stand zu sehen, thätiger und wirksamer an dem Wohl Unserer geliebten Unterthanen arbeiten zu können.

Damit jedoch, nach aufgelößtem ständischen Verband, diejenigen, so bei ständischen oder von den Ständen garantirten Anlehen Gelder vorgeschossen haben, keine Veranlassung zu beunruhigenden Besorgnissen erhalten, so erklären Wir aufs feierlichste, und ertheilen Unsere Landesherrliche Zusage, daß alle Landständische oder von den Landständen garantirte Schulden, nach wie vor, auf dem Lande radicirt und hypothecirt verbleiben, und die pünktlichste Sorge dafür getragen werden solle, daß die davon zu entrichtende Zinsen, wie bisher vor allen anderen Zahlungen berichtiget, und die fällige oder ordnungsmäßig aufgekündigte Capitalien nach den bisher bestandenen Normen abgetragen werden.

Quelle: Archiv der großherzog hessischen Gesetze und Verordnungen. Herausgegeben unter der Leitung der Ministerien. Bd. 1. Nr. 4. Darmstadt 1834, S. 19f; abgedruckt in Walter Demel und Uwe Puschner, Hrsg. Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß 1789–1815, Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Hrsg. Rainer A. Müller, Band 6. Stuttgart: P. Reclam, 1995, S. 112–14.