Kurzbeschreibung

Diese Überlegungen, flüchtig auf Französisch zu Papier gebracht, und zwar unmittelbar nach dem Tod des österreichischen Kaisers Karl VI., offenbaren den skrupellosen Realismus in Friedrichs politischem Denken bezüglich internationaler Beziehungen und Krieg. Sie vermitteln zudem seinen Zynismus in Hinblick auf die Macht des Geldes und wirtschaftliche Interessen, die in den Köpfen von Politikern und geringeren Herrschern größer war als die Staatsraison (also das vernunftbestimmte Staatsinteresse), die er als sein Leitprinzip betrachtete. Karls unerwarteter Tod (und das Fehlen eines männlichen Nachfolgers auf dem Kaiserthron) gaben Friedrich den Vorwand, die wohlhabende österreichische Provinz Schlesien zu erobern. Er setzte sich damit über die frühere Bestätigung von Karls „Pragmatischer Sanktion“ durch seinen Vater hinweg, mit der die bedeutendsten deutschen und europäischen Mächte nach Karls Ableben die Nachfolge seiner Tochter Maria Theresia akzeptierten. (Im Jahr 1745 erlangte ihr Ehemann, Franz Stephan, die Wahl zum deutschen Kaiser, während sie selbst als Herrscherin der habsburgischen Erblande in Österreich, Böhmen und Ungarn große Macht ausübte und de facto zusammen mit ihrem Mann und später mit ihrem Sohn Joseph II. als deutsche Kaiserin regierte.)

Friedrich II. („der Große”), Bemerkungen an sich selbst über die Besetzung Schlesiens (1740)

Quelle

Schlesien ist aus dem gesamten kaiserlichen Erbe das Stück, auf das wir den größten Anspruch haben, und außerdem passt es am besten zum Haus Brandenburg; es ist richtig, auf seinen Rechten zu beharren und beim Tod des Kaisers die Gelegenheit zu ergreifen, es in unseren Besitz zu bringen.

Die Überlegenheit unserer Truppen über die unserer Nachbarn, die Schnelligkeit, mit der wir sie einsetzen können, und en gros der Vorteil, den wir gegenüber unseren Nachbarn haben, ist umfassend, und er verleiht uns bei einer unerwarteten Gelegenheit wie dieser eine unendlich große Übermacht gegenüber allen anderen Mächten in Europa. Wenn wir, bevor wir handeln, erst darauf warten wollen, dass Sachsen und Bayern die Kämpfe eröffnen, werden wir Sachsen nicht davon abhalten können, sich zu vergrößern, was jedoch unseren Interessen vollkommen widerspricht, und wir hätten in diesem Fall keinerlei guten Vorwand. Aber wenn wir jetzt handeln, können wir Sachsen klein halten, und indem wir es hindern, eine andere Lösung zu finden, werden wir es außer Stand setzen, etwas zu unternehmen.

England und Frankreich sind zerstritten; England könnte es niemals hinnehmen, dass sich Frankreich in die Angelegenheiten des Kaiserreichs einmischt, auf diese Weise werden mir beide Seiten stets ein gutes Bündnis anbieten. England wird mir meinen Erwerb Schlesiens niemals neiden, denn er wird ihm nicht schaden, im Gegenteil, es kann sich bei der gegenwärtigen Lage seiner Angelegenheiten, die nach Bündnissen verlangt, Vorteile erhoffen.

Holland wird das gleichgültig hinnehmen, und das umso mehr, als wir den Händlern aus Amsterdam auf die Gelder, die sie auf Schlesien geliehen haben, Garantien geben.

Wenn wir mit England und Holland nicht auf unsere Kosten kommen, werden wir uns sicher mit Frankreich einig werden, das im Übrigen unsere Pläne nicht durchkreuzen kann, und das die Erniedrigung des kaiserlichen Hauses mit Zufriedenheit betrachten wird.

Nur die Reaktion Russlands bleibt abzuwarten. Alle die anderen Mächte, die ich erwähnt habe, können uns nicht stören; nur Russland wäre in der Lage, uns in den Schatten zu stellen.

Im nächsten Frühling kann uns niemand in den Weg treten; denn wenn uns Russland angreifen will, hat es ganz sicher die Schweden am Hals, so dass es sich zwischen die Fronten stellen würde. Wenn die Kaiserin lebt, wird mich der Herzog von Kurland rücksichtsvoll behandeln, denn er hat sehr fruchtbare Ländereien in Schlesien und wird sie behalten wollen; darüber hinaus muss man im Rat der Fürsten den Goldregen Danaës niedergehen lassen, der sie so denken lassen wird, wie wir es wünschen. Wenn die Kaiserin tot ist, werden die Russen so sehr mit ihren inneren Angelegenheiten beschäftigt sein, dass sie keine Zeit haben werden, an die auswärtigen zu denken; es ist jedenfalls kein Ding der Unmöglichkeit, einen mit Gold bepackten Esel in Petersburg einzuführen.

Aus diesem Gedankengang schließe ich, dass wir uns vor dem Winter in den Besitz Schlesiens bringen und im Winter verhandeln müssen; wir werden immer einen Bündnispartner finden, und wenn wir schon in Besitz des Gebiets sind, werden wir erfolgreich verhandeln, wenn wir aber stattdessen anders handeln, verzichten wir auf unsere Vorteile, und wir werden durch einfache Verhandlungen niemals irgendetwas bekommen, oder man wird uns sehr kostspielige Bedingungen stellen und uns nur Bagatellen zugestehen.

Quelle: J.C. Droysen et al., Politische Correspondenz Friedrichs des Grossen. Berlin: Duncker, 1879-1919, Band I, S. 90-91. [Die Bemerkungen erscheinen hier im französischen Original.]

Übersetzung: aus dem Französischen: Oliver Ilan Schulz